1483 - Felix Fabri
Das Grab der Heiligen Katharina
Am 25. September um Mitternacht standen die Pilger auf, die noch nicht auf dem S. Katharinenberg gewesen waren, und etliche mit ihnen, die schon oben gewesen waren, und nahmen ihre Körbe mit Brot, Fleisch, Käse, Wasser und Wein und Knechte mit, die ihnen diese Dinge trugen; dazu kamen die Araber, die sie geleiteten.
Also sind wir bei Mondschein aus dem Kloster an den heiligen Berg gegangen und schlichen gar gemächlich dahin unserer kranken Brüder wegen, damit sie uns folgen möchten. Der Berg ist sehr viel höher als der Berg Horeb, und es gibt raue, enge Klippen, durch die man hinauf klimmen muss über die Schroffen und Felsen. An vielen Orten mussten die Araber uns voran steigen und die Pilger einen nach dem anderen hinauf ziehen. In den tiefen rauen Klippen litten wir großen Frost und den ganzen Berg hinauf, denn der Morgen war besonders kalt. Darum machten uns die Araber Feuer an vier Stellen am Berge, an denen wir uns wärmten, und wären die nicht gewesen, so wären wir mit den kranken Pilgern nicht so weit gekommen, und was uns gestern zu heiß war, das ist uns heute zu kalt geworden. Zwei Brunnen sind an dem Berg, bei denen machten wir Feuer und ruhten und uns war der Sinn wenig nach Trinken, aber gestern, als wir zu den Brunnen kamen, da waren wir feurig vor Hitze und tranken wie die Hirsche.
Von den Brunnen gingen wir fürbass aufwärts, damit der Tag anbrach, und kamen den Berg hoch über den Bauch bis an seinen Hals. Und als wir des Berges Hals ansahen, da grauste uns davor; wenn man so weit droben ist, ist der Berg steil, und es gibt schlechte hohe aufragende Felsen und Schroffen mit feindlichen breiten und hohen Felswänden; die mussten wir erklimmen. Also sind wir mit großer Arbeit hinauf gekommen und haben einander hinauf gezogen, und unsere Siechen mussten wir hinten und vorn heben, damit sie nicht fielen; wenn da einer gefallen wäre, der wäre des Todes gewesen. Da uns nun Gott ganz auf den Berg half, da war so ein saurer kalter Wind droben, dass uns der Frost verdorben hätte, hätten uns nicht die Araber ein Feuer gemacht, an dem wir uns recht wohl wärmten, und danach konnten wir beten. Als wir uns am Feuer wärmten, ging die Sonne auf, der Wind wurde milder und unsere Sache besser.
Und dann gingen wir zu S. Katharinas Lagerstatt, zum Grabe mit den Engeln und lobten Gott und die Heilige Jungfrau mit großen Freuden, denn an diesem Ort haben wir besonderen Jubel und Freuden gehabt, weil wir am Ende unserer schweren fernen Pilgerfahrt waren; denn von unserem Land haben wir alle Tage unserer Heimat den Rücken zugekehrt bis auf diesen heiligen Berg, auf dem wir anfangen, unser Antlitz wieder gegen unser Land zu richten, Gott sei Lob. Der heilige Berg Sinai S. Katharina und der würdige Berg Sinai Horeb Mosesberg sind ein Berg im unteren Teil am Fuß, aber an den Spitzen sind sie weit voneinander, und zwischen beiden liegt das Kloster der Heiligen. Zuöberst auf St. Katharina ist keine Mauer noch ein Gebäude, wir konnten auch nicht feststellen, dass da jemals ein Gebäude gestanden hätte; nur um den Felsen, auf dem der Leib der St. Katharina gelegen hat, sind Steine aufeinander gelegt wie ein kleines Mäuerlein. Der Berg ist unten weit und groß und oben spitz und hoch, an der obersten Spitze hat er einen flachen breiten Felsen, von dem abwärts in alle Richtungen grausam hohe Felswände sind, an deren Wänden auf- und abklimmen muss, wer auf den Berg will. Doch sind Schroffen und aufragende Felsenstücke genug da, die ein Mensch wohl erklimmen kann, dem nicht schwindelt.
Auf den heiligen Berg trugen die Engel den Leib der S. Katharina aus Alexandria, wo sie gemartert und getötet worden war, und legten ihn auf den breiten Felsen, der ganz glatt und hart war, aber als das geschah, da wich der Fels dem heiligen Leibe, als wäre er aus Wachs und der Leib glühend und feurig - bis eine Grube entstand, in dem er einsam über 300 Jahre ohne Wissen der Menschen lag, und die Grube war eben so lang und breit wie der heilige Leib, und ist nach ihrem Leib geformt und nicht tief im Felsen. Zu beiden Seiten neben der Grube sind noch zwei Gruben in den Felsen gedrückt, als hätte da jemand gesessen. Die zwei Gruben sind entstanden als Zeichen der Wacht der Engel, denn so lange der Leib da lag, hüteten ihn die Engel, die ihn dorthin gebracht hatten.
Da nun 300 Jahre vergangen waren seit der Marter S. Katharinens und das arabische Land und das ägyptische Land und alle orientalischen Länder bekehrt sind zum Christenglauben und die arabischen Wüsten voll von Mönchen und Altvätern wurden, da sind etliche heilige Väter gekommen und haben ein Kloster gebaut an den heiligen Berg Sinai Horeb, und es hieß das Kloster von Sinai. Da hatte eines Nachts der Prälat des Klosters eine Erscheinung, dass auf dem höchsten Berg Sinai, der da ist in der Wüste Syn, der S. Katharina Leib viele Jahre verborgen liege, den solle er suchen, und wenn er ihn gefunden habe, so solle er mit seinem ganzen Konvent auf den Berg gehen und den Leib mit Ehren und mit Andacht in sein Kloster tragen und im Chor in einen Sarg legen, denn das sei der Wille Gottes, dass der Jungfrau Leib von aller Welt geehrt und besucht werde. Diese Offenbarung hat der Abt zum einen und zum anderen Mal missachtet, bis er sehr erschreckt und gestraft wurde. Da sagte er es dem Konvent und nahm an einem Tag alle seine Mönche mit Kreuz und Heiligtümern, und sie gingen als Prozession aus dem Kloster und wussten nicht, auf welchen Berg sie gehen sollten, welcher der höchste wäre, denn die Wüste Syn ist voller hoher Berge. Als sie nun im Zweifel umhergingen, da kam ein Mönch ihres Ordens zu ihnen, den sie nie gesehen hatten, grüßte und fragte sie, wohin sie mit der Prozession wollten. Da antworteten die Mönche, ihnen wäre Kunde getan, dass der S. Katharina Leib im Gebirge der Wüste Syn läge, den wollten sie suchen gehen. Da sprach der Mönch: Mich hat Gott gesandt, damit ich euch den köstlichen Schatz suchen helfe. Die Wüste Syn ist mir bekannt mit Bergen und Tälern; darum geht mir nach, so will ich euch führen an die Stelle auf dem Berg, da ihr den jungfräulichen Leib finden werdet. So sind die Brüder mit großen Sorgen dem fremden Mönch gefolgt, denn sie fürchteten, er wäre ein Betrüger. Und er führte sie auf den hohen Berg und zeigte ihnen den heiligen Leichnam in der Grube liegen und sprach: Seht, das ist was ihr sucht, und damit verschwand der fremde Mönch. Also knieten die Männer nieder und lobten Gott und S. Katharina und nahmen den heiligen Leib und trugen ihn mit großen Ehren und Freuden in ihr Kloster und ließen den Sarg machen, in dem sie heutigentags noch liegt.
Bei der Grube der Lagerstatt S. Katharinas waren wir über zwei Stunden, und aus Andacht legten wir uns in die Grube und maßen uns dagegen; in der Grube habe ich, Bruder Felix, auch gelegen, Gott sei Lob. Nachdem wir Gebet und Andacht verrichtet hatten, setzten wir uns beim Grab mit den Engeln nieder und zogen aus unseren Körben und Säcken was wir Gutes hatten und aßen und tranken und gaben auch den Heiden, die bei uns waren.
Nach dem Essen haben wir uns umgesehen weit und breit nach allen Orten. Das sahen wir das Rote Meer, das sich weit um die Wüste und durch die Wüste zieht, sodass wir ringsumher Meer sahen, ausgenommen die Wüste, durch die wir hergekommen waren. Wir sahen auch die hohe böse Rackani, auf der wir zum ersten Mal den S. Katharinenberg gesehen hatten, und wir sahen die hohen weißen Berge, durch die wir gezogen waren, auch sahen wir bis nach Ägypten und zu den Wüsten Sur und Helim, in denen die Kinder Israels waren, als Moses sie durch das Rote Meer führte, und sahen den Kanal des Roten Meeres, durch den die Juden mit Moses aus Ägypten in die Wüste gingen; wir sahen auch das Land Midian und das Indianische Meer, an dem ein bedeutender Hafen mit Namen Thor liegt. Zu diesem Hafen kommen alle Schiffe aus Indien mit aller Spezerei; und von Thor führt man sie nach Kairo und von Kairo nach Alexandria und von Alexandria nach Venedig über das Meer und von Venedig in unser Land. Wir sahen über den Arm des Roten Meeres in die Wüste Thebaida, in der der große S. Antonius gewohnt hat mit seinen Mönchen. Von der Wüste und von den Mönchen steht viel geschrieben im Altväterbuch. Wir sahen auch im Roten Meer viele unfruchtbare Inseln, kahl und sandig. Bei Thor sahen wir einen Dattelbaumgarten, der ist schön und gehört den Mönchen im S. Katharinenkloster. Unter dem heiligen Berg Sinai liegt eine große breite sandige Weite; sie erstreckt sich drei Tagesreisen weit bis an das Rote Meer.
In dieser Weite, sagte uns Bruder Nikodemus, ist ein Mönchskloster, da hört man Tag und Nacht zu den sieben Zeiten Glocken läuten, aber das Kloster kann niemand finden. Viele Brüder gibt es im S. Katharinenkloster, die selbst in der Weite gesucht haben, sie haben das Geläut gehört, aber nichts gefunden. Aber wer es einmal findet, kann es hernach nicht wieder finden. Die Brüder von S. Katharina meinen, wenn einer in dem verbogenen Kloster abgehe, so werde aus ihrem Kloster einer an dessen Stelle in dieses Kloster verrückt.
Als wir nun alle Dinge gesehen hatten, die uns Bruder Nikodemus gezeigt hatte, da kamen wir wieder herab mit Sorgen und Arbeit.
Fabri, Felix
Eigentlich Beschreibung der Hin unnd Wider Farth zu dem Heyligen Landt gen Jerusalem und furter durch die großen Wüsten zu dem Heyligen Berge Horeb und Sinay …
Frankfurt/M. 1557