1844 - Ida Hahn-Hahn
Abende auf dem Nil
Zwischen Wadi Halfa und Assuan
(Jetzt Lake Nasser)
Die Abende auf dem Nil - Stürme natürlich abgerechnet, die in diesen Regionen ungefähr unser nordisches Schneetreiben vertreten - sind die schönsten, die ich erlebt habe. Am Tage ist es so heiß, und die brennenden Sonnenstrahlen reverberieren so scharf auf dem Wasser, dem Wüstensand, den Kalkgebirgen, daß man nicht gern die Kabine verläßt. Gegen Abend kommt man heraus, legt sich ein paar Stunden auf das breite Sofa und atmet die leichte, linde, frische Luft ein. Die Sonne sinkt hinter das libysche Gebirge, das dunkelblau wie Email im Schatten liegt, während die Lichtstrahlen auf dem arabischen wie auf einem Prisma spielen und es mit Farben von Blumen, Schmetterlingen, Edelsteinen schmücken. Wie große flammende Rosen liegen einzelne Massen da; wie Ketten von Amethyst in goldner Fassung die langgestreckten. Die stillen Wasser spiegeln getreu die schönen Gebilde zurück, nur mit einem leichten Florschleier überhaucht. Frühlingsduft erfüllt die Atmosphäre; Rübsamen-, Bohnen-, Lupinien-, Wicken-, Baumwollfelder stehen in Blüte; Weizen und Gerste sind armlang; Akaziengesträuch mit lilafarbenen und blauen Schlingpflanzen durchflochten, auch andre Gebüsche, die ich nicht kenne, umgeben die Wasserräder, Sakije genannt, welche ununterbrochen die Felder bewässern, oder wachsen auf ihre eigene Hand am Ufer, da, wo es nicht bebaut ist. Frühlingsatem müßte ich eigentlich diesen unbestimmten, balsamischen, erquickenden Geruch nennen, den unsre Felder und Wälder auch in der schönsten Zeit unseres Jahres, im Juni, aushauchen. Die wilden Tauben wiegen sich auf Palmenzweigen oder gurren und lachen lieblich neckend wie fröhliche Mädchen aus den Gebüschen. Wasservögel sitzen geschart beisammen auf den Sandbänken, marmorweiße hier, rabenschwarze dort, und zirpen oder schnurren ihr eintöniges Abendlied, das sie vom einförmigen Geplätscher der Wellen, zwischen denen sie leben, gelernt haben. Ein großer Reiher fliegt zuweilen über die ganze Breite des Flusses, oder ein Pelikan, der mit schwerem Flügelschlag nach irgend einem Fisch untertaucht. Ist die Sonne gesunken und das Abendrot verglimmt, so beginnt zuweilen im Süden ein zweites Abendrot, dunkler und weniger flammend als das erste, aufzugehen, und die erblaßten Berge noch einmal rosig zu schminken. Inzwischen sind auch die ersten Sterne aufgegangen: die himmlische Venus als Abendstern, schöner als irgendein andrer, die Sonne des nächtlichen Himmels; der kühne Jäger Orion steigt langsam über das arabische Gebirg herauf. Später, im tiefen Südost, der Kanopus, den man bei uns, und ich glaube in ganz Europa, niemals sieht. Dann fährt man dahin wie zwischen zwei Himmeln. Das Silberband des Nils ist in ein dunkles Firmament voll sanft zitternder Sterne verwandelt, während die da oben groß und ruhig wie himmlisch gute Geisteraugen aussehen und gar nicht das bittre Geflimmer haben, als ob sie vor Kälte zittern und beben, wie in unseren Winternächten wenn sie recht klar sind. Sie brauchen hier auch nicht zu frieren, denn unsere Juliabende mögen schwerlich wärmer sein als die januarischen in Oberägypten und Nubien. An den Ufern ist es noch lange lebendig. Feuer flammen in den Dörfern auf, und der Platz des Herdes ist vor der Tür. Die Schaf- und Ziegenherden werden blökend heimgetrieben, Hunde bellen, Esel schreien, Kinder jauchzen, die Sakije dreht sich knarrend. Am Schaduf singen die Männer taktmäßig, indem sie die Schöpfeimer im Nil füllen und in die Rinnen leeren, welche das Wasser weiter führen. Gesänge der einzelnen, die aus den Feldern heimkehren, laute Gespräche und Rufe schallen weithin. Die Araber reden miteinander von Barke zu Barke, vom Ufer zum Nachen, ich glaube wirklich von Dorf zu Dorf, so lange nur die Stimme erschallt - dermaßen gesprächig sind sie, und immer in einem Ton, der mir wie dröhnendes Geschrei vorkommt. In irgend einer einsamen Barke wacht ein Mann und vertreibt sich die Zeit und den Schlaf, indem er die Darabuka schlägt, deren dumpfer Ton mich immer an die spanische Gitarre erinnert, die auch so nachlässig und im Grunde tonlos klingt, obgleich die Instrumente selbst nicht die mindeste Ähnlichkeit haben. Endlich wird es still allüberall und kühl auf dem Wasser. Dann geht man wieder in die Kabine und trinkt Tee. - Weht der Nordwestwind scharf, der mich, so lange ich in Ägypten bin, kaum einen Tag verlassen hat, und der bei der Nilauffahrt ebenso günstig war, als er jetzt bei der Niederfahrt hemmend ist, dann steht es freilich übel um die abendlichen Vergnügungen, und das unbehagliche Gefühl, in alle Mäntel gewickelt zu sitzen und dennoch frieren zu müssen, gesellt sich zu dem Unbehagen, welches Langeweile und Ungeduld erzeugen.
Hahn-Hahn, Ida
Orientalische Briefe
herausgegeben von G. Habinger
Neuausgabe Wien 1991
Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende in Ägypten 2200 v. Chr. – 2000 n. Chr.
Wien 2001