1842 - Ida Pfeiffer
In Kairo
Das Gewühl, die Lebhaftigkeit und Geschäftigkeit in den Straßen Kairos ist unerhört, ja, was doch gewiß sehr viel sagen will, die belebtesten Städte Italiens halten keinen Vergleich mit ihm aus.
Dazu sind viele Straßen so eng, daß, wenn sich beladene Kamele begegnen, die einen immer in ein Seitengäßchen geführt werden müssen, um die andern vorbeizulassen. In diesen engen Gassen begegnet man stets einem Schwall von Menschen, daß man wirklich bei jedem Schritt in großer Angst schwebt und gar nicht begreifen kann, wie man da durchzudringen vermag. Aus diesem Menschenknäuel ragen Reiter zu Pferd und zu Esel allenthalben heraus, und letztere erscheinen abermals als Pygmäen gegen die hohen, stolzen Kamele, die selbst unter ihrer schweren Bürde die stolze Haltung nicht verlieren. Die Menschen schlüpfen oft unter den Köpfen dieser Tiere durch, und die Reiter drängen sich knapp an die Häuser, und durch dieses Gewirre windet sich wunderbar die Masse der vielen Fußgeher, die Wasserträger, die Verkäufer, die vielen Blinden, welche ihren Weg mit einem Stock suchen und einen Korb mit Obst, Brot und anderen Lebensmitteln zum Verkauf auf dem Kopfe tragen; die zahllosen Kinder, die teils in den Gassen umherlaufen, teils an den Häusern sitzen und spielen, und endlich die ägyptischen Damen, welche hier ebenfalls alle Besuche zu Esel abmachen und mit ihren Kindern und Negerinnen im Zuge daherkommen. Hierzu denke man sich noch das Ausrufen der Verkäufer, das Geschrei der Treiber und der Ausweichenden, das Geheul der ängstlich fliehenden Weiber und Kinder, das Gezänke, das sich oft dazwischen erhebt, und die ohnehin außerordentliche Lebhaftigkeit und laute Geschwätzigkeit dieses Volkes, und man kann sich einen Begriff davon machen, wie einem Fremden dabei zumute ist. Bei jedem Schritt war ich in Todesangst, und wenn ich des Abends nach Hause kam, fühlte ich mich ordentlich unwohl; da ich aber sah, daß doch nie ein Unfall geschah, gewöhnte ich mich endlich auch daran und folgte meinem Führer unbesorgt durch das ärgste Gewühl.
Die Straßen oder besser gesagt die Gassen Kairos werden täglich einige Male mit Wasser begossen; auch sind überall Brunnen und große Gefäße mit Wasser zum Gebrauch für die Vorübergehenden angebracht. Die breiten Gassen sind mit Strohmatten überdeckt, um die Sonnenstrahlen aufzuhalten.
Die Tracht der Vornehmen ist die orientalische, nur haben die reichen Frauen den Kopf und das Gesicht in ein weißes, leichtes Musselintuch gehüllt; den Körper umgibt eine Art Mantille von schwarzem Seidenstoff. Dies verschafft ihnen ein sonderbares Aussehen. Wenn sie so daherritten, der Wind sich in dem Kleid fing und es auseinanderteilte, da sahen sie gerade aus wie Fledermäuse mit ausgespannten Flügeln.
Von den Franken tragen sich viele orientalisch, die Fellahs gehen beinahe nackt, und ihre Weiber haben nichts als das blaue Hemd an.
Die Vornehmen und Reichen sieht man wie im ganzen Morgenlande immer nur zu Pferde; doch gefielen mir die ägyptischen Pferde nicht so gut wie die syrischen, sie kamen mir nicht so schlank und fein gebaut vor.
Die Einwohner, deren Zahl bei 200.000 betragen soll, bestehen aus Arabern, Mamelucken, Türken, Berbern, Negern, Beduinen, Christen, Griechen, Juden und so fort. Alle - Dank sei es dem mächtigen Arme Mehmed Alis! - wohnen friedlich untereinander.
Häuser zählt Kairo 25.000; sie sind aber ebenso garstig und unregelmäßig wie die Gassen. Meist aus Lehm, ungebrannten Ziegeln oder Steinen erbaut, haben sie enge, kleine Einlaßpförtchen und unregelmäßig angebrachte Fenster, die mit hölzernen, dem Auge undurchdringlichen Gittern versehen sind. Im Innern aber herrscht, wie zu Damaskus, Pracht und Luxus, nur nicht in so hohem Grade; auch fehlt der Reichtum an frischem Wasser.
Am häßlichsten ist das Judenviertel, die Häuser sind schmutzig, die Gassen so schmal, daß sich gerade nur eine Person an der andern vorbeidrängen kann.
Die ganze Stadt ist mit Mauern und Türmen umgeben, von einem Kastell beschützt und in viele Quartiere geteilt, die durch Tore, welche nach Sonnenuntergang geschlossen werden, voneinander abgesondert sind. Auf den Höhen um Kairo liegen einige Schlösser aus der Zeit der Sarazenen.
Als ich kreuz und quer in der Stadt herumritt, hielt mein Führer plötzlich an, kaufte eine Menge Brot und bedeutete mir, ihm zu folgen. Ich dachte, in eine Menagerie geführt zu werden, in welcher er dieses Brot den Tieren vorwerfen würde.
Wir traten in einen Hof, um welchen zu ebener Erde Fenster liefen, die durch eiserne Stäbe fest verwahrt waren. Als wir zum ersten kamen, warf mein Diener ein Stück Brot hinein; wer stellt sich aber mein Entsetzen vor, als statt eines Löwen oder Tigers ein alter, abgemagerter, ganz nackter Mensch hervorstürzte, das Brot gierig aufraffte und mit dem größten Heißhunger verzehrte. Ich befand mich im Narrenhause! - In der Mitte dieser dunklen, unreinen Löcher ist ein Stein befestigt, von welchem zwei eiserne Ketten auslaufen, an denen einer oder zwei dieser Unglücklichen mittels eines eisernen Halsringes angeschmiedet sind. Da starren sie heraus, das Gesicht gräßlich verzerrt, Haare und Bart struppig und verwildert, der Körper abgemagert, das Mark des Lebens vertrocknet. In diesen unreinen, stinkenden Ställen bleiben sie, bis sich Gott ihrer erbarmt und sie durch den Tod dieser schmachvollen Ketten, die die Armen an solch ein schauderhaftes Leben fesseln, entledigt. Geheilt wurde noch keiner. Diese Behandlung ist wohl nur geschaffen, einen halbverrückten Menschen vollends wahnsinnig zu machen. Und die Europäer loben Mehmed Ali! Ihr armen Wahnsinnigen, ihr armen Fellahs, stimmt ihr auch mit ein in dieses Lob?
Von diesem Schreckensort weg, führte mich mein Dragoman zu dem Brunnen Josufs, der außerordentlich tief in Felsen gehauen ist. Über zweihundertundsiebzig Stufen war ich hinabgestiegen und doch erst zur halben Tiefe des Riesenwerkes gekommen. In die zweite Hälfte sah ich hinab. Es wurde mir ordentlich schwindlig dabei.
Der neue Palast Mehmed Alis ist ziemlich hübsch, die Einrichtung größtenteils europäisch. Die Zimmer, man kann sagen die Säle, sind ungemein hoch und zierlich ausgemalt oder mit Seidenstoffen, Tapeten usw. bekleidet. Große Wandspiegel vervielfältigen die Gegenstände, herrliche Diwane sind an den Wänden angebracht, und wunderschöne Tische, einige von Marmor, andere von eingelegter Arbeit oder mit Prachtgemälden verziert, stehen in den Zimmern, in deren einem ich sogar ein Billard fand. Der Speisesaal gleicht ganz einem europäischen. In der Mitte steht ein großer Tisch, an der einen Wand zwei Kredenzkästen, an der andern schöne Sessel. In einem der Zimmer hing ein Ölgemälde, das Bildnis seines Sohnes, des Ibrahim Pascha.
Dieser Palast ist von einem kleinen Garten umgeben, der sich aber weder durch besondere Gewächse noch durch schöne Anlagen auszeichnet. Die Aussicht von einigen Zimmern sowohl als auch vom Garten aus ist wunderschön.
Gegenüber dem Palast wird eine große Moschee gebaut, welche sich Mehmed Ali als Grabesstätte errichten läßt. Vermutlich muß er noch auf manches Lebensjahr rechnen, denn noch viel und lange muß gearbeitet werden, um diesen schönen Bau zu vollenden. Die Säulen und Wände der Moschee sind mit dem schönsten gelblichweißen Marmor bekleidet.
Die genannten Bauten, nämlich der Josufs-Brunnen, der Palast samt Garten und die Moschee, nebst einem Kastell stehen auf einem hohen Fels, zu welchem von Kairo aus nur eine einzige breite Straße führt. Hier übersieht man ein dreifaches Meer: von Häusern, vom ausgebreiteten Nil und von Sand, auf welchem die hohen Pyramiden in der Ferne wie einzelne Nadeln stehen. Das Gebirge Mokattam schließt den Hintergrund, und eine Menge der herrlichsten Gärten und Dattelhaine umgibt die Stadt. Mit einem Blick übersieht man die grellsten Gegensätze. Die üppigste Natur umschließt die Stadt gleich einem Kranze, darüber hinaus sieht man die einförmige Wüste. Die Farbe des Nils ist gerade so wie jene des Sandes, welcher seine Ufer bildet und die Abstufung daher unmerklich.
Auf dem Rückweg begegnete ich vielen Fellahs, die ganze Körbe voll Datteln trugen; ich ließ gleich einen davon anhalten, um diese Götterfrucht zu kaufen. Leider waren sie aber noch unreif, hart, von Farbe ziegelrot und schmeckten so schlecht, daß ich nicht eine genießen konnte. Erst acht oder zehn Tage später gab es reife. Diese hatten die braune Farbe der getrockneten, die zarte Haut ließ sich leicht abstreifen, und sie behagten meinem Geschmacke besser als die getrockneten, weil sie fleischiger und nicht so süß sind wie diese. Eine noch viel köstlichere Frucht, die edelste in Syrien und Ägypten, ist die Banane, die beinahe feiner schmeckt als Ananas und deren Fleisch so zart ist, daß es im Munde zerfließt. Diese Frucht läßt sich nicht trocknen, man kann sie daher nicht ausführen. Zuckermelonen und Pfirsiche gibt es im Überfluß, sie waren aber nicht sehr schmackhaft. Die Weintrauben fand ich in Alexandrien besser.
Die Bazare, die wir von allen Seiten durchritten, zeigten gar nichts Besonderes an Stoffen oder eigentümlichen Kunst- und Naturprodukten.
Ich brachte im ganzen acht Tage in Kairo zu und benützte diese Zeit von frühmorgens bis abends zur Beschauung der Merkwürdigkeiten.
Von Moscheen besah ich nur zwei, jene des Sultan Hassan und die des Sultan Amru. Um in erstere zu gelangen, mußte ich meine Schuhen ausziehen und in den Strümpfen über den mit großen Steinplatten gepflasterten Hof schreiten. Die Steine waren von der großen Hitze so glühend, daß ich laufen mußte, um mir die Fußsohlen nicht zu verbrennen. Über die Schönheit des Baues kann ich kein Urteil fällen, er ist zu einfach, als daß ein Nichtkenner die Schönheiten desselben herausfinden könnte. Die Moschee des Sultan Amru gefiel mir besser, sie hat mehrere Hallen, die durch viele Säulen gestützt werden. Nach meiner Ansicht dürften die Moscheen in Kairo aus einer älteren Zeit herrühren und ein ehrwürdigeres Ansehen haben als jene zu Konstantinopel, welche mir dagegen eleganter und großartiger vorkamen.
So besuchte ich auch die Insel Roda, die gewiß den Namen eines der schönsten Gärten verdient. Sie liegt Alt-Kairo gegenüber im Nil und soll ein Lieblingsspaziergang der Städter sein. Ich war jedoch zweimal dort und traf niemanden. Der Garten ist groß und enthält alle Gattungen tropischer Gewächse; hier sah ich das Zuckerrohr, das so ziemlich das Ansehen eines türkischen Maiskornstammes hat; die Baumwollstaude, die fünf bis sechs Schuh hoch wächst; die Banane, die kurzstämmige Dattelpalme, den Kaffeebaum usw. Von Blumen erblickte ich ebenfalls eine Menge, die man bei uns nur mit großer Sorgfalt im Treibhaus erzielt. Diese gesamte Pflanzenwelt ist äußerst sinnig geordnet, schön gehalten und prangt in einer Frische sondergleichen. Die ganze Insel wird nämlich durch künstliche Kanäle des Abends unter Wasser gesetzt, was in Ägypten bei allen Pflanzungen der Fall ist, sonst wäre es bei dieser Hitze wohl nicht denkbar, daß alles so herrlich, frisch und grün gedeiht. Die Sorge und Aufsicht über diesen Feenhain ist einem deutschen Ziergärtner anvertraut, was ich leider zu spät erfuhr, sonst würde ich ihn aufgesucht und über manches um eine Erläuterung gebeten haben.
In der Mitte des Gartens steht eine schöne Grotte, welche von außen und innen mit den verschiedensten Muscheln des Roten Meeres überkleidet ist und einen überraschenden Eindruck macht. An dieser Stelle, zu der mehrere Wege führen, die sämtlich statt mit Sand mit kleinen Muscheln bestreut sind, soll Moses im Binsenkörbchen gefunden worden sein. Gleich am Garten befindet sich eine Sommerwohnung Mehmed Alis.
Die Zisterne, in welche Joseph von seinen Brüdern versenkt wurde, findet man ungefähr eine Stunde außerhalb der Stadt, in einem Dorf an dem Weg nach Suez. Eine Viertelstunde davon wies man mir in der Mitte eines Haines von Orangen und Zitronen eine ungemein große alte Sikomore, unter welcher die Heilige Familie auf ihrer Flucht der Ruhe genoß, und eine Viertelstunde hiervon entfernt befindet sich der Garten des Boghos Bey, in dessen Mitte einer der größten und schönsten Obelisken Oberägyptens, noch ganz gut erhalten und mit Hieroglyphen bedeckt, steht. Der Garten ist übrigens unbedeutend. In der Nähe soll Heliopolis gestanden sein; gegenwärtig sieht man nicht die geringste Spur davon.
Diese Partie liegt zum Teil schon in der Wüste. Anfangs zieht sich wohl die Straße durch Alleen und an Gärten vorüber, dann aber dehnt sich, während man sich links noch immer an schöne Orangen- und Zitronenhaine hält, rechts die unübersehbare Wüste aus. Hier begegnet man fortwährend ganzen Karawanen von Kamelen; Dromedare sind dagegen eine höchst seltene Erscheinung.
Pfeiffer, Ida
Reise in das Heilige Land
Wien 1995; Originalausgabe Wien 1844