1865 - Max Eyth
Ausflug zur Stufenpyramide von Sakkara
Meinen Geburtstag habe ich zu einem Besuch von Sakkara benützt. Der Tag war, selbstverständlich, schön und nicht zu heiß, so daß die ersten Stunden eines behaglichen Trabens ein förmlicher Genuß gewesen wären für jeden, der nicht, wie ich, Tag für Tag unter diesem herrlichen Himmel herumzutraben hat. Aber neben manchem anderen habe ich seitdem auch das Gefühl verstehen gelernt, womit sich ein schwäbischer Bauer an einem goldenen Sommersonntagnachmittag in seiner eingeheizten Stube hinter den Ofen setzt. Zum Glück habe ich wenigstens noch die alten Augen, für die der Weg, der über Alt-Kairo am rechten Ufer des Nils hinaufführt, eine Reihe lieblicher Bildchen bietet. Durch Palmen, Kaktusfeigen und hohe Binsen hindurch zeigt sich bald der Spiegel des Flusses mit seinen leichten Booten und ihren geschwellten Segeln, bald, über den gelben Sand der Wüste sich erhebend, die Pyramiden hinter Gizeh. Links liegt der schroffe Abhang des Mokattam mit den Gräbergruppen, die sich an seinem südlichen Fuß weit in die Wüste hinausziehen. Dann treten die Berge nach Osten zurück und ein flaches, sandiges Tal senkt sich gegen den Fluß, dessen entgegengesetzte Seite durch die Berge bei Tura gebildet wird, in denen nach Form und Farbe der Mokattam sich wiederholt.
Etwas unterhalb von Tura ist eine Fähre. Vieh und Menschenkinder werden mit viel Geschrei von Seiten des vernünftigen und Widerstreben von seiten des unvernünftigen Teils der Schöpfung in ein Boot verladen, in welchem man mir und meinen Eseln mit viel Ostentation den Ehrenplatz am Steuerruder einräumte. Die Gegend ist hier wunderlieblich. Eine kleine Insel spaltet den mächtigen Strom etwas weiter oben. Tura mit seinen weißen Felsen erhebt sich links zu gewaltiger Höhe, während sich rechts herrliche Palmenwälder in mannigfaltigen Gruppen am Ufer hinaufziehen. Dazu ist die lebendige Gruppe in dem stets dicht gefüllten Boot ungemein malerisch. Um zwei gewaltige Kamele, von denen das eine hübsch geputzt, mit Spiegelchen auf der Stirn, das Rohrgeflecht und Zeltwerk eines reisenden Fellachenharems trägt, scharen sich Araber und Beduinen, Weiber und Kinder, Pferde, Esel und Ochsen, alle auf den engen Raum gebannt, lachend, Nilwasser trinkend, streitend und Geld zahlend, bis das andere Ufer erreicht ist.
Aber ich muß eilen, um an den Ort meiner Bestimmung zu kommen. Durch grüne Felder, fast immer unter dem Schatten dichter Palmenpflanzungen, führt der Weg in südwestlicher Richtung der Wüste zu. Unter diesen Zuckerrohrfeldern liegt die alte Königsstadt begraben. Dieses Korn, das dort drüben ein paar ärmliche Fellachenweiber ausraufen, wogt über den einstigen Palästen und Tempeln von Memphis.
Doch jetzt zeigt sich endlich die Staffelpyramide von Sakkara, die nur durch die Bäume verdeckt war, und eine Viertelstunde später – es ist elf Uhr und die Sonne brennt glühend in dem gelben Sand – stolpern die müden Tiere den kleinen Abhang hinauf, auf dem das wunderliche Bauwerk steht. Die Pyramide ist an sich unbedeutend, klein, der Eingang verschüttet, und das einzige, aber völlig eigentümliche ist, daß sie in fünf großen Terrassen gebaut ist. Das Steinwerk ist in zertrümmertem Zustand und sieht in der Nähe dem Schuttberg eines Steinbruchs nicht unähnlich. Mein Erstes war, den Gipfel zu erklettern, was ohne Mühe von der nordwestlichen Ecke aus geschieht, und sodann ein Panorama zu skizzieren.
Die Rundschau hier ist mir lieber als die von der großen Pyramide von Gizeh, welche gewissermaßen den Grenzstein des interessanten Gebiets von Memphis bildet. Hier steht man mittendrin. Ein gelbes Plateau von Wüstensand und Schutt liegt an dem Fuß der Pyramide, auf der wir stehen. Dieses Plateau, worauf da und dort Schädel und Knochen schimmern, scheint vor Jahrtausenden von menschlichen Ameisen förmlich durchwühlt worden zu sein und ist die unerschöpfliche Fundgrube der heutigen Altertümler. Nordwestlich, etwa eine Meile von der Wüste, erscheint ein dunkles, niedriges Gebäude, die provisorische Wohnung des Franzosen Mariette, der für die Regierung Ausgrabungen vornimmt. Etwas links, kaum erkennbar, bei einer mächtigen, zwar modernen, aber höchst primitiven Windevorrichtung, ist der Eingang in die Apisgräber. Rechts - etliche weiße Flecken lassen den Punkt erkennen -, befindet sich der neue ausgegrabene Tempel, dem zuliebe ich eigentlich gekommen war. Gegen Osten, vom Abhang des Plateaus gegen das Niltal bis zum Fuß unserer Pyramide, ziehen sich wellenförmige Sandhügel, Reste kleinerer zertrümmerter Pyramidchen und einen Masse von Öffnungen, die oben nur trichterförmig im Sande erscheinen, die Eingänge in mancherlei Gräber. An jenem Abhang endlich befinden sich, wie ich durch meinen früheren Besuch wußte, die Gräber der Ibismumien, die jedoch heutzutage wieder im Sand verschwunden sind. Dies wäre gewissermaßen der Vordergrund unseres Bildes. Im Mittelpunkt stehen nördlich auf einem ähnlichen Plateau die drei Pyramiden von Abusir, hinter denen sich endlich die Riesen von Gizeh erheben, ein immer großes Bild in seiner einfachen Zeichnung und ruhigen Verteilung von Licht und Schatten. Nach rechts schweifend sieht das Auge durch die nördliche Öffnung des Niltales in blaugrüner Ferne noch ein Stückchen Deltaland, das östlich vom Mokattam und den kaum erkennbaren Minaretts von Kairo abgegrenzt ist. Die gelben Höhen des ersteren, ein langgestreckter, nach hinten sich absenkender Tafelberg mit steilen Abstürzen gegen den Nil hin, allmählich und in weiten, ausgebauchten Boden in die Berge von Tura übergehend, bildet mit diesen den malerischen östlichen Horizont. Zwischen diesen Bergen und uns liegt in breiten grünen Streifen das Niltal mit den dunklen und eleganten Gruppen seiner Palmen, den grünen Klee-, Zuckerrohr- und Baumwoll- sowie den bereits gelben Kornfeldern, und da und dort – halbversteckt hinter Palmen – seinen braunen Fellachendörfern. Nach Süden hin verflachen sie die Wüstenufer des Tals vollständig und man könnte sich ebensogut einbilden, in dieser Richtung dem Meer entgegenzusehen. Weiter rechts, südwestlich, erscheinen endlich die Pyramiden von Daschur und noch eine von Sakkara, und von hier bis hinüber nach den Pyramiden von Gizeh unterbricht nichts das einförmige, nur von fliegenden Wolkenschatten belebte Bild der Wüste.
Mariettes Haus fand ich geschlossen. Mariette war in Bulak. Zwei Jungen erboten sich jedoch, mir als Führer nach der 'Genesa' zu dienen, ein Wort, das christliche Kirchen ebenso bezeichnet wie heidnische Tempel. Eine halbe Meile Weges führte uns an Ort und Stelle. Tief eingebettet zwischen den rings aufsteigenden Sandhügeln erscheint zu unseren Füßen ein quadratischer Raum, dessen Mauern aus weißen, wunderschön gehauenen Quadern besteht. Der Eingang ist auf der nördlichen Seite, woselbst sich auch ein kleiner Vorhof befindet. diese beiden Gemächer sind dachlos. Im großen Inneren stehen, quadratisch verteilt, zwölf monolithische Säulen, die früher das Dach des Hauptgebäudes getragen haben müssen. Sie sind ebenfalls quadratisch, ohne Kapitelle und ohne allen Fuß, aber mit erstaunlicher Genauigkeit und Schärfe der Kanten gearbeitet. Alles ist hier glatt poliert und ohne Bilder oder Hieroglyphen. In der Mitte zwischen den zwölf Säulen ist der Boden aufgebrochen, und durch einen gewaltsam forcierten Eingang gelangt man in einen etwa 4 ½ Fuß hohen und 5 Fuß breiten, nach abwärts geneigten Felsengang von ziemlicher Länge. Hier sind natürlich Lichter nötig. Am Ende desselben führt ein niedriges Tor in eine kleine Kammer, die rechts einen Seiteneingang zeigt, sonst aber nichts enthält. Letzterer endlich führt in die königliche Totenkammer, die vermutlich Zweck und Endziel des ganzen Baus ist. Der Sarkophag ist aus dem Gestein des Berges gehauen, ein einfacher, gewaltiger Behälter, dessen Deckel etwas abgeschoben ist, so daß man in das leere Innere sehen kann. Auch hier sind weder Bilder noch Hieroglyphen zu finden. Das ganze macht den Eindruck der ernsten, jedoch keineswegs düsteren Einfachheit.
Wieder oben angelangt führte uns ein hoher, schmaler Gang von der südwestlichen Ecke des Tempels zu einem kleinen Seitengemach, das noch bedeckt ist, sowie nach einer größeren Kammer, welche sich direkt über dem Grabe zu befinden scheint. Beide sind nun mit Hieroglyphen und bildlichen Darstellungen ganz übersät. Besonders die letztere, deren vollständig erhaltenes Dach auf zwei Säulen ruht, die mit Streifen prachtvoller Hieroglyphen bedeckt sind, ist von exquisiter Schönheit. An ihrer westlichen Wand erheben sich zwei für Throne oder Götterbilder bestimmte, nischenförmige Aufbaue. Die übrigen Wände insgesamt sind mit Darstellungen aller erdenklichen Verrichtungen geschmückt. Der König fängt Fische oder geht auf die Jagd. Seine Beamten nehmen Zoll und Steuern in Naturalien ein. Der Stock, dieses durch Jahrtausende geheiligte Regierungsmoment Ägyptens, wird mit sichtlichem Erfolg an einem zappelnden Bösewicht zur Anwendung gebracht. All das tritt leicht erhaben aus den polierten weißen Wänden hervor. Die Zeichnung ist von überraschender Naturwahrheit, wenn auch reich an den hergebrachten perspektivischen Schnitzern jener Zeit, und die bunten Farben, rot, gelb und blau, die entschieden, aber doch mit geschmackvollem Maß angewendet sind, geben dem Ganzen einen überaus heiteren Charakter. Der Pharao, der hier begraben liegt, war jedenfalls von fröhlichem und friedlichem Gemüt und das Fischefangen scheint seine blutigste Leidenschaft gewesen zu sein.
Großartiger und düster ist das zweite Bild, das uns Sakkara bietet. Etwa eine Meile vom Tempel nach Süden, ebenfalls begraben unter Sandhügeln, liegt der Eingang in die Apisgräber. Eine breite Straße, in die Felsen des Bodens gehauen, führt sanft geneigt hinunter, bis sich plötzlich in der Felswand zur Rechten ein mächtiges, vollständig rohes Portal auftut. Schon hier, aber fast gänzlich im Sand begraben, liegt einer der granitenen Riesensärge, der nie den Ort seiner Bestimmung erreichte. Mit Lichtern geht es nun in einem langen, geraden Gang weiter, der einem in den Felsen gesprengten Tunnel überaus ähnlich ist. Ein zweiter Sarkophag versperrt beinahe vollständig den Weg. Auch dieser blieb während des Transports hier liegen. Sonst ist nichts zu sehen, bis der Tunnel mit einer plötzlichen Wendung in einen neuen, parallel laufenden hineinführt, der die eigentliche Grabstätte der heiligen Büffel ist. Auf beiden Seiten, bald rechts, bald links, sind in das Gestein tiefe Nischen eingehauen und in jeder derselben, halb von Schutt und Staub verdeckt, teilweise vollständig bloßgelegt, ruht einer dieser Kolosse, die durch ihre erdrückende Größe und einfache prunklose Form (nur wenige zieren Hieroglyphen) einen ordentlich schauerlichen Eindruck machen. Etliche dreißig derselben liegen hier und werden vermutlich liegen, bis die Welt untergeht - die stummen und nicht mehr verstandenen Zeugen einer längst begrabenen Zeit. Im hintersten Winkel dieses Ganges zündete ich mittels eines Haufens von Zeitungen ein frivoles Feuer an, das um das gelbliche Gestein und die schwarzblauen Särge grausige Lichter und Schatten warf. Das andere Ende des Ganges führt direkt wieder ins Freie, indem der Gang, durch den wir zuerst hereingekommen, nur zum Transport der Sarkophage bestimmt scheint. Einer der Särge wurde durch Mariette neuerdings nach Bulak geschafft, vermutlich, um dem modernen Ägypten zu zeigen, was eine gerade Linie ist – ein Begriff, der mit dem Dienste der heiligen Stiere dem Lande vollständig verloren ging.
Durch Sand, Lumpen, Mumienknochen und Scherben kämpften wir unseren Weg weiter, trotz des Protests meiner Eseljungen, nach dem Platz, wo ich vor zwei Jahren Ibismumien gefunden hatte; denn ich hätte gern einen der wunderlichen Töpfe nach Deutschland mitgenommen, aber die Öffnungen waren in der Tat zugeschüttet. Damals befand ich mich nämlich in einem derselben in einer kuriosen Situation. Der Eingang in die Höhlen liegt nämlich in den östlichen Felsenabhängen des Plateaus und war von Sand bereits dermaßen verweht, daß nur ein 1 ½ Fuß hohes Loch übrig blieb, hinter dem ein steiler Gang abwärts führte. Vielleicht 15 Fuß tiefer kommt eine senkrechte, brunnenartige Vertiefung, in die man, die Beine gegen die entgegengesetzten Wände spreizend, nicht ganz ohne Gefahr hinabgelangt. Ein seitliches Loch im Grunde dieses Brunnens führt in eine kleine Kammer. In dieser – nachdem man sein Licht zwei- der dreimal angezündet, da es von Fledermäusen beständig wieder ausgelöscht wird –, bemerkt man, daß der Boden aus den regelmäßig aufgeschichteten Töpfen von Hunderten von Ibismumien besteht, deren zarte Beinchen, in Lumen eingewickelt, in diesen tönernen Särgen stecken. Gibt es einen Wahnsinn, den die Menschheit noch nicht ersonnen – nein, den die Menschheit nicht Jahrhunderte lang mit Andacht praktiziert hat? Wieviel von dem, was wir tun und trieben, wird in tausend Jahren gleichfalls ein Wahnsinn heißen! Vielleicht in diesen Löchern herumzuschlüpfen auch! Als ich auf dem Rückweg das Tageslicht wieder erblickte und die geneigte Ebene hinaufkroch, kam ich in eben jene kuriose Lage. Der Boden bestand aus dem leichten Wüstensand, die Decke, die mein Rücken fast berührte, obwohl ich auf dem Bauch lag, aus dem natürlichen Felsen. Dazu ging es steil aufwärts. Den Kopf hatte ich zwar bereits in der Luft außen; aber jede weitere Bewegung, um mich mit Händen und Armen vorwärts zu arbeiten, schaffte nur einen Haufen Sand mehr unter Brust und Leib, so daß ich mich nach einer Minute nutzloser Sisyphusarbeit zwischen Decke und Boden völlig festgerannt fand und jede fernere Bewegung, selbst die kleinste, mich immer nur noch fester einkeilte. Ich hatte damals bloß einen Eseljungen in der Nähe, der zwei Fellachen vom Felde herbeiholte, und diese packten mich nun um ein Bakschisch an den Armen und zogen mich unter Zurücklassung eines Rockzipfels und, wie ich anfangs vermutete, eines guten Stückes meiner Rückenhaut glücklich heraus.
Eyth, Max
Wanderbuch eines Ingenieurs
Band 1, Heidelberg 1971