Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1833 - Eugène Casalis
Ankunft in Basutoland
Lesotho

Wir kamen an den Fuß eines Berges, der uns sehr hoch vorkam und der einen Umfang von mehreren Kilometern zu haben schien. Unten befanden sich große Felder von Mais und Sorgho (grobe Hirse), die beinahe reif waren. Die Bewohner hatten ihre Hütten auf den steilsten Gipfeln erbaut, aus Furcht vor Angriffen. Diejenigen, die bei der Arbeit waren, flohen bei unserer Annäherung. Das hinderte uns nicht, auszuspannen und uns gemächlich am Rande eines Baches niederzulassen, dessen Klarheit und dessen leises Murmeln uns in wirkliches Entzücken versetzte.
    Wir hatten die Westgrenze des Landes der Basutos erreicht. Wir erfuhren dort mit Bestimmtheit, daß dies der Nationalname der Völkerschaften war, welche dem Herrscher Untertan waren, der Missionare verlangte. Er hatte seine Wünsche und seine Schritte nicht allen seinen Untertanen mitgeteilt. Daraus erklärt sich die Bestürzung, die unser Erscheinen hervorrief. Unsere Führer aus Philippolis hatten fast die nämlichen Gesichtszüge und trugen dieselben Kleider und Waffen wie die Koranas und andere Räuber, von denen man so viel erlitten hatte.
    Der Älteste der Eingeborenen, die Adam Krotz in seinem Gefolge hatte, erstieg den Berg, um die Bewohner des Dorfes zu beruhigen und einen Häuptling zu bewegen, uns zu besuchen. Unser Freund hatte große Mühe, sich Gehör zu verschaffen. Die Besprechung dauerte lange. Er mußte den Charakter seiner Beziehungen zu so verdächtigen Fremdlingen erklären und die Gründe, die er hatte, an unsere guten Gesinnungen zu glauben, eingehend darlegen. Der Häuptling war derjenige, der am längsten zauderte. Er wußte, daß viele seinesgleichen, durch Freundschaftsversicherungen verlockt, ergriffen, geknebelt und gezwungen worden waren, ihr Vieh bis auf den letzten Kopf als Lösegeld hinzugeben, ja, daß sie froh sein mußten, wenn sie nicht noch überdies einen Flintenschuß erhalten hatten. Er begriff jedoch zuletzt, daß, wenn er die ihm gegebenen Erläuterungen zurückwies, er Gefahr lief, von seinem Oberherrn sehr ungünstig beurteilt zu werden. Nach langem Warten sahen wir unseren Gesandten mit einem recht gut aussehenden, etwa fünfzigjährigen Mann herabsteigen, dem eine kleine unbewaffnete Eskorte folgte. Es war der Häuptling. Er nahm unsere ersten Höflichkeitsbezeugungen mit Würde entgegen, aber nicht ohne den Ausdruck unserer Gesichter zu studieren und sich mit einem Blick über unsere Zahl zu vergewissern. Darauf teilte er uns, kühner geworden, mit, daß er den Namen Moseme führe, daß seine Familie blutsverwandt mit der des Landesherrn sei und daß der Berg, auf dem er wohne, Thaba-Ntsu hieße. Hier erklärte uns der Dolmetscher von Adam Krotz, daß dies Wort »Schwarzer Berg« bedeute, eine Benennung, die durch die dunkle Färbung der Felsen, die über unserem Lager hingen, gerechtfertigt war.
    Die Züge Mosemes erhellten sich, als er, sich erhebend, um nach Hause zurückzukehren, bemerkte, daß wir seiner Entfernung kein Hindernis in den Weg legten. Wir hatten ihm gesagt, daß der morgige Tag für uns ein heiliger Tag (der Sonntag) sei, den wir am Fuß des Berges zubringen würden, und daß, wenn er mit allen seinen Leuten kommen wolle, wir ihn das große Wort hören lassen würden, das wir dem Lande brächten.
    Dies begab sich im Monat Juni, der Zeit, in welcher die Produkte des Landes fast alle reif sind. Abends brachte man uns als Geschenk des Häuptlings Maiskolben und Bündel süßer Hirse (Infe). Wir konnten uns auch für einige Prisen Salz prachtvolle Kürbisse verschaffen. Diese Früchte der Erde waren keine kleine Erquickung für uns, die wir wochenlang nur von geröstetem Fleisch gelebt hatten. Unser Salz hatte ebenso viel, wenn nicht mehr Freude bereitet. Diese Gegend besaß keine Salinen. Man mußte sechzig Meilen nach Norden reisen, um solche zu finden, und seit langer Zeit war diese Reise durch Feinde, die alle Wege unsicher machten, unmöglich gemacht worden. Unsere Salzkäufer bedurften aller nur möglichen Selbstbeherrschung, um das Salz nicht auf der Stelle zu verzehren. Sie zerkauten kleine Stücke desselben und bebten dabei vor Wonne. Nachdem sie es in hübsche kleine Tontöpfe gelegt hatten, leckten sie begierig ihre Handflächen ab, in denen es zuerst geruht hatte. Wir sollten später aus eigener Erfahrung lernen, was es heißt, diesen unschätzbaren Stoff entbehren zu müssen.
    Am folgenden Morgen kamen Moseme und etwa hundert seiner Untergebenen, um sich im Kreise um unser Hauptfeuer zu setzen. Sie wohnten dem Gottesdienst bei, den wir auf holländisch mit unseren Leuten hielten, und sie folgten allen Einzelheiten desselben mit großer Neugier.
    Der Gesang rief unter den Jüngsten zuerst lautes Lachen hervor, was der Häuptling eiligst verwahrte. Unsere Mulatten hatten, dank ihres hottentottischen Blutes, sehr schöne Stimmen, und sie machten es sich zur Pflicht, bei dieser Gelegenheit den ausgiebigsten Gebrauch von denselben zu machen. Ihre harmonischen Akkorde machten schließlich auf die Zuhörer einen sehr lebhaften Eindruck, von dem sie sich aber schwer Rechenschaft geben konnten. Sie befragten einander mit ihren Blicken und schienen zu beraten, ob sie bleiben oder ob sie sich durch die Flucht einer ganz neuen Gefühlserregung entziehen sollten, die vielleicht irgendeine Gefahr in sich barg. Als wir uns zum Gebet erhoben, entstand ebenfalls eine gewisse Bewegung. Wozu dieser Wechsel der Stellung?
    Aber man sah uns alle unbewaffnet, das beruhigte wieder ein wenig. Kurz, dank der guten Haltung des Häuptlings rührte sich niemand; aber es war für alle eine Erleichterung, als man sah, wie unsere Leute nach beendigtem Gottesdienst ihre Pfeifen wieder ansteckten und mit dem Stock in den Kochtöpfen rührten, die über dem Feuer brodelten.
    Als mir schien, daß alle ihre vollständige Fassung wiedererlangt hatten, erhob ich mich, ließ den unter unseren eingeborenen Führern, dem das Holländische am verständlichsten war, neben mir stehen und machte es mir zur Aufgabe, unseren Gästen das zu erklären, war wir eben getan hatten. Diese christliche Ansprache, die erste, die jemals in diesen Gegenden vernommen worden war, enthielt nur einen Gedanken, nämlich den, daß wir einen Vater im Himmel hätten, der sich uns offenbart hatte und dessen Segen und Gnade wir nun brächten. Was die Art betrifft, in der dies gesagt wurde, so sind mir keine Erinnerungen derselben geblieben, mit Ausnahme eines Satzes, den ich behalten habe, weil er mich durch seine lokale Färbung sehr befriedigte. »Wenn ihr unsere Botschaft annehmt, so werdet ihr sein wie der Strauß, der seine alten Federn abwirft, um schönere zu empfangen.« Ich habe niemals erfahren, wie weit mein armer Dolmetscher selbst mich verstanden hatte.
    Was Moseme endlich begriff, war, daß er jedenfalls nichts von uns zu fürchten hatte und daß er uns ohne Gefahr erlauben durfte, sein Dorf zu besuchen.
    Er ging uns dorthin voraus, um einige Töpfe Bier bereitstellen zu lassen, mit denen er uns bewirten wollte.
    Von seinem Wohnort aus konnten wir das ganze Land wie in einem Panorama überblicken. Der Anblick war prachtvoll. Auf der Höhe von Thaba-Ntsu erhoben sich von allen Seiten majestätische, durch große Täler voneinander getrennte Berge, die fast alle aussahen wir Bergfesten, die bis zu hundert Meter von ihrem Gipfel mit kräftiger Vegetation bedeckt waren. Dort bildeten große Sandsteinfelsen gleich einem riesigen Mauerwerk eine beinah horizontale Krone. Höher hinauf erstreckten sich große Hochebenen, wo die Einwohner ihre Dörfer bauen und ihre Herden weiden konnten. Im Osten war der Gesichtskreis in einer Entfernung von einigen zwanzig Meilen durch eine herrliche Gebirgskette mit spitzen Berggipfeln begrenzt, die, von Süd nach Nord laufend, gerade jetzt mit einer leichten Schneedecke bedeckt waren. Dieser Vorhang trennt das Land der Basutos von dem Gebiet von Natal. Man zeigte uns längs der Gebirgskette zwei ziemlich weit voneinander entfernte Punkte, aus denen ein Fluß und ein Strom entsprangen, der Mogokare und der Sinkou. Die Weißen hatten sie bis dahin kaum an einer anderen Stelle als bei ihrem Zusammenfluß bei Bethulie, im Südosten von Philippolis, beachtet. Sie haben dem Mogokare den Namen Caledon und dem Sinkou den Namen Oranje gegeben. Ersterer teilt das Land der Basutos der Länge nach in zwei fast gleich große Provinzen, der andere trennt es von den Vorposten der Kolonie.
    Nachdem wir einen Schrei der Bewunderung ausgestoßen hatten, konnten wir uns des Lachens nicht enthalten, als wir sahen, wie wenig dies Land dem entsprach, was uns die von Paris mitgebrachte Karte hatte erwarten lassen.
    Moseme ließ es sich angelegen sein, uns ganz in der Nähe der Gebirgskette und des Caledon einen grauen und wenig erkennbaren Punkt zu bezeichnen. Dort wohnte der Häuptling, den wir suchten. Sein Berg war ziemlich niedrig, was jedoch nicht hinderte, daß er in dem Rufe stand, uneinnehmbar zu sein. Man nannte ihn Thaba-Bossiu oder den Berg der Nacht. Man konnte uns den Ursprung dieses Namens nicht erklären. Den Häuptling selbst bezeichnete Moseme meistens mit dem Namen Mora-Mokhatschane, Sohn des Mokhatschane, weil sein Vater noch lebte und als Machthaber angesehen wurde, obwohl er die Ausübung der Gewalt vollständig seinem Sohn übergeben hatte. Dieser hatte in seiner Kindheit den Namen Lepoko, »Zank«, geführt. Man hatte ihn so genannt wegen einiger innerer Unruhen, während derer er geboren worden war. Später, als es ihm gelungen war, mehrere Nebenbuhler dazu zu bringen, sich unter die Hoheit seines Hauses zu beugen, hatte er den Namen Moschesch [Moshoeshoe], »Niederreißer« oder »Nivellierer« angenommen. Seine Oberhoheit, die ihm niemand mehr streitig zu machen wagte, verdankte er einer seltenen Intelligenz, einer großen Charakterfestigkeit und einer in diesem Lande ganz neuen Art, die Menschen anzufassen und zu behandeln.
    Wir verließen Thaba-Ntsu sehr ermutigt. Die Basutos machten einen vortrefflichen Eindruck auf uns. Außer den Kaffern waren sie die schönsten Eingeborenen, die wir gesehen hatten. Ihre Gesichtszüge und ihre Hautfarbe hatten nichts Unangenehmes und hielten im allgemeinen die Mitte zwischen denen der Neger und den unsrigen. Ihre Haut war weich, mehr bronzefarbig als schwarz, ihre Glieder waren kräftig und gut geformt. Was die Größe anbetrifft, so war die mittlere ganz dieselbe wie bei uns. Die Würde ihrer Haltung, die Anmut ihrer Bewegungen, die Rücksicht und Herzlichkeit, die alle ihre Unterhaltungen zu charakterisieren schienen, fielen uns mehr auf als alles andere. Die Mäntel aus Tierhäuten, mit denen sie ihre Schultern bedeckten, die Hütten, in denen sie wohnten, das Vergnügen, das sie darin fanden, ihre Glieder zu ölen, all das konnte sie allein denen zuzählen lassen, die man Wilde zu nennen pflegt.
    Da der wechselnde Charakter des Landes und der Mangel an Straßen uns nötigten, noch mehr als einen Umweg zu machen, so erhielt einer unserer Leute den Auftrag, in gerader Linie zu gehen, um Moschesch unsere Ankunft zu melden. Von Thaba-Ntsu an fanden wir auf unserem Wege furchtbare Spuren von Massaker und Zerstörungen. Fast überall lagen menschliche Gebeine. An gewissen Stellen deutete ihre Anzahl ein Schlachtfeld an. Scherben von Tongefäßen, zerfallene und mit Brombeeren überwachsene Mauern, die sehr leicht erkennbaren Konturen von lange bebaut gewesenen Feldern zeigten uns oftmals an, daß wir uns auf dem Platz befanden, wo ein sehr stark bevölkertes Dorf gestanden hatte. Es gab noch einige bewohnte Dörfer, aber diese waren sehr viel kleiner und auf sehr schwer zu erreichenden Höhen gelegen. Wir konnten kaum ein Dutzend derselben besuchen. Überall mußten wir zu demselben Mittel greifen wie in Thaba-Ntsu, um den Schrecken der Eingeborenen zu beruhigen und sie dahin zu bringen, sich mit uns einzulassen. Wir merkten jedoch mit Freuden, daß die Bevölkerung dichter und zutraulicher wurde, je mehr wir uns dem Wohnsitz des Häuptlings näherten. Wir waren nur noch eine kleine Tagesreise von demselben entfernt, als der Mogokare oder Caledon sich unseren Blicken darbot.
    Seit unserem Eintritt in das Land der Basutos hatten wir fast überall Quellen und Bäche gefunden, an denen wir reichlich getrunken, uns erfrischt und abgespült hatten. Der Caledon ging darum der lyrischen Begrüßungen verlustig, die wir ihm ohne Zweifel gespendet hätten, wenn er sich uns drei Wochen früher in geringer Entfernung einer übelriechenden Pfütze gezeigt hätte. Er machte uns den unangenehmen Eindruck eines furchtbaren Hindernisses. Um das Ufer zu erreichen, mußten wir vierzig bis fünfzig Schritt fast senkrecht hinabsteigen. Der Aufstieg an der anderen Seite war aber genug, um all unsere stärksten Ochsen ganz umsonst kreuzlahm zu machen. Offenbar mußte man zuerst zu Hacke und Spaten greifen. Glücklicherweise stellt es sich heraus, daß der Boden sandig war und daß unseren Leuten der gute Wille nicht fehlte.
    Beruhigt durch den Eifer und die Sorgfalt, mit denen sie sich an die Arbeit begaben, wachte unser Forschungstrieb wieder auf, und wir durchwanderten mit lebhaftem Interesse ein Ufer, an dem Europäer jetzt zum ersten Mal die Spuren ihrer Schritte ließen. Beide Ufer waren von Weiden beschattet, deren Wurzeln die Wasser berührten. Diese Bäume waren reich geschmückt mit scharlachroten Finken und mit kleinen Lachtauben. Jeden Augenblick hörten wir das Geschrei oder das Flügelschlagen von Krickenten und von Enten, die bei unserem Nahen fortflogen, während wunderhübsche Wasserhühner sich unter Schilfbüscheln verkrochen, wo sie ihre Gegenwart durch ein schüchternes und klagendes Pfeifen verrieten. An dem Ort, wo wir uns befanden, zeigte der Wasserlauf ungefähr sechzig Meter Breite bei anderthalb Meter Tiefe. Der Grund bestand, wo er nicht sandig war, aus Basaltmassen, die von der Strömung poliert und wie Pflaster gelegt waren. Man konnte in dem Kies am Rande viele Achat- und Karneolsteine finden und manchmal sehr regelmäßige Kristalle von großer Durchsichtigkeit.
    Die vereinigten Kräfte von zwanzig Ochsen, die von vier Peitschenträgern ohne Erbarmen angetrieben wurden, brachten endlich unseren Wagen an das linke Ufer des Caledon. Die anderen folgten in gleicher Weise. Die Nacht sank hernieder, und man ging nicht mehr weiter.
    Am folgenden Morgen kam eine lärmende Reiterschar an. Es waren die beiden ältesten Söhne von Moschesch, Letsie und Molapo, die mit einem kleinen Gefolge ankamen, um uns im Namen ihres Vaters willkommen zu heißen. Um uns diese Ehre zu erweisen, hatten sie zehn Pferde genommen, die sie vor kurzer Zeit in einem Scharmützel von den Koranas erbeutet hatten. Ihre Erscheinung stimmte wenig mit dem Ernst überein, der nach unserer Ansicht alle Vorkommnisse dieser Reise kennzeichnen sollte. Was das Reiten anbelangt, waren sie Neulinge und kamen im vollem Lauf bei uns an, ohne vorhergehende Warnung, so daß sie beinahe alles über den Haufen geworfen hätten. Es ist kaum möglich, sich etwas Komischeres vorzustellen als diese jungen Tollköpfe, die ohne Sattel ritten und mit ihren bloßen Beinen die triefenden Weichen ihrer Renner wie mit Dreschflegeln schlugen. Die Pantherfelle, die an ihren Schultern wehten, machten nichts besser. Die Nacktheit ist entschieden nirgends weniger statthaft als auf dem Rücken eines Pferdes. Die Formen des Zweifüßlers sind zu dürftig, um den Vergleich aushalten zu können.
    Diese Gesandten sagten uns nur, daß wir mit großer Ungeduld erwartet würden. Nach der Sitte des Landes gestattete ihre Jugend ihnen weder lange Sätze noch offizielle Reden. Nachdem sie mit einigermaßen verstörten Blicken unsere Personen und unsere Wagen betrachtet hatten, kehrten sie zurück, wie sie gekommen waren, indem sie wie Besessene gestikulierten und galoppierten.
    Am Fuße eines Berges, der uns Thaba-Bossiu noch verbarg, sahen wir zum ersten Mal Dörfer in freiem Feld. In diesen war man über den vollkommen friedlichen Zweck unseres Besuches unterrichtet. Das Oberhaupt des Ortes, Chosane, ein Mann von athletischer Größe und Korpulenz, begrüßte uns ehrerbietig mit dem Namen »Freunde von Moschesch« und ließ Töpfe mit Milch und Körbe mit gekochtem Mais zu unseren Füßen stellen.
    Der Augenblick war gekommen, in dem wir dem Herrn des Landes die Höflichkeit, die er uns erwiesen hatte, erwidern mußten. Ich ließ die Wagen ihren Weg unter der Leitung meiner Reisegefährten fortsetzen und eilte ihnen zu Pferde, begleitet von Adam Krotz und seinem Dolmetscher, voraus.
    In einem ungeheuren, von den letzten Ausläufern der Gebirgskette der Maloutis gebildeten Kreise sahen wir bald einen fünfeckigen, völlig einzeln stehenden Berg vor uns, der anscheinend vierhundert bis fünfhundert Fuß Höhe hatte. Der Gipfel war glatt und hatte ziemlich dieselbe Ausdehnung wie der Fuß des Berges. Von dem Punkte aus, wo wir waren, konnten wir ihn gut genug übersehen, um zu erkennen, daß er fast vollständig von schwarzen Punkten bedeckt war, aus deren Mitte Rauch aufstieg. Das waren die Hütten der Stadt oder eher der Städte Thaba-Bossiu, denn zu der Zeit hatte die Notwendigkeit der Verteidigung mehrere geringere Häuptlinge veranlaßt, ihren Wohnsitz, den sonstigen Landesgewohnheiten entgegen, neben dem des Herrschers und seiner unmittelbaren Untertanen aufzuschlagen. Diese ganze bewohnte Strecke war von einem Rahmen großer, steiler Felsen umgeben, die eine Annäherung unmöglich zu machen schienen. Als wir aber weiter kamen, sahen wir, wie sich an einer der Ecken des Berges eine oben anfangende und in Windungen hinunterführende Linie abzeichnete. Das mußte ein Fußsteig sein, und wie wir etwas später sahen, war es auch wirklich ein solcher, oder eher eine Schlucht, die als Fußsteig diente. Ich könnte ihn nicht besser beschreiben, als daß ich ihn mit einem länglichen Spalt vergleiche, der in einem überreifen Granatapfel entstanden ist. Um die Ähnlichkeit vollkommen zu machen, müßte man sich nur anstatt der zum Vorschein kommenden Kerne des Granatapfels stufenförmig aufwärts führende Basaltblöcke denken. Menschen und Tiere machten es möglich, da hindurch zu kommen, ohne sich den Hals zu brechen. Wir näherten uns dem Augenblick, in dem wir selber den Aufstieg wagen sollten, als wir an einen kleinen, mit Weiden umrahmten Fluß kamen. Dieser Wasserlauf, ein Zufluß des Caledon, wurde Phuthiatsana genannt. Er ist es, der, um seinen Lauf fortsetzen zu können, den Winkel durchschnitten hat, durch welchen Thaba-Bossiu ursprünglich mit dem Hochlande verbunden war, den Maloutis als Grundlage dient und der auf diese Weise sein Alleinstehen, das seine Stärke bedingt, vollkommen gemacht hat.
    Das ganze Gelände zwischen dem Fluß und dem Fuß des Berges war mit Sorgho und Mais bedeckt. Als wir den kleinen, von den großen Blättern dieser Pflanzen gesperrten Pfaden folgten, sahen wir am Saume der Felsen eine lange Ausstellung menschlicher Wesen. Ich war zuerst geneigt, sie für Raben zu halten, so verkleinernd wirkten die Höhe und die Entfernung. Wir stiegen bald vom Pferd und erklommen, unsere Pferde am Zügel führend, so gut wir konnten den beschwerlichen Aufstieg, der uns noch von dieser ungeduldig harrenden Menge trennte. In der Nähe des Gipfels machten wir halt, um Atem zu holen, unsere Kleidung etwas in Ordnung zu bringen und auf eine Salve zu antworten, mit welcher man uns empfing. Unser Bote, der einige Tage früher angelangt war, hatte gesagt, daß dies eine bei den Weißen sehr beliebte Begrüßung wäre. Man hatte sich gefreut, zu dieser Ehrenbezeugung einige den Koranas vor kurzem abgenommene Musketen benutzen zu können. Sowie wir uns sehen ließen, entstand ein allgemeines Gedränge, jeder wollte uns zuerst sehen. Aber da nahte eine in äußerst phantastischer Weise gekleidete Persönlichkeit, einen langen Stab in der Hand und knurrend und kläffend wie ein Hund. Bei dieser Erscheinung trat jedermann zurück, man stellte sich in Reih und Glied und bildete dann einen ungeheuren Kreis um einen auf einer Matte sitzenden Mann. »Das ist Moschesch!« sagte mir Krotz. Der Häuptling richtete einen majestätischen und wohlwollenden Bück auf mich. Sein Profil, das viel ausgesprochener war als das seiner Untertanen im allgemeinen, seine gutentwickelte Stirn, die Stärke und Regelmäßigkeit seiner Gesichtszüge, seine etwas müden, aber zu gleicher Zeit klugen und sanften Augen, machten einen lebhaften Eindruck auf mich. Ich fühlte sofort, daß ich es mit einem überlegenen Mann zu tun hatte, der daran gewöhnt war, zu denken, anderen zu befehlen und besonders sich selbst zu beherrschen. Er schien fünfundvierzig Jahre alt zu sein. Der obere Teil seines Körpers war vollständig nackt, vollkommen modelliert, gut im Fleisch, aber ohne fett zu sein. Ich bewunderte die anmutigen Umrisse seiner Schultern und die Feinheit seiner Hände. Um seinen Gürtel hatte er einen großen Mantel aus Pantherhäuten nachlässig fallen lassen, so weich wie die feinste Leinwand, dessen Falten ihm Knie and Füße bedeckte. Sein einziger Kopfschmuck war eine Schnur von Glasperlen, an welcher ein Federbüschel hing, das hinter seinem Nacken wehte; am rechten Arm trug er ein elfenbeinernes Armband, das Zeichen seiner Herrschaft, und an den Handgelenken einige kupferne Spangen.
    Nachdem wir einander einen Augenblick schweigend angesehen hatten, sagte er mir, sich dabei erhebend: »Lume la lekhoa« (Heil, Weißer), und ich antwortete ihm, indem ich ihm die Hand reichte, die er ohne Zögern faßte. Es gilt bei diesen Völkern für unschicklich, bei einer ersten Begegnung Geschäfte, auch nur vorübergehend, zu erwähnen. Jeder Neuangekommene bedarf, wie man annimmt, der Ruhe und der Erholung. Darum kann fürs erste nur von Höflichkeitsformen und von Pflichten der Gastfreundschaft die Rede sein. Moschesch ließ mich neben sich treten, machte kehrt und ging auf seine Hauptwohnung zu. Die Menge folgte in ehrerbietiger Entfernung. Während dieses Ganges sah ich den merkwürdigen Bellenden wieder, der mich vor einer gar zu zudringlichen Neugier geschützt hatte. Er trug eine enorme Kopfbedeckung von schwarzen Straußenfedern, die ziemlich ähnlich war wie die Pelzmützen unserer Gardegrenadiere; er trug in der einen Hand den langen Stab, dessen Wirkung mir so zauberhaft vorgekommen war, und in der anderen einen netzartigen Sack. Dieses Mal fing er an, rückwärts vor dem Häuptling her zu tanzen, wobei er ihn beim Namen nannte, mit einer unglaublichen Redefertigkeit rhythmische Worte ausrief und dazwischen bellte wie der bissigste Hund. Ich erfuhr, daß dieser Mann das dreifache Amt des Lobredners und Hofnarren des Königs, des öffentlichen Ausrufers und des Schutzmanns in sich vereinigte. Er ging dem Herrscher überall voran, um die Zudringlichen abzuwehren und um an seine großen Taten zu erinnern; er übernahm die Verkündigungen der Befehle und der Proklamationen; und bei Nacht machte er häufig die Runde, um jeder Überraschung vorzubeugen und darauf zu achten, daß kein Unvorsichtiger von den Felsen hinunterstürzte. Diese letzteren Funktionen hatten ihm den Titel »Hund der Stadt« eingetragen, und er machte es sich zur Ehre, sich desselben würdig zu erweisen, indem er nicht nur die Wachsamkeit, sondern auch das Gebell dieses Tieres nachahmte. So viele Dienste verdienten eine Belohnung; aber da das Municipalbudget erst noch geschaffen werden mußte, so hatte der arme Rasebela sich ausgedacht, einen großen Sack anzufertigen, den er den Vorübergehenden hinhielt, indem er sie durch das überredendste Gebell erfreute.
    Die Stadt des Häuptlings Moschesch hatte nichts Interessantes außer ihrer Lage und ihrer Ausdehnung. Es war ein Wirrwarr von niedrigen Hütten, um welche man durch enge Gäßchen voller kleiner Kinder und Hunde ging. Im Mittelpunkt des Dorfes befand sich ein weiter Platz, wo das Vieh während der Nacht in Einfriedungen lagerte, deren vollkommen kreisrunde Steinmauern ein gewisses architektonisches Talent bewiesen. An diesen Platz stieß der Hof an, der den Geschäften und den öffentlichen Ansprachen gewidmet war. Moschesch führte mich zu einer Wohnung, die etwas höher und geräumiger als die übrigen war, es war die der Königin Mamohato. Vor dem Eintreten ließ er seine dreißig oder vierzig Nebenfrauen an mir vorbeidefilieren, ohne zu ahnen, was ich von der Vielweiberei hielt und welche Stöße wir ihm vorbereiteten.
    Mamohato empfing mich so wie alle Hausfrauen des Landes es tun, vor einem Feuer hockend, das in der Mitte des kleinen umzäunten Hofes brannte, der ihre Hütte umgab. Dort war sie ganz für sich. Jede der anderen Frauen des Häuptlings hatte ihre eigene Häuslichkeit. Man machte mir ein Zeichen, mich auf eine sehr reinliche Matte zu setzen, ein Topf Milch und ein kleiner, breiter Korb, der ein Sorghobrot von der Größe und Form einer Kanonenkugel enthielt, wurden von zwei guten Alten, die augenscheinlich das Amt der Dienerinnen versahen, vor mich hingestellt. Da ich zögerte zu essen, so begriffen sie die Ursache meiner Verlegenheit, und eine von ihnen ging und holte mir einen sehr hübsch gearbeiteten und beinah durchsichtigen Hornlöffel. Sobald ich es mit Überzeugung tun konnte, beeilte ich mich, das Wort »monate«, gut, auszusprechen und meine Wirte wiederholten es lächelnd.
    Während dieser Mahlzeit war ich der Gegenstand sehr eingehender Beobachtungen, und ich ermangelte nicht, gleichfalls solche anzustellen. Mamohato war eine große, starke, bereits alternde Frau, die aber nicht ohne Anmut war. Ihr Gesichtsausdruck atmete wahre Güte; der Blick, mit dem sie mich ansah, schien sagen zu wollen, daß sie mich noch sehr jung fände und sich gern mütterlich meiner annehmen würde. Moschesch saß neben ihr und hielt ihren jüngsten Sohn, Ntalimi, einen kleinen Jungen von vier oder fünf Jahren, zwischen seinen Knien. Die Art des Zusammenseins, die vollkommene Freundlichkeit und Rücksicht, mit denen sie zueinander sprachen und sich gegenseitig kleine Dienste erwiesen, fiel mir auf. So entschieden er der Polygamie frönte, so hatte der Häuptling doch offenbar seiner ersterwählten Frau einen ganz besonderen Platz in fernem Herzen bewahrt.
    Krotz kam bald, um mir zu melden, daß unsere Wagen am Fuße des Berges angekommen seien. Ich verabschiedete mich, da ich Eile hatte, meinen Freunden von den guten Eindrücken zu sagen, die ich empfangen hatte.

Casalis, Eugène
Meine Erinnerungen
Berlin o. J. (1901)

Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende in Südafrika 1497 – 1990
Wien 2000

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