1817 - Giovanni Belzoni
Bei den Grabräubern von Theben und Luxor
Ich hatte mir angewöhnt, die Grabanlagen erforschen, während meine Leute bei der Arbeit waren, und quetschte mich, so weit es ging, in alle Gänge und Löcher. In den großen Gräbern ließ ich Seitenwände oder Felsen mit einem Vorschlaghammer bearbeiten, um festzustellen, ob es Hohlräume gab. Eines Tages gab der Hammerschlag nicht nur einen dumpfen Klang, sondern machte auch ein Loch von eineinhalb Fuß Breite in ein anderes Grab. Nachdem wir das Loch soweit vergrößert hatten, daß wir hindurchkommen konnten, fanden wir mehrere Mumien und eine beträchtliche Anzahl zerbrochener Särge. Die Steinbrocken, die sich von der Decke gelöst hatten, waren scharf wie ein Rasiermesser, und da meine Schuhe nicht sehr fest waren, wurden meine Füße an mehreren Stellen zerschnitten. Diese Steine lösen sich in Stücken von selbst aus der Decke; sie sind also seit der ursprünglichen Bearbeitung härter geworden. In einer inneren Kammer dieser Grabanlage gab es eine viereckige Öffnung, die wir hinunter stiegen; wir fanden am Boden des Schachtes an jeder Seite eine schmale Kammer. In einer von ihnen stand ein Sarkophag aus Granit mit einem fast vollkommen erhaltenen Deckel. Seine Lage war aber so ungünstig, daß es ein mühseliges Unterfangen gewesen wäre, ihn herauszuschaffen. Zwischen den Mumien fand ich mehrere kleine Papyri und einen ungewöhnlich großen.
Wenn ich abends den Fluß nicht überqueren wollte, um zu unserer Unterkunft beim Tempel von Luxor zurückzukehren, nahm ich mir ein Nachtquartier bei den Höhlenbewohnern im Eingang irgendeiner Grabanlage. Nichts war amüsanter. Ihre Behausungen liegen gewöhnlich zwischen dem ersten und zweiten Eingang des Grabes. Wände und Decke sind schwarz wie ein Schornstein. Die innere Tür ist mit Lehm verschlossen, bis auf eine schmale Öffnung, die breit genug ist, daß man hindurchkriechen kann. Über Nacht werden auch die Schafe in dem Raum untergebracht, und hin und wieder begleiten sie den Gesang ihrer Hirten. Über dem Eingang befinden sich immer einige halbzerbrochene ägyptische Figuren und die zwei Füchse - die üblichen Wächter der Grabanlagen. Eine kleine Lampe, die mit Hammelfett oder ranzigem Öl in Gang gehalten wird, steht in einer Wandnische. Eine Matte ist auf den Boden gebreitet, und wo immer ich war, war das der große Diwan. Die Leute sammelten sich um mich, und die Unterhaltung wandte sich bald ausschließlich den Altertümern zu. Der eine hatte dies, der andere ein neues Grab entdeckt. Man bot mir verschiedene Stücke zum Kauf an, und oft konnte ich mich glücklich schätzen, bei ihnen gewesen zu sein. Ich bekam immer Milch und Brot in einer Holzschale zum Abendessen. Wenn sie glaubten, ich würde über Nacht bleiben, schlachteten sie für mich von ihrem Geflügel; es wurde in einem kleinen Ofen gebacken, der mit dem Holz der Mumiensärge befeuert wurde; manchmal auch mit Knochen und Binden der Mumien selbst. Es ist gar nicht ungewöhnlich, sich neben Knochenteilen niederzulassen; Hände, Füße oder Schädel liegen oftmals im Weg. Diese Leute sind so daran gewöhnt, zwischen Mumien zu leben, daß sie sich so vollkommen unbefangen auf eine Mumie setzen, als ob es ein Kalbsfell wäre. Mir selbst hat es schließlich auch nichts mehr ausgemacht, und ich hätte in einem Mumienschacht genau so gut wie anderswo geschlafen.
Belzoni, Giovanni
Narrative of the Operations and Recent Discoveries witin the Pyramids, Temples, Tombs and Excavations in Egypt and Nubia; And of a Journey to the Coast of the Red Sea, in Search of the Ancient Berenice; and of Another to the Oasis of Jupiter Ammon
3. Ausgabe, London 1822, Band 1
Übersetzung: U. Keller
Abgedruckt in:
Ulrike Keller (Hg.)
Reisende in Ägypten 2200 v. Chr. – 2000 n. Chr.
Wien 2001