Um 1517 - Leo Africanus
Über die Einwohner von Kairo
Die Kairiner sind gewöhnlich sehr artige Leute, gute Gesellschafter, lustig, freigiebig im Versprechen und karg im Halten des Versprochenen. Sie beschäftigen sich mit dem Handel und mit den Künsten, verlassen aber ihr Land nie. Viele studieren Gottes- und Rechtsgelehrtheit, aber sehr wenige die philosophischen und schönen Wissenschaften. Obgleich die Kollegien immer von Schülern voll sind, so ist doch die Anzahl derer, die etwas Rechtes lernen, gering.
Die Kairiner gehen gut gekleidet, im Winter tragen sie Wolltuch und mit Baumwolle gesteppte Kleider; im Sommer große Hemden von feiner Leinwand, und darüber ein anderes leinenes, mit buntfarbiger Seide gesticktes Kleid oder auch Camelot [Kammgarngewebe]. Den Kopf bedecken sie mit großen Turbanen von indischem Flor. Die Frauenspersonen sind reich gekleidet und sehr prächtig mit Juwelen geschmückt: diese tragen sie in Kränzen über der Stirn und um den Hals. Auf dem Kopf haben sie Hauben von großem Wert, die eng und lag wie eine Röhre und eine Spanne hoch sind. Ihre anderen Kleider sind Weiberröcke von allerlei Art, mit engen Ärmeln, feiner Arbeit und schöner Stickerei. Darüber hängen sie Tücher von dem feinsten und glänzendsten ostindischen Baumwollzeug. Über dem Gesicht haben sie einen Schleier, der schwarz und äußerst subtil, aber doch etwas rauh ist, und aus Haaren verfertigt zu sein scheint: dadurch können sie andere sehen, aber nicht selbst gesehen werden. an den Füßen haben sie Halbstiefel und sehr schöne türkische Schuhe. Sie sind der Pracht und dem Stolz so sehr ergeben, daß keine spinnen, nähen oder kochen mag. Deswegen muß der Mann alle Sachen gekocht von den Garküchen nehmen; nur die, die eine zahlreiche Haushaltung haben, lassen zu Hause kochen. Diese Frauen haben ein großes Ansehen und große Freiheit; wenn der Mann in seine Bude [sein Geschäft] gegangen ist, so kleidet sich die Frau an und parfümiert sich mit Wohlgerüchen, geht dann in der Stadt herum, um ihre Verwandten und Freunde, vielleicht auch Liebhaber, zu besuchen.
Sie reiten nicht auf Pferden, sondern auf Eseln, die einen sanften und leichten Paß wie ein Zelter haben, woran sie durch ihre Herren gewöhnt sind. Diese [Esel] werden mit sehr schönen Decken behangen, und von einem Jungen, der als Führer dient, wie auch von einem Lakaien begleitet. Es gibt unzählig viele Menschen hier, die auch nicht eine Viertelmeile anders als reitend zurücklegen würden.
In dieser Stadt, so wie in vielen anderen, gehen unglaublich viele Leute herum, um allerlei Sachen, zum Beispiel Obst, Käse, rohes und gekochtes Fleisch und dergleichen Speisen zu verkaufen. Viele andere führen Ladungen großer, mit Wasser gefüllter Schläuche auf Kamelen herum, weil die Stadt gut zwei Meilen vom Nil entfernt ist. Andere tragen einen geschmückten Schlauch um den Hals, eine messingne Röhre in den Armen und eine schön damaszierte Tasse in der Hand und gehen mit dem Ausruf »Wasser!« herum. Wer trinkt, bezahlt einen halben Pfennig dortiger Münze. Auch ziehen viele in der Stadt herum, die unzählig viele junge Hühner nach dem Maß [Volumen] verkaufen. Man hat nämlich eine wunderbare Art, dieselben hervorzubringen. Einer dieser Händler nimmt tausend und mehr Eier, legt sie in gewisse kleine Öfen mit vielen Abteilungen, wo in der letzten ein Loch ist, und macht unter dem Ofen ein mäßiges Feuer an. In sieben Tagen werden die Hühnchen sehr geschwind erzeugt. Ihre Eigentümer sammeln sie in großen Gefäßen und handeln sie nach dem Maß. Das Maß, das keinen Boden hat, wird in den Korb des Käufers gesetzt, mit kleinen Hühnchen angefüllt, und, wenn es voll ist, aufgehoben; die Küchlein bleiben dann im Korbe, ohne daß man sie anfaßt. Die Käufer füttern sie einige Tage und gehen, um sie weiterzuverkaufen, in der Stadt herum. Diejenigen, welche die Küken so ausbrüten lassen, erlegen dem Sultan eine starke Abgabe.
Diejenigen, die mit Eßwaren handeln, lassen ihre Buden bis Mitternacht offen, alle anderen verschließen ihre Buden vor 23 Uhr und gehen dann aus einer Vorstadt in die andere, um sich zu vergnügen und lustig zu machen.
Im Reden sind die Einwohner sehr unehrbar. Es trägt sich auch oft zu, daß eine Frau sich bei den Richtern beschwert, ihr Mann erweise ihr nicht in jeder Nacht die eheliche Pflicht. Daher kommt es, daß sie sich oft scheiden lassen und andere Männer nehmen, wie Mohammeds Gesetz gestattet.
Die Handwerksleute pflegen denjenigen ihrer Zunftgenossen, der etwa eine neue und sinnreiche Sache erfunden, mit einem Oberrock von Brokat zu kleiden und ihn mit Musikanten wie im Triumph bei allen Buden herumzuführen; jeder beschenkt ihn mit etwas Geld. So sah ich einmal auch einen, der so mit Musik herumgeführt wurde, weil er eine Kette für einen Floh gemacht hatte, welchen er auf einem Papier zeigte.
In anderen Dingen sind die Kairiner von geringem Mut, sie haben gar keine Waffen, wie die auch heißen mögen, im Hause; kaum findet man ein Käsemesser bei ihnen.
Wenn sie in Zank geraten, so balgen sie sich mit der Faust, hundert Menschen laufen dann zusammen und gehen nicht auseinander, bis der Friede hergestellt ist.
Johann Leo's des Africaners Beschreibung von Afrika
aus dem Italienischen übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Georg Wilhelm Lorsbach
Herborn 1805
Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende in Ägypten 2200 v. Chr. – 2000 n. Chr.
Wien 2001