Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1837 - Margaret Lady Herschel
Den Tafelberg hinauf
Kapstadt

Wir beschlossen plötzlich, uns am nächsten Tag auf den Weg zu machen. Pferde, Kulis und ein Führer von der Farm, unsere Begleiter, Essen und Trinken und meine wunderbar bequeme Sänfte wurden am Abend zusammengestellt und die Vorbereitungen getroffen, und mit einem Gebet, daß wir vor allen Gefahren bewahrt sein möchten, machten wir uns beim Licht des Vollmonds noch vor sechs Uhr morgens auf den Weg. Es war der 22. Mai. Der Kampf zwischen Mond und zunehmender Morgenröte dauerte nicht lange, und der Mond sah bald bleich und trübe aus, während der Himmel hinter den fernen Bergen im Osten aussah wie ein loderndes Feuer, das Erscheinen der Sonne erwartend - kurz vor Sonnenaufgang sehen die Konturen der Berge gegen den kräftig gefärbten Himmel aus wie ein Scherenschnitt, und die davorliegende Landschaft wirkt so klar und frisch nach der Kühle und dem Tau der Nacht, daß Herschel wohl recht haben mag mit seiner grenzenlosen Bewunderung dieser Szene am Kap. Ich dagegen bevorzuge die Schönheit des warmen Glühens eines Sonnenunterganges, wenn es keine harten Konturen gibt, sondern alles weich und sanft ist und die Schattierungen der Berge sich jeden Moment ändern. Das ist ein Wettkampf zwischen uns, und an diesem Morgen dachte Herschel, er hätte gewonnen, denn nie gab es einen vollkommeneren Sonnenaufgang. Ich liebe aber immer noch das Abendrot.
    Um sechs Uhr kamen wir zum Haus unseres Führers, nahmen die Kulis mit und wurden dann auf einem langen Umweg zu der Seite des Berges geführt, von wo der Aufstieg am leichtesten ist; von dort kann man das Tal von Hout's Bay sehen. Unsere Pferde kletterten sehr gut; Nervosität und eine graziöse Haltung muß man aber unten lassen - ich verließ mich gern auf mein braves Pferd und hielt mich am Sattel fest, denn das war das einzige Mittel, mich senkrecht zum Erdmittelpunkt zu halten. Gegen acht Uhr saßen alle ab, um die Pferde ein sehr steiles Stück hochzuführen, und nach ein paar Minuten fanden wir uns auf dem Gipfel der unteren Bergkette, schwangen die Hüte und holten tief Luft.
    Dann saßen wir wieder auf und ritten im leichten Galopp über einen Streifen grünes Tafelland, der wirklich sehr merkwürdig wirkt in dieser Höhe und ganz anders ist als andere Berglandschaften. Unser Weg führte uns nun in weitem Zickzack bis direkt an die Kante des Berges, von wo wir weit unter uns die weite Ebene und die gegenüberliegenden Berge sahen, und dann weiter, um die parallel laufenden Felsenrücken zu vermeiden, die quer über diesen merkwürdigen oberen Teil verlaufen. Als wir bei einem dieser zwei Gucklöcher in die Welt unter uns ankamen, saßen wir ab und frühstückten zwischen zwei hohen Felsmauern in einer Höhe von mehr als 2.000 Fuß. Und dann ging es weiter, in Kehren vorwärts und rückwärts kletternd, bis wir schließlich den richtigen Tafelberg vor uns hatten in seiner ungewöhnlichen Form; hinter uns lagen die niederen Höhen, die uns bisher gequält hatten.
    Vor uns stand ein ungeheurer Befestigungswall; Gestein in vollkommen waagerechten und parallelen Schichten, eine über der anderen, und in der Tat konnte der Aufstieg jetzt nur noch dadurch bewältigt werden, daß man sich seitwärts entlang den übereinander liegenden Terrassen fortbewegte; das äußere Ende des Berges in Richtung auf die Ebene war so senkrecht wie überhaupt nur möglich, und die scharfe Kante stand noch hoch über uns. Ich stieg dann bald in meine Sänfte, die zwischen zwei langen Bambusstangen hing und von vier freundlichen Schwarzen getragen wurde, die ihre Arbeit sehr gut machten; die, die noch nie so eine Art von Stuhl auf so einer Expedition gesehen und zunächst gelacht hatten über die Sorgfalt und Mühe, die Herschel auf dieses Luxusgefährt verwandt hatte, und seine absolute Nutzlosigkeit beteuert hatten, sahen dessen Nutzen bald ein - die Sänfte trug mich über Moor und Sumpf, wo die Pferde herumplantschten und um sich spritzten und alle Aufmerksamkeit von Reitern und Knechten benötigten; dabei wäre ich entschieden störend und überflüssig gewesen.
    Die nächste Stunde brachte uns zu einem anderen Gipfel, aber das war die richtige Gipfeltafel; eine große Fläche erstreckte sich vor uns, wir saßen auf und ritten vergnügt darüber hin. Herschel und der Führer hatten geplant, daß wir, die wir den Berg noch nicht kannten, ganz unvermittelt an die Kante des senkrechten Absturzes gebracht werden sollten, der Kapstadt zugewandt ist. Da standen wir nun am Ziel unserer Wünsche und mit erfüllten Erwartungen - oh mehr als erfüllt - aber Gefühle kann man nicht beschreiben, zumindest ich nicht, aber ich kann ehrlich berichten, was ich sah; aber wo beginnen? Als erstes also die schwindelnde Höhe, von der wir herabsahen, erleichtert, daß wir einen schulterhohen Stein zwischen uns und dem Abgrund hatten, während wir darüber hinweg und hinunter sahen auf die winzige, aber wunderbar deutliche und regelmäßige Stadt. Wir sahen Straßen als schwarze Linien, den Paradeplatz, Friedhöfe und Weingärten konnte man leicht erkennen, und gute Augen konnten das Steeple und größere Gebäude sehen, aber Menschen konnte man nicht erkennen, nicht einmal in den Gärten am Fuß des Berges. Wir konnten den Lauf der kleinen Flüsse verfolgen anhand der Wäsche, die die Waschfrauen in Reihen zum Trocknen ausgelegt hatten.
    Herschel sagte, daß er von unten eine Glocke läuten höre. Die Schiffe in der Bucht sahen aus wie Fliegen auf einem weißen Stück Papier, und ihre Masten waren kaum erkennbar über den Decks. Und Robben Island, das von Kapstadt aus breit am Horizont liegt, sah jetzt aus wie ein runder Hügel mitten im Ozean. Die Küste war sichtbar bis weit nach Norden, bis Saldanha Bay und Dassen Island. Die dreißig Meilen an langweiliger Ebene waren sehr nett verkürzt, und Tygerberg und Saxberg in der Mitte sahen nur wie kleine Erhebungen aus. Berge, die wir für fern gehalten hatten, waren nun nicht sehr weit weg, und noch weiter entfernte Bergzüge und Gipfel konnte man sehen, und unser Weg von Simon's Town zum Kap vom letzten Jahr sah aus wie eine bequeme und angenehme Straße.
    Die Hügelzunge, die das echte Kap der Guten Hoffnung wie das Kap False Bay vom Atlantik abgrenzt, war so deutlich zu sehen wie auf einer Karte.
    Während Herschel und Begleitung zurückblieben, um Panoramen zu zeichnen usw., kletterte ich mit dem Führer weiter am Rand des Absturzes, bis wir zu dem Einschnitt des kleinen Flusses kamen, dem hinauf die Kapstädter auf ihrem Weg nach oben folgen. Es wirkt wie eine dunkle, furchteinflößende Schlucht (Platteklip Gorge - immer noch der direkte Fußweg auf den Gipfel), obwohl vermutlich völlig gefahrlos, wenn man nicht vom Wege abkommt. Es war jetzt zwischen 12 und 1 Uhr mittags, und die überhängenden Wände, rund ausgewaschen von längst vergangenen Wasserstürzen, warfen tiefe Schatten, so daß die Sonne nicht bis nach unten in die Düsternis drang.
    Dort, wo wir waren, lag ein kleines Königreich von ebenem Land, mit einem dünnen, aber sehr grünen Pflanzenkleid bedeckt; wenn nicht ein Feuer vor einiger Zeit die Proteas vernichtet hätte, wäre es sogar waldig gewesen; die schwarzen Baumstümpfe waren noch zu sehen.
    Die Sänfte half mir zurück zu der Stelle, wo wir die Herren verlassen hatten, die inzwischen mit ihren Panoramen fertig waren; da es jetzt ein Uhr war, war es an der Zeit, umzukehren. Herschel las sein Thermometer ab, das er in eine Felsspalte gesteckt hatte, gut versteckt vor den neugierigen und immer zu bösen Streichen aufgelegten Affen; die Maximaltemperatur im letzten Jahr war 37° C, die niedrigste -0,5° C gewesen. Wir stiegen auf dem gleichen Weg ab, den wir gekommen waren, aber da wir nun in die andere Richtung sahen, wirkte alles wieder anders und neu, und wir sahen uns um, als ob wir noch nie hier gewesen wären. Wir hatten die geringeren Höhen langsam um uns versinken sehen von ihrem Platz hoch oben bis tief unter den Horizont des Meeres.
    Es war ein heimlicher Spaß, allen stolzen Gipfeln über den Kopf zu streichen, wie der Horizont der See über ihnen stand, und obwohl sie langsam ihren üblichen Platz wieder einzunehmen begannen, so muß ich doch eingestehen, daß mein Respekt für diese Emporkömmlinge seitdem weitgehend geschwunden ist.
    Laufend, reitend und getragen werdend kamen wir zwischen zwei und drei Uhr zu unserem Frühstücksplatz zurück, wo wir unseren Proviant unter Obhut eines Dieners gelassen hatten. Und da ließen wir Essen und Trinken volle Gerechtigkeit widerfahren. Die phantastischen Formen der Sandsteinfelsen waren sehr lustig, denn Wind und Regen hatten sie in merkwürdige Verrenkungen gebracht; der Stein, unter dem unser Mahl ausgebreitet war, sah genau aus wie ein Schädel; wir konnten auch einen bärtigen Malaienkopf erkennen, Vögel und Tiere aller Arten und manchmal richtige Versammlungen von Felsbrocken (taub, blind und stumm natürlich) versammelt um einen erhöht stehenden Lehrer, so wenig lebendig wie sie selber.
    Die Sänftenträger wurden nun losgeschickt, um uns an der niedrigsten Kletterstelle zu erwarten, die man zu Pferde viel leichter bergauf als bergab meistert. Als wir nach dem Essen nach Hause losgaloppierten, fühlte ich mich so frisch, als ob der Ritt gerade erst begonnen hätte. Für uns war die Sonne schon nicht mehr sichtbar, denn es war spät im Jahr, und wir waren auf der Ostseite des Berges, aber der Himmel blieb wunderbar klar und wolkenlos wie schon den ganzen Tag, und ohne den starken Wind, der das Unangenehmste bei Reisen am Kap ist. Wir erreichten das Haus unseres Führers um halb sechs und fanden dort die Kutsche wartend vor. Herschel warf sich erfreut hinein mit der Bemerkung, daß das Verheiratetsein doch seine guten Seiten habe, denn eine Kutsche für sich selbst zu bestellen, hätte er sich schämen müssen. Die letzten vier Meilen in ebenem und bekanntem Gelände waren die lästigsten und ermüdendsten bei früheren Gelegenheiten gewesen, wo es um nicht weniger als 35 oder 40 Meilen Weges ging.
    Ich war an diesem Abend nicht müde, denn obwohl ich die Sänfte den ganzen Tag über nicht mehr als zwei oder drei Stunden benutzt hatte, hatte doch das dauernde Wechseln von Reiten und Gehen und der Luxus, von vier Männern über die schwierigsten Stellen getragen zu werden, Müdigkeit gar nicht erst aufkommen lassen, und erst am nächsten Tag waren meine Glieder ein bißchen steif.

Lady Herschel
Letters from the Cape 1834 – 1838
Edited by Brian Warner
Cape Town 1991
Übersetzung: U. Keller

Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende in Südafrika 1497 – 1990
Wien 2000

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