Mai 1869 - Gerhard Rohlfs
In der Oase Siwa
Der Weg führte abwechselnd durch Grasbüschel, Agolkraut (Alhagi Maurorum) und Sebcha, und südöstliche Richtung haltend, hatten wir links einen glänzenden Salzspiegel. Nach einer Stunde ging dieser in ein offenes Wasserbecken über, von zahlreichen Enten und Gänsen belebt, und wir selbst befanden uns jetzt zwischen niedrigem Palmengebüsch, aus dem allmählich hohe und schlanke Palmen wurden, und bald sahen wir uns auf gleicher Höhe mit den Gärten. Wir hatten im Ganzen nur zwei Stunden bis Siwa, von denen die erste Stunde in südöstlicher, die in letzte in ostnördlicher Richtung zu machen war. Als wir uns aber der Stadt so weit genähert hatten, daß wir unter den Wällen die Leute mit bloßem Auge erkennen konnten, ließ ich halten. Es kam mir verdächtig vor, daß Staui [einer der einheimischen Führer], der einen vierstündigen Vorsprung hatte, nicht zurückgekehrt war, um uns einzuholen. Wir befanden uns in einer sandigen Ebene, wo hie und da hohe Palmen, hie und da Palmenbüsche standen; da, wo wir hielten, konnten wir den ganzen Ort sehen und gesehen werden. Als nach abermaligen zehn Minuten niemand aus dem Ort kam, gingen wir etwas seitwärts zu einer Gruppe hübscher Bäume, ließen die Kamele knien, abladen, und schlugen Zelte. Und nachdem dies geschehen war, hieß ich den Führer in die Stadt gehen, um die Ursache zu erfragen, warum Staui nicht zurückgekommen sei.
Leute, welche von außen kamen und zur Stadt gingen, andere, die nach der Bearbeitung der Gärten herauskamen, gingen an uns vorüber, ohne irgend etwas zu sagen. All dies kam mir so sonderbar vor, daß ich schon zu fürchten anfing, die fanatische Partei hätte vielleicht die Oberhand bekommen und es durchgesetzt, mir den Aufenthalt in Siwa zu verbieten, wie das wiederholt mit früheren Reisenden der Fall gewesen war. Es dunkelte schon, als der Führer zurückkam; mit Angst und Zagen war er hingegangen, freudestrahlenden Antlitzes kam er zurück: Staui und er seien sehr gut empfangen worden, sagte er, und ersterer sei schon längst aus der Stadt zurückgekehrt, müsse sich aber wohl seiner Halbblindheit wegen verlaufen haben; die Scheichs, fügte er hinzu, würden es gerne sehen, wenn Du noch diesen Abend zur Stadt kämest. Das ging nun freilich nicht mehr, es war zu dunkel, um zu packen, überdies war es acht Uhr abends geworden.
Ich lag schon auf meinem Feldbett und wollte gerade das Licht auslöschen, da es zehn Uhr Abends geworden war, als ich Pferdegetrappel hörte und lautes Rufen von Menschen. Aufspringen und mit dem Revolver aus dem Zelte stürzen war eins, aber im selben Augenblick kam auch schon der Führer auf mich zugelaufen und rief: »Alle Scheichs kommen, um Dich zu begrüßen!« Gleich darauf waren sie denn auch vor den Zelten und drängten sich am Eingange des meinigen zusammen. Dasselbe konnte höchstens drei Personen fassen, weil Bett und Kisten fast den ganzen Raum einnahmen. Ein junger Scheich, kaum 18 Jahre alt, kam zuerst herein und nahm unaufgefordert Platz (ich merkte daraus gleich, daß er einer der vornehmsten Persönlichkeiten von Siwa sein mußte), zwei andere folgten und setzten sich ihm gegenüber, während die anderen sich vors Zelt hockten, wohin Teppiche gelegt waren. Die drei im Zelte befindlichen Scheichs waren reich gekleidet mit Kairiner Stoffen, namentlich hatte der junge Scheich Hammed die neuesten Seidenstoffe mit echter Goldverzierung an. Nachdem wie gewöhnlich die Salamat und Begrüßungen recht lange gedauert hatten, riefen alle ein Willkommen; dann zog Scheich Hammed einen Brief aus den Falten seines Turbans und ihn mir reichend, sagte er: »Mein Bruder Omar (dies ist gegenwärtig der mächtigste der Scheichs von Siwa und der am besten in Kairo angeschriebene), erster Scheich der Lifaja, hat, nachdem er lange auf Dich gewartet hat, abreisen müssen, nun hat er diesen Brief für Dich zurückgelassen und mir befohlen (bei den Mohammedanern gehorcht, sobald der Vater tot ist, der jüngere dem älteren Bruder), Dir Gastfreundschaft zu erzeigen. Ich habe nicht bis morgen warten wollen, und als die anderen Scheichs erfuhren, ich sei aufgebrochen, Dich zu begrüßen, wurden sie eifersüchtig und sind mitgekommen, wenn sie aber nichts gemerkt hätten, wären sie sicher nicht gekommen.« Ein großer Lärm entstand, die anderen riefen: »Lügner, wir wollten den Christen zuerst besuchen, und Du hast Dich uns angeschlossen!« Im Augenblick sah ich, daß die alte Feindschaft zwischen Lifaja und Rharbjin noch immer existierte. Ich beschwichtigte rasch, indem ich dankte und sagte, alle wären mir gleich willkommen; »Gott allein sieht in Eure Herzen«, fügte ich hinzu, »und nur Er weiß, wessen Herz weiß oder schwarz ist.« Ich hatte glücklich so die Rivalität gedämpft, obgleich sich die Rharbjin gedemütigt fühlten, als nun Scheich Hammeds Diener ein fettes Schaf, einen großen Korb voll Reis, einen Sack mit Datteln und Zwiebeln hereinbrachte und hinzufügte, dies sei sein und seines Bruders Gastgabe. Ich dankte für die Aufmerksamkeit und suchte dann eine allgemeine Unterhaltung in Gang zu bringen. Die Scheichs fingen an sich zu entschuldigen wegen ihres Benehmens gegen Hamilton [Einzelheiten dazu folgen an anderer Stelle in diesem Text] und versuchten namentlich, und auch wohl nicht mit Unrecht, alle Schuld auf die Lifaja zu schieben. Hammed sagte dann vor Zorn errötend: »Die Zeiten sind heut anders, wir haben den Vapor (Eisenbahn) und Eisendraht (Silk, so bezeichnet man den Telegraph) in Ägypten kennengelernt. Wenn vor 10 Jahren unsere Väter in Ägypten das gesehen hätten, was wir jetzt sehen, so wäre alles das nicht vorgefallen, aber ma scha Allah kan, was Gott will geschieht«, schloß er mit des Propheten Worten.
Endlich sagte ich der Versammlung (man hatte schon Kaffee genommen und saß wenigstens eine Stunde), ich sei müde und wünsche zu schlafen. Die Scheichs erhoben sich nun auch sogleich, sagten aber, sie würden draußen bei meinem Zelte schlafen, denn sie seien für mich verantwortlich, deshalb hätten sie auch gleich ihre Teppiche mitgebracht. Ich sah jetzt erst, daß jeder einen Teppich bei sich hatte. Auf mein Erwidern, daß ich dies nicht leiden würde, sondern vollkommen auf den guten Sinn der Siwaner vertraue, wollten sie nicht hören, erst auf meine Erklärung, daß, falls sie zu bleiben bestünden, ich aufpacken und meinen Lagerplatz weiter zurückverlegen würde, zogen sie von dannen mit dem Versprechen, mich am folgenden Morgen feierlichst einzuholen.
Und so kam es denn auch; am anderen Morgen ganz früh waren alle wieder da und noch viele Neugierige mit ihnen. Nach schnellem Packen ging es dann vorwärts nach Siwa, zwei Scheichs voraus zu Pferde (in der ganzen Oase sind nur vier oder fünf Pferde), dann ich und mein bayrischer Diener je zu Kamel, endlich die anderen Kamele mit siwanischen Eseln, von ihren Eigentümern geritten, und Fußleute, und gewiß alle Kinder des Ortes. Auch der alte Staui hatte sich des Morgens wieder eingefunden; in seiner Blindheit war er im Dunkeln vom Wege abgekommen, und der arme Teufel hatte die ganze Nacht ohne Nahrung am Fuße einer Palme zubringen müssen, bis in der Früh ihm Siwaner den Weg zu unserem Lagerplatz zeigten. Natürlich wurde viel Pulver verbrannt, und meine Diener machten mit ihren Doppelflinten und Revolvern auch nicht wenig Lärm. So gings zwischen den beiden Anhöhen durch, von denen die eine terrassenförmig bis oben mit Häusern bebaut ist und den Lifaja gehört, indessen die andere, dicht westsüdwestlich von diesem gelegen und am Fuß bebaut, von den Rharbjin bewohnt ist. Dann nach Norden biegend erreichten wir das Kasr oder Schloß, welches die Wohnung des Mudir [Ortsvorstehers], Rathaus und Gefängnis für ganze Stadt ist. Hier wurden wir einquartiert, und da der Mudir gerade in Alexandria war, wurde uns die ganze obere Etage, welche gute und luftige Zimmer hatte, zur Verfügung gestellt. Während wir noch mit unserer Einrichtung beschäftigt waren, kam denn auch der Kadi [Richter], aber ich merkte, daß sein Besuch ein vollkommen erzwungener war, jedenfalls nicht aus freiem Antriebe erfolgte; ich kürzte denselben denn auch so rasch wie möglich ab, froh, endlich einige Augenblicke Ruhe zu haben.
Also war ich da in dieser hochberühmten Oase, welche zu sehen ich mich schon lange gesehnt hatte, diesen geheimnisvollen Fleck, der die Ursache so vieler Opfer gewesen war, welcher so reiche geschichtliche Erinnerungen wach rief. Noch vor sechs Monaten in der Hauptstadt der Intelligenz unserer Zeit [damit kann nur Berlin gemeint sein, schließlich war Rohlfs im Auftrag des Königs von Preußen unterwegs], befand ich mich jetzt an dem Ort, wo vor mehr als 2.000 Jahren die damals bekannte Welt sich Rat einholte, an der Stelle, wo der größte Krieger seiner Zeit [Alexander der Große] sich »Sohn des Zeus« anreden hörte! Oft glaubte ich zu träumen, aber ein Blick aus meinem Fenster auf die unzähligen Katakomben sagte mir dann, alles ist Wahrheit, Du bist wirklich an der heiligen Stätte des Jupiter Ammon. Da vor Dir sind die stummen Zeugen, welche die Reste derer beherbergten, auf deren Worte Könige und Völkerscharen lauschten, während jetzt ihre Knochen, von rohen Barbaren umhergeschleudert, in der Sonne bleichen, und langsam durch den ewigen Kreislauf aller Dinge sich auflösen, um in die ewige Natur zurückzukehren.
Wir wissen schon von den Alten, und durch die neuesten Reisenden ist dies bestätigt, daß es in der Oase zwei Tempel des Jupiter Ammon gab, von denen der größere unmittelbar neben der Akropolis selbst stand, der kleine nicht fern von jenem neben dem Sonnenquell in einem Palmenhain gelegen sein soll. Obgleich nun schon Minutoli die äußere Mauer des großen Tempels in Aghurmi bemerkt hatte, sie aber, weil er nicht ins Innere dringen konnte, für bloßes Mauerwerk hielt, namentlich Hirt darauf aufmerksam machte, daß Umm el-Ebeida nur der kleine Ammonstempel sein könne (dagegen fälschlich den großen nach Siwa hin verlegt haben wollte), so hielten doch alle neueren Reisenden von Browne bis auf St. John den Umm-el-Ebeida Tempel für den großen. Erst Hamilton machte zuerst die wichtige Entdeckung des großen Tempels in Aghurmi, der alten Akropolis, indem es ihm gelang, in das Innere selbst hineinzudringen. Hamilton hält nun zwar das Gebäude selbst für die Akropolis, allein schon aus seiner eigenen Beschreibung geht hervor, daß wir es mit einem Tempel zu tun haben. Nach ihm der erste Europäer, der Siwa wieder besucht, kann ich, was derselbe über die Großartigkeit dieser Baulichkeit sagte, nur bestätigen, und glücklicher als er, konnte ich wenigstens Kopien von einigen Hieroglyphen mit heimbringen. Schmutz, Rauch, Dunkelheit des ganzen Raumes, und namentlich die Durchbauung des ganzen Tempels mit Häusern verdeckten zwar die Hauptsache, oft war auch sogar eine Kolonne absichtlich zerstört, indem man die erhabenen Hieroglyphen abgehauen oder die Bilder verkalkt hatte, indes konnte unser berühmter Ägyptologe Brugsch aus den ihm vorgelegten Abzeichnungen erkennen, »daß die Texte in altägyptischer Schrift abgefaßt sind, daß sie sich auf eine Reihe männlicher Gottheiten beziehen, die, nach den erhaltenen Kronen zu urteilen, Ammon und den widderköpfigen Harschaf, den Arsaphes der Griechen, darstellten, daß endlich die Texte Reden jener Gottheiten enthalten, die sich an einen Gott wenden, welcher Ur-testu, das ist Großer der Völker, genannt wird. Dies Epitheton beweist, daß der König nicht einheimisch war, sondern einer fremden Dynastie angehören mußte«. Der Name der Örtlichkeit scheint leider nicht genannt, wenigstens war Brugsch nicht imstande, etwas daraus zu erkennen, so daß die Frage nach der altägyptischen Benennung des Tempels immer noch offen bleibt. Hoffentlich gelingt es mit Unterstützung der ägyptischen Regierung einem späteren Forscher, die Bewohner, welche sich ihre Häuser in den Tempel gebaut haben, zu veranlassen, dieselben zu verkaufen und abzubrechen, bei dem jetzigen guten Geist der Bevölkerung würde dies ohne Zweifel mit einigen Geldopfern zu bewerkstelligen sein.
Wenn wir zur Zeit Alexanders das Ammonorakel den größten Ruhm genießen sahen, so daß es sich mit denen von Delphi und Dodona in jeder Beziehung messen konnte, so bemerken wir andererseits, daß es zur Zeit Christi nur noch wenig kultiviert wurde. Die Römer scheinen überhaupt nie große Vorliebe für dieses Orakel gehabt zu haben. Wir finden, namentlich durch die griechischen Bewohner der Cyrenaica gestiftet, verschiedene dem Ammon gewidmete Tempel an der Nordküste von Afrika, ebenso auch in Griechenland selbst, aber in Italien wird uns von einem solchen nichts überliefert.
Uns Europäern wurde die Oase zuerst durch Browne wieder entdeckt im Jahre 1792, und sechs Jahre später war es ein Deutscher Namens Hornemann, welcher durch die Mittel der afrikanischen Gesellschaft von London, mit Unterstützung Napoleons, zu der Zeit in Ägypten die berühmte Oase erreichte. Belzoni, der ungefähr zwanzig Jahre später reiste, und zwischen 1815 und 1819 die kleinen Oasen westlich vom Nil besuchte, ist nie in Siwa gewesen. Er glaubte in dem Brunnen der Oase El Kasr den Sonnenquell entdeckt zu haben, der im Altertum seiner abwechselnden Temperatur wegen bekannt war, und den Belzoni bei der Quelle El Kasrs wahrzunehmen glaubte. Quellen, die ein solches Täuschungsgefühl hervorrufen, gibt es fast in allen Oasen der Wüste, am bekanntesten ist außer der SonnenqueIIe die große Quelle von Rhadames. Erst 1819 erreichte Butin, ein französischer Offizier, Siwa, entging mit genauer Not dem Tode, um ihn bald nachher in Syrien zu finden, wo er ermordet wurde. Gegen Ende desselben Jahres kam Cailliaud nach der Oase, er durfte Umm el-Ebeida besuchen und konstatierte zuerst die tiefe Lage des Tales. [Siwa liegt etwa 20 m unter dem Meeresspiegel.
Als dann im selben Jahre Mehmet Ali [Mohammed Ali] Siwa durch Schamaschirgi Bey unterwerfen ließ, begleiteten diesen der französische Generalkonsul Drovetti von Alexandria, außerdem der Ingenieur Linaud de Bellefonds, Ricci und der Maler Frediani. Von einer Truppe von 1.500 bis 2.000 Mann unterstützt, kann man sich denken, daß sie alles besichtigen konnten, dennoch kamen sie nicht in den großen Tempel von Aghurmi ; ungehindert aber konnten sie Umm el-Ebeida, Amudein, Bled el-Rum und den See Araschich besichtigen, Jomard hat ausführliche Beschreibungen davon gegeben.
Minutoli besuchte im Auftrage des Königs von Preußen die Oase im folgenden Jahre, und erreichte, da er sich einer guten Aufnahme zu erfreuen hatte, die besten Resultate, seine Ansichten von Aghurmi und Siwa sind noch heute so ähnlich, als ob die beiden Orte sich gar nicht verändert hätten. Minutolis Begleiter, Ehrenberg, Hemprich u. a. fanden aber, da der General inzwischen zurückgekehrt war, so schlechte Aufnahme bei den Einwohnern, daß sie nichts ausrichten konnten. Erst 1847 wurde die Jupiter Ammons-Oase dem Publikum wieder ins Gedächtnis gerufen durch die Reise des Engländers Bayle St. John von Ägypten aus, der mit einigen Gefährten die Oase besuchte, aber auch mit großen Widerwärtigkeiten zu kämpfen hatte, hervorgerufen durch den glühenden Haß und Fanatismus der Eingeborenen gegen jeden Europäer. Hamilton endlich war es 1853 vorbehalten, den großen Tempel des Jupiter Ammon zu entdecken, obwohl er in demselben nur die Königsburg zu erkennen glaubte. Obgleich im Anfang mit Kugeln empfangen und lange Zeit gefangen, konnte er nachher unter dem Schutze ägyptischer Soldaten frei umhergehen und alles Interessante untersuchen. Seit seiner Zeit ist den Europäern die Oase geöffnet; denn durch eine Extrakontribution, durch Soldateneinquartierung und durch die Bestellung eines Mudirs wurde der Trotz der Eingeborenen gebrochen. Und wenn Hamilton fühlte und sagte, daß seine Leiden und Entbehrungen zukünftigen Reisenden die Tore von Siwa öffnen würden, so hatte er vollkommen recht, nicht nur ist er der Wiederentdecker des großen Tempels des Jupiter Ammon, sondern auch der Schlüssel zur Oase für die späteren Reisenden gewesen.
Das Terrain, ursprünglich salzig und sebchaartig, ist durch die zahlreichen süßen Quellen, von denen es in der Oase über 30 gibt, in dem Bereiche dieser Quellen kulturfähig geworden. Die berühmteste von allen, aber nicht mehr die ergiebigste (diese ist in Chamisa, auch die Mosesquelle ist stärker), ist Ain Hammam, Taubenquelle, welche wir noch heute nach alten Überlieferungen die Sonnenquelle nennen. Sie hat ungefähr 110 Schritte im Umfange, am Grunde bemerkt man Mauerwerk. Sie besitzt nur einen Hauptabfluß, der sich hernach in verschiedene Arme und nach verschiedenen Richtungen zerspaltet. Nach Diodor hatte der Sonnenquell seinen Namen daher, weil die Temperatur des Wassers in umgekehrtem Verhältnisse zur Sonnenwärme stand; nach den Aussagen der wissenschaftlichen Begleiter Alexanders war der Sonnenquell mittags kalt, mitternachts heiß, und morgens und abends lau. Wenn so die Alten, ihre Beobachtungen auf das bloße Gefühl beim Eintauchen in das Wasser stützend, allgemein die wechselnde Temperatur als eine ausgemachte Tatsache annahmen und die wunderlichsten Erklärungen darüber gaben, ist es zu verwundern, daß sowohl Minutoli als auch Gruoc noch an eine allen physikalischen Gesetzen widersprechende variierende Temperatur glauben konnten. Bayle St. John und Hamilton, die übrigens nur einmal Gelegenheit fanden, bei Tageszeit ihr Thermometer in den Sonnenquell zu tauchen, fanden ersterer 84°, letzterer 85° F [um 29 °C]. Meine zu allen Tageszeiten und nachts gemachten Beobachtungen ergaben unveränderlich 29° C, nur einmal um 2 Uhr nachmittags bemerkte ich eine Erhöhung um 0,5°, was sehr wohl auf die hohe Lufttemperatur um die Zeit geschoben werden kann. Meine Beobachtungen stimmen also mit denen der beiden Engländer sehr gut. Bei allen anderen Quellen, namentlich bei Ain Musa und Ain Ben Lif, welche einer öfteren Untersuchung unterzogen wurden, bemerkte ich gleichen Wärmegrad. Den Eingeborenen selbst ist über eine wechselnde Temperatur der Quellen nichts bekannt, wohl aber schreiben sie einigen Quellen, namentlich Ain Hendeli, gewisse Heilkräfte zu. Obgleich, besonders wenn man das Salzwasser in der Wüste gewohnt ist, von angenehmem Geschmack, ist das Wasser der Quellen salziger als das unserer Flüsse. Alle zeigen auch dieselbe Erscheinung des Blasenaufsteigens, als ob das Wasser siede, und haben in dieser Beziehung die größte Ähnlichkeit mit dem Quell in Rhadames.
Die meisten größeren Quellen haben eine künstliche, runde Quadereinfassung, bei vielen gut erhalten. Namentlich sind die Ain Musa und Ain Ben Lif noch heute mit so gut erhaltenen, im Kreis gelegten Quadern und Kalk umgeben, daß man glauben sollte, daß diese Bauten, welche mindestens 2.000 Jahre alt sind, gestern angefertigt worden wären. Von Siwa aus liegt der Sonnenquell eine kleine Stunde östlich, Ain Musa eine halbe Stunde nordöstlich; Ain Ben Lif, gleich südwestlich vom Orte selbst, und Ain Hendeli am nordwestlichen Fuß des Dschebel Brick.
Wie ich schon angeführt habe, hatte man mich ins Kasr einquartiert, welches nach Norden gelegen, unterhalb der Burg von Siwa, eine der besten Wohnungen war; vor dem Hause befindet sich ein großer ummauerter Platz, in dessen hinterem, abermals ummauerten Teil sich die Dattelmagazine befinden, während in dem anderen, vorderen Teil das zum Ausdreschen bestimmte Getreide aufgespeichert liegt. In der Mitte steht eine hohe Kuppel Sidi Slimans, eines in Siwa in großer Verehrung stehenden Heiligen. Am ersten Tage verging natürlich fast die ganze Zeit mit Besuch empfangen. Selbst der fanatische Kadi hatte für gut befunden, dem Christen einen Besuch zu machen, aber mein Erstaunen wurde noch vermehrt, als auch der Mkaddem der Senussi zu mir kam und sein Bedauern ausdrückte, daß ich nicht Sidi el-Madhi in Sarabub (den Sohn und Nachfolger Mohammed Senussis) besucht habe. Bald darauf wurde dann das Gastgeschenk hereingebracht, ein fetter Hammel, Datteln, Reis, Zwiebeln, Knoblauch und Tomaten, auch einige Körbe mit Brot fehlten nicht. Die übrigen erklärten, die Bewohner wünschten, ich möchte wenigstens 14 Tage ihr Gast sein, während der Zeit solle es mir an nichts fehlen, und um vor Zudringlichkeit geschützt zu sein, oder bei etwaigen Käufen nicht übervorteilt zu werden, stellten sie mir zwei Kawassen zur Disposition; namentlich, ließen sie mir sagen, sollte mir alles gezeigt werden, was ich zu sehen wünsche.
Mein erster Gang war natürlich nach Umm el-Ebeida, teils weil die aus den Palmen hervorragenden Ruinen von selbst schon einluden, teils weil gerade nachmittags noch Zeit genug zu dieser Promenade vorhanden war. Der Weg dahin läuft immer zwischen den schönsten Gärten, und nach einer kleinen Stunde ist man an Ort und Stelle. Nur von einem Diener begleitet und einem Eingeborenen, um den Weg zu zeigen, grüßten uns die uns Begegnenden überall aufs freundlichste, viele schlossen sich auch wohl eine Strecke Weges an, um etwas zu plaudern und Neuigkeiten zu erfahren. Umm el-Ebeida oder der kleine Jupiter-Ammons-Tempel ist heute schon lange nicht mehr, wie ihn Minutoli und später noch St. John gesehen haben. Der Torweg, der von beiden beschrieben und von Minutoli auch gezeichnet wurde, existiert nicht mehr, nur vom hinteren Tempel stehen noch hoch die Seitenwände, etwa 25 Fuß hoch und inwendig einen 16 Fuß breiten Raum lassend. Die Länge der noch stehenden Mauern ist 14 resp. 10 Fuß, und überdacht ist das Ganze von 3 kolossalen Monolithen, die auf der unteren Deckseite gut erhaltene, ausgebreitete Adler zeigen. St. John will noch 10 andere Decksteine in Bruchstücken auf der Erde liegen gesehen haben; ich bemerkte nur zwei und einige Bruchstücke, welche zu zwei anderen gehört haben mochten. Zu Brownes Zeiten lagen sogar noch 5 Decksteine oben, Minutoli fand aber nur noch drei vor. Dieser Teil des Tempels, dessen hintere südliche Wand fehlt, dessen Pronaos noch zur Zeit Minutolis vorhanden war, jetzt aber auch verschwunden ist, hat an seinen inneren Wänden vollkommen gut erhaltene Hieroglyphenkolonnen: an der östlichen Wand sind noch 53, von denen die mittleren 47 ganz erhalten sind, an der westlichen Wand 52, mit 49 ganz erhaltenen Kolonnen. Unten aus kleinen Quadern gebaut, sind dieselben nach oben zu größer und derart inwendig verkittet, daß durch die Fugen der Schrift kein Abbruch geschieht. An der Außenseite scheinen nie Hieroglyphen gewesen zu sein, und die Bilder sind gänzlich verwittert. Zwischen den allegorischen Bildern oberhalb und unterhalb der Schriftkolonnen bemerkt man noch an manchen Stellen die ursprüngliche Farbe, besonders grau und blau, was dazu beiträgt, Bilder und Hieroglyphen hervortreten zu machen. Die am südlichen Ende des Tempels sitzende Figur des behornten Ammon, Huldigungen entgegennehmend von den mit Schakal- und Sperber-Köpfen versehenen menschlichen Figuren, ist das am besten erhaltene Bild. Tölken, der Minutolis Aufzeichnungen bearbeitete, erkannte darin die Bezwingung feindlicher Gottheiten, denen Ammon sich nach der Besiegung gnädig erzeigt, sowie einen ganzen Zug Priester und heiliger Frauen, und in der untersten Reihe den Tod des Osiris und die Trauer um ihn. Dieser vollständige Zyklus heiliger Lehre bildete so im Gotteshaus selbst ein Lehrbuch für den geistlichen Unterricht.
Von der äußeren Umfassungsmauer ist nur noch die südöstliche Ecke, welche aus gewaltigen Quadern besteht, vorhanden, alles übrige ist verschleppt oder in den sehr morastigen Boden versunken. Nach Minutoli betrug die Umfassungsmauer 77 Schritt in der Länge und 66 Schritt in der Breite, was mit meinen Messungen genau stimmt.
Der Tempel selbst ruht auf einem beinahe viereckigen Kalkfelsen, dessen obere Partie, ob Kunst oder Natur, große Alabasterquadern zeigt, in denen sich eigentümlich kristallisierte Rosetten befinden, welche oft einen Fuß Durchmesser haben. Von unterirdischen Gängen ist jetzt nichts mehr zu sehen, obschon die Leute von geheimen Gängen nach Aghurmi und Siwa fabeln.
Früh am anderen Morgen ging es dann bei der Tammgrat-Quelle vorbei, nach dem südlich etwa eine Stunde entfernten fünfspitzigen Dschebel Brick. Hier scheint man die Steine zu den Bauten des Tempels gebrochen zu haben, auch befinden sich da mehrere regelmäßig bearbeitete Felsengräber, wie die in der Cyrenaika, einige sogar mit Säulen im Inneren. Verschiedene Grabkammern lassen aus ihrer Größe und den vielen Nebengemächern schließen, daß sie ganzen Familien als Begräbnisstätte dienten. Sonst war jedoch von Bildwerken oder Inschriften nichts zu entdecken. Gleich am Fuß des Berges nordwestlich entspringt die bei den Eingeborenen in großem Ruf stehende Quelle Hendeli, welche einst so stark gewesen sein soll, daß sie einen Bach bildete, der die Gärten bis Bab el-Medina und weiter bewässerte, auch sollen in der Tiefe große Schätze verborgen sein; jetzt ist sie nur mittelmäßig stark, hat dieselbe Temperatur, und war von Geschmack ganz gleich dem Sonnenquell.
Während aller dieser Exkursionen waren die Bewohner immer von der größten Bereitwilligkeit; wenn ich ermüdete, war rasch ein Esel zum Reiten zur Hand, und namentlich ließ Scheich Hammed keinen Tag vergehen, an welchem er nicht irgendein kleines Geschenk brachte. Entweder schickte er Datteln oder Kuchen oder Eier, und schien absichtlich die Schikanen, welche sein Stamm Hamilton zugefügt hatte, an mir wieder gut machen zu wollen. Obschon er mich auf meinen Exkursionen begleitete, mußte er davon abstehen, Aghurmi zu besuchen, weil er als Lifaja dort keinen Zugang hatte. Vor circa 20 Jahren hatten nämlich die Lifaja sich Aghurmis durch Überrumpelung bemächtigt, und nur mit Hilfe der anderen Rharbjin gelang es den Bewohnern, sich wieder in Besitz ihrer Burg zu setzen; seit der Zeit aber ist es keinem der Lifaja gestattet, Aghurmi zu betreten, etwaige Geschäfte werden vor dem Tore, in welchem immer eine Wache ist, abgemacht. Für mich gab es keine Schwierigkeiten, den Ort zu besuchen, und sobald ich am Tore war erkannt worden, bekam ich Einlaß. Durch einen gewundenen engen Gang, der an mehreren Stellen abgeschlossen werden konnte, der manchmal überbaut war, und auf den auch die Dschemma mündete, ging es aufwärts zu einem freien Platze, der fast die Mitte des oben glatten Felsens einnimmt, und um den herum die Häuser Aghurmis gebaut sind. Zuerst mußte ich den Scheich Mohammed Dschari besuchen, welcher der reichste Mann der ganzen Oase sein soll; sein Haus war auch recht gut eingerichtet, drei Stock hoch, und da, wo wir hingeführt wurden, bildete das Zimmer eine Art Veranda. An beiden Seiten in demselben waren Diwane von Ton mit Matten belegt, über welche syrische Teppiche gebreitet lagen. Nach dem Austausch der Höflichkeiten wurden Tee und Kaffee serviert und Neuigkeiten aufgetischt, dann kam hauptsächlich die Schatzgräberei aufs Tapet, denn die Eingeborenen vermuten, daß unter jedem alten Steine Gold und Silber verzaubert liegen muß. Mohammed Dschari wachte übrigens genau darüber, daß seine Neger die Tassen vorschriftsmäßig präsentierten und wieder in Empfang nahmen, und sicher nahm er es als ein großes Kompliment entgegen, als ich ihm sagte, bei ihm sei alles »türkisch«. Endlich konnte ich mich losmachen, und er gab mir dann einen Kawaß mit, der mir alles zeigen sollte. Einem anderen gewundenen und engen Gange folgend, bemerkte ich gleich an einem Gebäude nördlich Grundmauern aus Quadern, oben darauf war ein Stall, und nichts hinderte meinen Eintritt: aber so viel ich auch suchte, es war eben weiter nichts als die Grundmauer zu entdecken, welche zwei Fuß hoch aus der Erde stand und von der nur die eine Wand übrig zu sein schien. Nun nach Westen gehend, kamen wir bald all das große Gebäude, dessen äußere Mauer man zum Teil von außerhalb des Ortes sieht, und dessen innere Wand teilweise auf dem großen Platz in Aghurmi zu sehen ist. Durch die Wand führt ein gebrochener Weg gleich in einen Vorhof, dessen Dach aber gänzlich verschwunden ist, und welcher 15 Fuß lang und 10 Fuß breit ist. Nach Süden zu aber verbaut von einem Hause, kann man den südlichen Eingang nicht sehen, der jedoch in Form einer einzigen großen Tür vorhanden ist. Hieroglyphen sind hier nirgends zu sehen. Durch zwei große ägyptische Tore kommt man nach Norden in das Allerheiligste, welches aber von Häusern ganz durchbaut ist. Die Tore, 18 Fuß hoch, kann man nur mittelst der Häuser passieren. Voll Rauch, Staub und Ruß, entdeckte ich hier jene Hieroglyphen und Bilder, von denen einiges zu kopieren nur mit Hilfe mehrerer Kerzen gelang, und wovon ich oben das Resultat nach Brugsch mitgeteilt habe. Die Leute zeigten auch hier den besten Willen, mich alles sehen zu lassen, aber um mich vollständig zu befriedigen, hätte man ihre Häuser, welche den größten Teil der Wände bedeckten, wegbrechen müssen, und dazu wollte sich natürlich niemand verstehen. Jene Cella war in ihren Dimensionen 24 Fuß lang auf 18 Fuß Höhe und 18 Fuß Breite. Interessant war noch ein geheimer Gang in der Dicke der östlichen, inneren Längsmauer. Wie ich später sah, steht derselbe jetzt noch in Verbindung mit dem großen Brunnen in Aghurmi. Derselbe ist 2 Fuß breit, so daß gerade ein Mann darin gehen konnte, und war wahrscheinlich der Weg vom Tempel zum Brunnen, den die Priester ungesehen hinabgingen, um am Wasser die zum Opfer bestimmten Gegenstände zu reinigen. Der Brunnen selbst, auf der Südseite des Platzes gelegen, ist durch den Fels gearbeitet, sehr geräumig und tief, und von oben sieht man deutlich auf einer kleinen Plattform den Tempelgang dicht oberhalb des Niveaus des Wassers ausmünden.
Geht man dann vom Vorhof aus durch das die südliche Wand schließende Haus, so kommt man auf eine Straße und stößt alsbald auf eine große Mauer aus kolossalen Quadern, die eine Art von Brücke über die Straße bildet. Der Häuser wegen lassen sich auch hier keine weiteren Nachforschungen anstellen, aber aller Wahrscheinlichkeit nach dürften dies Reste der alten Akropolis sein, während das vorhin beschriebene Gebäude mit zwei Abteilungen dem großen Tempel des Jupiter Ammon entspricht. Schon der Zusammenhang mit dem Brunnen mittelst des geheimen Ganges macht dies wahrscheinlich. Auch mit der Beschreibung der Alten, z. B. Diodor, von den Räumlichkeiten der Jupiter-Ammons-Oase stimmt alles. Nach ihnen war die heilige Quelle, und das ist der Brunnen, dicht bei dem Tempel gelegen. Anführen muß ich noch, daß von diesem Brunnen aus, der eine starke Quelle enthält, sieben Bäche aus dem Berge heraus nach außen sich ergießen. Die dritte, äußere Umschließungsmauer, von der bei den Alten die Rede ist, müssen wir jedenfalls wohl außerhalb von Aghurmi suchen, da der Raum nicht groß genug gewesen sein würde, um Platz für Soldaten und Diener, wofür er bestimmt sein sollte, aufzunehmen. Spuren von Mauerwerk fand ich später südwestlich von Aghurmi zwischen Hütten, Tschücktschuck genannt, und diese könnten möglicherweise Reste der dritten Umfassung gewesen sein.
Es versteht sich wohl von selbst, daß ich meinen Besuch in Aghurmi wiederholte, aber dennoch, so oft auch alle Häuser, welche zugänglich waren, durchsucht wurden, war nichts zu entdecken. Gerade südlich, kaum einen Viertel Kilometer entfernt, finden sich Reste eines griechischen Tempels, seine Richtung ist von Westen nach Osten, die Umrisse lassen sich nur aus den zum Teil aus dem Boden stehenden Quadern erkennen, zu Tage liegt sonst nichts als die Schäfte zweier kannelierter Säulen. Die Schuttumrisse geben auf 18 Schritt Länge eine Breite von 14 Schritt: ursprünglich mögen aber die Verhältnisse andere gewesen sein, da dieselben eben nur durch Schutt und Anhäufungen zu bemessen waren.
In jenen Tagen erstand ich auch durch Kauf den interessanten Marmorwidder, sowie einige alte Münzen, welche in der Oase gefunden worden sind. Zugleich machte ich mich auf nach dem Orte, wo der Widder war entdeckt worden. Ungefähr 1 1/2 Stunde südwestlich von Siwa gelegen, fand ich am Rande der Oase und der Dünen nichts als einen 12 Quadratfuß großen Schutthaufen, in dem einzelne Kalkquadern lagen.
Möglicherweise kann hier ein Triumphbogen gestanden haben, worauf der Name Bab el-medina (Stadttor) wenigstens hindeutet. Die übrige Zeit ging damit hin, die Oase nach allen Richtungen hin zu durchstreifen, Aghurmi, Umm el-Ebeida und der Sonnenquell erhielten täglich einen Besuch, auch Ain Musa, eine große, schön ummauerte Quelle, auf selbem Wege zwischen Siwa und Aghurmi gelegen. Besonders auch unterwarf ich den Dschebel Muta, Totenberg, einer genauen Untersuchung; derselbe ist etwas nördlich von Siwa gelegen. Ungefähr 150 Fuß hoch und an der Basis einen Umfang von etwa 1.500 Meter zeigend, ist dies gewiß die sonderbarste Grabstätte, die man auf Gottes Erdboden antreffen kann. Seit Jahrtausenden muß dies der gemeinsame Beerdigungsplatz der Bewohner der Oase gewesen sein. Hunderte von Gewölben, Löchern, Katakomben und Gräbern machen aus dem ganzen aus Kalkstein bestehenden Berg ein wahres Labyrinth, und es gibt darin Gewölbe, welche zur Aufnahme von hundert und mehr Toten hergerichtet waren. Spitz nach oben zulaufend, ist der Berg so durchlöchert, daß er einem Zellenbau gleicht. Hunderte, Tausende von zerrissenen Gerippen, ganze Haufen von Schädeln, oft noch gut eingewickelte Mumienglieder liegen am Fuß des Berges umher. Da ist auch kein Grab, welches nicht durchsucht, kein Gerippe, welches nicht auseinander gerissen worden wäre, um möglicherweise Ringe oder Schmucksachen an demselben zu entdecken. Ja, einige Gräber hatten offenbar in späteren Zeiten schon zu Wohnungen dienen müssen, rußige Wände, Topfscherben und Feuerstellen zeigten es deutlich. An der südöstlichen Bergkante wohnen noch jetzt einige arme Familien in den Totengemächern, meine Begleiter sagten mir, es seien vor einigen Jahren aus Djalo eingewanderte Modschabra. Bemerkenswert von all den vielen Gräbern war ein in der Mitte des Berges auf der Ostseite gelegenes: der Eingang mit Halbsäulen geschmückt, ließ schon auf ein sorgfältig ausgehauenes Inneres schließen, und in der Tat entsprach die innere Einrichtung ganz dem eleganten Äußeren. Durch einen Vorhof gelangte man in eine geräumige Kammer mit zwei seitlichen Nebenkabinetten, welche wie die Hauptkammer sorgfältig ausgehauene Aufnahmestellen für die Toten hatten. In Manneshöhe zog sich auf blauem Grunde eine Efeu- oder Rebenblattgirlande in lebhaft grüner Farbe herum, und so frisch waren die Töne, als ob sie gestern gemalt worden wären Im Hintergrunde der Kammer bemerkte man auch erhabene gemeißelte Figuren an der Wand, doch waren sie absichtlich so zerstört, daß sich nichts erkennen ließ. Der unterirdische Gang, der von hier nach Aghurmi führen sollte, erwies sich, nachdem Licht gebracht wurde, als nichts anderes denn unterirdische Grabhöhlen, welche sich von hier noch weiter ins Innere des Berges fortsetzten, dann aber mit einer Felswand ein Ende hatten.
Ich hatte während meiner Anwesenheit in Siwa nie davon gesprochen, den Ort selbst besuchen zu wollen, ich wußte, wie empfindlich früheren Reisenden gegenüber die Bewohner in diesem Punkte gewesen waren. Und wenn man vom mohammedanischen Standpunkte aus das Haus als etwas Heiliges, für Fremde Unzugängliches betrachtet, wird man das auch ganz natürlich finden. Nun ist aber Siwa selbst sozusagen ein einziges Haus. Der konische Berg, aus dem es besteht, ist seit 1.000 Jahren so eng überbaut worden, daß die Häuser ein Ganzes bilden und alle eine Höhe von drei Stockwerken erreicht haben; wo nur noch Platz war, hat man gebaut, so daß sogar die Straße mit Ausnahme einiger nach oben gelassener Luftlöcher ganz überbaut ist.
Als nun aber Hammed mich in den letzten Tagen fragte, ob ich noch etwas zu sehen wünschte, und ich erwiderte, ich glaubte alles gesehen zu haben, während doch mein Blick, der auf Siwa ruhte, das Gegenteil verriet, sagte er von selbst: »Ja, mit Ausnahme des Ortes, wenn Du aber hinein willst, will ich gleich ausrufen, die Türen zuzuhalten und die Weiber einzusperren.« Man kann sich denken, mit welcher Freude ich den Vorschlag annahm, zumal nach den Erkundigungen St. Johns alte Baureste in Siwa sein sollten. Man hatte schnell die Frauen unter Schloß gelegt, und durch eine der vielen Türen gelangten wir unter einem Haus durch bald in die große, aber auch überdachte Straße, welche sich schneckenhausartig um den Berg bis fast nach oben hinaufzieht. Indes war es doch noch hell genug, um ohne Licht oder Fackel gehen zu können, manchmal aber war die Straße so niedrig, daß Achtung gerufen wurde, um nicht mit dem Kopf anzustoßen. Von dieser großen Straße liefen radienförmig Gänge aus, nach außen und innen. Mit Ausnahme der durch den Fels getriebenen Brunnen, es gibt deren vier in Siwa, welche davon zeugen, daß auch im hohen Altertum dieser Punkt der Oase schon stark bewohnt war, ist indes nichts von altem Mauerwerk vorhanden. Oben am Ende der Spirale, denn das war die Straße, angekommen, fand ich ein Haus; der Besitzer, ein alter Mann, war aber auch freundlich genug, mich einzuladen, und bald befand ich mich auf dem Dache des höchsten Hauses von Siwa, hatte von hier aus den Blick auf alle Dächer, welche wie Stufen nach unten abfielen. Ein herrlicher Rundblick eröffnete sich hier auf den Amelal-Felsen, auf das steile nördliche Ufer, auf die Palmengärten, auf Dschebel Muta, Aghurmi und Umm el-Ebeida, und nach Süden auf die endlose Fläche der Sahara. Dem alten Manne gab ich denn ein mehr als reichliches Bakschisch, das wird aber künftigen Reisenden auch wieder die Tür öffnen. Wenn ich somit in Siwa selbst auch nur ein negatives Resultat erlangt hatte, nämlich konstatieren zu können, daß hier keine Ruinen irgendwelcher Art vorhanden sind, so bestätigt das andererseits um so mehr, in den auf Aghurmi vorhandenen Ruinen den großen Tempel und die Akropolis mit vollem Rechte zu erkennen.
Während der ganzen Zeit meines Aufenthaltes hatten sowohl die Scheichs der Lifaja, als auch die der Rharbjin gewetteifert, mir ihre Dienste anzubieten, und um sich selbst herauszustreichen, hielten sie es fürs beste, sich gegenseitig zu verleumden. Ich hielt mich mit allen gut, Hammed aber, der sich gegen mich am uneigennützigsten und aufrichtigsten gezeigt hatte, beschenkte ich mit einem schönen weißseidenen Überwurf, einer Dschibba oder Dschelaba, welche von einem Stück angefertigt worden war, das von den in Tripolis verfertigten Burnussen für den Sultan von Bornu übrig geblieben war; aber auch alle übrigen wurden reichlich bedacht, um sie in ihren guten Gesinnungen gegen uns Europäer zu erhalten.
Und dann wurden am 11. Mai die Kamele vorgetrieben, beladen, und in Begleitung sämtlicher Scheichs und vieler Bekannter, während alles Volk auf der Straße war, verließen wir die Mestah oder den Dattelhof, und riefen den Siwanern ein Allah ihennikum zu.
Rohlfs, Friedrich Gerhard
Von Tripolis nach Alexandrien. Beschreibung der im Auftrage Sr. Majestät des Königs von Preussen in den Jahren 1868 und 1869 ausgeführten Reise
2. Band, Bremen 1871
Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende in Ägypten 2200 v. Chr. – 2000 n. Chr.
Wien 2001