Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1845 - Richard Lepsius
Von Theben zu den Steinbrüchen und zum Roten Meer
Arabische Wüste, Mons Claudianus und Mons Prophyrites

Wir brachen von Theben am 4. März über Kena in die Wüste auf und verfolgten zuerst die älteste Verbindungsstraße zwischen Oberägypten und dem Roten Meere, welche von Koptos (Quft) nach Philoteras Portus (Kosseir) führte und noch jetzt die gewöhnliche Pilgerstraße nach Mekka ist. Wir hielten halbwegs, 2 Tagesreisen von beiden Endpunkten bei Hamamat, den alten Steinbrüchen der schönen und kostbaren breccia verde, an, welche schon seit der 6. Manethonischen Dynastie (über 3000 v. Chr.) ausgebeutet und noch bis in griechische und römische Zeiten herab benutzt wurden. Dies bezeugen die zahlreichen hieroglyphischen und griechischen Felseninschriften, die uns hier 5 Tage lang beschäftigten. Sie sind in der Regel von den Ober-Baudirektoren verfaßt, welche zugleich über die Steinbrüche und Minen gesetzt waren und nicht versäumten, ihre Besuche und Anordnungen neuer Arbeiten auf diese Art kund zu tun durch Proskynemen [Fußfall] vor Göttern und Königen. Dieses hohe Amt der Ober-Baudirektion, welches in den ältesten Zeiten nicht selten an Prinzen übertragen wurde, war so streng erblich, daß ein solcher Baumeister in der Zeit der Psammetiche und Perser in einer Inschrift von Hamamat 23 Ahnen, welche alle ununterbrochen dasselbe Amt führten, und eine Ahnmutter an ihrer Spitze aufführen konnte, deren Genealogie vollständig und ohne Lücke erhalten ist. Wir fanden meist datierte Inschriften von gegen 40 verschiedenen Königen, darunter mehrere wie die Perserkönige Kambyses (Kenbut), Darius (Driusch), Xerxes (Chschiarsch), Artaxerxes (Artech schesesch), die nur hier vorkommen, und andere, die noch völlig unbekannt waren.
   Ich hatte inzwischen nach Kosseir geschickt, um eine Barke nach Dschebel Zeit, etwa 7 Tagesreisen nördlich, abgehen zu lassen, welche uns nach Tur zur Halbinsel hinüber und dann nach Kosseir zurückbringen sollte. Wir selbst gingen zu Kamele, um die Granitbrüche des Dschebel Fatireh (Mons Claudianus) und die kostbaren Porphyrbrüche des Dschebel Duchchan (Mons Porphyrites) zu besuchen, mitten durch das wüste, fast völlig vegetationslose, hohe Gebirge, in welchem wir binnen acht Tagen nur einmal Wasser fanden, eine Regenquelle, die sich in Granitbecken sammelt und in trockenen Jahren versiegt. Das Aufsuchen dieser Quelle brachte uns übrigens noch in die ernsteste Lebensgefahr, die uns auf unserer ägyptischen Reise bisher begegnete.
   Eine Tagesreise vor dem Wasser waren wir mit dem Führer, wie gewöhnlich, der Karawane vorausgeritten; der Führer verirrte sich aber gegen Abend in dem tal- und schluchtenreichen Gebirge völlig; unsere kleine Tagesration von vier Biskuits und einer Flasche Wasser, die nur vom Früh-Kaffee bis zum abendlichen Reisgericht vorhalten sollte, war längst zu Ende, und wir mußten ohne Brot und Wasser und Decken die Nacht fern von der Karawane auf dem Sande zubringen. Am andern Morgen ließ uns aber der Führer, der sich nicht wieder zurecht finden konnte, nach neuen Irrwegen ganz und gar im Stich, allein in der schattenlose Wüste, ohne Wasser und Weg, in einem viele Tagereisen weit unbewohnten Gebirgslande. Ich hatte ihn, als wir nach einem sehr beschwerlichen Felssattel abgestiegen waren, um die nächste Ecke geschickt, nach dem Wasser zu spähen; er kam aber den ganzen Morgen nicht wieder, und mußte verunglückt sein oder einen verzweifelten Schurkenstreich, vielleicht aus eigner Angst, gespielt haben. Da ich an beides nicht glauben wollte, so würde ich an derselben Stelle bis aufs Äußerste gewartet haben, weil es tollkühn schien, in diesem Berglande, schon verirrt, ohne Führer nach den Sternen reisen zu wollen; doch gab ich endlich, und uns zum Glücke, dem Zuredender der anderen nach und brach um Mittag auf. Wir nahmen das Kamel des Führers mit und wollten zwei Araberhütten, die einzigen auf der ganzen Reise, die wir tags vorher sechs bis acht Stunden von hier entfernt zwischen Hügeln gesehen hatten, wieder aufsuchen, obgleich wir nach unseren nächtlichen Irrwegen nur der allgemeinen Himmelsrichtung nachgehen konnten und daher wenig Wahrscheinlichkeit war, daß wir sie wiederfinden würden; von der Karawane, und ob sie das Wasser gefunden hatte, wußten wir gar nichts; es war nur ein Araber mit ihr, der vor 21 Jahren einmal diese Gegend besucht hatte, unser verlorner Führer war vor 12 Jahren hier gewesen. Da wurden wir wunderbar aus dieser bedenklichen Lage gerettet; wir waren aus unserer Steinschlucht in ein größeres Tal geritten, verfolgten dieses und begegneten nach ungefähr einer Stunde zwei Arabern zu Kamel, die unser türkischer Kavaß, nachdem er schon die Nacht vorher auf den Hügelspitzen vergeblich Feuer angezündet und alles Pulver verschossen hatte, uns in die höheren Berge, auf gutes Glück hin, nachgeschickt hatte, er hatte ihnen Wasser und Brot für uns mitgegeben, und die Ausdrücke der aufrichtigen Freude der Araber und unserer Diener beim Wiedersehen waren rührend. Wir sahen ein, daß, wenn wir aus unseren entlegenen Steintale eine Viertelstunde früher oder später aufgebrochen wären, wir die Araber verfehlt haben würden und uns die nahe Möglichkeit bevorstand, in diesen wüsten Bergen zu verschmachten, wie es vor wenigen Jahren noch drei türkischen Soldaten ergangen war, die gleichfalls von ihrem Führer verlassen worden waren. Den unsrigen fanden die Kameltreiber, als sie abends die Kamele zur Quelle brachten, mit offenem Munde, wunden Füßen und aufgeschwollenem Leibe vom unmäßigen Wassergenuß, sprachlos am Wasser liegen; er mußte sich also endlich doch mit arabischer Spürkraft dahin gefunden haben; so wurde er uns, auf einem Kamel liegend, ins Lager gebracht, das noch immer eine Stunde vor der Quelle aufgeschlagen war, weil unsre Spuren tags vorher auch die Karawane eine Zeit lang irre geführt hatten.
   Dschebel Duchchan, der Porphyrberg, der unser eigentliches Ziel in dieser Gegend gewesen war, lag nach alledem nun schon weit hinter uns, wir waren an ihm vorbeigegangen. Doch machte ich den folgenden Tag noch einen Versuch, schickte die Karawane zum Wasser und ging mit meinem Begleiter und dem alten verständigen Führer der Karawane zurück; auch fanden wir, mit Hilfe eines Arabers aus jenen Hütten, den Berg und die Ruinen des Arbeiter-Dorfes mit zwei verfallenen und daher jetzt leeren Brunnen und einem kleinen Tempel ionischer Ordnung, unter Hadrian dem Helios Sarapis gebaut, wie die schon früher bekannte Architrav-Inschrift sagt. Ich habe für den ganzen von uns zurückgelegten Gebirgsweg so wie auch über die wichtige, bisher noch nirgends genau angegebene Kosseir-Straße, sehr detaillierte Karten vorbereitet.
Bei Dschebel Zeit, dem "Öl-Berge", von den reichen Bergölquellen an seinem Fuße so genannt, fanden wir das von Kosseir bestellte Schiff bereit.

Lepsius, Richard
Reise von Theben nach der Halbinsel Sinai, 4. März – 14. April 1845
Berlin 1845

Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende in Ägypten 2200 v. Chr. – 2000 n. Chr.
Wien 2001

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