Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1871 - David Livingstone
Das Treffen mit Stanley
Ujiji, Tanzania

Bei Tagesanbruch [28. Oktober] nach Ujiji aufgebrochen. Daselbst von allen Arabern, besonders von Moenyeghere begrüßt. Ich bin bis zum Skelett abgemagert, da aber hier täglich Markt gehalten wird und alle Arten von einheimischen Lebensmitteln dort feilgeboten werden, so hoffte ich, gute Verpflegung und Ruhe würden mich bald wieder herstellen; am Abend kamen jedoch meine Leute und meldeten mir, Sherif habe alle meine Waren verkauft. Diese Nachricht wurde durch Moenyeghere bestätigt, der mir sagte: „Wir protestierten dagegen, er ließ aber von 3.000 Ellen Kattun keine einzige Elle übrig, und von 700 Pfund Perlen nur eine Schnur.“ Das war eine sehr niederschlagende Kunde. Ich hatte mich entschlossen, falls ich keine Leute in Ujiji bekommen könne, dort zu warten bis Begleiter für mich von der Küste her einzutreffen im Stande wären, aber dass ich dort als Bettler warten sollte, hatte ich nicht in Berechnung gezogen, und ich fühlte mich sehr unglücklich bei diesem Gedanken. Sherif war offenbar nur als ein moralischer Idiot zu betrachten, denn er kam ohne Scham und bot mir die Hand zum Gruße. Als ich mich weigerte, sie anzunehmen, machte er eine unzufriedene Miene, als ob er üble Behandlung erfahren habe; später kam er zwei Mal am Tage mit seinem Gruß „Balghere“ - gutes Glück; beim Fortgehen sagte er: „Ich gehe beten“, bis ich ihm bedeutete, wäre ich ein Araber, so würden ihm die Hand und beide Ohren wegen begangenen Diebstahls abgeschnitten, so viel wisse ich, und ich brauchte seine Begrüßung nicht. In meinem Jammer wurde ich auch dadurch geärgert, dass ich Sherifs Sklaven, welche all die guten Dinge, die für meine Waren gekauft worden waren, vom Markte heimbrachten, bei mir musste vorübergehen sehen.
    Meine Waren sind an Sherifs Freunde zu bloß nominellem Preis verkauft worden. Seyed bin Majid, ein guter Mann, schlug vor, sie sollten mir zurückgegeben und Sherif das Elfenbein abgenommen werden; sie wollten aber keine wieder zurückgeben, obschon sie wussten, dass sie gestohlen waren. Christen, selbst aus niedrigsten Klassen, würden anders gehandelt haben. In meiner Verlassenheit kam ich mir vor wie der Mann, der von Jerusalem nach Jericho ging und unter die Räuber fiel; ich konnte aber nicht hoffen, das Priester, Levit oder ein guter Samariter von irgend einer Sorte käme.
    Eines Morgens sagte indes Seyed bin Majid zu mir: „Dies ist heute das erste Mal, dass wir allein beieinander sind; ich habe zwar keine Waren, aber ich habe Elfenbein, lass mich, ich bitte Dich, das Elfenbein verkaufen und Dir dafür die Waren wiedergeben.“ Dies war ermutigend; ich sagte jedoch: „Nicht sogleich, aber nach und nach.“ Es waren mir immer noch einige Tauschwaren geblieben, die ich vorsichtig genug gewesen war, vor meinem Abgang nach Manyuema Mohamed bin Saleh in Verwahrung zu geben für den Fall, dass ich von allem entblößt zurückkäme. Als jedoch meine Niedergeschlagenheit den höchsten Grad erreicht hatte, war der gute Samariter wirklich dicht bei mir.
    Eines Morgens kam Susi aus Leibeskräften gerannt und rief mir, nach Atem schnappend, schon von ferne zu: „Ein Engländer! Ich sehe ihn!“ Damit stürzte er wieder fort und ihm entgegen. Die amerikanische Flagge an der Spitze einer Karawane verkündete die NationaliTät des Fremden. Warenballen, zinnerne Badewannen, sehr große Kessel, Kochtöpfe, Zelte u.s.w. ließen mich denken: „Das muss ein sehr wohl ausgestatteter Reisender sein und nicht einer, der mit seinem Witz zu Ende ist.“
    Es war Henry Morton Stanley, der reisende Korrespondent des „New York Herald“, den James Gordon Bennett jun. mit einem Kostenaufwand von über 4.000 Pfund ausgesandt hatte, um genaue Erkundigungen über Dr. Livingstone einzuziehen, falls ich noch lebe, und falls ich tot sei, meine Gebeine nach Hause zu bringen. Die Neuigkeiten, welche er mir, der ich zwei Jahre ohne jede Kunde von Europa gewesen war, zu erzählen hatte, machten meinen ganzen Körper erbeben. Das furchtbare Geschick, das Frankreich heimgesucht hatte, die glückliche Legung des telegrafischen Kabels durch das Atlantische Meer, die Erwählung des Generals Grant, der Tod des Lord Clarendon, meines treuen Freundes, der Beweis, dass Ihrer Majestät Regierung meiner nicht vergessen, sondern 1.000 Pfund Subsidien für mich votiert habe, und viele andere interessante Dinge machten eine Teilnahme für die Außenwelt in mit rege, welche lange schlafend in Manyuema gelegen hatte. Der Appetit stellte sich wieder ein, und statt der schmucklosen, geschmacklosen zwei Mahlzeiten des Tages aß ich täglich vier Mal, sodass ich mich nach einer Woche kräftig zu fühlen begann. Ich gehöre nicht zu den demonstrativen Naturen und bin wirklich so kalt, wie es uns Insulanern als Grundzug unseres Wesen nachgesagt wird, aber die uneigennützige Güte, welche Mr. Bennett für mich hatte und zu deren ausübendem Werkzeug Mr. Stanley sich in so edler Weise gemacht hatte, war doch überwältigend für mich.
     
Livingstone, David
Letzte Reise in Centralafrika
2. Band, Hamburg 1875

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