Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

Um 460 vor Chr. - Herodot
Über die Mumien

Totenklage und Bestattung geht bei den Ägyptern folgendermaßen vor sich: Immer, wenn ein Mensch aus bedeutendem Haus verscheidet, der für dieses Haus von Bedeutung war, beschmieren sich sofort alle Frauen des Haushalts den Kopf oder das Gesicht mit Kot. Sie lassen den Toten im Haus, schweifen selbst aber in der Stadt umher und schlagen sich; dabei sind sie kurz geschürzt und lassen die Brüste sehen. Auch die Männer schlagen sich, ebenfalls kurz geschürzt. Erst wenn sie das getan haben, bringen sie ihn zum Einbalsamieren.
   Dafür gibt es besondere Leute, die sich darauf verstehen. Bringt man einen Toten zu ihnen, zeigen sie Musterbilder von Toten als Malerei auf Holz und sagen (seinen Namen zu nennen halte ich nicht für erlaubt), dieses sei die die erste und kostbarste Art, zeigen auch eine zweite, geringer im Preis, und eine dritte, die am billigsten ist. Dann lassen sie sich von den Leuten sagen, nach welcher Art sie ihren Toten behandelt haben wollen. Ist man sich über den Preis einig, gehen Einige wieder fort. Die anderen bleiben im Haus und balsamieren die Leiche. Auf die teuerste Art geht das so: Zuerst wird ein Teil des Gehirns mit einem krummen Eisen durch die Nasenlöcher herausgezogen und dann künstliche Mittel hineingegeben. Dann wird mit einem scharfen äthiopischen Stein ein Einschnitt in die Weiche gemacht und die Bauchhöhle ausgenommen. Sie wird gereinigt und mit Palmwein getränkt und es werden zerriebene Spezereien hineingegeben. Dann füllen sie noch den Bauch mit reiner geriebener Myrrhe, mit Kasia und sonstigem Räucherwerk außer Weihrauch, und nähen ihn wieder zu. Dann legen sie den Toten in Natron, worin er siebzig Tage lang bleibt; länger darf es nicht dauern. Sind diese siebzig Tage vorüber, so wird die Leiche gewaschen und am ganzen Leib mit Bändern aus feinem Leinenzeug umwickelt. Sie streichen auch Gummi auf, das bei den Ägyptern als Leim dient. Dann nehmen die Angehörigen die Leiche in Empfang und lassen sich ein hölzernes Menschenbild machen, in das sie den Toten betten; und so eingeschlossen bewahren sie ihn auf in einer Grabkammer, in der das Bild  aufrecht an der Wand steht.
   Die mittlere Art für die, die Kosten scheuen, ist so: Klistierspritzen werden mit Zedernöl gefüllt; damit wird die Bauchhöhle gefüllt, ohne dass der Tote aufgeschnitten oder die Eingeweide herausgenommen werden. Das Klistier wird am Gesäß eingeführt und das Öl am herausfließen gehindert. Dann legen sie ihn die festgelegte Anzahl von Tagen ein und entfernen dann das Zedernöl. Das hat eine solche Kraft, dass es die Eingeweide aufgelöst hat und nun mit herausspült. Das Fleisch wird vom Natron aufgelöst, so dass von dem Toten nur Haut und Knochen bleiben. Wenn das getan ist, geben sie den Toten ab, ohne sich weiter mit ihm zu beschäftigen.  
   Die dritte Art der Einbalsamierung für die Minderbemittelten ist wie folgt: In die Bauchhöhle wird Reinigungsmittel gegeben, dann wird die Leiche siebzig Tage eingelegt, und dann tragen ihn die Angehörgen fort.
   
Herodot's von Halikarnaß Geschichte, übersetzt von Adolf Schöll
Stuttgart 1828

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