1670 - Olfert Dapper
Über die Mumien
Was nun die gebalsamten Leichen selbst betrifft, dabei muß man zwei Dinge betrachten: Erstlich die Totenkasten oder Särge, darein man die gebalsamten Leichen legt und dann solche Leichen selbst, welche sie Mumien nennen. Die Leichen sind mit starken Arzneien, sonderlich mit Judenpech gebalsamt und mit keinen ägyptischen Sinnbildern geziert. Aber die Särge, darin solche Leichen liegen, als auch die Windeln, damit sie umwunden, sind insgemein zierlich vergoldet, mit unterschiedlichen Farben bestrichen und mit heiligen Sinnbildern übermalt.
Für einen jeden Toten ward, nach dessen Stand, entweder ein schlichter oder köstlicher Sarg gemacht, und dieser bestand aus demselben Felsen, darin die Grabgewölbe gehauen waren, oder aus Holz vom ägyptischen Feigenbaum, welches nicht wurmstichig ward. Auf diesem Sarge, den man gemeiniglich über und über vergoldete, stand entweder die Gestalt einer Gottheit, derer Beschirmung die Leiche ward anbefohlen, oder die Gestalt des Verstorbenen selbst. Die heiligen Sinnbilder, die darauf gemalt standen, waren unterschiedlich und zuweilen diese: nämlich das Bild der gemeldeten Gottheit oder des Abgestorbenen, eine Götzenhöhe, eine Nachteule, eine halbe Kugel, ein Papierstock, ein Krug mit einem Ohre, ein Wasserzeichen, zwei Säulen in vier Teile geteilt, ein Strick, ein Balsamfaß, eine Gans, ein ägyptisches Schiff, eine Zacke mit Papierschilf und dergleichen mehr, welche zuvörderst auf die Beschirmung der Leiche zielen. Der Sarg, darin eine Frau lag, war eben wie eine Frau gebildet. Dieses Bild hat eine Hülle auf dem Haupte mit zwei beihängenden Ohrlappen, welche mit Säumen und allerlei verbörteltem Werke geziert. Auf der Brust sah man unterschiedliche Borten oder Säume, die ringweise gebogen. Zwischen diesen stand ein Frauenbild mit ausgestreckten Armen und hatte einen Kreis auf dem Haupte und eine Schlagfeder in der Hand mit einem dreifachen Vogelflügel. Der übrige Leib war solchergestalt gehauen, daß er nach unten zu immer schmäler und schmäler ward. Auch war er in unterschiedliche Fächer und Striche, die wie ein Netz gestaltet, sehr zierlich abgeteilt. In den drei obersten netzweise gezogenen Strichen standen die Bilder der Gottheiten, die das Böse abwenden, an jeder Seite drei mit Stricken an den Händen: ohne welche sechs Gottheiten kein Zierat der gebalsamten Leichen zubereitet wird.
In den Särgen selbst nähte man auch kleine von Erde gebackene Beschirmbilder, die zuweilen einen Finger, zuweilen einen Fuß groß waren, an die Windeln. Etliche sind wie ein Mannsbild, andere als ein Frauenbild gestaltet. Auf dem Haupte haben sie eine Hülle mit Ohrlappen, um die Brust manchfärbige Windeln, und die Hände kreuzweise übereinander geschlagen. Auch sind sie fast ebenso ausgeziert als die Leiche selbst und mit Windeln wie ein Kind umwunden. Zudem haben sie ebendieselben ägyptischen Sinnbilder, die man an der Leiche sieht, und diese kommen gemeiniglich alle auf folgenden Sinn aus: Der Geist dieses Leichnams, welcher durch die Vorsehung und das Leben der gnädigen Gottheiten selig ist, soll durch das Anbeten der Stäbe des Orus, des Herrschers der Jahre, gen Himmel fliegen.
Die Leichen der königlichen und fürstlichen Kinder legte man zuweilen in Leichentöpfe, welche eben wie die Nilkrüge, die den Kanopus bezeichneten, gebildet, und obenauf einen Habichtskopf hatten, dem sie, als dem Zeichen der Gottheit der Sonne, die Leiche zu beschirmen anbefahlen.
Bei den gebalsamten Leichen werden zuweilen papierene Rollen, darauf eine große Menge ägyptischer Sinnbilder stehen, gefunden. Gemeiniglich sah man unter solchen Sinnbildern die vornehmsten Gottheiten, die sonst an den Sonnenspitzen stehn; und zwar in solcher Ordnung, wie sie an den Ägyptischen Festtagen - auf die Weise der Römischen Umgänge - herumzutragen pflegten. Diese Rollen legte man darum in die Särge, damit die gemeldeten Gottheiten, die darauf abgebildet stunden, die Leichen vor aller Gewalt der bösen Geister beschirmen, und die Seelen umso viel eher nach den himmlischen Kreisen zuführen möchten. Und also war auf diesen Rollen nichts anderes zu sehen als das Leichengepränge, welches die Ägypter über die Maßen prächtig zu halten pflegten, sonderlich, wenn Könige, Priester oder andere ansehnliche Leute begraben werden. Fast alle ihre Götzen tragen sie nach auf heiligen Bahren, dadurch sie dem Verstorbenen ihre Gnade zu erwerben wähnen.
Unter der Zunge vieler gebalsamten Leichen findet man auch ein Goldblechlein, welches ein wenig mehr wert ist als zwei Ungrische Goldgülden. Und darum brechen die Araber, welche in Ägypten wohnen, alle gebalsamten Leichen in Stücke, wiewohl sie in vielen nichts finden.
Dapper, Olfert
Umbständliche und Eigentliche Beschreibung Afrikas
Amsterdam 1670
Nachdruck: Stuttgart 1964