Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1761 - Carsten Niebuhr
Von Alexandria nach Kairo

Die Europäer, die ihre Reisen von Alexandrien nach Kahira bekannt gemacht haben, haben alle einen Weg, nämlich nach Raschid, und von da auf dem Nil nach Kahira genommen. Wir wünschten daher zu Lande zu gehen, um solche Gegenden von Ägypten zu sehen, die noch nicht sehr bekannt sind. Aus dem Vorhergehenden wird man schon annehmen können, dass dieses wegen der umher streifenden Araber unmöglich sei, wofern einer nicht so reisen kann, dass es ihm gleichgültig ist, ob er geplündert werde oder nicht. Selbst einer aus unserer Gesellschaft lernte das aus eigener Erfahrung. Herr Forskål, welcher im folgenden Jahr zu Lande von Kahira nach Alexandrien reiste, musste den Arabern alles, was er bei sich hatte, geben, und es war noch eine große Höflichkeit von ihnen, dass sie ihm die Beinkleider wieder schenkten.
   Wir mieteten also von Alexandrien bis Raschid ein kleines Fahrzeug und gingen am 31. Oktober an Bord, kamen aber wegen widrigen Windes an diesen Tage nicht weiter als bis Abukir, etwa 4 Stunden von Alexandrien. Hier ist ein großer Meerbusen, wo bisweilen Schiffe, die den Hafen von Alexandrien nicht erreichen können, Anker werfen, und bei dem Dorf ist ein kleines Kastell mit einigen Soldaten. Am 1. November war der Wind uns noch beständig entgegen. Meine Reisegefährten beschlossen deswegen, den Rest der Reise in Gesellschaft einiger Türken, welche an diesem Ort schon lange auf guten Wind gewartet hatten, zu Lande zu machen. Sie nahmen ein Boot, um über einen Landsee, der einen Zufluss aus dem Nil und einen Ausfluss in das Mittelmeer hat, zu gehen, und nachher reisten sie auf Pferden und Eseln durch eine sandige Gegend, wo man nichts Merkwürdiges findet als 10 bis 12 gemauerte Pfeiler, die den Weg zeigen, bis Raschid. Indessen kamen sie nicht viel früher an als ich. Der Wind wurde wieder günstiger, und auch ich erreichte diese Stadt am 2. November.
   Die Seereise zwischen Alexandrien und Raschid ist im Winter so gefährlich, dass sehr oft in dieser Jahreszeit Schiffe in den Boghàs oder dem Ausfluss des Nils verloren gehen. Obwohl der Fluss noch nicht viel gefallen war und man doch vermuten konnte, dass unser Schiffer dies Fahrwasser sehr gut kennen würde, so stießen wir doch mit unserem kleinen platten Fahrzeug zu verschiedenen Malen auf den Grund, und der Schiffer entschuldigte sich damit, dass das Bett des Stromes sich sehr oft verändere. Die Ägypter müssen jetzt also gar nicht mehr befürchten, dass feindliche Kriegsschiffe in diesen Arm des Nils kommen. Ich vermute, dass sie deswegen die Kastelle an demselben so gänzlich haben verfallen lassen. Zwischen den Boghàs und Raschid ist an der Westseite des Nils zwar noch ein altes und hohes Kastell; es ist aber gänzlich verlassen, und man findet dort nichts Merkwürdiges als einige arabische Inschriften und einige alte Kanonen von eisernen Stangen mit Ringen. An der Ostseite des Flusses ist ein anderes kleines Kastell, aber auch ohne Bedeutung.
   Die Stadt Raschid, oder wie die Europäer sie zu nennen pflegen, Rosette, ist schon lange in der arabischen Geschichte bekannt. Aber sie scheint erst in Flor gekommen zu sein, nachdem der Handel zu Fue, einer anderen Stadt höher am Nil, abgenommen hat. Sie ist heute die Niederlage von allen Kaufmannswaren, welche von Kahira nach Alexandria und von hier nach Kahira gebracht werden, denn die kahirinischen Schiffe gehen nicht weiter als bis Raschid, und die von Alexandrien kommen, gehen nicht nach Kahira. Die Stadt ist ziemlich groß und liegt an der Westseite des Nils auf einer Anhöhe, von welcher man eine vortreffliche Aussicht über den Nil in das Delta hat. Ihre Polhöhe ist 31°24'. Nicht weit von hier, bei einem Dorf Abumandir, ist eine starke Krümmung des Nils, an der man noch in diesem Jahr über 20 marmorne Säulen aus dem Sand gegraben und nach Kahira gebracht hat. Die in Raschid wohnenden Europäer glaubten, an dieser Stelle die Lage der Stadt Canopus wiedergefunden zu haben. Von hier soll nach der Tradition der Ägypter ein großer Arm des Nils nach Westen durch kleine Seen gegangen und bei Abukir in die See gefallen sein, aber dieser Fluss ist durch ganz feinen Sand, der in dieser Gegend häufig ist und sich leicht vom Wind fortführen lässt, gänzlich verstopft.
   In Raschid wohnen ein französischer und ein venezianischer Konsul, desgleichen einige europäische Kaufleute, um den Transport der Waren ihrer Freunde zwischen Kahira und Alexandrien zu besorgen. Wir wohnten hier bei den Franziskanern. Die Einwohner dieser Stadt werden wegen ihrer Höflichkeit den Europäern gegenüber gerühmt. Man könnte sich also schon deswegen hier länger aufhalten als in anderen ägyptischen Städten, wo die Europäer bekanntermaßen nicht sehr geachtet werden. Aber wir eilten, nach Kahira zu kommen. Wir reisten schon am 6. November auf einem anderen kleinen Schiff von Raschid ab und kamen an diesem Tage noch bis Mentûbes, wo wir wegen widrigen Windes anlegen mussten.
   Am 7. November gegen Abend erreichten wir den Flecken Deirut. Weil der Wind still war und ich hier nichts von den Einwohnern zu fürchten hatte, setzte ich meinen Quadranten gleich an Land und fand die Polhöhe dieses Ortes mit Hilfe der observierten Höhe eines Sternes im Mittagszirkel bei 31° 13'. Ich versuchte nachher noch verschiedene Male astronomische  Beobachtungen zu erhalten, aber vergebens. Ich musste mich auf dieser Reise begnügen, die Krümmungen des Nils und die Zeit, welche wir von einem zum anderen Ort brauchten, zu notieren, und dabei hatte ich noch das Schicksal, solche Schiffsleute angetroffen zu haben, die mir oft den Namen der Dörfer nicht sagen wollten oder vielleicht nicht sagen konnten, denn man muss diesen Weg oft gekommen sein, um so viele Dörfer kennenzulernen. Überdies segelten wir zuweilen in der Nacht, dass ich also auch deswegen nicht einmal alle Dörfer sehen konnte. Da aber die Entfernung von Deirut nach Kahira zu groß ist, als dass man ohne observierte Polhöhen eine gute Karte vom Lauf des Nils entwerfen könnte, so bestimmt ich noch auf anderen kleinen Reisen von Kahira aus auch die Polhöhe von Wardan, 30° 20', und die von Batn el bakkara oder der südlichen Ecke vom Delta, 30 13'.
   Am 8. November segelten wir an der Stadt Fue vorbei. Dieser Ort ist jetzt nur schlecht im Vergleich mit dem, was er ehemals gewesen ist. Das Haus des venezianischen Konsuls, der ehedem hier gewohnt hat, und auch das Zollhaus sollen noch zu sehen sein. In dieser Gegend ist ein Kanal, der sich mit einem weit größeren von Rachmanie vereinigt und, nachdem er die umliegenden Felder bewässert und die Wasserbehälter in Alexandrien aufgefüllt hat, bei dieser Stadt ins Meer fällt. Diese Kanäle müssen wegen der vielen Erde, welche der Nil in seiner größten Stärke immer mit sich führt, oft gereinigt werden, und durch diese Erde sind nach und nach große Hügel aufgeführt worden, die man sonst in diesem flachen Land nicht finden würde. Alle Schiffe, die von Alexandrien oder Kahira kommen, legen bei Bulak ein. Wir erreichten diesen Hafen am 10. November gegen Abend.
   Die Reisen auf dem Nil sind, besonders in dieser Jahreszeit, da alle Felder grün bewachsen sind, sehr angenehm. Beide Ufer des Flusses liegen voller Dörfer. Die Häuser sind fast durchgehend zwar nur schlecht, nämlich aus ungebrannten Ziegelsteinen und oben platt, indessen geben sie mit den Taubenhäusern, die wie bekannt, in diesem Land eine ganz besondere Form haben, und mit den vielen Dattelbäumen einem neu angekommenen Europäer einen fremden und hübschen Anblick. Auch sieht man noch bei verschiedenen Dörfern große Hügel von den Ruinen alter Städte, und bei Terane lagen große Haufen Salz oder, wahrscheinlicher, Nitrum, welches aus anderen Gegenden hierher gebracht worden ist, um auf dem Nil verschickt zu werden. Krokodile habe ich im Nil zwischen Raschid, Kahira und Damiat nicht gesehen. Die Ägypter glauben, dass in dem Mikkias bei Kahira ein Talisman eingemauert ist, der es diesen Tieren verbietet, in den Strom unterhalb zu kommen.
   Alle in der Bauart nur etwas verschiedene Schiffe haben sowohl in der arabischen wie in den europäischen Sprachen verschiedene Namen. Die, die zwischen Kahira und Alexandrien gehen, sind alle klein und unten platt. Das, mit dem wir von Raschid nach Alexandrien reisten, nannte man Scherme, und es war ganz offen. Das, das wir in Raschid mieteten, nannte man Masch. Dies hatte eine gute Kammer, und wir reisten damit ziemlich bequem und geschwinde; denn bei Windstille wird es gezogen. Man redet sehr viel von Räubern, die sich ständig auf dem Nil aufhalten. Aber man hat sie nicht sehr zu fürchten, wenn man nur des Nachts Wache hält und fleißig hören lässt, dass man mit Feuergewehr versehen ist. Auch hat man des Nachts gemeiniglich eine brennende Laterne; denn hieran erkennen sie schon die Schiffe, auf denen sich Europäer befinden, und von denen wissen sie, dass sie sich nicht leicht im Schlaf überfallen lassen. Im März 1762 wurden auf diesem Arm des Nils wirklich drei Schiffe geplündert. Doch glaubt man, dass die hiesigen Räuber selten wagen, ein ganzes Schiff anzugreifen, wenn sie nicht vorher wissen, dass nur wenige Leute an Bord sind, oder wenn sie ihren Angriff nicht mit dem Schiffer (Reis) verabredet haben. Man hat Beispiele, dass die Schiffer die Beute mit den Räubern geteilt haben. Ein Reisender muss sich also wohl erkundigen, wem er sich anvertraut. Sonst sind die Räuber auf dem Nil in ihrem Handwerk auch sehr geschickt. Da sie, wie alle gemeinen Leute in der Nähe des Flusses, von Jugend auf schwimmen gelernt haben, teils, um in der heißen Jahreszeit einige Stunden angenehm im Wasser  zuzubringen, teils auch, um geschwinde und ohne Kosten von einer Seite des Flusses zur anderen zu kommen, so kommen sie oft einzeln zu einem Fahrzeug, wenn sie glauben, dass sie es mit ihren Booten nicht wagen dürfen, nehmen sie alles. was sie nur auf dem Verdeck erhaschen können, und springen damit ins Wasser. Man hat Beispiele, dass sie nicht einmal ins Fahrzeug gekommen sind, sondern nur ins Boot gelangt und den Schlafenden Sachen unter dem Kopf weggenommen haben. Die Türken erzählten mir folgende Geschichte von einem dieser Räuber:  
   Ein Pascha, der erst vor kurzer Zeit nach Ägypten gekommen war, schlug sein Lager in der Nähe des Nils auf, und seine Leute hielten des Nachts so gut Wache, dass sie einen von den Dieben, die ihnen einen Besuch abstatten wollten, ergriffen. Am Morgen wurde der Dieb sofort vor den Pascha geführt. Dieser drohte ihm, dass er gleich sterben sollte. Nun bat der Gefangene nur noch um die Erlaubnis, dem Pascha ein Kunststück zeigen zu dürfen, weil er gewiss hoffte, dass er ihm deswegen sein Leben schenken würde. Der lernbegierige Pascha erlaubte ihm sein Geheimnis zu entdecken. Der Dieb fing an, die Kleider des Paschas und alles, was sonst noch im Zelt liegen sah, zusammenzubinden, wie es die Ägypter mit ihren eigenen Kleidern zu machen pflegen, wenn sie über den Fluss schwimmen wollen. Nachdem er nun einige Gaukeleien mit diesem Bündel gemacht hatte, warf er sich in den Nil und brachte sich und die geraubten Sachen auf seinem Kopf an das andere Ufer in Sicherheit, ehe die Türken ihr Feuergewehr holen und ihn damit aufhalten konnten.

Niebuhr, Carsten
Reisebeschreibung nach Arabien und umliegenden Ländern
Kopenhagen 1774

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