1670 - Olfert Dapper
Fes
Marokko
Die vornehmste Hauptstadt dieser Landschaft und des ganzen Königreichs ist die Stadt Fes. Sie liegt ungefähr 100 Meilen von der See - mit rauhen und unbewohnten Orten zwischen beiden - und ist länglich viereckig. Ihre Ringmauern sind von gebrannten und selbstgewachsenen Steinen hoch aufgeführt; darauf viele Türme stehen: wiewohl sie mit wenig Bollwerken, ausgenommen an den Toren, versehen. Diese Tore werden auf 86 gezählt. An etlichen Örtern ist die Stadt mit fließenden Wassern durchschnitten; an andern hat sie soviel Hügel, daß fast keine Ebene mehr darin zu finden. Sie ist in 12 Kirchspiele abgeteilt, begreift 700 Kirchen (Moscheen) und 62 Marktplätze, welche mit Kramläden rundherum besetzt; hat über 200 vornehme Gassen, mit einer großen Anzahl kleiner Gäßlein, welche zu beiden Seiten mit prächtigen Gebäuden prahlen. Dazu befindet sich dort eine große Menge Zunft- und Gildehäuser, Mühlen und gemeiner Badstuben.
Der Fluß Fes schießt mit zwei Armen in die Stadt; der eine über Süden an der Seite der neuen Stadt und der andere an der Westseite der Stadt: welche alle beide in viel andere Zacken geteilt und nach den Bürgerhäusern, Kirchen, Wirtshäusern, Gasthäusern und anderen dergleichen Gebäuden geleitet werden.
Neben den Moscheen stehen ungefähr 150 gemeine Gemächer, da man sich leicht zu machen pflegt. Diese heimlichen Gemächer sind wie viereckige Häuser gebaut, die man sämtlich in kleine Kammern, mit kleinen Gängen abgeteilt. Alle Kammern sind mit einer Röhre versehen, dadurch das Wasser aus den Stadtgräben in einen marmorsteinernen Trog so stark geschossen kommt, daß es allen Unflat und Gestank aus diesen Örtern mit sich in den Fluß nimmt. Über gemeldete Zacken und Arme des Flusses liegen in der Stadt 250 steinerne Brücken: darunter etliche mit Häusern so dicht zu beiden Seiten bebaut, daß sie anders nicht als Gassen zu sein scheinen. Auch findet man 86 gemeine Springbrunnen; und noch 600 andere in den Schlössern, Gasthäusern und dergleichen Gebäuden.
Die Häuser sind von Ziegel- und anderen Steinen künstlich erbaut und meistenteils mit allerhand gehauenen Bildwerken geziert. Die Kammern und Zimmer hat man mit mancherlei Blumen gemalt und mit Firniß, ihnen einen schöneren Glanz zu geben, überstrichen. Die Decke ist gemeiniglich übergüldet oder mit angenehmen Farben übermalt. Die Dächer sind oben platt und mit Estrich belegt. Fast alle Häuser steigen mit 2 oder 3 Übersätzen in die Höhe, haben hohe und niedrige Gänge und Treppen, dadurch man von einer Kammer in die andere geht. Der Mittelteil des Hauses ist nach oben zu allzeit offen, und die Gemächer gehen dort rund herum: welche hohe und breite Türen haben und von innen einen künstlich gemalten Schrank, der so lang ist wie das Zimmer: darin sie ihre köstlichsten Sachen bewahren.
Die Gänge ruhen auf Säulen von Backsteinen, welche man meist übermalt, oder auf marmorsteinernen Pfeilern. Die Balken der Zimmer sind auch mit allerhand Bildwerken ausgeziert. In vielen Häusern findet man steinerne, recht artig übermalte Wassertröge, welche 10 oder 12 Arme lang und 6 oder 7 breit, auch 6 oder 7 Füße tief sind. Vor diesen steht ein marmorsteinernes Faß, darein das Wasser durch eine Röhre aus dem Trog geschossen kommt. Diese Wassertröge werden allezeit rein und überdeckt gehalten; als allein im Sommer, wenn sich Männer, Frauen und Kinder darin baden.
Ein Turm steigt auch fast an allen Häusern in die Höhe; darauf sie ihre Frauen, in zierlich gemalten Zimmern, einzusperren pflegen. Und also können sie, weil sie sehr selten auf die Gasse kommen dürfen, gleichwohl alles, war drinnen geschieht, endlich sehen.
Unter den obengenannten 700 Moscheen sind 60 oder 70 sehr groß und prächtig gebaut und mit marmornen Säulen, künstlichen Gemälden, auch Bilderwerken - sonderlich an den Giebeln - herrlich geziert. Gemeiniglich sieht man bei einem jeden einen Brunnen von Marmor oder anderen Steinen. Die Giebel oder Gemälde sind nach europäischer Weise mit hölzernen Bogen gemacht: aber der Boden nicht mit Steinen, sondern Matten von Binsen belegt; welche so dicht und artig aneinander gefügt sind, daß man die Erde nicht sehen kann. Mit eben dergleichen Matten sind auch die Mauern mannshoch rundherum bekleidet.
Herrschaft und Adel: Die Beherrschung des Königreiches Fes beruht jetzt auf einem einzigen Oberhaupt. Diese Oberhäupter oder Könige als auch alle die anderen mohammedanischen gebrauchen keinen Reichsstab noch Krone, sondern nur einen niedrigen Stuhl oder Sessel, mit güldenem Tuche überdeckt und einem mit Perlen und edlen Steinen gestickten Kissen belegt: welches die Wahrzeichen der Königlichen Majestät sind. Wenn der König merkt, daß sein Tod zu nahen beginnt, dann ruft er alle seine Edlen zusammen und nimmt einen Eid von ihnen, daß sie einen Sohn oder Bruder oder einen anderen, dem er diese Gunst zuträgt, zum Nachfolger an seine Stelle wählen sollen. Aber sie sind dieses Eides, nach des Königs Absterben, selten eingedenk; indem sie oft einen andern nach ihrem Wohlgefallen wählen.
Am Fessischen Hofe findet man dreierlei Edelleute. Etliche sind von adligem Stamme: andere werden zu Edelleuten durch ihre Bestallungen oder Reichtümer. Gleichwohl genießen sie sämtlich gleiche Freiheiten und tragen zum Zeichen ihres Adels eine sonderliche Art Schlurfen. Sie sind sehr trotzig und müssen dem Könige einige Hofdienste tun, außerdem daß sie verpflichtet sind, mit ihm zu Felde zu ziehen. Man sagt, daß sich in der alten Stadt Fes über 3000 adlige Geschlechter aufhalten.
Die Juden: Sie bewohnen einen gewissen Ort in der Neuen Stadt und befinden sich durch die ganze Landschaft in großer Anzahl, welche von etlichen auf 800.000 geschätzt wird. Unter ihnen sieht man viele Goldschmiede; weil sich die Mohren mit dieser Kunst, welche Mahomets Gesetz verbietet, nicht bemühen wollen. Diese Goldschmiede haben auch einen Gildemeister; welcher das Zeichen und den Stempel der Münze bewahrt. Außerdem darf kein Gold oder Silber in der Alten Stadt geprägt werden: weil die Juden in der Neuen Stadt allein die Freiheit haben, solches zu tun.
Die Einwohner der Landschaft Fes sind entweder Mohammedaner, Juden oder Christen. Die Mohammedaner oder Mohren, welche die Oberhand haben, stehen ihres Gottesdienstes wegen unter ihren sogenannten Marabuten oder Heiligen, welche sie als Lehrer oder Bischöfe halten. Ja alle die unterschiedlichen Anhänger der mohammedanischen Lehre, welche durch das ganze Afrika zu finden, haben jetzt ihre Lehrer und Vorsteher zu Fes.
Dapper, Olfert
Umbständliche und Eigentliche Beschreibung Afrikas
Amsterdam 1670; Nachdruck 1964