1761 - Carsten Niebuhr
Räuber bei den Pyramiden
Von den ägyptischen Altertümern fällt keines so sehr in die Augen wie die Pyramiden, von denen die nächsten schräg gegenüber Kahira, nämlich an der Westseite des Nils und auf dem ersten Hügel liegen. Kein Europäer, der bis nach Kahira gekommen ist, reist gerne aus Ägypten, ohne diese erstaunlichen Werke aus der Nähe gesehen zu haben. Sie sind daher schon von vielen Reisenden umständlich beschrieben worden, doch ist es vielleicht nicht überflüssig, wenn auch ich meine Beobachtungen hier anführe.
Als ich die Pyramiden das erste Mal besuchen wollte, ritt ich mit den sich zu Kahira aufhaltenden Europäern, die in Dsjise eine Sommerwohnung hatten, auf die Jagd und kam zu einer Brücke über einen ansehnlichen Arm des Nils auf dem Wege zwischen Dsjise und den Pyramiden. Die ganze Gesellschaft kehrte von hier wieder zurück, nur Herr Forskål entschloss sich, mich zu den Pyramiden zu begleiten. Wir beide nahmen als Führer zwei Beduinen auf, die wir nicht weiter kannten als dass wir sie bei der erwähnten Brücke antrafen. Sie waren zu Pferde, und wir ritten ganz demütig auf Eseln. Ich hatte mein Astrolabium mitgenommen, um davon gelegentlich Gebrauch zu machen.
Sobald wir an den Fuß des Hügels gekommen waren, auf dem die Pyramiden liegen, nahm ich eine Grundlinie von 203 Fuß. Es wäre leicht gewesen, auch die Höhe der Pyramide zu bestimmen, wenn ich nur an einem Standpunkt die Höhe ihrer Spitze hätte nehmen können. Aber wir sahen einen Araber in vollem Galopp auf uns zu kommen, und wir, die noch nicht gewohnt waren, mit herumstreifenden Arabern umzugehen, hielten es für ratsam, das Instrument gleich einzupacken. Dieser Araber war Sohn eines Scheichs und, wie es schien, vornehmer als unsere Begleiter. Er fragte ganz höflich, warum wir in dieser abgelegenen Gegend ganz allein wären. Und als er darauf Antwort erhalten hatte, offerierte er sich, uns zu den Pyramiden und wo immer wir hinwollten, zu begleiten. Wir lehnten sein Anerbieten ab, weil wir nicht glaubten, mehrere Begleiter nötig zu haben. Aber er wollte bei uns bleiben und antwortete nun ziemlich ernstlich, wir würden es ihm nicht verbieten können, mit uns zu reiten, doch versicherte er dass er uns in keinem Stück hinderlich sein wollte.
Wir ritten hierauf weiter zu den Pyramiden. Als wir hinter einen kleinen Hügel gekommen waren, gefiel es diesem jungen Herrn, seine Lanze vor Herrn Forskål in die Erde zu stecken und ihm zu verbieten weiter zu gehen, ohne ihm ein Trinkgeld zu geben. Herr Forskål weigerte sich nicht, ihm etwas zu geben, versprach ihm aber auch nichts. Aber wir waren auf unseren Eseln und unbewaffnet zu schwach, uns gegen den Scheich zu verteidigen, vornehmlich, da wir uns nicht auf unsere Begleiter verlassen konnten.
Ich ritt hierauf geschwinde auf den Hügel und rief Herrn Forskål zu, dass in der Ebene Leute auf dem Feld arbeiteten. Sobald der Scheich dies merkte, wurde er wieder ganz höflich. Doch wollten wir nicht weiter reiten sondern kehrten zurück bis zu einem Dorf, etwa eine halbe deutsche Meile von Dsjise, wohin die Araber uns zu begleiten versprochen hatten, und auf diesem Weg war der junge Scheich bisweilen sehr übermütig, aber wir mussten Geduld haben. Beim Abschied verlangte der junge Araber nochmals ein Trinkgeld. Er wäre vielleicht mit wenig zufrieden gewesen, doch Forskål hatte sich fest vorgenommen, ihm gar nichts zu geben. Als er in Güte nichts erhalten konnte, griff er meinem Reisegefährten nach dem Kopf und nahm ihm seinen Turban. Mein Freund verhielt sich dabei vortrefflich. Er blieb ganz kaltblütig und sagte zu den beiden anderen Arabern: »Ihr Beduinen, man glaubt in unseren Ländern, dass die Franken unter eurem Schutz jederzeit sicher sind. Ich habe mich unter den eurigen begeben. Wenn ihr also erlaubt, dass euer Bekannter mich plündert, so werde ich meinen Landsleuten erzählen, dass bei euch keine Treue und Glauben anzutreffen sind.« Durch diese Worte wurde die Ehrbegierde der beiden Araber so rege, dass sie den dritten nötigten, den Turban gleich wieder zurückzugeben. Nun wandte sich der junge Scheich an mich, und ich wollte ihm auch nichts geben. Er griff hierauf nach meinem Astrolabium, das ich vor mir auf meinem Esel hielt; ich war dabei nicht so kaltblütig wie Forskål, sondern ergriff sein großes Tuch, das er um sich gewunden hatte, und da er seinem Pferd in die Seite stieß, ohne den Zügel zu halten, so ging es fort und der Araber fiel zur Erde. Dies hätte mich in große Gefahr bringen können, denn der junge Herr hielt es für einen großen Schimpf, dass er in Gegenwart vieler Bauern, die sich nach und nach um uns versammelt hatten, durch einen Christen vom Pferd geworfen worden war, dass er sogleich eine von seinen Pistolen holte und mir auf die Brust setzte. Ich kann nicht leugnen, das ich im ersten Anlauf glaubte, dem Tode nahe zu sein. Aber das Gewehr war vermutlich nicht geladen. Die anderen Araber suchten ihn zu besänftigten ihn, und ich befriedigte ihn endlich ganz mit einem halben Speciestaler. Kaum hatte er das Geld erhalten, ritt er davon. Bei unserer Rückkehr nach Dsjise wurden wir ausgelacht. Man hatte es vorher gesagt, das wir uns nicht auf die Beduinen verlassen könnten, ja, dass wir sogar geplündert werden würden. Aber hätten wir auch dem dritten Araber gleich von Anfang an nur etwas als Bezahlung versprochen, glaube ich gewiss, dass wir die Reise zu den Pyramiden in aller Sicherheit hätten machen können. Die Araber sind nicht so fürchterlich wie wir Europäer gemeiniglich finden, bevor wir ihre Denkungsart kennen und ihre Sprache reden können …
Nachher reisten wir noch einmal in Gesellschaft von verschiedenen Kaufleuten zu den Pyramiden. Herr Meynard, ein französischer Kaufmann, der schon viele Jahre in Ägypten lebt und die Pyramiden oft besucht hatte, war unser Führer und verschaffte uns alle Sicherheit, die wir nur erwarten konnten. Doch wurde einer aus unserer großen Gesellschaft geplündert. Er war ein neu angekommener Italiener. Unter unseren vielen arabischen Bedienten und Eseltreibern hatten sich bei den Pyramiden auch viele Araber aus den Dörfern und einige Beduinen gemischt. Als wir uns auskleideten, um in die Pyramiden zu gehen, gab jeder seine Kleider seinem eigenen oder einem bekannten Diener. Der Italiener jedoch hatte die seinen einem der nächsten dienstfertigen Araber gegeben, und der hatte sich damit entfernt. Überdies fehlte bei unserer Abreise einem noch eine Pistole, dem anderen ein Pantoffel, etc. Ich möchte aber die Araber überhaupt noch nicht Räuber nennen, obgleich andere Reisende vielleicht nicht mehr Ursache gehabt haben, ihnen einen solchen Namen beizulegen.
Auf dieser Reise war meine vornehmste Absicht, die Höhe der beiden größten Pyramiden zu bestimmen. Ihre vier Seiten liegen, so viel ich nach einen kleinen Kompass habe urteilen können, gerade nach O., W., S. und Norden, und auf jeder der vier Seiten liegt ein großer Hügel von Schutt und Sand, welcher nach und nach heruntergefallen oder vom Winde hinter denselben zusammengeweht ist. Von den Ecken dieser Pyramiden sieht man noch den bloßen Felsen, auf dem sie gebaut sind; denn hier ist der Wind so stark, dass er den Sand fortführt, und der Schutt, welcher nach und nach von den Pyramiden herabfällt, kann hierher nicht kommen. Um die Höhe einer dieser Pyramiden zu messen, wäre es am bequemsten, den Winkel zu nehmen, welche ihre Spitze auf einer Ecke mit dem Horizont macht, und die Seiten in einer parallelen Entfernung zu messen. Allein, wenn man nur wenig Zeit hat, solche erstaunlichen Gebäude zu betrachten, und mit Leuten umgeben ist, die man für Räuber hält, so wählt man nicht immer den kürzesten und sichersten Weg, und meine Messung ist daher nicht so genau, wie ich wohl wünsche.
Von dem Sphinx ist schon vieles im Sande begraben. Ich fand die Höhe des Kinns 10 Fuß 6 Zoll und die Länge des Kopfes 16 Fuß. Also die Höhe des Kopfes und des Halses über dem Sande 27 Fuß 6 Zoll.
Die Steinart, von der die beiden großen Pyramiden gebaut sind, und der Felsen, worauf sie stehen, ist gar nicht verschieden, sondern alles ist ein weicher Kalkstein. Also ist wohl kein Zweifel, dass man die Steine zu diesen Pyramiden in der Nähe und vielleicht rund um den Sphinx genommen hat. Denn die scheint gänzlich aus Felsen gehauen zu sein, und der Felsen um die zweite Pyramide ist nicht nur eben gemacht, sondern man hat auch einen Teil davon für die Pyramide selbst stehen lassen. Um die erstaunliche Arbeit und Kosten, welche zu diesen Gebäuden oder zu den aus gehauenen Steinen gebauten Bergen haben angewendet werden müssen, noch zu vergrößern, haben einige geglaubt, dass sie mit Marmor bedeckt sind, und Paul Lucas versichert uns, dass sie mit einem Küt überzogen gewesen sind, aber dies ist wenigstens bei der zweiten Pyramide ganz falsch. Noch jetzt sieht man oben um die Spitze dieses Gebäudes einen ziemlichen Teil seines Daches, und obgleich dieses in der Ferne, besonders, wenn die Sonne darauf fällt, auch glatt und von einem härteren Stein zu sein scheint, so ist es doch von eben dem weichen Kalkstein wie das übrige der Pyramiden gebaut. Ich bin, bloß um dies zu untersuchen, auf diese Pyramide bis zum Dach geklettert und habe Stücke davon mitgebracht, ein Mühe, die sich vielleicht noch kein Europäer gegeben hat, weil die Reisenden gemeiniglich nur auf die erste Pyramide steigen und die zweite nicht zu achten pflegen, da sie auf ihr nicht zur Spitze kommen können. Bei diesem Gebäude scheint die letzte Arbeit des Baumeisters gewesen zu sein, alle Steine, die nur etwas hervorragten, abzuhauen und also die vier Seiten von der Spitze bis zur Erde völlig eben zu machen. Das glatte Dach konnte dann der Zeit viel besser widerstehen, als wenn die Steine auswärts treppenartig übereinander lagen. Indessen ist auch schon der größte Teil des Daches diese Pyramide ausgewittert und heruntergefallen oder vom Winde weggeführt. Man kann hieraus schließen, dass auch die Pyramiden dereinst bloß durch die Zeit ruiniert werden. Allein bis zur gänzlichen Zerstörung dieser erstaunlichen Werke werden noch viele tausend Jahre erfordert, wenn sie bloß der Zeit überlassen wird.
Niebuhr, Carsten
Reisebeschreibung nach Arabien und umliegenden Ländern
Kopenhagen 1774