Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1588 - Samuel Kiechel
Steckengeblieben In der Cheops-Pyramide

Am 2. Juli [1588] wurde ich von einem alten Deutschen, der ein Renegat und Janitschar und schon dreißig Jahre im Lande war, in seine Unterkunft geführt. Dorthin kamen noch drei weitere deutsche Renegaten. Wir taten einen Trunk miteinander und waren lustig und guter Dinge, und ein Christ muß auf sich aufpassen, denn den Gesellen ist nicht allzu sehr zu trauen. Unter anderem besprachen wir, daß ich gerne die Pyramiden sehen wollte; weil es aber der Araber wegen sehr gefährlich ist, kann man unbewaffnet und ohne Begleitung dorthin nicht reisen. Ich scheute jedoch die Kosten, drei oder vier Janitscharen auf meine Spesen mitzunehmen, denn es war nicht mehr viel Geld in meiner Kasse. Aber einer von den deutschen Renegaten, der Goldschmied Michl Miller aus Straßburg, der erst vor drei Jahren zum Türken [Muslim] geworden war und eine griechische Christin zum Weib hatte, bot sich an, allein mit mir hinauszureiten, obwohl er vormals mit einigen Deutschen von Adel und anderen draußen gewesen war; da waren sie von den Arabern angegriffen und er selbst war nackt ausgezogen worden und der alte Janitschar, bei dem wir zechten, war schwer verwundet und ein Arm war ihm lahm geschlagen worden; ein Mohr, der bei ihnen war, wurde erstochen, so daß der alte Janitschar nicht mehr hinaus wollte. Aber er besorgte uns zwei Esel, und über Nacht blieb ich in des Janitscharen Haus.
   Am dritten Tag des Monats machten ich und der deutsche Renegat uns auf den Weg. Jeder zog alte zerrissene Hemden und Hosen an und einen alten schlechten Rock darüber. Der deutsche Türke aber setzte anstelle seines Turbans ein graues, spitzes Häublein auf, damit wir aussahen wie arme Nassrani oder orientalische Christen und der Besitzer der Esel nicht merkte, wer wir waren.
   Wir ritten von der alten Stadt Kairo bis an den Nil, dort ließen wir uns übersetzen. Wir konnten geradewegs weiterreiten, da der Nil noch nicht sehr hoch gestiegen war. Wenn er überfließt, muß man einen weiten Umweg machen und über viele Brücken reiten. Als wir eine Stunde lang geritten und nicht mehr weit von den Pyramiden entfernt waren, die etwa sechs Meilen vor der Stadt liegen, sahen wir etliche Araber ein Stück weit weg in einem Garten arbeiten. Einer von ihnen winkte uns zu, und wir ritten zu ihnen. Einer von ihnen - es waren ungefähr achtzehn - fragte uns, wohin wir wollten. Wir wiesen mit den Fingern auf die Pyramiden, die nahe vor uns lagen. Der Deutsche konnte wohl Türkisch, aber kein Arabisch. Wie uns später der Mann, dem unsere Esel gehörten, durch einen Dolmetscher berichten ließ, antwortete der Araber, wir könnten nicht dorthin, die Gegend wäre voller Räuber. Mein Gefährte durfte sich nicht anmerken lassen, daß er ein Türke war, denn dann wäre er ums Leben gekommen, weil die Araber der Türken größte Feinde sind.
   Ich gab dem Araber Brot, das er aber nicht annehmen wollte. Ich dachte, er würde anfangen, uns zu durchsuchen. An Geld hatte ich nur 10 Medin, wovon ich zwei für die Überfahrt über den Nil brauchte, ich fürchtete aber, daß wir Schläge bekommen würden, weil wir außer Brot und Fleisch ein großes Stück Schinken bei uns hatten, das bei ihnen streng verboten ist. Er forderte: »Ente flus«, was ich wohl verstand, nämlich daß er Geld haben wollte. Ich gab ihm zwei Medin in die Hand, doch weil er sich damit nicht zufrieden geben wollte, mußte ich ihm zwei weitere geben.
   Dann rief er zwei Araber, jeder trug eine Lanze oder einen langen Spieß; die begleiteten uns zu den Pyramiden. Auf dem Weg blieb ich ein wenig zurück, nahm das Schweinefleisch, und verscharrte es im Sand. Ehe wir nun in die Pyramiden einstiegen, gaben wir den drei Arabern alles, was wir für uns zu essen mitgenommen hatten.
   Im Umkreis von zwei Stunden Wegs stehen in dieser Gegend viele Pyramiden, doch unter allen ist diese die größte und schönste und ist eines der sieben Wunderwerke der Welt. Etliche meinen, die große Pyramide sei durch die Juden erbaut worden und zum Grab des Königs Pharao bestimmt gewesen. Weil der aber im Roten Meer ersoffen ist, wie im 2. Buch Mose im 14. Kapitel geschrieben steht, ist sein Körper nicht darin begraben worden.
   Die Pyramiden sind etwa in folgender Weise gebaut: Sie sind in einer Vierung errichtet, genau so breit wie lang. Einen Teil davon habe ich gemessen, von einer Ecke zur anderen ist sie gut 330 meiner Schritte lang. Daraus ist zu entnehmen, welchen Platz sie bedeckt und welch ein gewaltiges, von Menschenhand errichtetes Gebäude es ist. Die Pyramide wird von unten nach oben immer etwas kleiner und spitzer wie ein Diamant. Sie ist nicht mit Mörtel, Eisen, Klammern, Haken oder gegossenem Blei zusammengefügt, sondern aus behauenen Steinen frei aufeinandergesetzt. Man muß sich wundern, woher diese gewaltige Menge Steine gebracht worden ist, die von ferne mit einem hohen Berg zu vergleichen ist, denn ganz Ägypten ist ein sandiges und ebenes Land. Dazu sind es so erstaunlich große Steine, wie ich sie noch an keinem Bauwerk gesehen habe, daß ich mich fragen muß, wie sie hierher geschleift oder gebracht worden sind.
   Die Pyramide steht auf einem kleinen Hügel. Ich kann aber nicht sagen, ob es ein Fels ist, denn ringsherum ist tiefer Sand. Zwischen zwei Ecken hat sie in der Mitte einen kleinen Eingang. Als wir einige Schritt weit hineingegangen waren, schlugen wir ein Feuer, zündeten die Lichter an, die wir mitgenommen hatten, und gingen weiter. Die Araber warteten währenddessen vor dem Eingang.
   Wenn man ein wenig abwärts geht, sieht man zur rechten Hand ein finsteres Loch, das nach oben führt. Jetzt muß man sich noch mehr bücken. In diesem Loch flogen mir viele große Fledermäuse über den Kopf. In diesem Gang soll ein Marmorstein sein, bei dem man in einen anderen Gang gelangt, in dem man gut bis nach oben hinaufsteigen können soll. Weil wir das Loch aber weder kannten noch sahen und ich mich auf den verließ, der mit mir war, weil er mir zu verstehen gegeben hatte, er sei schon einmal hier gewesen, was aber nicht wahr war, gingen wir den Gang wieder zurück. Wir stiegen den geraden Gang immer weiter hinunter. Unten war er so voller Steine und dermaßen verfallen, daß wir einen guten Teil des Weges auf dem Bauch kriechen mußten. Nach langem Absteigen kamen wir zu einem engen Loch auf der rechten Seite, in das wir hineinkrochen, denn der andere Gang führte noch viel tiefer hinunter, es war aber mit Steinen, Sand und Staub so ausgefüllt, daß man nicht weiterkonnte. Das Loch, in das wir stiegen, war innen so eng, daß wir beide nur mühsam darin stehen konnten. Von dort begannen wir aufzusteigen wie in einem Kamin, denn es ging stracks wie eine Mauer viereckig in die Höhe. Es scheint so, als ob dieser Kamin in den Felsen hineingehauen sei, man hat von einem Tritt zum anderen kleine, eingeschlagene Löcher, so daß man sich mit den Zehen festhalten kann. Wir zogen uns bis auf das Hemd aus, denn in Kleidern und Schuhen war es unmöglich, aufzusteigen. Zudem war es an zwei Stellen so eng, daß ich mit dem Körper steckenblieb und eine gute Weile weder vorwärts noch rückwärts konnte. Sonst ist es immer gleich groß.
   Während man mit dem einen Fuß in das nächste Loch greift, muß man sich mit dem Rücken und dem Hintern anpressen und dann weiterrücken, weil man sich nirgendwo festhalten kann. Es war nicht nur eine sehr große Mühe und Arbeit, weil es zu dieser Zeit sehr heiß war, sondern auch weil hierher keine Luft und kein Licht kommen. Es vergeht einem alle Kraft, weil es ein ungesunder Ort ist. Zudem ist dieser Kamin ganz voll Staub und Sand und Wüste, denn gewiß ist seit vielen Jahren kein Mensch in dieses Loch gekommen. Wenn dem, der als erster hinaufsteigt, wenn ihm ein Fuß einschliefe, so schlüge er alle die, die unter ihm sind, herunter, so daß alle fallen müßten. So weit wie wir vom Eingang hinuntergestiegen waren, so hoch mußten wir in dem engen Loch wieder aufsteigen. Am mühsamsten ist, daß man in der einen Hand ein brennendes Licht mit sich tragen muß.
   Als wir hinaufgekommen waren, stiegen wir in ein kleines Loch ein und kamen in einen langen Gang, dem wir folgten, bis wir in ein finsteres, großes Gemach oder eine Kammer kamen, die mit schönem rotem Marmor bekleidet war und überzogen war. Dort waren sehr viele Fledermäuse, und es herrschte ein so fürchterlicher Gestank, daß ich nicht darin bleiben konnte. Als wir weitergingen, bemerkten wir zu beiden Seiten dieses Ganges schmale Stiegen, die Tritte nicht zwei Schuh lang, auch von rotem Marmor. Auf diesen Treppen kommt man weit nach oben. Erst dann kommt man zu dem Gemach, in dem das Grab des Pharaos sein soll. Da wir den Weg aber nicht kannten und es viele Gänge und Löcher gab, in denen man sich verirren konnte, so daß man darin sterben und verderben muß, vor allem, wenn das Licht auslöscht, und zudem die Araber vor dem Eingang ein häßliches Geschrei machten, kamen mich dermaßen Furcht und Entsetzen an, daß ich nicht weiter wollte und so das Grab des Pharao nicht sah. Ich verließ mich auf den deutschen Türken und glaubte, er wüßte Bescheid. Das war aber durchaus nicht so.
   Wie mir später von Leuten berichtet wurde, die die Kammer gesehen haben, ist es ein schönes, ganz mit poliertem roten Marmor ausgekleidetes Gemach. In dieser Kammer steht ein kunstvoll ausgehauener Stein aus einem Stück, ebenfalls aus poliertem Marmor, so fein, sauber und rein gearbeitet, als wäre er gegossen. Er hat Form und Gestalt eines Sarges und ist etwa neun Schuh lang, viereinhalb Schuh breit und mannshoch. Dieses Grab, so sagt man, habe der König Pharao bereits zu Lebzeiten von jüdischen Sklaven bauen und errichten lassen. Diese Pyramide als Weltwunder kann eigentlich nicht beschrieben werden, so gewaltig ist sie, und doch von Menschenhand erbaut.
   Obwohl wir nur mit großer Mühe durch das schon erwähnte Loch hinaufgekommen waren, war es noch viel gefährlicher, wieder hinunterzusteigen. Ich verzagte nahezu und wollte nicht der erste sein. Besonders fürchtete ich mich davor, durch die Enge zu kommen, in der ich beim Hinaufklettern steckengeblieben war. Also kletterte der deutsche Türke vorweg und ich hinterdrein, und wir kamen, Gott sei Dank! heil hinunter, obwohl mein Licht mehrmals verlosch.
   Nachdem wir ein wenig gerastet hatten, stiegen wir hinaus in den engen Gang und krochen wieder aufwärts. Das kam mich hart an, denn ich stieß mir die Knie und die Arme an den Steinen so sehr auf, daß ich völlig ermattet war und nicht mehr weiter konnte. Ich glaubte in dieser greulichen Hitze, in die weder Luft noch Licht hineinkamen, zu ersticken.
   Als wir wieder auf den guten Weg kamen, wo der Gang etwas weiter ist, und als ich heraussteigen wollte, sahen wir fünf Araber mit langen Spießen im Gang stehen, die schrien: »Flus, Flus, Geld her, Geld her!« Darüber brach mir erst recht der Schweiß aus und ich gab ihnen zur Antwort: »Halla mavis flus«, das heißt: Ich schwöre bei Gott, daß ich kein Flus oder Geld habe! Das war all mein Arabisch, das ich konnte. Nach langem Geschrei stiegen sie aus dem Gang hinaus. Ich folgte ihnen nach und war froh, daß ich wieder Luft bekam. Hätte ich länger drin bleiben müssen, ich glaube, ich wäre erstickt.
   Bevor ich wieder wegging, wollte ich auch von außen aufsteigen, um die Höhe dieser Pyramide kennenzulernen. Aber mein deutscher Türke war so matt und müde, daß er nicht mehr konnte. Er blieb bei den Arabern und dem Eseltreiber zurück. Man muß wissen, daß von den vier Seiten der Pyramide nur eine zu besteigen ist, und das ist die Seite nach Norden, denn die anderen drei sind durch Alter, Unwetter und Wind zum Teil verfallen.
   Es stieg mir ein junger Araber voraus, der viel schneller oben anlangte als ich. Ungefähr in der Mitte ist ein kleiner Absatz, der die halbe Höhe anzeigen soll. Von dort stieg ich den letzten Teil vollends hinauf, rastete aber unterwegs mehrere Male. Obwohl es von unten wegen der großen Höhe so aussieht, als wäre die Pyramide oben ganz spitz, ist dort doch ein viereckiger Platz, auf dem sicherlich fünfzig Personen nebeneinander stehen können.
   Die Steine sind immer stufenweise übereinandergesetzt, sie sind aber so hoch, daß man manche Stufen nur mit Mühe erreichen kann, und die niedrigsten sind eine Elle hoch. Es soll 230 Stufen geben, aber ich selbst habe sie nicht gezählt. Wenn man oben auf der Spitze steht und hinuntersieht, graut einem vor dieser Höhe. Kein Turm kann sich in der Höhe mit dieser Pyramide vergleichen. So hoch sie über der Erde aufragt, so tief soll sie auch in die Erde hineingebaut worden sein. Das beweisen die inneren Gänge ja zur Genüge, vor allem der, der vom Eingang gleich steil hinabführt. Gleich neben dieser Pyramide steht noch eine andere; sie ist jedoch nicht so hoch wie diese und außen so glatt, daß man nicht hinaufsteigen kann. Oben ist sie ganz spitz; man findet auch keine Tür und keinen Eingang daran. Man sagt, des König Pharaos Gemahlin liege in dieser Pyramide begraben. Wenn der König Pharao eines natürlichen Todes in seinem Palast oder in einer Stadt gestorben wäre, so hätte man seinen Körper in die Pyramide gelegt und den Eingang zugemauert, damit ihn niemand finden kann. Aber Gott hat das nicht gewollt und ihn im Roten Meer ersäuft.
   Oben von der Höhe sieht man noch viele kleine und große Pyramiden, aber keine ist so groß wie diese. Als ich mich zur Genüge umgesehen hatte, stieg ich langsam wieder hinunter und wunderte mich über den jungen Araber, der so bald unten war. Er sprang schnell und leichtsinnig von einer Stufe zur anderen, wo es mir schon beim Klettern graute.
   Als ich unten angekommen war, zeigte sich der Besitzer der Esel sehr unwillig darüber, daß ich so lange ausgeblieben war, denn er machte sich Sorgen um seine Tiere. Wir gingen den Hügel hinunter. Kaum waren wir auf das freie Feld gekommen, verlangte einer der Araber abermals Geld. Ich gab ihm ein altes, überflüssiges Taschentuch mit zwei Medin darin. Wie uns der Mann mit den Eseln später durch einen Dragoman oder Dolmetscher sagen ließ, haben die Araber ihn, als wir in der Pyramide waren, mehrmals gefragt, ob er nicht wisse, was für Leute wir seien und ob wir Geld bei uns hätten. Er aber hat uns in Schutz genommen und geantwortet, wir seien arme Christen und hätten nichts, wie an unseren zerrissenen Kleidern leicht zu erkennen sei.
   Die Araber begleiteten uns bis zu der Stelle, wo einer uns auf dem Hinweg angerufen hatten. Dort verließen sie uns und gingen zurück in ihren Garten zu ihren Gefährten. Wir aber setzten uns auf die Esel und ritten davon. Als wir ungefähr eine Viertelstunde geritten waren, kamen zwei Araber geradewegs über das Feld auf uns zu. Ich glaube wohl, daß sie zu den Schelmen gehörten, die im Garten gearbeitet hatten. Der eine von ihnen trug eine Lanze, der andere einen starken Knüttel. Als sie in unsere Nähe kamen, teilten sie sich. Der mit der Lanze ging auf meinen Gefährten zu, der andere auf mich. Sie bedeckten ihre Gesichter mit einem Ärmel ihrer Hemden und befahlen uns, von den Eseln herunterzusteigen. Der eine setzte meinem Gefährten den Spieß auf die Brust und verlangte Flus, Geld. Doch mein Gefährte nahte sich ihm und küßte ihm die Hand. Denn sobald man diesen Schelmen die Hand küßt, schlagen sie einen nicht so schnell. Mein Gefährte zog anschließend seinen Rock aus und warf ihm den zu. Aber der war nicht so gut, daß er ihn haben wollte, obwohl sie sonst nicht so leicht etwas verachten. Er mußte ihm auch noch das Hemd und die Hosen vorzeigen, die der Araber nach Geld durchsuchte; aber er fand nur einen ziemlichen Vorrat an Sand, Staub, Kot, Schweiß und Unflat. Er hatte nun in allen Kleidern nichts gefunden, das etwas taugte, mit Ausnahme eines blauen Leinentuchs, das mein Gefährte statt eines Gürtels umgebunden hatte; dies nahm er und kam dann zu mir. Da fand er einen ähnlichen Schatz von Staub und Dreck. Sobald ich den Rock geöffnet hatte, zerriß mein Hemd so sehr, daß er nicht mehr weitersuchen wollte. Ich hatte aber zwei Taschentücher mit einem Knoten zusammengebunden, und benutzte sie statt eines Gürtels. Er glaubte, in dem Knoten sei Geld, und ich mußte ihn deshalb öffnen. Als er aber nichts fand, nahm er das bessere der beiden Taschentücher, das schlechtere ließ er mir. Weil er nichts gefunden hatte, rief er: »Ru, ru!« Das heißt »fort« und ging, ohne uns zu schlagen, von dannen.
   Obwohl wir beide keine Messer oder Waffen bei uns trugen, hätten wir uns schon zugetraut, mit den beiden Räubern fertigzuwerden. Wir fürchteten aber, daß dann die anderen Araber über uns hergefallen wären, und da wäre kein Knochen davongekommen. Da wir wenig oder gar nichts nichts zu verlieren hatten, ließen wir ihnen ihr Vergnügen.
   Nachdem wir wieder aufgesessen und einen Büchsenschuß weit geritten waren, kamen uns die gleichen zwei Araber nachgelaufen und befahlen uns, wieder abzusteigen. Der eine nahm das Taschentuch, das er zuvor nicht gewollt hatte, und dann ließen sie uns weiterziehen.
   Als wir zum Nil kamen, säuberten und wuschen wir uns. Wir hatten noch zwei Medin für die Bezahlung der Überfahrt.
   Dann ritten wir in die Stadt zum Haus des Janitscharen, wo ich den Eselbesitzer bezahlte, meine zerrissenen Kleider ablegte und andere anzog. Dann führte ich meinen Gefährten, der mit mir draußen gewesen war, in das Haus der Goldschmiede, bei denen ich wohnte, und wir erquickten uns dort noch einmal. Die Goldschmiede waren sehr verwundert, daß ich allein mich zu den Pyramiden gewagt hatte.
   Von den Pyramiden aus hat man es nicht weit zu den Mumien. Weil man aber bei den Arabern, die sie in den Bazar in Kairo zum Verkauf bringen, täglich genug sieht, wollte ich nicht dorthin reisen, denn es ist sehr gefährlich. Zudem werden die Löcher, durch die man in die Gräber einsteigt, leicht vom Sand zugeweht.
   Diese Mumien sind tote Körper, die etliche hundert und oft mehr als eintausend Jahre im Sand gelegen haben und doch noch an allen Gliedern völlig unverwest sind. Das Fleisch ist sehr hart und pechschwarz. Sie sind kunstvoll in Leinwand gewickelt und gut balsamiert, damit sie nicht faulen und nicht übel riechen. Die Körper sind ganz ausgeweidet, und in ihnen wird oft ein Tierlein, in einem anderen ein Vogel und in einem dritten ein Bildchen gefunden. Manchmal sind sie aus Silber gefertigt, oft aus Messing, Kupfer, Eisen, teilweise aus Gold und anderen Metallen. Weil diese Personen Heiden gewesen sind und viele und verschiedene Abgötter gehabt haben, sagt man, man habe ihnen das Tier, an das sie zu Lebzeiten geglaubt haben, nach dem Sterben und Ausweiden in den Leib gesteckt und sie dann im Sand verscharrt.
   Es kommt vor, daß man in Kairo ganze Personen kaufen kann.
   So viel von den Pyramiden und den Mumien.
   
Die Reisen des Samuel Kiechel
Aus drei Handschriften; herausgegeben von K. D. Haszler
Stuttgart 1866

Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende in Ägypten 2200 v. Chr. – 2000 n. Chr.
Wien 2001

Reiseliteratur weltweit - Geschichten rund um den Globus. Erlebtes und Überliefertes aus allen Teilen der Welt. Entdecker – Forscher – Abenteurer. Augenzeugenberichte aus drei Jahrtausenden. Die Sammlung wird laufend erweitert – Lesen Sie mal wieder rein!