Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1871 - Stanley - Treffen mit Livingstone

1871 - Henry Morton Stanley
Treffen mit Livingstone
Ujiji, Tanzania

Wir steigen den westlichen Abhang des Berges hinab, das Thal des Liutsche vor uns. Ungefähr eine Stunde vor Mittag haben wir das dichte Matetegestrüpp erreicht, welches an beiden Ufern des Flusses wächst, waten durch den klaren Strom, kommen auf der andern Seite an, treten aus dem Dickicht hervor und die Gärten der Wadschidschi liegen vor uns, ein Wunder von Pflanzenreichtum. Einzelheiten entziehen sich meiner raschen, oberflächlichen Beobachtung. Ich bin von meinen eigenen Gemütsbewegungen fast überwältigt, wie ich die anmutigen Palmen, die netten grünen Gemüseplätze und kleinen, von schwarzen Mateterohr-Zäunen umgebenen Dörfer erblickte.
   Rasch eilen wir weiter, damit nicht die Nachricht unserer Annäherung die Leute von Bunder-Udschidschi erreiche, ehe wir in Sicht und für sie bereit sind. Wir halten an einem kleinen Bach, dann steigen wir den langen Abhang einer nackten Hügelkette hinauf, die allerletzte der unzähligen, die wir überschritten haben. Diese allein hindert uns daran, den See [Tanganjikasee] in seiner ganzen gewaltigen Ausdehnung zu überblicken. Wir kommen auf dem Gipfel an, überschreiten denselben bis an seinen westlichen Rand und - halt ein, Leser! - der Hafen von Udschidschi liegt in Palmen gehüllt nur 500 Schritt von uns entfernt. In diesem großen Augenblicke denken wir nicht mehr an die unzähligen Meilen, die wir marschiert, die zahllosen Berge, die wir erklettert, die vielen Wälder, die wir durchwandert haben; die Erinnerung an die Dickichte und Dschungel, die uns belästigt, die heißen Salzebenen, die uns die Füße verbrannt, die glühende Sonne, die uns versengt hat, an alle Gefahren und Beschwerden, die jetzt glücklich hinter uns liegen, ist verschwunden! Endlich ist die große Stunde da! Unsere Träume, Hoffnungen und Ahnungen sind jetzt erfüllt! Unsere Herzen und Empfindungen liegen in den Augen, wie wir in die Palmen spähen und versuchen zu erraten, in welcher Hütte, in welchem Hause der weiße Mann mit dem grauen Bart, von dem man uns am Malagarazi berichtet, wohl wohnen mag.
   "Entfaltet die Fahne und ladet die Gewehre!"
   "Ay Wallah, ay Wallah, Bana!" erwidern die Leute eifrig.
   "Eins, zwei, drei, feuert!"
   Ein Kleingewehrfeuer von fast fünfzig Flinten brüllt wie ein Salutschuß von einer Artilleriebatterie. Wir werden die Wirkung desselben auf das friedlich aussehende Dorf da unten sofort sehen.
   "Jetzt, Kirangozi, halte die Fahne des Weißen hoch und lass die Zanzibarer Flagge vor dem Nachtrab hergehen. Und Ihr, Leute, haltet Euch dicht aneinander und feuert weiter, bis wir auf dem Marktplatz oder vor dem Hause des Weißen stehen. Ihr habt mir oft gesagt, dass Ihr die Fische des Tanganjika riechen könnt; ich kann es jetzt auch. Hier gibt es Fische und Bier und eine lange Rast für Euch. Marsch."
   Ehe wir 100 Schritt weiter gegangen waren, hatten unsere wiederholten Schüsse den gewünschten Erfolg. Wir hatten Udschidschi benachrichtigt, dass eine Karawane im Anzug sei, und man sah die Leute zu Hunderten uns entgegenströmen. Der bloße Anblick der Fahnen ließ jedermann wissen, dass wir eine Karawane seien, doch erregte die von dem riesigen Asmani, der das Gesicht heute zu einem beständigen Lächeln verzog, hoch getragene amerikanische Flagge zuerst allgemeines Erstaunen. Viele der Leute aber, die sich jetzt uns näherten, erinnerten sich der Flagge, denn sie hatten sie über dem amerikanischen Konsulat und vom Mast so manchen Schiffes im Hafen von Zanzibar wehen sehen und begrüßten sie alsbald mit den Rufen: "Bindera Kisutigu!" Die Flagge eines Weißen! "Bindera Merikani!" Die amerikanische Flagge!
   Dann umgaben sie uns, die Wadschidschi, Wanyamwezi, Wangwana, Warundi, Waguhha, Wamanyuema und Araber und machten uns fast taub mit ihrem Geschrei " -Yambo, yambo, bana! Yambo, bana! Yambo, bana";  da jeder einzelne meiner Leute in dieser Weise begrüßt wurde.
   Noch befinden wir uns etwa 300 Schritt vom Dorfe Udschidschi und mich umgibt eine dichte Menge. Plötzlich höre ich eine Stimme zu meiner Rechten in englischer Sprache mir zurufen:
   "Guten Morgen, mein Herr."
   Erstaunt darüber, diese Begrüßung inmitten einer solchen Menge Schwarzer zu hören, kehre ich mich rasch um, um den Mann zu betrachten und erblicke ihn an meiner Seite mit ganz schwarzem, aber belebtem, frohem Gesichte, in einem langen, weißen Hemd, einen Turban von amerikanischer Leinwand um das wollige Haupt gewunden, und frage ihn: "Ach wer sind Sie denn?"
   "lch bin Susi, der Diener von Dr. Livingstone," sagt er lachend und eine glänzende Reihe Zähne zeigend.
   "Was? Ist Dr. Livingstone hier?"
   "Jawohl!"
   "In diesem Dorfe?"
   "Jawohl!"
   "Ganz bestimmt?"
   "Ganz bestimmt. Ich habe ihn ja eben verlassen."
   "Guten Morgen, mein Herr!" ließ sich eine andere Stimme vernehmen.
   "Halloh," sagte ich, "ist das noch einer?"
   "Ja, mein Herr."
   "Wie heißen Sie denn?"
   "Mein Name ist Dschumah."
   "Wie, sind Sie Dschumah, der Freund von Wekotani?"
   "Jawohl."
   "Und ist der Doktor gesund?"
   "Nein. Er ist nicht sehr wohl."
   "Wo ist er so lange gewesen?"
   "ln Manyuema."
   Nun, Susi, laufen Sie, um es dem Doktor mitzuteilen, daß ich komme."
   "Jawohl, Herr!", und wie ein Toller schnellte er davon.
   Jetzt waren wir 200 Schritt von dem Dorfe entfernt. Die Menge wurde dichter und versperrte uns fast den Weg. Fahnen und Flaggen waren aufgehisst, Araber und Wangwana drängten sich durch die Eingeborenen, um uns zu begrüßen, denn nach ihrer Ansicht gehörten wir zu ihnen. Alle waren in höchstem Grade erstaunt und fragten: "Wie kommt Ihr von Unyanyembe?"
   Bald kam Susi zurückgelaufen und frage mich nach meinem Namen. Er hatte dem Doktor gesagt, dass ich im Anzuge sei, dieser aber war zu sehr erstaunt, um es zu glauben, und als er ihn um meinen Namen fragte, war Susi in Verlegenheit geraten.
   Während Susis Abwesenheit war dem Doktor jedoch die Nachricht zugekommen, dass es wirklich ein Weißer sei, dessen Flinten abgefeuert und dessen Fahnen zu sehen waren, und die großen arabischen Magnaten von Udschidschi, Mobammed bin Sali, Sayd bin Madschid, Abid bin Suliman, Mohammed bin Gharib und andere hatten sich vor des Doktors Haus versammelt und dieser war aus seiner Veranda getreten, um die Sache zu besprechen und meine Ankunft zu erwarten.
   Mittlerweile hatte die Spitze der Expedition halt gemacht; der Kirangozi war aus den Reihen ausgetreten, hielt seine Flagge hoch und Selim sagte mir: "Ich sehe den Doktor. Ach, was für ein alter Mann ist es! Er hat einen ganz weißen Bart." Und ich - was hätte ich nicht darum gegeben, einen Augenblick allein in der Wildnis sein zu können, um meiner Freude ungesehen in irgendeinem tollen Streiche Luft zu machen, um nur die Erregung, deren ich kaum Herr werden konnte, zu beschwichtigen. Rasch klopft mir das Herz; doch darf ich meine Empfindungen nicht durch einen Gesichtsausdruck verraten, welcher der Würde Abbruch tun könnte, die ein Weißer unter solchen außergewöhnlichen Umständen an den Tag legen muss.
   Ich tat also, was ich für das Würdigste hielt; stieß die Menge zurück und schritt, von hinten hervorkommend, durch eine lebendige Allee von Menschen, bis ich an den von Arabern gebildeten Halbkreis gelangte, an dem vorn der Weiße mit dem grauen Bart stand. Als ich langsam auf ihn zutrat, bemerkte ich, dass er blass und ermüdet aussah und einen grauen Bart hatte, eine bläuliche Mütze mit verschossenem goldenem Bande, eine Weste mit roten Ärmeln und ein paar graue Hosen trug. Ich wäre gern auf ihn zugelaufen; nur war ich in Gegenwart eines solchen Pöbelhaufens zu feig dazu. Ich wäre ihm gern um den Hals gefallen; nur wusste ich nicht, wie er, als Engländer, mich aufnehmen würde. Ich tat also, was Feigheit und falscher Stolz mir als das Beste anrieten, schritt bedächtig auf ihn zu, nahm meinen Hut ab und sagte:
   "Dr. Livingstone, wie ich vermute."
   "Ja," sagte er mit freundlichem Lächeln, die Mütze leicht lüftend.
   Ich setzte meinen Hut wieder auf den Kopf, er seine Mütze, wir reichen uns herzlich die Hand und ich sage laut:
   "Ich danke Gott, Doktor, dass es mir gestattet ist, Sie zu sehen."
   Er erwiderte: "Und ich bin dankbar, dass ich Sie hier begrüßen kann."
   Hierauf wende ich mich zu den Arabern, nehme als Antwort auf ihren Begrüßungs-Chorus von Yambos meine Kopfbedeckung ab und der Doktor stellt sie mir mit Namen vor. Dann kehren Livingstone und ich, die Menge und die Männer, die meine Gefahren mit mir geteilt haben, völlig vergessend zu seinem Tembe. Er weist auf die Veranda oder vielmehr den Lehm-Altan unter dem breiten überhängenden Dach hin - und zeigt auf seinen eigenen Sitzplatz, dessen Konstruktion ihm, wie ich sehe, sein Alter und die Kenntnis des Lebens in Afrika eingegeben hat, und der aus einer Strohmatte mit einem darüber gelegten Ziegenfell und noch einem andern Fell besteht, das an die Mauer genagelt ist, um seinen Rücken vor der Berührung mit dem kalten Lehm zu bewahren. Ich protestiere dagegen, seinen Sitz einzunehmen, der ihm so sehr viel mehr ziemt als mir , der Doktor aber gibt nicht nach und ich muss ihn einnehmen.
   Wir, der Doktor und ich, sitzen mit dem Rücken gegen die Wand. Die Araber setzen sich zur Linken. Mehr als tausend Eingeborene befinden sich vor uns und erfüllen dicht den ganzen Platz. Sie befriedigen ihre Neugierde und unterhalten sich über die Tatsache, dass zwei Weiße in Udschidschi zusammentreffen, der eine eben von Manyuema im Westen, der andere von Unyanyembe im Osten kommend.
   Die Unterhaltung beginnt. Um was sie sich dreht, habe ich, offen gestanden, vergessen. Ach, wir richteten Fragen aneinander wie folgende: "Wie sind Sie hierher gekommen?" und "Wo sind Sie die ganze lange Zeit über gewesen? Die Welt hat Sie für tot gehalten." Ja, so fing die Unterhaltung an; was der Doktor mir aber erzählt und was ich ihm gesagt, kann ich nicht genau wiedergeben, denn ich war damit beschäftigt, ihn anzublicken und den wunderbaren Mann, an dessen Seite ich jetzt in Zentralafrika saß, zu studieren. Jedes Haar seines Hauptes und Bartes, jede Runzel seines Gesichts, seine hagern Züge und etwas abgespanntes Aussehen brachte mir die Kunde, nach der ich mich immerwährend gesehnt, seitdem ich die Worte gehört: "Nehmen Sie, was Sie brauchen, aber - finden Sie Livingstone." Was ich da sah, war für mich eine Kunde von höchstem Interesse und ungeschminkte Wahrheit. Ich hörte und las zu gleicher Zeit. Was erzählten mir diese stummen Zeugen?
O Leser, wärest Du an dem Tage in Udschidschi an meiner Seite gewesen! Wie beredt hätte sich Dir das eigentliche Wesen der Mühen dieses Mannes offenbart! Wärest Du nur da gewesen, um ihn zu sehen und zu hören! Von seinen Lippen, die nie lügen, erfuhr ich die Einzelheiten derselben. Ich kann es nicht wiederholen, was er sagte, denn ich war zu sehr eingenommen, als dass ich mein Notizbuch hätte herausziehen und seine Erzählungen stenographieren können. Er hatte so viel zu erzählen, dass er mit dem Ende anfing und scheinbar die Tatsache vergaß, dass er über fünf bis sechs Jahre Rechenschaft abzulegen habe. Allmählich aber kam sein Bericht hervor, rasch nahm er große Verhältnisse an und wurde zu einer wunderbaren Geschichte von Taten.
   Die Araber erhoben sich mit einem Zartgefühl, das ich billigte, als ob sie instinktmäßig wussten, dass wir uns selbst überlassen bleiben müssten. Ich schickte Bombay mit ihnen fort, damit er ihnen Nachrichten über den Stand der Angelegenheiten in Unyanyembe gebe, nach denen sie sich so sehr sehnten. Sayd bin Madschid war der Vater des tapfern jungen Mannes, den ich in Masange gesehen, der mit mir in Zimbizo gekämpft und von Mirambo's RugaRuga im Walde von Wilyankuru getötet worden war; und da er wusste, dass ich dabei gewesen, wünschte er dringend die Geschichte des Kampfes zu hören; auch alle übrigen hatten Freunde in Unyanyembe, und natürlich erwarten sie sehnsüchtig Nachrichten über dieselben.
   Nachdem ich Bombay und Asmani Befehl gegeben hatte, die Leute der Expedition mit Essen zu versehen, rief ich "Kaif Halek" oder "Wie geht es Ihnen?" und stellte ihn Dr. Livingstone als einen der Soldaten vor, der die in Unyanyembe liegenden Güter zu hüten gehabt und den ich gezwungen hatte, mich nach Udschidschi, zu begleiten, damit er persönlich seinem Herrn den Briefbeutel, den ihm Dr. Kirk anvertraut, übergeben könne. Dies war der berühmte mit dem Datum vom 1. November 1870 bezeichnete Beutel, der dem Doktor jetzt, 365 Tage, nachdem er Zanzibar verlassen, übergeben wurde. Wie lange wäre er wohl noch in Unyanyembe geblieben, wenn ich nicht den großen Reisenden in Zentralafrika aufgesucht hätte?
   Der Doktor behielt seinen Briefbeutel auf den Knien, dann öffnete er ihn sofort, sah sich die Briefe, die in demselben enthalten waren, an, und las ein paar von seinen Kindern, wobei sich sein Gesicht aufhellte.
   Darauf bat er mich, ihm Nachrichten zu geben.
   "Nein, Doktor," sagte ich, "lesen Sie erst Ihre Briefe, auf die Sie gewiß ungeduldig sind."
   "Ach," sagte er, "ich habe Jahre lang auf Briefe gewartet und habe Geduld gelernt. Da kann ich wirklich noch ein paar Stunden warten. Nein, erzählen Sie mir erst die allgemein interessanten Neuigkeiten. Was passiert in der Welt?"
   "Vermutlich wissen Sie schon, dass der Suezkanal zur Tatsache geworden, dass er eröffnet ist und jetzt ein regelmäßiger Handel zwischen Europa und Indien durch denselben getrieben wird?"
   "Ich habe von seiner Eröffnung nichts gehört. Das ist etwas Großartiges. Nun, was noch?"
   Bald darauf befand ich mich in der Rolle einer Jahreschronik ihm gegenüber. Ich brauchte nichts zu übertreiben oder ihm Sensationsnachrichten zu geben. Die Welt hatte in den letzten Jahren viel gesehen und erfahren. Die Pacific-Eisenbahn war vollendet worden; Grant war Präsident der Vereinigten Staaten geworden; Ägypten war von Gelehrten überflutet worden; die Revolution von Kreta war beendet; eine Revolution hatte Isabella vom spanischen Throne getrieben und einen Regenten an ihre Stelle gesetzt. General Prim war ermordet; Castelar hatte Europa mit seinen Fortschrittsideen über die Freiheit des Cultus elektrisiert; Preussen hatte Dänemark gedemütigt und Schleswig-Holstein annektiert und seine Armeen befanden sich jetzt um Paris. Der "Schicksalsmann" war ein Gefangener in Wilhelmshöhe, die Königin der Mode und Kaiserin der Franzosen befand sich auf der Flucht und das im Purpur geborene Kind hatte auf immer die für sein Haupt bestimmte Kaiserkrone verloren. Die Napoleonische Dynastie war durch die Preussen, Bismarck und Moltke vernichtet und das stolze Kaisertum Frankreich in den Staub getreten.
   Wozu hätte man diese Tatsachen noch zu übertreiben brauchen? Welch große Menge Nachrichten war das für jemand, der aus den Tiefen der Urwälder von Manyuema herauskam! Der Widerschein des glänzenden Lichtes der Zivilisation strahlte auf Livingstone, als er sich verwundert eines der alleraufregendsten Blätter der Geschichte erzählen ließ. Wie schwanden die kleinen Taten der Barbaren vor diesen dahin. Wer konnte wissen, von welch neuen Sorgen und Unruhen Europa eben jetzt heimgesucht werde, wo wir, seine beiden vereinsamten Kinder, die Geschichte der letzten Ruhmestaten und Leiden desselben besprachen. Würdiger hätte sie wohl ein lyrischer Demodocus erzählt, doch spielte in Ermangelung des Dichters der Zeitungskorrespondent seine Rolle so gut und wahr als möglich.
   Kurz nachdem die Araber fort waren, wurde uns von Sayd bin Madschid eine Schüssel heißer Fleischpasteten, von Mohammed bin Sali ein gewürztes Huhn, sowie von Muini Kheri eine Schüssel gekochtes Ziegenfleisch mit Reis zugeschickt. So kamen Geschenke von Nahrungsmitteln der Reihe nach an und wir machten uns ebenso rasch, wie sie gebracht wurden, an dieselben. Ich hatte eine gesunde, kräftige Verdauung und die Bewegung, die ich mir gemacht, hatte sie in guten Stand gesetzt; doch auch Livingstone, der sich darüber beklagt hatte, er habe keinen Appetit, sein Magen weise alles außer einer Tasse Tee ab , aß wie ein kräftiger, hungriger Mann, und als er die Pfannkuchen mit mir um die Wette verzehrte, wiederholte er immer: "Sie haben mir neues Leben gebracht!"
   "Wahrhaftig!" sagte ich, "ich habe etwas vergessen. Rasch, Selini, bring uns die Flasche, Du weißt welche, und die silbernen Becher. Diese Flasche habe ich bloß für diesen Fall mitgebracht, von dem ich hoffte, dass er eintreten werde, obgleich mir meine Hoffnung oft eitel erschienen ist."
   Selim wusste die Flasche Sillery Champagner zu finden und kehrte bald damit zurück. Ich gab dem Doktor einen silbernen Becher, gefüllt mit dem erheiternden Weine, und sagte, indem ich etwas davon in meinen Becher, goss: "Dr. Livingstone, auf Ihr Wohl!"
   "Auf das Ihrige!" antwortete er, und der Champagner, den ich für dieses glückliche Zusammentreffen aufbewahrt, wurde mit herzlichsten gegenseitigen Segenswünschen getrunken.
   Wir plauderten und plauderten weiter; den ganzen Nachmittag wurden uns allerlei Speisen zugetragen. Jedes Mal, wenn neue kamen, aßen wir weiter, bis ich vollständig gesättigt und auch Livingstone genötigt war einzugestehen, dass er ebenfalls genügend habe. Dabei befand sich Halimah, Livingstone's Köchin, in einem Zustande großer Aufregung. Sie hatte nämlich den Kopf wiederholt zur Küche herausgesteckt, um sich zu überzeugen, dass wirklich zwei Weiße dort auf der Veranda säßen, wo sonst gewöhnlich nur einer sich befand, der nichts essen wollte oder konnte. Sie hatte gefürchtet, ihr Herr wisse ihre Kochkunst nicht genügend zu schätzen, war aber jetzt über die ungeheure Menge verzehrter Speisen sehr verwundert und zugleich entzückt. Wir hörten, wie sie mit großer Zungenfertigkeit die erstaunte Menge, die vor der Küche hielt, mit ihren Neuigkeiten erbaute. Die gute, treue Seele! Während wir ihr lautes Geschwätz mit anhörten, berichtete der Doktor über ihre treuen Dienste und die furchtbare Angst, die sie an den Tag gelegt, als unsere Flinten zuerst die Ankunft eines zweiten Weißen in Udschidschi ankündigten. Er erzählte mir, wie sie im Zustande höchster Aufregung aus der Küche zu ihm und dann wieder auf den freien Platz gelaufen sei, die verschiedensten Fragen aufwerfend; wie sie über die spärliche Einrichtung ihrer Speisekammer, ihre dürftigen Vorräte in Verzweiflung geraten und besorgt gewesen sei, ihre Armut durch glänzendes Auftreten zu verdecken und den Weißen durch eine Art Barmekidenfest zu begrüßen. "Ist er denn nicht einer der unsern?" sagte sie. "Bringt er uns nicht viel Tuch und Perlen? Sprecht mir nur nicht von den Arabern! Wie kann man Araber mit Weißen vergleichen!"
   Wir, Livingstone und ich, unterhielten uns über gar vieles, namentlich über seine unmittelbaren Sorgen und die Enttäuschung, die er bei seiner Ankunft in Udschidschi erlebt, als man ihm mitteilte, dass alle seine Waren verkauft und er dadurch zum armen Mann geworden sei. Es waren nur noch etwa zwanzig Tücher von dem ganzen Vorrat übrig, den er dem Trunkenbold Scherif, dem Halbblutschneider, welchem der britische Konsul die Güter anvertraut, in Verwahrung gegeben hatte. Außerdem war er von einem Ruhranfall heimgesucht worden und befand sich in einem sehr beklagenswerten Zustande. Er war noch keineswegs hergestellt, obgleich er heute gut gegessen hatte und sich schon kräftiger und besser zu fühlen begann.
   Auch dieser für mich so glückliche Tag neigte sich schließlich, wie alle andern, seinem Ende zu. Wir saßen mit unsern Gesichtern gen Osten gewandt, wie Livingstone es Tage lang vor meiner Ankunft getan, und beobachteten die dunkeln Schatten, welche über dem Palmenhain jenseits des Dorfes und dem Wall von Bergen, den wir an jenem Tage überstiegen, daherzogen und diese jetzt rasch in der Dunkelheit verschwinden ließen. Wir lauschten mit dankbarem Herzen gegen den großen Geber alles Glücks und Segens, dem lauten Donner der Wasser des Tanganjika und dem Chor der Nachtinsekten. So vergingen die Stunden und wir saßen noch immer mit den merkwürdigen Ereignissen des Tages beschäftigt, als es mir einfiel, dass der Reisende seine Briefe noch nicht gelesen habe.
   "Doktor," sagte ich, "Sie würden wohl besser daran tun, Ihre Briefe zu lesen. Ich will Sie nicht länger aufhalten."
   "Ja," erwiderte er, "es wird spät und ich will meine Briefe lesen. Gute Nacht! Gott segne Sie!"
   "Gute Nacht, mein teurer Doktor, und lassen sie mich hoffen, daß die Nachrichten, welche Sie bekommen, Ihnen recht erwünscht sein mögen."
   Und jetzt, teurer Leser, nachdem ich Dir kurz berichtet, "Wie ich Livingstone fand", sage ich, auch Dir "Gute Nacht."
   Früh am nächsten Morgen fuhr ich plötzlich aus dem Schlaf empor. Das Zimmer kam mir fremd vor. Es war ein Haus und nicht mein Zelt. Ach ja! Jetzt erinnerte ich mich, dass ich Livingstone aufgefunden und mich in seinem Hause befände. Ich horchte, damit das in mir erwachende Bewusstsein durch den Ton seiner Stimme bestätigt werde, hörte aber nichts als das dumpfe Tosen der Wasser.
   Ruhig lag ich im Bett; ja, in einem wirklichen Bett; wenn es auch nur ein sehr einfaches vierbeiniges Gestell war, worauf Palmblätter anstatt Daunen ausgebreitet lagen und Pferdehaar nebst meinem Bärenfell die Stelle von Linnen vertraten. Ich fing damit an, mich einer strengen Geistesprüfung zu unterziehen und mir meine Stellung klar zu machen. Wozu wurde ich ausgeschickt? Um Livingstone zu finden. Hast du ihn gefunden? Ja natürlich, bin ich nicht in seinem Hause? Wessen Kompass hängt dort an dem Holznagel, wessen Kleider, wessen Stiefel sind das? Wer liest diese Zeitungen, diese Nummern der Saturday Review und des Punch, welche hier auf der Diele liegen? Gut. Was willst da also jetzt tun? Ich werde ihm morgen mitteilen, wer mich abgesandt hat, was mich hergebracht hat. Dann werde ich ihn bitten, einen Brief an Herrn Bennett zu schreiben und ihm soviel Neues über sich mitzuteilen, als er Lust hat. Ich bin ja nicht hierher gekommen, um ihn auszuhorchen, sondern es genügt mir, dass ich ihn aufgefunden habe. Insoweit ist mein Erfolg vollständig, doch würde er noch glänzender sein, wenn Livingstone mir Briefe für Herrn Bennett und eine Anerkenntnis darüber gibt, dass er mich gesehen hat. Ob er das tun wird? Warum nicht? Ich bin hergekommen, um ihm einen Dienst zu erweisen; er hat weder Waren noch Leute mehr, wohl aber ich. Wenn ich ihm eine Freundlichkeit erweise, wird er sie mir nicht erwidern? Was sagt der Dichter?
   "Und hoffe nur, daß der ein Freund Dir werde,
   Dem selber Du ein Freund geworden bist.
   Daß man die Freundschaft liebt, doch Opfer scheut,
   Macht's, daß auf Erden Freunde selten sind."

   Ich habe mir seine freundschaftlichen Gesinnungen dadurch erkauft, daß ich soweit gekommen bin, um ihm zu dienen, und glaube nach dem, was ich gestern Abend von ihm gesehen, dass er durchaus nicht so ungünstig und misanthropisch gesinnt ist, wie mir jener Mann gesagt, der ihn zu kennen behauptete, Trotz seiner einsilbigen Begrüßung hat er, als er mir die Hand reichte, einen bedeutenden Grad von Gemütsbewegung an den Tag gelegt; auch ist er ja gar nicht fortgelaufen, wie man es mir vorher verkündet; freilich vielleicht nur, weil er keine Zeit dazu hatte. Dennoch, wenn er seiner Natur nach sich dadurch belästigt gefühlt hätte, dass jemand gekommen, um ihn aufzusuchen, so würde er mich nicht so empfangen, wie er es getan, oder mich gar ersucht haben, bei ihm zu wohnen, sondern mich griesgrämig meiner Wege geschickt haben. Auch hat er nichts gegen meine Nationalität, denn er hat gesagt: "Hier sind Amerikaner und Engländer ganz gleich, wir sprechen dieselbe Sprache und haben dieselben Ideen." "Gewiss, Doktor, da stimme ich mit Ihnen überein; hier wenigstens sollen Amerikaner und Engländer Brüder sein, und was ich für Sie tun kann, soll geschehen. Sie können also über mich so frei verfügen, als ob ich Fleisch von Ihrem Fleisch, Bein von Ihrem Bein wäre."
   Ich kleidete mich rasch an mit der Absicht, den Tanganjika entlang zu wandeln, ehe der Doktor aufgestanden sei, öffnete die Türe, die schrecklich in ihren Angeln knarrte, und spazierte auf' die Veranda.
   "Ah, Herr Doktor, Sie sind schon auf? Ich hoffe, Sie haben gut geschlafen?"
   "Guten Morgen, Herr Stanley. Es freut mich, Sie zu sehen; hoffentlich haben Sie gut geschlafen. Ich war gestern noch spät mit dem Lesen meiner Briefe beschäftigt. Sie haben mir gute und schlechte Nachrichten gebracht. Nehmen Sie aber doch Platz." Er machte mir an seiner Seite Platz. "Ja! Viele meiner Freunde sind tot. Meinen ältesten Sohn, d. h. meinen Sohn Thomas, hat ein schweres Unglück betroffen. Mein zweiter Sohn Oswald studiert auf der Universität Medizin und es geht ihm gut, wie ich höre. Meine älteste Tochter Agnes hat sich in einer Jacht mit Sir Paraffine Young und seiner Familie amüsiert. Sir Roderick ist auch wohl und drückt die Hoffnung aus, mich bald wiederzusehen. Sie haben mir einen ganzen Sack Briefe mitgebracht."
   Der Mann war also durchaus kein Gespenst und die Szenen des gestrigen Tages gehörten nicht der Traumwelt an. Ich blickte ihn aufmerksam an, denn dadurch versicherte ich mich, dass er nicht fortgelaufen sei, was ich auf dem ganzen Wege nach Udschidschi beständig fürchtete.
   "Nun Herr Doktor", sagte ich, "Sie wundern sich wohl, warum ich hierher gekommen bin?"
   "Freilich", sagte er, "habe ich mich darüber gewundert. Ich glaubte zuerst, Sie seien ein Abgesandter der französischen Regierung an Stelle des Lieutenants Le Saint, der einige Meilen jenseits Gondokoro verstorben ist. Ich hörte, Sie hätten Boote, viele Leute und Vorräte bei sich und glaubte wirklich, Sie seien ein französischer Offizier, bis ich die amerikanische Flagge erblickte, und, Ihnen die Wahrheit zu sagen, es freut mich eigentlich, dass es so ist, denn ich hätte mich mit jenem auf Französisch nicht unterhalten können, und wenn er nicht Englisch verstand, so hätten wir ein schönes Paar Weißer in Udschidschi abgegeben. Gestern wollte ich Sie nicht danach fragen, weil es mich eigentlich nichts anging.
   "Ja", sagte ich lachend, "um Ihretwillen freut es mich, dass ich ein Amerikaner und kein Franzose bin und dass wir einander vollständig ohne Dolmetscher verstehen können. Ich sehe, die Araber wundern sich, dass Sie, ein Engländer, und ich, ein Amerikaner, uns gegenseitig verstehen. Wir müssen uns hüten, ihnen mitzuteilen, dass die Engländer und Amerikaner sich bekämpft haben, dass es noch Alabama-Forderungen gibt und dass wir Leute wie die Fenier in Amerika haben, die Sie hassen. Doch im Ernst, Doktor, erschrecken Sie nicht, wenn ich Ihnen sage, dass ich gekommen bin, um Sie zu suchen."
   "Um mich zu suchen?"
   "Jawohl."
   "Wieso? "
   "Nun, Sie haben doch wohl vom ‚New York Herald’ gehört?"
   "Oh gewiss. Wer hätte von dieser Zeitung, nicht gehört!"
   "Herr James Gordon Bennett, der Sohn von Herrn James Gordon Bennett, des Besitzers des Herald, hat ohne seines Vaters Wissen und Genehmigung mich beauftragt, Sie aufzusuchen, mir so viele Nachrichten als Sie mir über Ihre Entdeckungen geben wollen, von Ihnen zu verschaffen und Sie möglichst mit Mitteln zu unterstützen."
   "Wie? Der junge Herr Bennett hat Sie beauftragt, mir nachzureisen, mich aufzusuchen und mir zu helfen! Dann ist es freilich kein Wunder, dass Sie Herrn Bennett gestern Abend so sehr gelobt haben. "
   "Ja, ich kenne ihn und hin stolz darauf, sagen zu können, dass er durchaus so ist, wie ich ihn geschildert habe, nämlich ein eifriger, großmütiger, aufrichtiger Mann."
   "Nun, ich bin ihm in der Tat sehr zu Dank verpflichtet und es macht mich stolz, wenn ich daran denke, dass Ihr Amerikaner soviel auf mich haltet. Sie sind gerade zur rechten Zeit angekommen, denn ich fing schon an zu glauben, ich müsse die Araber anbetteln. Selbst diesen fehlt es an Zeug; auch gibt es nur wenig Perlen in Udschidschi. Dieser Kerl, der Scherif, hat mich vollständig ausgeplündert. Ich wünschte, ich könnte Herrn Bennett in passenden Worten meinen Dank ausdrücken; sollte mir das aber nicht gelingen, so bitte ich Sie, halten Sie mich darum nicht für weniger dankbar."
   "Und jetzt, Doktor, da wir diese kleine Angelegenheit abgemacht haben, soll uns Feradschi das Frühstück bringen, wenn Sie nichts dagegen haben."
   "Sie haben mir Appetit gebracht," sagte er. "Halimah ist meine Köchin, aber sie kennt nicht einmal den Unterschied zwischen Tee und Kaffee."
   Der Koch Feradschi war, wie gewöhnlich, mit trefflichem Tee und einem Gericht dampfender Kuchen, welche der Doktor "Dampers" nannte, zur Hand. Ich habe mir nie viel aus dieser Art Pfannkuchen gemacht, für Livingstone waren sie aber erwünscht, da er durch die harte Kost in Lunda fast alle Zähne verloren hatte. Dort war er genötigt gewesen, von grünen Maisähren zu leben. Es gab nämlich in jenem Distrikt kein Fleisch und die Anstrengung, an den Kornähren zu nagen, hatte ihm sämtliche Zähne gelockert. Ich meinerseits zog die harten virginischen, aus Korn gebackenen Scones vor, die meiner Ansicht nach das schmackhafteste Brot abgeben, das man in Central-Afrika haben kann.
   Livingstone sagte, er habe mich schon für einen sehr üppigen reichen Mann gehalten, als er meine große Badewanne erblickte, die mir einer meiner Leute nachtrug; heute aber hielte er mich für noch üppiger, als meine Gabeln, Messer, Schüsseln und Tassen, silberne Löffel und silberne Teekanne herrlich glänzend auf dem reichen persischen Teppich ausgebreitet wurden und ich, wie er sah, durch meine gelben und schwarzen Merkure gut bedient wurde.
   Das war der Anfang meines Lebens in Udschidschi. Ich hatte Livingstone vor meiner Ankunft nicht persönlich gekannt; früher war er mir nur ein Gegenstand, ein großer Artikel für eine Tageszeitung, wie die meisten Dinge, an welchen das nach Neuigkeiten gierige Publikum Freude hat. Ich hatte Schlachtfelder besucht, Revolutionen, Bürgerkriege, Aufstände, Meutereien und Metzeleien mit angesehen; ich hatte nahe bei dem verurteilten Mörder gestanden, um über seine letzten Kämpfe und Seufzer Bericht zu erstatten; niemals aber war es meine Aufgabe gewesen, über irgendetwas Bericht zu erstatten, das mich so sehr bewegt hätte wie die großen Leiden, Entbehrungen und Widerwärtigkeiten dieses Mannes, die ich jetzt in ihrem ganzen Umfange erfuhr. Ich fing wahrhaftig an einzusehen, dass "die Götter oben die Angelegenheiten der Menschen mit gerechten Augen überwachen" und die Hand einer alles beherrschenden gütigen Vorsehung zu erkennen.
   Das Folgende sind Tatsachen, die wohl überlegt sein wollen. Ich hatte an einem Tage des Oktober 1869 den Auftrag bekommen, Livingstone aufzusuchen. Herr Bennett hatte das Geld bereit liegen und ich war reisefertig. Doch möge der Leser wohl darauf achten, dass ich nicht sofort meine Expedition antrat. Ich hatte noch viele Aufgaben zu erfüllen und viele tausend Meilen zu reisen, ehe ich dazu kam. Gesetzt nun, ich wäre von Paris direkt nach Zanzibar gegangen, so hätte ich mich sieben bis acht Monate nach meiner Ankunft daselbst zwar in Udschidschi befunden, Livingstone wäre aber dort nicht aufgefunden worden; denn er war damals auf dem Lualaba und ich hätte ihm durch die Urwälder von Manyuema, auf unwegsamen Pfaden und längs des krummen Laufes des Lualaba hunderte von Meilen folgen müssen. Die Zeit, die ich dazu brauchte, um den Nil hinauf, nach Jerusalem, Konstantinopel, Süd-Russland, dem Kaukasus und Persien zu reisen, benutzte Livingstone zu fruchtbaren Entdeckungen im Westen des Tanganjika. Man bedenke ferner, dass ich in der letzten Hälfte des Juni in Unyanyembe ankam und daselbst drei Monate lang durch einen Krieg aufgehalten, ein unzufriedenes, ungeduldiges, ärgerliches Leben führte. Während ich mich aber so abärgerte und durch eine Reihe von Zufälligkeiten aufbehalten wurde, war Livingstone in demselben Monat gezwungen, nach Udschidschi zurückzukehren. Er brauchte die Zeit vom Juni bis zum Oktober, um nach Udschidschi zu gelangen. Und im September befreite ich mich von der Knechtschaft, in welche mich der Zufall gebannt hatte, und eilte südlich nach Ukonongo, dann westlich nach Kawendi, darauf nördlich nach Uvinza und schließlich wieder westlich nach Udschidschi, wo ich ungefähr drei Wochen nach Livingstone ankam, um ihn hier unter der Veranda seines Hauses ruhend und sehnsüchtig nach Osten blickend zu finden, nach der Weltgegend, wo ich herkam. Wäre ich direkt von Paris abgegangen, um ihn aufzusuchen, so hätte ich ihn vielleicht nicht aufgefunden und dasselbe hätte leicht der Fall sein können, wenn ich im Stande gewesen wäre, direkt von Unyanyembe nach Udschidschi zu ziehen.
   Unter den Palmen von Udschidschi kamen und gingen die Tage friedlich und glücklich. Mein Gefährte nahm an Gesundheit und guter Laune zu. Ihm war das Leben wiedergegeben, die schwindende Lebenskraft wiederhergestellt worden; der Enthusiasmus für seine Aufgabe erreichte allmählich wieder die Höhe, die ihn zu dem Wunsche zwang, wieder im Stande zu sein, etwas zu leisten.

Stanley, Henry Morton
Wie ich Livingstone fand
2. Band, Leipzig 1979
Stanley

Reiseliteratur weltweit - Geschichten rund um den Globus. Erlebtes und Überliefertes aus allen Teilen der Welt. Entdecker – Forscher – Abenteurer. Augenzeugenberichte aus drei Jahrtausenden. Die Sammlung wird laufend erweitert – Lesen Sie mal wieder rein!