Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1851 - Alfred Brehm
Im Katharinenkloster

Noch liegt das Dunkel der Nacht über der engen Schlucht. Erst hoch oben sehen wir die Strahlen der schon längst am Himmel aufgestiegenen Sonne. Nach einer Wegstunde haben wir die Spitzen des Berges Gottes vor uns. Bald darauf erscheint auch das Kloster St. Katharina, zwischen ihm und dem Horeb liegend, fast verdeckt von den hohen Zypressen des Klostergartens. Wir erwarten die uns langsam nachkeuchenden Kamele auf einer mit duftigen Kräutern bewachsenen sandigen Ebene, besteigen sie und reiten im Trab dem Kloster zu. Um neun Uhr erreichen wir eine von Mehmed Ali hier stationierte militärische Klosterwache und kommen wenige Minuten später unter der luftigen Pforte des Klosters an.
   Es ist ein hohes, großes, fast quadratisches Gebäude mit starken Mauern und Schießscharten, aus denen kleine Kanonen hervorlugen. Der Haupteingang befindet sich ungefähr acht Meter über den Boden erhöht und wird durch eine mit Eisen beschlagene Tür verschlossen. Man gelangt vermittels eines Klobenzuges zu ihr, der in einem Kran befestigt ist und herabgelassen wird, wenn man sich von den Mönchen hinaufwinden läßt. Ein anderes kleines Pförtchen führt zu ebener Erde in einen ebenfalls gut verschlossenen Hofraum und von da ins Kloster, eine dritte Tür steht mit dem von hohen Mauern umschlossenen Garten durch einen unterirdischen Gang in Verbindung.
   Bei unserer Ankunft feuerten wir einige Schüsse ab. Die Haupttür öffnete sich. Ein Klosterbruder mit weißem Bart erschien oben und rief uns ein heiseres Ben venuto herab, fragte uns aber doch erst nach Empfehlungsbriefen. Glücklicherweise hatte uns ein Pater in Tor damit versehen. Der Pförtner ließ einen eisernen Haken herab und forderte uns auf, den Brief daran zu befestigen und zu warten.
   Nach einiger Zeit setzte sich ein stärkerer Klobenzug in Bewegung. Ein dickeres Seil wurde herabgelassen. Ich war der erste, der sich daran hing und die Luftfahrt antrat. Dank meiner nicht ganz verlernten Übung im Klettern kam ich schnell und wohlbehalten oben an. Die anderen folgten.
   Wir befanden uns jetzt im Kloster und wurden zwei Stockwerke höher in bequem eingerichtete, neuerdings erbaute Fremdenzimmer geführt. Von hier aus konnten wir das ganze Kloster übersehen. Es ist ein Chaos von wirr durcheinandergewürfelten, in verschiedenen Jahrhunderten entstandenen Gebäuden, ohne Symmetrie, Bequemlichkeit oder Geschmack. Nur die Kirche ist schön. Sie steht mitten im Klosterhof und ist wenigstens aus einem Stück gearbeitet und vollendet.
   Man brachte uns Kaffee, Oliven, Datteln aus Tor und Branntwein. Später bereitete uns ein Klostergeistlicher das Mittagessen. Es war mönchsmäßig einfach und sehr schmacklos. Wir fanden, daß die Luft des heiligen Berges nicht gerade satt mache, und bedauerten, uns nicht besser mit Vorräten versehen zu haben. Einstweilen streckten wir uns jedoch auf dem weichen Diwan aus und trösteten uns durch den Genuß des unentbehrlichen Tschibuk.
   Nachdem wir ausgeruht hatten, erschien ein anderer Mönch und redete uns in deutscher Sprache an. Es war ein in Wien erzogener Grieche namens Pietro, der von seinem Vater, einem wohlhabenden Kaufmann, hierher geschickt worden war, weil er Spuren von Geisteszerrüttung gezeigt hatte. Schon seit mehreren Jahren teilte er gezwungen das traurige Los zwischen Felsen vergrabener Menschen und schien darüber höchst unglücklich zu sein. Er wurde unser Führer im Kloster. Zuerst besichtigten wir sechsundzwanzig verschiedene Kapellen, die in allen Winkeln des Klosters angelegt und meist mit Heiligenbildern ausgeschmückt waren. Dann gingen wir zusammen durch das Refektorium nach den unteren Geschossen, in denen man ein Wasch- und Backhaus, eine Mahlmühle, Küche, Remisen und dergleichen Räumlichkeiten zeigte. Die Gänge liefen kreuz und quer durch das ganze Kloster, ohne daß man sich in dem Wirrwarr von Ställen, Schuppen, Gängen, Zellen und so weiter zurechtfinden konnte. Plötzlich trafen sonderbare Töne unser Ohr. Erst langsam, dann immer schneller erschallend, glichen sie zuletzt einem Trommeln. Einzelne Glockenschläge beschlossen die sonderbare Musik, welche die Vesperstunde anzeigen sollte. Statt der Glocken, die nur feiertags geläutet werden, bedient man sich eines aufgehangenen, keilförmig gestalteten, tönenden Brettes von hartem Holze, auf das mit mehreren Hämmern geschlagen wird. Die Schwingungen erzeugen einen ziemlich starken Ton, der sich, vom Sinai und Horeb zurückgeworfen, schallend in dem engen Felsentale verbreitet.
   Die Kirche war geöffnet. Wir traten mit Beginn der Messe ein und befanden uns in einem mit Marmorplatten getäfelten Schiff, in dem zu beiden Seiten mit hölzernem Schnitzwerk verzierte Stühle standen. Nach Osten zu mündete das Schiff in einen Chor, in dessen Halbkuppel wir ein Mosaikbild bemerkten. Einzelne Kruzifixe und Reliquienschreine waren reich mit Edelsteinen geschmückt. An den Wänden hingen viele Heiligenbilder.
   Die feierliche Handlung begann. Jeder Mönch war an einen der Stühle herangetreten und bekreuzigte sich häufig und andächtig, während ein Priester die Messe las. Nur der alte Prior saß in seinem Lehnsessel. Alle übrigen standen und neigten sich mehrere Male fast bis auf den Fußboden. Uns war der Gottesdienst vollkommen unverständlich. Zum Schluß erteilte der Abt allen Anwesenden den Segen, worauf sich die meisten entfernten. Wir blieben, um uns noch die Merkwürdigkeiten der Kirche zeigen zu lassen. Zuerst führte man uns nach einer Kapelle, welche die Stelle des heiligen Busches bezeichnen sollte. Beim Eintritt in die Kapelle mußten wir die Schuhe ausziehen und durften nur in Strümpfen die auf dem Fußboden liegenden Teppiche betreten. Wenn ich nicht irre, zeigte man uns in einem Glasschrank den heiligen Dornbusch selbst.
   Dann gab es noch mit Diamanten geschmückte Meßbücher, Teppiche, Bilder, Bischofsstäbe, Kelche, Weihrauchbecken, Kannen und andere Gerätschaften zu sehen. In der Nähe des Altars machte uns der Mesner auf eine steinerne Truhe aufmerksam, welche die Überreste Katharinas, der Schutzheiligen des Klosters, bergen soll. Nur frommen und reichen Russen oder Griechen wird der Sarkophag der Heiligen geöffnet. Wir bekamen die Gebeine nicht zu sehen, weil wir keine Lust hatten, mehrere Taler dafür auszugeben. Einzelne Russen haben der Kirche des Sinai große Geschenke gemacht. Man zeigt eine Gabe Kaiser Alexanders von bedeutendem Wert. Der folgende Tag galt zunächst dem Besuch des Klostergartens. Schon von weitem war er uns gestern erschienen. Sein freundliches Grün inmitten der rotbraunen Felsenmassen tat dem Auge so wohl, daß das Herz sich danach sehnte, unter den schattigen Laubgängen zu wandeln und sich an dem klaren Wasser der Felsquellen zu erquicken.
   Wir betraten den Garten durch den unterirdischen Gang und kamen zuerst auf einen ziemlich in der Mitte des Gartens sich hinziehenden Weg, der uns zu einer Ruine führte. Nach Aussage unseres Führers diente das durch ein Erdbeben zerstörte Gebäude früher als Sternwarte. Nebenan liegt eine kleine Kapelle und darunter das Grabgewölbe der im Kloster verstorbenen Mönche.
   Die ganze Gartenanlage zeugt vom Sieg des Fleißes über die rohe Natur. Es war wahrlich kein Kleines, den Granitfelsen ein Stückchen urbaren Erdreiches abzugewinnen. Früher wirr durcheinander geworfene Steinblöcke und Felsmassen wurden zu Mauern für Terrassen umgewandelt. Der von den Steinen befreite Raum wurde mit fruchtbarer Erde bedeckt, diese geebnet und zu Beeten umgeschaffen. Weithin sich erstreckende Kanäle wurden angelegt, um das von den Felsen herabrinnende Wasser aufzufangen, zu sammeln und dem Garten zuzuführen. Sorgfältig wird es dort behütet, mit berechneter Sparsamkeit täglich nur eine bestimmte Menge verbraucht. So ist es möglich geworden, einen Garten zu schaffen. Hohe Zypressen geben ihm ein klösterliches Aussehen. Fortwährend werden neue Stämmchen angepflanzt, um sie zu Bäumen zu erziehen. Diese werden dann gefällt, zu Brettern und Pfosten zerteilt und im Kloster verwendet, beispielsweise zum Ausbau von Kapellen. Es scheint, als ob seit Jahrhunderten nur ein einziger Gärtner hier gearbeitet habe. Alles wird nach bestimmten, unabänderlichen Regeln betrieben. Man baut im Garten Mandeln, Feigen, Stachelfeigen, Trauben und Gemüse von ziemlicher Güte, nur für den Bedarf des Klosters. Interessant war mir ein uralter Feigenkaktus, auf dessen verschiedenen Blättern die einzelnen Mönche Zeit und Ort ihrer Geburt und den Tag ihres Eintritts ins Kloster eingeschnitten hatten. Pietro zeigte mir mit einem Seufzer das Blatt mit seinem Namen und der Jahreszahl seiner Ankunft auf dem Sinai.
   Gegenwärtig befanden sich sechsundzwanzig Mönche im Kloster. Sie waren, mit Ausnahme eines Russen, Griechen, teils aus Griechenland, teils aus der Levante gebürtig. Man sah viele alte Leute unter ihnen, die noch rüstig und frisch umhergingen. Pietro versicherte mir, daß jemand, der längere Zeit auf dem Sinai gelebt habe, selten weniger als ein Alter von achtzig Jahren erreiche. Dies mag seinen Grund in der reinen, gesunden Alpenluft des heiligen Berges und der strengen Fastenkost haben, die, obgleich nahrhaft, doch so einfach ist, daß man sich, wenn man sie einmal gekostet hat, denken kann, was Adam und Eva im Paradies gekocht haben mögen.
   Die Mönche essen täglich nur einmal warme Speisen und kommen hierzu auf ein gegebenes Zeichen im Refektorium zusammen. Ich war bei einer ihrer Mahlzeiten zugegen. Nach einem kurzen, von dem diensthabenden Geistlichen vor dem Altar gesprochenen Gebet setzten sie sich in einer gewissen Reihenfolge an den Tafeln des gewölbten Speisesaales zum Essen nieder. Still und lautlos ging die Mahlzeit vorüber. Der Prior erhob sich zuerst, dann folgte der Geistliche und schlug dreimal an eine hell tönende Glocke. Hierauf erhoben sich alle. Der Geistliche sprach wieder ein Gebet und ging dann zur Tür hinaus, nachdem er sich vor dem am Eingang stehenden Prior so tief verneigt hatte, daß er mit den Fingerspitzen der ausgestreckten Hände den Fußboden erreichte. Alle übrigen folgten in derselben Weise und empfingen den Segen des Priors.
   So gastfrei und zuvorkommend uns die Mönche im Anfang erschienen waren, so habsüchtig, geldgierig und verstockt zeigten sie sich später. Man verlangte von uns enormen Bakschisch in Gestalt milder Gaben. Jeden Dienst ließ man sich bestens bezahlen und drängte sich deshalb mit Dienstleistungen aller Art auf. So wurde unter anderem als unumgänglich feststehend angenommen, daß wir den Sinai nur in Begleitung eines Klosterbruders besteigen könnten und daß jeder von uns für diese Begleitung siebenundzwanzig ägyptische Piaster zahlen müsse, daß wir die Kamele für die Rückreise nur durch einen Diener des Klosters bestellen und dafür dem Besteller achtzehn Piaster bezahlen sollten und dergleichen mehr. Ich war leider zu lange gereist, als daß ich mich allen unverschämten Forderungen gutmütig unterworfen hätte. Außerdem hatte ich meinen Geleitbrief mit und war entschlossen, das Herz des Hauptmanns der Klosterwache zu rühren, und wäre es härter gewesen als die Felsen, auf denen er seine Hütte erbaut hatte. Ich teilte den Mönchen unsere Ansicht ruhig mit und rief auf allen Gesichtern ein für uns höchst komisches Entsetzen hervor, zumal ich zugleich bemerkte, daß wir trotzdem die Gastfreundschaft des Klosters noch einige Tage lang zu genießen wünschten.

Brehms Weltreisen zwischen Nordkap und Äquator
Von ihm selbst erzählt
Hg. H. Bode
Mannheim 1956

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