Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1854 - Richard Francis Burton
Als erster Europäer in Harrar
Äthiopien

Auf dem Weitermarsch kamen wir bald nach Mittag auf einen schmalen Pfad, der zu beiden Seiten eingehegt war, und hielten eine kurze Rast unter einem Baum. Zwei englische Meilen von hier, also eine Wegstunde, lag auf einem Hügel die Stadt Harrar, eine lange dunkle Linie, nicht schimmernd weiß, wie sonst die Städte im Orient. Die letzte Strecke vor der Stadt führte durch eine Art von Laufgraben, der zu beiden Seiten mit Steinen und hohem Kaktus eingefriedet war; dann gelangt man auf eine offene Ebene. Zur Rechten reichen die Durrafelder bis an die Stadtmauer, links liegt eine Begräbnisstätte, geradeaus fällt der Blick auf die Festungswerke. Vor dem Tore schlenderten Bürger umher.
    Den Torhüter erkannten wir an seinem langen Amtsstabe. Said redete ihn an und beauftragte ihn, unsererseits dem Emir Salams zu überbringen, wir kämen von Aden und bäten um die Ehre, uns vorstellen zu dürfen. Nachdem jener fortgegangen war, setzte ich mich an eine der runden Bastionen, wo dann neugierige Leute beiderlei Geschlechts uns betrachteten und allerlei spöttische Redensarten führten. Nach einer halben Stunde kam der Torwächter zurück und gab uns die Erlaubnis, in die Stadt zu kommen. Wir bestiegen unsere Maultiere und ritten durch die Hauptstraße, eine enge, steil anlaufende Gasse, aus deren unebenem Boden viele spitze Felssteine hervorragten. Der lange Guled hatte sein Maultier der Obhut unserer beiden Beduinen anvertraut; wir sahen diese aber erst wieder, nachdem wir beim Emir Audienz gehabt hatten. Von dem Volke war ihnen geraten worden, sich mit dem Tier aus dem Staube zu machen, denn uns werde es sehr schlimm ergehen.
    Unser Führer war ein triefäugiger, mürrischer Kerl, der uns durch Zeichen bedeutete, daß wir absteigen müßten. Ich war noch etwa 100 Schritt vom Palast des Emirs entfernt, da fing er an, im Trab zu laufen, und gab uns zu verstehen, daß von unserer Seite dasselbe geschehen müsse; denn so gebiete es die Achtung vor dem Herrscher. Wir sahen einander an, der Hammal schwor, er wolle lieber elend umkommen, als auf Befehl zu traben, und ich dachte ebenso. Dem Ärger des Führers zum Trotz führten wir unser Maultier im Schritt, gingen durch das Tor und blieben in der linken Ecke des Hofes unter einem Baum stehen, dicht bei einem niedrigen, aus unbehauenen Steinen aufgeführten Gebäude, in dem Fesseln klirrten; es war das Staatsgefängnis. In diesem Teil des Hofraums trieben sich viele Gallas herum, manche saßen auch an der Palastmauer im Schatten. Diese Männer schienen besondere Vorrechte zu haben, denn sie trugen Speere und Sandalen und schlenderten gemächlich vor der fürstlichen Wohnung einher. Endlich kam der Führer aus dem Palast, befreite uns von lästigen Knaben, die sich um uns versammelt hatten, und gebot uns, die Fußbekleidung an einem zwölf Fuß vom Palast entfernten steinernen Tritt abzulegen. Meine Einwendungen, daß wir ja nicht vor einer Moschee seien, blieben unbeachtet. Dann folgte in beiderseits unverständlichen Zungen ein Gezänk über das Ablegen der Waffen, das damit endete, daß ich wenigstens meine Dolche und Revolver behielt. Nun wurde ein Türvorhang geöffnet, und ich machte eine Verbeugung, denn mir gegenüber sah ich den gefürchteten Häuptling.
    Amed ben Sultan Abubekr, Emir, oder wie er sich selbst betitelte, Sultan von Harrar, saß in einem dunklen, weiß ausgetünchten Gemach, an dessen Wänden verrostete Luntengewehre und blanke Fesseln hingen. Er sah aus wie ein kleiner indischer Radscha und war ein hagerer Jüngling von etwa 35 Jahren, mit dünnem Bart, gelber Hautfarbe und vorstehenden Augen. Sein weites karmesinrotes Gewand war mit weißem Pelz verbrämt; ein schmaler weißer Turban war dicht um eine kegelförmige Kappe von rotem Sammet gewunden. Der Thron war weiter nichts als eine fünf Fuß lange Bank mit einem niedrigen Geländer. Der Emir fühlte sich unwohl; sein Ellbogen ruhte auf einem Kissen, unter dem der Griff eines indischen Säbels hervorsah. Die Hofleute, die Vettern und andere Verwandte des Herrschers standen in doppelter Reihe aufgestellt und trugen nach abessinischer Sitte den rechten Arm entblößt.
    Ich begrüßte den Herrscher mit den Worten: „Friede sei mit dir." Seine Hoheit antwortete gnädig, streckte seine Hand aus, die gelb und knochig war wie eine Habichtskralle, und schnalzte mit dem Daumen und Mittelfinger. Darauf traten zwei Kämmerlinge vor, faßten meine Vorderarme und waren mir behilflich, als ich eine tiefe Verbeugung über die Hand machen mußte, ich küßte diese jedoch nicht. Dann kam die Reihe an meine beiden Diener; nachdem sie die Hand geküßt hatten, wurde sie ihnen zum Zeichen des Vertrauens oder der Herablassung noch einmal dargeboten. Jetzt durften wir uns dem Emir gegenüber auf eine Matte setzen; er betrachtete uns mit finsterer Stirn und forschendem Blick.
    Nachdem ich mich nach seiner Hoheit Wohlbefinden erkundigt hatte, schüttelte er mit dem Kopf und erkundigte sich nach dem Ziel meiner Reise. Nun zog ich den von mir selbst geschriebenen Brief hervor und übergab ihn einem Kämmerling. Dieser umwickelte seine Hand mit der Tobe und überreichte ihn so dem Emir, der das Schreiben auf Kissen legte und weitere Mitteilungen verlangte. In arabischer Sprache setzte ich ihm auseinander, ich sei von Aden gekommen, überbringe Empfehlungen des englischen Gouverneurs und hätte den Wunsch gehabt, in Harrar das Licht vom Antlitz seiner Hoheit zu schauen. Der Emir lächelte gnädig, und damit fiel mir ein Stein vom Herzen, Ich war auf das Schlimmste gefaßt gewesen, und alles, was ich seither im Palast gesehen hatte, war keineswegs geeignet, mich zu beruhigen. Der Herrscher sprach ganz leise einige Worte mit seinem Schatzmeister, einem kleinen Mann mit kahl geschorenem Kopf, und gab uns ein Zeichen, daß wir uns entfernen möchten. Die Zeremonie des Handkusses wurde wiederholt, und wir verließen die Audienzhalle als Männer, die offenbar in Gunst standen.
    Die Leute im Hofe, die uns vorher mit ihren Blicken hätten die Kehle abschneiden mögen, machten jetzt ganz andere Augen. Man führte uns, unter Voraustritt einer Wache, in des Emirs zweiten Palast, den wir als unser Haus betrachten sollten. Dort fanden wir auch die Beduinen, die es für unmöglich gehalten hatten, daß wir mit dem Kopf auf dem Rumpf zurückkommen könnten; jetzt grinsten sie fröhlich. Bald nachher brachte man uns aus des Emirs Küche ein Gericht Schabta, Durrakuchen in saure Milch eingeweicht und dick mit rotem Pfeffer bestreut, der in jenen Gegenden so häufig die Stelle des Salzes ersetzt. Als ich fragte, warum man meinen Dienern ihre Waffen noch nicht zurückgegeben habe, lautete die Antwort, sie befänden sich im Palast und seien dort gut verwahrt. Nun schickte ich dem Emir ein sechsläufiges Drehpistol und ließ ihm den Gebrauch dieser Waffe erklären. Unser Haus, in dem wir es uns einigermaßen bequem zu machen suchten, war reinlich, hatte aber schlechte Wände und einen gestampften Fußboden. Dem Eingang gegenüber waren zwei breite steinerne Stufen von etwa zwei Fuß Höhe und drei Fuß über der platten Erde, Darüber lagen Matten. Ich legte aber unsere Decken und Schabracken darauf und bereitete mir ein Lager. Sehr ermüdet und vollkommen durchdrungen von der Eigentümlichkeit der Umstände, in die ich mich versetzt sah, legte ich mich nieder. Ich war unter dem Dache eines fanatischen Fürsten, der Gewalt über Leben und Tod hatte, unter einem Volk, das die Fremden verabscheut, der einzige Europäer, der je diese ungastliche Schwelle überschritten. Hoffentlich war ich auch das Werkzeug des Schicksals zum Niederbrechen dieser Gewalt. Die Stadt Harrar ist etwa eine englische Meile lang und halb so breit. Die unregelmäßige Mauer ist vor einigen Jahren ausgebessert worden, was allerdings sehr nötig war. Denn die Hyänen krochen durch die Löcher zur Stadt hinein und machten sie bei Nacht unsicher. Jetzt läßt man abends die Tore offen, lockt die Tiere durch Köder an, verschließt dann die Pforten und erlegt die unwillkommenen Gäste mit Speeren. Es sind fünf Tore vorhanden. Sie werden stets sorgfältig bewacht, und abends müssen die Schlüssel dem Emir eingehändigt werden. Nach Torschluß kann niemand die Stadt verlassen. Mauern und Türme sind ohne alle Kunst gebaut. Das größte Gebäude der Stadt ist die Dschami oder Hauptmoschee, ein langer Steinschuppen von ärmlichem Ansehen. Die daneben stehenden zwei Minarette bilden abgestumpfte Kegel, sind weiß angetüncht und wurden von türkischen Baumeistern erbaut. Man sieht in der Stadt nur wenig Bäume, auch hat sie keine Gärten, die sonst im Orient auch größeren Ortschaften etwas von ländlichem Reiz geben. Die Straßen, enge Gassen, die bergan und bergab laufen, sind uneben und voll von Schmutzhaufen, bei denen sich hungrige und räudige Hunde in Menge herumtreiben. Die Menschen wohnen in langen steinernen Schuppen mit flachen Dächern. In den Wohnungen der Wohlhabenden findet man besondere Gemächer für die Frauen und einen Hofraum, dessen Eingangstür aus zusammengebundenen Durrastengeln besteht. Die ärmeren Leute hausen in einer Gambisa, die sich in keiner Weise von den Hütten der Landbewohner unterscheidet. An Moscheen ist kein Mangel, es sind aber nur ganz schlichte Gebäude ohne Minarette.
    Der Harrari haßt die Fremden und verachtet sie, ein Haß, der schon sehr alt ist. Der Emir herrscht über seine Untergebenen ganz unumschränkt, nach Laune, Willkür und Belieben. Wer irgend verdächtig ist, oder von wem man meint, daß er einmal nach dem Throne streben könne, wird beiseitegeschafft oder eingesperrt. Der Großvater des jetzigen Emirs starb im Kerker, und sein Vater entging nur mit knapper Not demselben Schicksal. Die Somal behaupten, das Staatsgefängnis befinde sich unter dem Palast. Wer einmal darin liege, dürfe weder das Haar kämmen noch die Nägel kürzen; nur der Tod kann ihn befreien. Die Justiz ist überhaupt sehr rasch. Strafen werden, sobald es sich nicht um Geldangelegenheiten handelt, dem Koran gemäß zuerkannt. Ein Mörder wird auf dem Markt ausgestellt, an Händen und Füßen gebunden, und um die Augen legt man ihm eine Binde. Dann tritt der nächste Verwandte des Ermordeten heran und versetzt ihm mit einem schweren Fleischmesser einen Hieb in den Nacken. Stirbt er nicht an der Wunde, so erfolgt gewöhnlich seine Begnadigung. Wer den Dolch gegen einen anderen zieht oder überhaupt sich kleinere Vergehen zuschulden kommen läßt, wird geprügelt. Zwei Männer müssen ihm Brust und Rücken peitschen. Der Emir ist zugegen und gebietet Halt, wenn er glaubt, daß die Züchtigung ausreichend sei. Dieben hackt man die Hände ab. Wirkliche oder vermeintliche Staatsverbrecher werden mit Fesseln in einen unsauberen Kerker geworfen und müssen dort von ihren Verwandten mit Speise versorgt werden. Konfiskationen sind beim Herrscher sehr beliebt, denn alles eingezogene Gut eignet er sich an.
    Emir Ahmed hält viel auf Prunk und Hofetikette. In seiner Gegenwart darf niemand eine Waffe tragen. Als Speibecken dient ihm das Gewand eines Kammerherrn. Was er mit der Hand gibt oder nimmt, muß geküßt werden. Wenn er zu Pferde sitzt, müssen zwei Männer ihm Kühlung mit der Tobe zufächeln. Wenn er öffentlich erscheint, hat er stets eine Leibwache bei sich. Auf dem Ritt zur Moschee folgen ihm zwölf Männer zu Pferde, voraus gehen Bewaffnete mit Luntengewehren und Peitschen. Ein Offizier hält ihm einen rotseidenen befransten Sonnenschirm über den Kopf. Selbst wenn er betet, stehen zwei Männer mit Flinten und brennenden Lunten neben ihm. Gewöhnlich besteht sein Geleit aus etwa 50 Mann. Die Vorläufer klatschen mit der Peitsche und rufen den Leuten zu: „Geh fort! Weg!" und die Bürger laufen dann, um den Hieben zu entgehen, ins nächste Haus.
    Harrar ist eine Handelsstadt. Die Bürger leben zumeist davon, daß sie die Beduinen betrügen. Der Emir hat es für ein Verbrechen erklärt, nach Maß und Gewicht zu verkaufen. Von jeder Eselsladung, die zum Tor eingeht, erhält er eine Abgabe von acht bis fünfzehn Ellen Baumwollzeug. Es ist also wohl erklärlich, weshalb die Esel so schwer belastet werden, daß sie kaum noch gehen können. Die Bürger sind ungemein träge, selbst wenn es sich um Gewinn handelt.
    Die Hauptausfuhr besteht aus Sklaven, Elfenbein, Tabak, Toben und gewebter Baumwolle, Maultieren, Durra, Weizen, Karandschi (ein Brot für Reisende), Butter, Honig, Gummi, Talg, zumeist von Schafen. Eingeführt werden: amerikanisches Baumwollzeug, sowohl gefärbt wie ungefärbt, Musselin, rote Schals, Seidenzeug, Messing, gewalztes Kupfer, wohlfeile deutsche Eisenwaren, namentlich Messer, Glasperlen und Korallen, Datteln, Reis, Hutzucker, Papier, Schießpulver und mancherlei andere Sachen, deren eine Stadt in der Wildnis bedarf. Der Kaffee von Harrar ist wohlbekannt. Er wächst entweder in den Gärten der Stadt oder kommt in nicht unbeträchtlichen Mengen aus den benachbarten Gebieten. Der Emir hält oft den Kaffee zurück, weil er meint, daß der Markt in Berbera überfüllt werden könne. Auch hat er den Kaffeepflanzern verboten, außer Landes zu reisen, damit die Kunst, den Baum gut zu pflegen, nicht verlorengehe! Als ich in Harrar war, kosteten 27 Pfund Kaffee einen Vierteldollar.

Burton, Richard Francis
First Footsteps in Eastern Africa, or an exploration of Harrar, London 1860
Deutsche Übersetzung in
Andree, K.
Forschungsreisen in Arabien und Ostafrika
Leipzig 1861

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