1843 - Sophia Lane-Poole
Im Harem des Vizekönigs Mohammed Ali
Kairo
Den ehrenvollen Empfang und die ausgesuchte Behandlung, die mir im Harem des Paschas zuteil wurden, kann ich gar nicht eingehend genug beschreiben. Die Hauptresidenz der Damen ist der Kasr ed-Dubarah, ein schönes Gebäude im Westen von Kairo auf dem Ostufer, und zu Recht ihr Lieblingswohnsitz.
Nach einem Ritt durch die Pflanzungen von Ibrahim Pascha, die den Palast fast ganz umgeben, kamen wir an den großen Toren des Kasr an, hinter denen wir auf einen langen Weg kamen. Er lief innerhalb hoher Mauern und weinberankter Gittern. Am Ende der Straße stiegen wir von unseren Pferden und gingen auf mehreren Wegen mit wunderbarem Marmorpflaster, bis wir zum Vorhang des Harems kamen. Der Vorhang hob sich, und wir wurden gleich von einer jungen Ehefrau von Mohammed Ali empfangen, die meine Freundin Mrs. Siedler überaus freundlich anredete und uns beide sehr herzlich willkommen hieß. Im Nu versammelte sich eine Gruppe von Damen um uns herum, die sich gegenseitig in ihrer Aufmerksamkeit uns gegenüber überboten. Nachdem ich abgelegt hatte, geleiteten sie uns, die Gattin des Vizekönigs voran, in den großen Salon.
Dies ist ein überaus prächtiger Raum, mit einem Fußboden aus Marmor wie ihn auch alle Flure und, so denke ich, auch alle privaten Räume im Ergeschoß haben; aber da viele ganz mit Matten bedeckt sind, kann ich das nicht mit Bestimmtheit sagen. Der Fußboden im Salon ist einfach weißer Marmor, der schönste und am sorgfältigsten verlegte, den ich im Orient gesehen habe. Die Decke, in vier deutlich voneinander abgesetzte, längliche Fächer unterteilt, ist wunderbar in dunkel- und hellblauen Tönen gehalten, die von vergoldeten Mittelpunkten ausstrahlen, in deren Mitte höchst prächtige Kronleuchter mit einer unzähligen Anzahl von Kerzen hängen. Ecken und Winkel sind reich geschmückt. Der Marmorfußboden der zwei mittleren Räume ist unbedeckt, aber am rechten und linken Ende, vom Eingang aus gesehen, mit Matten bedeckt und mit karmesinroten Sofas ausgestattet.
An den Fenstern hängen weiße Gardinen aus Musselin mit farbigen Rändern, manche rosa, manche blau. Alle Spiegel, von denen es etwa sechs im Salon gibt, sind mit Stoffgirlanden und Tüchern aus rosa und blauer Gaze drapiert.
Ein Tisch ist mit rosa Crepe mit aufgestickten Goldstreifen bedeckt, und darauf steht ein großer Glaskasten mit ausgestopften Vögeln. An jeder Seite der Tür befinden sich geschmückte Lampenständer mit großen, viereckigen Glaslaternen; sie bestehen aus kleinen Säulen, um die sich künstliche Blumen ranken. Die Fenster sind der Form nach europäisch, und die Haremsgitter bestehen aus geschmackvollem Schmiedeeisen. Filigran kann man es nicht nennen, dafür ist es zu dick. Die gesamte Innenausstattung ist leicht und sommerlich gehalten und der Salon ist zauberhaft kühl.
Wir gingen hinüber in einen Raum auf der anderen Seite, wo die Dame uns auf das Sofa bat und sich neben uns setzte. Dieser Raum war ganz mit Matten bedeckt und mit sehr üppigen Sofas an drei Wänden bestückt. Sie waren nicht, wie üblich, durch ein Untergestell um einen Fuß oder mehr erhöht, sondern bestanden nur aus Baumwollpolstern von zwei Fuß Dicke, die auf dem Boden lagen. Sie waren bedeckt mit fröhlich buntem Chintz, ebenso die Kissen, die gegen die Wand lehnten. In den Ecken links und rechts lagen auffallende viereckige Polster in weißem Musselin, mit schwarzen Borten bestickt, und entsprechenden Rückenkissen. Dazu gab es noch eine Reihe von kleinen Kissen aus weißem Musselin und in schwarz bestickt, die im Muster den Eckpolstern entsprachen. Die Vorhänge waren ähnlich wie die im Salon. Hier wurde uns von der ersten Dame des Haushalts Kaffee serviert, der Schatzmeisterin, einer besonders damenhaften Person, der der Kaffee auf einem Silbertablett von einer Dame gereicht wurde, die von mehreren anderen bedient wurde. Eine trug eine kleine Kaffeekanne in einem silbernen Gefäß, das an Ketten hing und auch als Räuchergefäß diente; es enthielt brennende Holzkohle. Alle in dieser Gruppe sahen sehr malerisch aus, und viele der Damen waren hellhäutig, jung und schön.
Die Gattin des Pascha schlug dann vor, in den Salon zurückzukehren, damit sie uns zur Witwe Tusun Paschas und zur Tochter Mohammed Ali Paschas geleiten könnte, die am oberen Ende saßen. Erstere saß auf einem Polster in der Nähe der rechten Wand auf dem Boden, und die Tochter des Vizekönigs nahm den Ehrenplatz ein, der auch aus einem Polster auf dem Boden bestand. Zahlreiche Damen und Sklavinnen standen zur Bedienung bereit, alle an der Kante der Matten aufgereiht.
Bald kam eine andere Ehefrau des Paschas dazu, die Mutter von Mohammed Ali Bei, einem Jungen von ungefähr neun Jahren. Sie wird die »Herrin, Mutter von Mohammed Ali Bei« genannt.
Es wäre gegen die Etikette und gegen Haremsregeln, die Ehefrauen des Paschas oder irgendeine andere Dame, die ich mit Namen oder in ihrer Stellung innerhalb ihrer Familie kenne, eingehend zu beschreiben. Aber ich kann meine allgemeine Bewunderung für die zwei Damen, die ich gesehen habe, ausdrücken; ich glaube, sie sind die einzigen Ehefrauen des Vizekönigs. Beide sind jung, die eine würdevoll und gut aussehend, die andere besonders sanft und sehr lieblich.
Kurz nach zwölf Uhr wurde angekündigt, daß das Essen bereit sei. Die Witwe von Tusun Pascha führte uns einen benachbarten Raum, wo ein Mahl sehr elegant auf einem immens großen Silbertablett angerichtet war, das auf einem Hocker stand und von Polstern und Kissen umgeben war. Die Flure, durch die wir kamen, waren voll mit unzähligen schwarzen Sklavinnen und ein paar Eunuchen, die in der ganzen Vielfalt der bunten orientalischen Trachten gekleidet waren und einen merkwürdigen Kontrast zu den und einen denkbar malerischen Hintergrund für die Damen und weißen Sklavinnen bildeten, die um uns herum waren und uns begleiteten. An beiden Seiten der Tür standen mehrere Damen, jede mit einem bestickten Tuch über dem rechten Arm, die silberne Krüge und Schalen hielten, damit wir unsere Hände wuschen, bevor wir zur Tafel schritten. Niemand außer der Witwe Tusun Paschas, der Mutter von Mohammed Ali Bei, uns beiden und einer Dame von großer Bedeutung im Orient, der Amme Abbas Paschas, war bei Tisch zugelassen. Der Platz der jüngeren Ehefrau blieb leer.
Das Tablett war bedeckt mit kleinen Silberschüsseln, die mit den verschiedensten Cremes, Gelees usw. gefüllt und höchst geschmackvoll mit Blumen garniert waren. In der Mitte lag eine Lammschulter auf gewürztem Reis. Jetzt war ich wirklich froh, daß wir zu Hause orientalisch lebten, denn sonst wäre es ein größeres Problem gewesen, ein Stück Fleisch ohne Messer und Gabel zu essen. Ich konnte ja nicht voraussehen, daß die Witwe von Tusun Pascha, die auch die Mutter von Abbas Pascha ist und als älteste die wichtigste Person bei Tisch war, mir die Ehre erweisen würde, eigenhändig mir fast jeden meiner Bissen zuzureichen. Die Mutter von Mohammed Ali Bei zeichnete Mrs. Siedler in der gleichen Weise aus.
Dem Lamm folgte gekochtes Fleisch, dem gekochten Fleisch Gemüse, dem Gemüse würzige Cremes etc. Es gab eine unendliche Vielfalt. Jedes Gericht wurde entfernt und durch ein neues ersetzt, wenn es auch vielleicht nur kurz gekostet worden war.
Süßspeisen, sehr köstlich zubereitet, kamen in schneller Folge, bis auf wenige Ausnahmen in Silberschüsseln angerichtet. Damen mit Fliegenwedeln standen bereit, und hinter ihnen bildeten etwa dreißig bunt gekleidete Mädchen und Frauen, viele von großer Schönheit, einen Halbkreis; die an der Tür hielten große Silbertabletts, auf die schwarzen Sklavinnen draußen die Gerichte stellten, um die Tafel während des ganzen Essens zu ergänzen.
In den Häusern der Adligen ist schwarzen Sklavinnen nicht erlaubt, Räume zu betreten, in denen sich Gäste befinden. Aber schwarze Eunuchen findet man immer im Zentrum des Harems, sofern sie von ihren Herren sehr geschätzt werden.
Wenn mir die Witwe Tusun Paschas einen Bissen reichte, sagte sie »Im Namen Allahs«, und diese Worte sagt jeder Muslim, bevor er ißt oder trinkt. »Allah sei Dank« ist das Tischgebet danach.
Es gibt eine besonders angenehme Sitte im Orient: Es kann jeder die Tafel verlassen, sobald er mit dem Essen fertig ist. Für einen Europäer ist das wirklich eine Erleichterung, denn die Gerichte sind so zahlreich, unterschiedlich, und nahrhaft.
Auch in den kleinsten Bewegungen der Damen des Orients zeigt sich eine besondere Anmut; es war hübsch zu beobachten, wie uns die silbernen Krüge und Schalen gereicht wurden, als wir uns vom Essen erhoben. Nach uns gingen die hochrangigsten Damen zu Tisch, und danach, nehme ich an, weitere, je nach Rang, bis alle gegessen hatten.
Wir gingen in den Salon zurück, wo die jüngere Gattin des Pascha zu uns kam; Unpäßlichkeit hatte sie gehindert, mit uns zu essen.
Sie lud mich ein, den Kasr ed-Dubarah wieder zu besuchen, und lud mich auch zu einem großen Fest ein, das zur Feier einer wichtigen Hochzeit stattfinden wird, bevor ich dieses Land verlasse. Die Fantasia, versicherte sie mir, würde die prächtigste, die man überhaupt veranstalten könne. Bald kann ich dir den Namen der Braut mitteilen. Sie hat ihn mir gesagt, aber ich darf nicht darüber sprechen, bevor der Hochzeitstag festgelegt ist. Es ist ein ägyptisches Staatsgeheimnis!
Im Harem des Pascha gibt es viele wunderschöne Frauen, und viele hübsche junge Mädchen, manche nicht älter als zehn Jahre. Die türkischen Damen, die Zirkassinnen und Georgierinnen sind sehr hellhäutig. Und ich muß insbesondere eine erwähnen, die besonders schön war und prächtiger gekleidet als die anderen. Sie kam erst in den Salon, als das Essen bereit war, und ihre Erscheinung war sehr anziehend. Ihre lange Weste und Hosen waren aus dicker, pflaumenfarbiger Seide, und die zurückhaltende Farbe ihrer Kleidung verstärkte den brillanten Effekt von mehreren kostbaren Schmückstücken aus Diamant. Ihr Kopfputz war sorgfältig arrangiert, und größere Diamanten waren reichlich in einem dunklen Seidenkopftuch verteilt.
Nachdem ich darum gebeten hatte, daß mir mein Reitmantel gebracht würde, kamen mehrere Damen auf mich zu. Die eben beschriebene Dame war eine davon, und sie trug den Reitmantel und wirkte wie eine Königin, sowohl in der Haltung wie auch in der Kleidung. Sie legte ihn mir mit viel Anmut an, Dann trat sie unter die Eingangstür, um mit uns Abschiedsgrüße auszutauschen.
Eins habe ich vergessen, nämlich die karmesinroten bestickten Vorhänge, die vor allen Durchgängen im Palast hängen. Denn die Türen stehen offen, weil geschlossene Türen im Harem nicht erlaubt sind. Die Innenausstattung des Kasr ed-Dubarah zeigt wirklich vollendeten Geschmack.
Lane-Poole, Sophia
The Englishwoman in Egypt
London 1844
Übersetzung: U: Keller
Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende in Ägypten 2200 v. Chr. – 2000 n. Chr.
Wien 2001