Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1853 - Heinrich Brugsch
Alexandrien: Mitten im Orient und doch in Preußen

Meine Freude ist nicht zu schildern. Immer deutlicher dehnte sich vor meinen Augen ein schmaler und langer gelber Streifen aus, den eine Allee als Weg zur Feste Abukir bezeichnete. Alexandrien mußte den entgegengesetzten Teil dieses Streifens bilden, und bald lag sie da, die Stadt, lang ausgebreitet vor meinen Blicken. Das war der Anfang Ägyptens, das der Eingang in das Land meiner heißesten Wünsche. Meinen königlichen Gebieter [König Friedrich Wilhelm IV.] segnend, dessen Gnade mir diesen höchsten Freudenmoment meines Lebens bereitete, begrüßte ich, Tränen im Auge, das Land meiner Träume. Es war ja der Boden, wo man einst demotisch sprach und schrieb! - Durch mein Fernrohr erkannte ich deutlich die Hauptgebäude der Stadt, „die Laterne von Alexandrien“, die alten und neuen Festungswerke, das Palais Mehemed Alis, dann eine große Menge von Mühlen, deren acht Flügel sich wie ein schnurrendes Uhrrad hurtig drehten.
   In der Nähe des Hafens ward das Meer unruhiger und der „l'Oriente“ daher stark geworfen. Ein kleines Boot, mit vier arabischen Piloten besetzt, näherte sich unserm Schiff trotz des starken Wellenschlages. Das Seil ward ihnen vom Schiffe aus zugeworfen, und zwei der dunkelbraunen Gestalten führten sicher den Dampfer die mächtigen Riffe hindurch, an welchen sich das schäumende Meer mit hoch aufspritzender Woge brach. Sie sind es, welche den Hafen Alexandriens ebenso unsicher als gefährlich machen. Endlich rasselte der Anker ins Meer hinein, wir befanden uns sicher im „neuen“ (richtiger dem alten) Hafen, der mit vielen Schiffen aller Nationalitäten besetzt war. Eine große Zahl arabischer Boote umschwärmte das Dampfschiff. Unter entsetzlichem Lärmen und Schreien bemächtigten sich vier Araber meiner Person und meines Gepäcks, bald ward ich hierher, bald dorthin gerissen, und nur ein Lohndiener rettete mich mit Not und Mühe vor den unverschämten Andringlingen. Wir stiegen in eins der Boote, und eine Reihe stattlicher Linienschiffe passierte vor unserer Barke. Sie wurden in dem Zeitraum eines Jahres unter dem kräftigen Regimente Mehemed Alis geschaffen, faulen aber gegenwärtig als nutzloses Schmuckstück im Hafen. Endlich war der Landungsplatz vor der Douane [dem Zollamt] erreicht, und mein Fuß betrat zum ersten Male Ägyptens Boden. Das lärmende Treiben der Araber und Türken, die eigentümlichsten Trachten und Gebärden, der behende und schnelle Esel mit seinem Reiter, das lasttragende, gravitätisch einherschreitende Kamel mit seinem Führer, die arabischen Häuser mit den schlanken Palmen dahinter - alles dies versetzte mich in eine andere Welt. Ich hatte Mühe, mich von meinem Staunen zu erholen. Der Orient lag vor mir und erfaßte mich mit der ganzen Macht seiner Eigentümlichkeit.
   Ich schlug mein Domizil in der Wohnung des preußischen Konsulats auf, da man mir mit größter Zuvorkommenheit dies freundliche Anerbieten gemacht hatte. Nichts konnte mir erwünschter sein: mitten im Orient und doch in Preußen! Mein Aufenthalt in Alexandrien währte etwa dreißig Tage. Ich hatte während dieser Zeit Gelegenheit, teils ausgezeichneten Persönlichkeiten wie dem hochbetagten, immer aber noch rüstigen schwedischen Generalkonsul Anastasy vorgestellt zu werden, teils die Stadt und vor allem die antiquarischen Überreste derselben zu studieren.
   Die erstere bietet ein zwitterhaftes Bild dar; das Gemisch des Orients mit dem Okzident hat von keiner Seite einen besondern Sieg erringen lassen. Prachtvolle Gebäude im europäischen Stile, besonders auf dem Frankenplatze, wechseln mit arabischen Häusern und Hütten, und der charakteristische europäische Hut erscheint ebenso oft als der rote Tarbusch. In antiquarischer Beziehung galten meine ersten Besuche der Nadel der Kleopatra, Pompejussäule, den Grundmauern der alten Bibliothek usw. Die Nadel der Kleopatra, ein ursprünglicher heliopolitischer Obelisk, wurde von Thutmosis III. errichtet, die Nebenkolonnen auf jeder Seite von Ramses II. mit hieroglyphischen Inschriften ausgefüllt. Auch ein unbekannter König hat sich neben diesen mächtigen Pharaonen zu verewigen gesucht.
   In Alexandrien sind seit kurzem viele neue Entdeckungen zutage gefördert worden, die ich zur Zeit in einem besondern Berichte getreulich und ausführlich mitzuteilen gedenke. Obenan steht die Entdeckung der Fundamente der Alexandrinischen Bibliothek (?) bei Gelegenheit des Baues einer griechischen Schule, die in der Tat von erstaunlicher Ausdehnung sind. Die Grundmauern sind oft über 14 Fuß dick und erheben sich in stufenförmigen Absätzen zu einer beträchtlichen Höhe und schließen lange kellerartige Gänge in sich, in denen sich bis jetzt zwei Zisternen mit dem klarsten trinkbaren Wasser vorgefunden haben. Von diesen geht die eine in langen Gängen noch tief unter den Fundamenten fort. Ich habe Araber in das eiskalte Wasser hineinsteigen und schreien lassen. Ein weithin schallendes Echo bewies mir die Größe und Ausdehnung der Gänge des unterirdischen Brunnens. Die Leute, die hineingestiegen waren, sahen zwei Gänge sich öffnen, waren aber trotz allen angebotenen Bakschischs zu ängstlich, um weiter hineinzudringen. Ich habe einen der Architekten gewonnen, der mir den Plan des Gebäudes genau vermessen wird. Mitten in den Bergen von Schutt, der die Fundamente bisher den Augen verhüllte, fanden sich Überreste von Granit- und Marmorsäulen, hier und da auch Kapitelle. Interessant ist aber der Fund eines großen Blocks aus schwarzem Granit, der eine Opferszene mit der Person und den Schilden des Königs Menoptah Seti darstellt in den schönsten Ausführungen der Figuren und Hieroglyphen. Ich habe getreue Kopien genommen und werde die Papierabdrücke mit nach der Heimat bringen. Da die (roten) Ziegel und der Zement, aus dem die Grundmauern bestehen, sich so innig verbunden haben, daß nur die Gewalt des Pulvers sie zu trennen vermag, so sollen sie gänzlich vom Schutte gereinigt und zu einem großen Wasserbehälter aus- und umgebaut werden. Die ganze Anlage befindet sich inmitten der Stadt, im Norden des Hauptplatzes von Alexandrien, im Westen der Nadel der Kleopatra.
   Fast in allen Straßen Alexandriens erblickt man große Säulenstücke, und Kapitelle von Granit, selbst von Marmor, liegen allenthalben umher. Die oft sehr geschmackvollen Kapitelle kehren die Araber auf der Seite des Abakus [der Deckplatte] um und benutzen sie als Sitze vor den Eingängen der Häuser. Häufig werden dieselben bei Neubauten angewendet und bilden wahrscheinlich den dauerhaftesten Teil derselben. So sah ich zwei schöne Granitsäulen samt Kapitellen am Eingangstor der großen Moschee in Alexandrien verbaut. Auch die Zisternen der Stadt, deren es an 2.000 geben soll, stammen fast sämtlich aus alter Zeit. Wenige sind offen geblieben, der größere Teil ist zugemauert. Ihre Lage kann dazu dienen, die Richtung der Hauptstraßen des alten Alexandrien näher zu bestimmen.
   Von den bekannten Katakomben besuchte ich in Gemeinschaft mit einem deutschen mir befreundeten Arzte, dem Dr. Pfund, zuerst diejenigen, welche im Nordosten der Stadt am sogenannten Korso liegen. Wir wählten dazu den Weg linker Hand hinter dem Tore von Rosette, der über wahre Berge von Schutthaufen führt, auf dem gleichzeitig eine bedeutende Zahl von Kamelen, mit großen Kalksteinen beladen, ihren Führern gelassen folgte. Das Meer lag nahe vor uns und gewährte bei der Hitze der Nachmittagssonne eine angenehme und erfrischende Kühle. Die Vegetation ist hier äußerst dürftig. Einzelne Brassizeen (Kohlarten) und Sinapisarten (Senfarten), vor allem aber die gelbblühende Calendula aegyptiaca sind fast die einzigen Pflanzen, die in größerer Menge den Boden bedecken. Im Sommer versengen auch sie, und dürrer trockener Kalkboden bildet dann den traurigen Charakter dieser Gegend.
   Auf unserm Ritte begegneten wir großen Herden von ägyptischen Ziegen und einer Schar von etwa 30 Kamelen, die sich plump auf dem Boden herumwälzten. Ihre Hüter, von der Sonne gebräunte Beduinen, deren weißes Gewand um Kopf und Körper in fast antiker Weise geschlungen war, saßen mit gekreuzten Beinen auf dem Boden und rauchten ihren Schibuk. Bald kamen wir zu Gruben, die, rechts und links vom Wege gelegen, die Fundamente alter Gebäude deutlich erkennen ließen. Die Straße selbst schien eine Strecke weit gepflastert zu sein und zeigte große Fragmente von Säulenüberresten in Granit und Porphyr. Dieser Ort gibt die Lage der Stadt Nikopolis mit neuern Tempeln und Straßen an, wo Augustus den Antonius besiegte. Nach manchen Umwegen durch Schutthaufen und Trümmer gelangten wir endlich zu den ersten Katakomben. Sie boten sich als eine mächtige Grube unsern Blicken dar. Aber welch ein trauriges Bild gewährten sie dem Wanderer! Viele Araber sind damit beschäftigt, sie vollständig zu zerstören, und Kamele knien in ihrer Tiefe, um die zerschlagenen Kalkstücke auf ihren Rücken aufzunehmen und sie der Stadt als Baumaterial zuzuführen ...
   In den Gewölben habe ich Spuren von roher griechischer und römischer Malerei vorgefunden; die Ränder der Wände sind jedoch mit ägyptischen Farbenreihen geschmückt. In der Mitte der Grube befinden sich Überreste von Marmorplatten, Säulen und Kapitellen. Am bemerkenswertesten war mir ein Sarkophag von schönem weißem Marmor, den äußerlich Skulpturen, wie es scheint, aus römischer Zeit, zieren und der jetzt mitten im Schutte vergraben liegt ...
   Weiter nördlich und unmittelbar dem Meere zugekehrt, aus dem in den Fels eingehauenen Zimmer hervorragend, finden sich weitere Gruppen von Katakomben, die an Erhaltung, besonders was die Vorkammern anbetrifft, den eben genannten weit voranstehen. Die Katakomben in der Nähe der sogenannten Bäder der Kleopatra liegen im Nordwesten der Stadt. Zu ihnen führt ein Weg vom Mahmudihtor mitten durch ärmliche Araberdörfer. Die unterirdischen Katakomben haben hier eine ungemeine Ausdehnung und gehen tief in den Kalkstein hinein, der hier mehr als sonst porös und vom Meersalz durchdrungen ist. Der Eingang zu ihnen ist tempelähnlich. Eine Anzahl von Pfeilern stützt die Decke, durch welche Wasser wie in den Tropfsteinhöhlen herabtropft.
   Die Bäder der Kleopatra befinden sich unmittelbar am Ufer des Meeres oder bilden vielmehr gegenwärtig einen Teil desselben. Sie bestehen aus Zimmern, die in den zunächst dem Meere gelegenen Felsen hineingeschlagen sind, von denen jedoch das Meer den größeren Teil so rein hinweggespült hat, daß sich nur noch hier und da die Fundamente rekonstruieren lassen. Vollkommen erhalten sind nur noch drei. Diese sind etwas über 10 Fuß hoch, kommunizieren durch Türen und sind im Innern 2 Fuß tief mit Meerwasser erfüllt, das von außen sowohl durch die drei Eingangstüren als auch durch einen unterirdischen Gang eindringt, der vom dritten Zimmer nach dem Meere führt.
   Vierzehn Tage vor meiner Ankunft hatten Araber in der Nähe der Pompejussäule und im Westen des Sees Mareotis neue Katakomben entdeckt. Ich eilte dorthin und hatte Gelegenheit, eine sonderbare Metamorphose mit anzusehen, welcher sich diese alten Grabstätten unterziehen müssen. Die Hände der Fellachen verwandelten sie nämlich in einen großen Kuhstall. Sie sind am schönsten erhalten, und ich habe von ihnen genaue Pläne und Ansichten genommen. Nebst zwei kolossalen Statuen aus griechischer Zeit, welche ich auf dem Wege nach Ramleh sah, sind sie die einzigen Überreste des alten Alexandrien in der Umgebung der neuen Stadt.

Brugsch, Heinrich
Reiseberichte aus Ägypten
Leipzig 1855; Nachdruck 1977

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