1864-1872 - Carl Klunzinger
Als Naturforscher und Arzt in Kosseir am Roten Meer
Das Städtchen ist aller Vegetation bar, und nur an einer einen Kilometer entfernten Stelle hat sich ein ärmlicher Garten oder eine kleine künstliche Oase mit Dattelpalmen und einigen Gemüsen mittels einer bittersalzreichen Zisterne hervorzaubern lassen. Auch ein kleiner, fließender Bach, der Ambagibach, findet sich in einem nahen Tal, aber ebenfalls mit bitterem, untrinkbarem Wasser. Trinkwasser mußte weit her aus dem Gebirge von Beduinen in Schläuchen mit Kamelen geholt werden; als Regierungsbeamten wurde mir dasselbe kostenlos geliefert. Jetzt wird, wie ich höre, das Trinkwasser in Kosseir durch Destillation aus Meereswasser gewonnen. [Klunzinger veröffentlichte seine Erinnerungen im Jahr 1915.]
Das Städtchen zieht sich eben zwischen den Hügeln der Wüste und dem Meere hin, besteht aus meist einstöckigen Häusern aus trockenen Lehmziegeln und ist von ziemlich regelmäßig verlaufenden Straßen und Gäßchen durchzogen. Die Hauptstraße oder der Markt mit den offenen Buden der Verkäufer und Handwerker und einigen Cafés zieht sich, nahe der Hafenbucht, am steinernen stattlichen Regierungsgebäude der Länge nach hin. Dem letzteren gegenüber liegt ein anderes steinernes Gebäude mit einem großen, von Mauern umgebenen Hof, die Schuna (Scheuer) oder der Hof für das von der Regierung nach Arabien auszuführende Getreide (Dachire). Drei Moscheen, zum Teil mit plumpen Minaretts, im Stil ähnlich den norddeutschen Windmühlen, ragen hervor, und auf einem Hügel im Norden erhebt sich die stattliche Feste, (Zitadelle), deren noch von der Franzosenzeit herrührende Kanonen bei Festen und im Ramadan (Fastenmonat) friedlich ertönen. Hinter der Stadt liegen kuppelgekrönte Heiligengräber. Im Süden liegt die korallenfreie Meeresbucht und der sandige Strand mit dem Hafen, wo altertümliche Schiffe vor Anker liegen; durch die nebenliegende Korallenklippe und den Landvorsprung sind sie gegen Nordwinde wohl geschützt, nicht aber gegen Süd- und Ostwinde. Dampfschiffe müssen weit draußen auf der Reede ankern. Eine hölzerne Landungsbrücke (Eskatla) zieht sich 100 Schritt lang vom Zollamt am Regierungsgebäude gegen den Hafen hin; sie müssen alle Waren des Zolles wegen passieren.
Die Einwohner sind dem Ursprung nach hauptsächlich dunkelfarbige Oberägypter, vom Niltal her, doch auch viele christliche Kopten, außerdem von dem Hedschas, namentlich von Yanbu Zugewanderte und einige außerhalb des Städtchens gesondert wohnende Ababde-Beduinen. Dem Stande nach sind sie Schiffsleute, Fischer, Handwerker, Schreiber (Beamte), Kaufleute und Schiffsbesitzer; von letzteren bekleiden einige die Würde eines Konsularagenten einer fremden Macht und genießen auch den Schutz derselben; sie haben sich dafür etwaiger Schutzbefohlenen dieser Mächte anzunehmen und dürfen deren Flagge hissen; so ein persischer und ein französischer, früher auch ein österreichischer Konsul, die für die persischen und algerischen Pilger zu sorgen haben. Denn Kosseir spielt immer noch eine nicht unbedeutende Rolle als Hafenort für die hin- und zurückwandernden Mekkapilger.
Von den Regierungsbeamten steht an der Spitze ein allgewaltiger Gouverneur (Muhafiz), der aber dem Provinzialhaupt (Mudir) von Kena untergeordnet ist.
Zur Seite hat er einen Gehilfen und Stellvertreter (Naaun), ein halbes Dutzend Soldaten türkischen Ursprungs, dessen sich auch die erstgenannten rühmen, ist stets deren Winke gewärtig. Die laufenden Regierungsgeschäfte und die Zölle werden von Schreibern koptischer Rasse besorgt. Außerdem ist noch ein Aufseher der Schuna (Nazir e schuna), ein gottesgelehrter Richter (Kadi) und ein Unterrichter (Schech el-alem), sowie seit 1870 ein Telegraphist vorhanden. Den Sanitätsdienst versehen ein Sanitätsarzt (Hakim e-saha) und ein Sanitätsagent (Wekil e-saha) mit ihren Untergebenen.
Erst wurde mir das stattliche Gebäude der Schuna angewiesen, das damals unverwendet war, da die Getreidelieferungen (Dachire) von Suez aus besorgt wurden. Es war eine schöne Wohnung mit vier Zimmern, worunter ein Empfangssalon, mit einer Art Zement als Boden, an einer Breitseite erhöht und hier mit weichen Polstern oder Teppichen und an den Wänden mit Kissen als Diwan belegt, was ich natürlich selbst herrichten mußte. An beiden Längsseiten sind Teppiche oder Strohmatten für die Gäste oder Beamten ausgebreitet. Nach einiger Zeit wurde die Wohnung aber wieder ihrer ursprünglichen Bestimmung zurückgegeben und ich hatte mir eine andere zu suchen. Bei dem gegen früher heruntergekommenen Zustand des Ortes standen gar manche Wohnungen leer, und bald war ein sehr geräumiges Haus mit mehreren Gelassen, darunter vier bewohnbar, gefunden, allerdings in einem Zustande des Verfalls, da es schon jahrelang nicht mehr bewohnt war. Es konnte aber mit geringen Kosten einigermaßen hergerichtet und bewohnbar gemacht werden. Diese Kosten galten als Vorausentrichtung des Hauszinses auf mehrere Jahre hinaus und beliefen sich meiner Erinnerung nach auf kaum 40 – 50 Franken. Ich wohnte so fast umsonst in einer ganzen Burg, die wie alle Häuser außer den steinernen Regierungsgebäuden aus getrockneten Lehmziegeln gebaut war. Das Haus liegt im nordöstlichen Teil der Stadt, gegenüber dem sogenannten Hospital, wenige Schritte vom Meer mit seiner KorallenkIippe, das weithin nach Osten zu übersehen ist, für einen Naturforscher die denkbar günstigste Lage. Die nach drei Seiten freien Umfassungsmauern schlossen drei Höfe ein und gegen acht bis neun Gelasse stoßen zu ebener Erde an sie an, während das als Hauptwohn- und Arbeitsraum besonders für den Sommer gewählte Zimmer und ein halbbedeckter Raum oder eine Terrasse im 1. Stock über einer Treppe und nach Osten gegen das Meer zu liegt, woher stets ein frischer Wind wehte.
Von den übrigen Gelassen dienten mir die meisten als Räume für die Aufbewahrung der Sammlungen und Vorräte, eines als Speisekammer und ein halboffenes als Küche. Alles wie gemacht für einen Naturforscher und Sammler.
Die Einrichtung im einzelnen gestaltete sich, im Hinblick auf meine besonderen Zwecke, folgendermaßen: Der Boden der Wohn- und Schlafräume wurde wieder wie in der vorigen Wohnung durch eine Art Zement geebnet und gehärtet; längs der Wände wurde eine Erhöhung, Mastaba, angebracht, ebenfalls mittels Zement, die, mit Strohböden bzw. Teppichen belegt und mit Kissen besetzt, ein Sofa oder einen Diwan bildeten. Einen Teil dieser Erhöhung in meinem Arbeitszimmer im 1. Stock benützte ich zur Aufstellung meiner Bibliothek. In der Mitte stellte ich, was eigentlich unarabisch aussah, einen extra angefertigten größeren Arbeitstisch auf, und um ihn herum einige grün angestrichene, von Kairo mitgebrachte Strohsessel, wie die von Chiavari. Dieses Arbeitszimmer war nach Osten und Süden durch große Fenster ohne Glas reichlich beleuchtet und konnte durch Holzläden gegen starken Wind, bzw. auch gegen die Sonne geschützt werden. Glasfenster sind in diesen Gegenden ganz entbehrlich, ja lästig. Neben dem Arbeitszimmer war noch ein kleineres, dunkles, nur mit einem Licht- oder Luftloch versehenes Gelaß, worin mein verschließbarer großer, von Kairo mitgebrachter Schubladenschrank stand, und auf diesem oder neben ihm zahlreiche Gläser, Einmachtöpfe, Glastuben, sowie ein großer, mit Stroh umwickelter Kolben für Spiritus.
Die Decke war aus Balken und Blattrippen von Dattelpalmen und trockenen, ungebrannten Erdziegeln gefertigt und bildete zugleich das flache Dach, das für gewöhnlich ganz gut seinen Dienst tat, starken Regengüssen aber nicht gewachsen war, so daß bei einem solchen Erguß einmal das Regenwasser sich an einer vertieften Stelle in einer Ecke des Daches ansammelte, die erdigen Teile erweichte, die Decke des Zimmers hier durchbohrte und nun gerade über meine Bücher sich ergoß, die heute noch Spuren dieser Katastrophe zeigen. Die Wände und die Decke waren geweißt, was ich zum Teil selbst durch Spritzen und Streichen mit einem in Kalk getauchten Pinsel besorgte.
Mein Hauptaufenthaltsort im Sommer war aber die halbbedeckte luftige und helle Terrasse mit Veranda daneben. An einer Wandseite stellte ich hier ein Sofa oder einen Diwan auf, bestehend aus zwei eisernen Böcken mit Brettern, dem Inventar des Spitals entnommen, darauf eine mit Ziegenhaar gefüllte Matratze und mit beweglichen Wandkissen aus demselben Material oder mit Seegras gestopft zur Anlehnung für den Rücken. In heißen Sommernächten diente das Sofa mir auch als Bett. Davor stand ein Tisch, zum Essen und Arbeiten dienend. Je nach der Jahres-, Tageszeit und Windart wurde bald das innere Zimmer, bald die Terrasse benützt, als Arbeits-, Empfangszimmer und zum Schlafen. Neben der Treppe war der Abort.
Im Winter, meist erst im Dezember und Januar, bezog ich Räume zu ebener Erde, die weniger dem Wind ausgesetzt, aber auch dunkler waren, da sie nur einige zum Abhalten der Kälte mit Papier verklebte Luftlöcher hatten, das Wohnzimmer und Schlafzimmer. Die Hauptarbeiten wurden dann auch auf die Nacht verlegt. Als Beleuchtung für die Nacht diente eine Laterne mit Kerzen, später kam mehr und mehr Petroleum auf. Bei größerer Kälte, wie sie allerdings nur selten, und auch dann nur auf kurze Zeit eintrat, machte man sich das Winterzimmer durch eine Pfanne mit glühender Holzkohle einigermaßen behaglich, auch bei verschlossener Türe und den Papierfenstern zeigte sich die natürliche Ventilation immer noch beträchtlich genug, um die Gefahr einer Kohlengasvergiftung als unmöglich erscheinen zu lassen. Auch das Winterschlafzimmer hatte für das Bett eine erhöhte Zementbank.
Die Küche ist ein halbbedeckter Raum zu ebener Erde, am großen Mittelhof. Den Herd bildet ein kaum 30 cm hoher und breiter, von Lehmziegeln oder Steinen an drei Seiten eingefaßter Raum am Boden, der mit Holzkohle oder Holz belegt und in dem das Feuer mit einem Fächer aus Palmgeflecht angefacht wird. Auf die obere Fläche der Backsteine oder eine Treppenstufe derselben wird der verzinnte Kupferkessel, die Pfanne oder die Kaffeekanne gesetzt, und der Rauch geht von den das Kochgefäß umschlagenden Flammen ohne Kamin oder Röhrenleitung durch eine Lücke im Dach der Küche ins Freie. Dieser primitive Herd ist ein Überbleibsel des Beduinenlebens der Vorfahren der jetzigen Stadtbewohner, erfüllt aber seinen Zweck ziemlich gut. Doch gibt es auch Häuser mit besserem Herd. Zur ersten Abspülung dient das salzige Wasser einer Zisterne im Hof, worin sich Grundwasser, fast so salzig als das nahe Meerwasser, befindet. Das Trinkwasser wird in einer besonderen dunklen Kammer in 3 – 4 großen, 1 1/2 m hohen und 1/2 m weiten, nicht porösen Tonkrügen, die aus dem arabischen Abendland (Maghreb) stammen, aufbewahrt; sie sind also wesentlich verschieden von den im Niltal gebräuchlichen porösen sogenannten »Sir«, die ich anfangs benützte, aber bald aufgab, da sie zu viel des kostbaren Wassers absickern ließen. Das schlechteste Wasser wird so, ohne weiteres Zutun nach Absetzen aller Unreinigkeiten, bei längerem, mehrere Monate langem Stehenlassen vollkommen rein und trinkbar, wenn es nicht von Anfang an salzig und bitter ist. Ein in diesen Gegenden längst bekanntes, richtiges »biologisches Reinigungsverfahren«. In der Vorrats- oder Speisekammer handelt es sich vor allem um den Schutz vor Mäusen, Ratten, Geckos und Kakerlaken (Schwaben) durch sorgfältiges Bedecken und Verschließen, und noch mehr vor den Ameisen: Insbesondere sind die Zuckerhüte gefährdet, man muß sie an der Decke aufhängen oder in einem Wassergefäß isolieren.
Ein Gelaß enthält meine Conchyliensammlung auf Brettgestellen mit Holzböcken und die Korallen, andere die Vorräte von Kisten, Skeletten, Fisch- und Vogelbälgen, Fässer usw. Andere Gegenstände sind in den Höfen zum Trocknen im Schatten zeitweilig aufgehängt. Der Haupteingang führt auf eine Gasse, ein hinteres Pförtchen auf eine Gasse am Hospital. Manche Einwohner benutzen den Torweg als Empfangszimmer, indem sie hier eine Zementbank für die Gäste anbringen, die dann nicht weiter ins Heiligtum des Hauses einzudringen brauchen.
Meine Lebensweise war noch mehr als früher in Kairo die der Eingeborenen und richtete sich wesentlich auch nach der Jahreszeit; die zwei kalten Wintermonate Dezember und Januar mit ihren immerhin auch in diesen Breiten kürzeren Tagen erforderten in Wohnung, Zeiteinteilung und bei der durch Stürme, Kälte des Meerwassers und Hochstand des Meeres beeinträchtigten Sammeltätigkeit auch in der Beschäftigung andere Verhältnisse: ich stand später auf, ging spät zu Bette und studierte das im Sommer Gesammelte näher, »bestimmte« es nach meinen Büchern so gut als möglich. Auch das leidige Packgeschäft wurde auf diese Wintermonate verlegt. Leider kam ich durch diese Unterbrechung im Winter später mehr und mehr auch in Studien über die vulgär-arabische Sprache hinein, welche sich immer mehr ausdehnten und vertieften. Diese Abschweifung hat Jahre, nicht bloß einige Wintermonate, wie ich anfangs meinte, in Anspruch genommen, und mich von den ursprünglich beabsichtigten anatomischen Untersuchungen abgehalten. Doch hatte sie das Gute, daß ich in die Kenntnis der Sitten und Gebräuche des Volkes, die ich mir auch zur Aufgabe machte, besser einzudringen vermochte.
Die günstigere Sommerszeit, der auch noch die Frühjahrs- und Herbstzeit zuzurechnen ist, blieb aber der Zoologie, soweit nicht amtliche und berufliche Geschäfte, die vorgehen mußten, mich abhielten. Diese waren bei den kleinen Verhältnissen eben nicht übermäßig und ließen mir für meine naturforscherische Tätigkeit Muße genug, wenn es auch zeitweilig, namentlich zur Pilgerzeit, oder wenn ich, was bei dem häufigen Wechsel und Urlaub des Sanitätsagenten der Fall war, auch dessen Geschäfte mitbesorgen mußte, es oft genug zu tun gab.
Die Tagesordnung in der wärmeren Jahreszeit war durchschnittlich folgende: Aufstehen vor Sonnenaufgang (man soll die Sonne nicht auf sein schlafendes Haupt scheinen lassen), dann amtliche Geschäfte. Bald stellen sich Knaben und Fischer ein, die ihren Fang anbieten. Dieser Handel geschah mittels eines Korbes, den ich aus dem Fenster hinabließ, worauf ich die Ware in Empfang nahm, und den vereinbarten Lohn mit dem Körbchen oder in Papier eingewickelt dem Verkäufer zustellte. Gegen Mittag hin, wenn es warm wurde, wurde es ruhiger, und ich konnte an die zoologische Arbeit gehen. Nach dem Mittagessen macht alle Welt ein Schläfchen, ganze Reihen von Schlafenden liegen im Sande im Schatten meines Hauses, umweht von dem kühlenden Nordwind vom Meere her. Um die Vesperzeit wird es wieder lebhaft, nach Sonnenuntergang folgt das Abendessen und die Geselligkeit zu Hause oder in einem Café.
Die Geschäfte des Naturforschers und Sammlers hängen aber noch wesentlich ab von der wechselnden Zeit und Stärke der Ebbe und Flut und von den Winden. Eine Sammeltätigkeit auf der Korallenklippe ist nur zur Zeit der Ebbe möglich; diese tritt bekanntlich jeden Tag um eine Stunde später ein, und so wechselt auch die Sammelzeit und muß mit den Amtsgeschäften in Einklang gebracht werden. Am günstigsten ist es, wenn dies um die Mittagszeit herum stattfindet; da ist auch der Aufenthalt auf der Klippe, selbst in den heißesten Sommermonaten, am angenehmsten, des kühlen Nordwinds wegen, angenehmer als auf dem Land und im Hause, angenehmer auch als gegen Abend, wo diese Nordwinde nachlassen. Dann hat man auch noch Zeit, seine gesammelten Sachen zu sichten, lebend zu beobachten und in Sicherheit zu bringen. Ist die Ebbe aber erst gegen Abend eingetreten, so hat man große Not, noch alles in Ordnung zu bringen. Die Versuche, die Tiere bis zum anderen Tag lebend zu erhalten, sind meistens vergeblich. Bei morgendlicher Ebbe war ich vielfach durch Amtsgeschäfte vom Besuch der Klippe abgehalten.
In der Nahrung schloß ich mich ganz an die Landessitten an. Die Hauptnahrung besteht aus Fischen, zeitweise mußte man fast ganz davon leben, wenn es eben kein Fleisch (Hammelfleisch) gab, was oft wochen- und monatelang der Fall sein konnte. Ein Ichthyophag [Fischesser] ist aber durchaus nicht zu bemitleiden, das Fleisch dieser Fische frisch aus dem Roten Meere ist großenteils von erster Güte und in großer Abwechslung zu haben. Manchmal, bei längerem stürmischen Wetter im Winter, ließ uns auch die Fischnahrung im Stiche, und nun mußte man sich eben mit Linsen, Bohnen (den Puff- oder Saubohnen, der schmackhaften Nationalspeise der Ägypter, und jederzeit, auch gekocht, auf dem Markt zu haben), mit Bamien (Hibiscus esculentus), frisch oder getrocknet, mit Reis, Datteln (locker oder gepreßt in Schläuchen als Dattelbrot) und sonstigen Vorräten behelfen. Mit Konserven in Büchsen, die am Ort selbst nicht zu haben sind, habe ich mich nicht befaßt. Manchmal, wenn z. B. ein Kamel unterwegs in der Wüste stürzte und geschlachtet werden mußte, gab es auch Kamelfleisch, das, wenn von einem jüngeren Tier kommend, gar nicht übel ist. In den Sommermonaten gab es, vom Niltal herübergebracht, oft frische Früchte, wie Datteln, Melonen, Trauben, Gurken und Gemüse. Da Milch immer sehr selten zu haben war, hielt ich mir eine Ziege im Haus, ebenso Tauben als Geflügel. Die Grundlage aller Speisen ist dem Eingeborenen immer das Brot, das man in kleinen Laiben frisch gebacken bekam, und mit dem man auch einen nicht geladenen arabischen Gast, wenn man noch ein paar Zwiebeln, Salz, Datteln oder Oliven zugab, ganz zufriedenstellen konnte. Geistige Getränke konnte man sich in Form von griechischen Weinen, mit Mastix versetztem Branntwein (Araki) von griechischen Händlern aus dem Niltal kommen lassen oder seinen Dattelschnaps nach koptischem Muster selbst destillieren. Ägyptischer Landestabak war auf dem Markt jederzeit zu haben; später kamen Zigaretten mehr und mehr auf, Zigarren wurden wenig oder nicht gebraucht.
Eßgeschirre von Porzellan, bzw. Steingut für trockene Früchte, Oliven, Marmeladen u. dgl. aus Sendungen, auch Zeuge, wurden von Zeit zu Zeit durch Urlaubsreisende, niedere und höhere Beamte oder griechische Händler aus Kairo zum Verkauf mitgebracht. Geschirre aus Metall oder Ton und Gegenstände aller Art, oft wertvolle orientalische Kunstsachen, von Pilgern, die Geld zum Weiterreisen nötig hatten, auf dem Markt öffentlich versteigert, Teppiche und Dattelbrot in Schläuchen kamen aus Arabien, zunächst von Yanbu oder Jeddah, ebendaher damals auch Sklaven und Sklavinnen trotz strengen Verbots. Spezifisch Europäisches, wie Kleider, Schuhe und dergleichen mußte man besonders bestellen; so kam es auch, daß, nachdem meine mitgebrachten Kleider vertragen waren, ich mir weiße Baumwollkleider nach arabischem Schnitt, als Kaftan, machen ließ, in roten Pantoffeln lief und stets eine rote Troddelmütze (Tarbusch oder Fez), wohl auch mit einem Tuch aus tripolitanischer Seide umwickelt (Kufija) trug; denn zur Anschaffung einer europäischen Tracht hätte es bei der weiten Entfernung Monate bedurft, oder man mußte selbst nach Kairo reisen. Diese arabische Tracht war, namentlich für den Sommer, außerordentlich bequem und zweckmäßig. Nur für den Winter bedurfte man eines wärmeren Tuchrocks oder Überziehers, und mit dem Geschenk eines solchen konnte man seine arabischen Freunde überglücklich machen. Die oberägyptischen Fellachen tragen jahraus, jahrein einen weiten Rock aus brauner Naturwolle.
Als dienstbarer Geist für alles diente mir ein etwa 11 - 12jähriger Knabe, sowohl als Begleiter beim Sammeln und Begehen der Klippe oder auf dem Lande, als auch zum Kochen und für Hantierungen aller Art. Da kein Schulzwang besteht, so hatte ich ihn zu meiner völligen Verfügung. Ein solcher Knabe erwies sich auch ganz anstellig, treu und brauchbar; sobald sich aber die Geschlechtsreife einstellte, mußte ich je einen anderen nehmen, das wiederholte sich mehrmals. Im Ganzen hatte ich in acht Jahren nur drei solche Diener. Daneben standen mir auch die zwei Spitaldiener zu Gebot, der eine für Ausgänge und Besorgungen, der andere, höher gestellte, für die Rechnungsführung und den arabischen Briefwechsel, gegen geringes Entgelt. Für meine Sprachstudien benützte ich sie auch; von einem, Ali, der sehr beredt war, aber nicht lesen und schreiben konnte, ließ ich mir arabische Geschichten und Märchen erzählen, besonders in den Nächten des Ramadan, vom anderen ließ ich mir die mir unbekannten Worte aufschreiben oder buchstabieren. Mein Hauptlehrer im Arabischen aber war ein alter Schriftgelehrter, der 2. Kadi oder Schech el-Alem Mohamed, der die Theologenschule in Kairo durchgemacht hatte.
Mein sonstiger Umgang waren die christlichen Kopten des Ortes, die sich mir als Glaubensgenossen näher fühlten, sodann der Gouverneur, dem man mindestens am Freitag einen Besuch abzustatten hatte, und die anderen Beamten und Honoratioren. Aber auch mit den sonstigen Bürgern unterhielt ich mich gern namentlich im Café. Meine speziellen Freunde waren meine Lieferanten, die Fischer. Mit allen diesen wurde ausschließlich arabisch gesprochen; der jeweilige Sanitätsagent, mein nächststehender Amtsgenosse, hatte aber eine andere Sprache: Italienisch, oder Griechisch oder Arabisch in anderer Mundart, zum Beispiel Syrisch oder Maltesisch. Mit ihnen unterhielt ich mich, da ich im Italienischen nicht fertig genug war, fast nur Französisch.
Klunzinger, Carl Benjamin
Erinnerungen aus meinem Leben als Arzt und Naturforscher zu Koseir am Roten Meere
Würzburg 1915
Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende in Ägypten 2200 v. Chr. – 2000 n. Chr.
Wien 2001