Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1761 - Carsten Niebuhr
Alexandria

Die Stadt Alexandrien, oder, wie die Araber und Türken sagen, Scanderie, liegt auf einer Erdzunge zwischen einer Halbinsel und der alten Stadtmauer und zwischen beiden Häfen auf der Polhöhe 31° 12 '. Der Grund dieser Stadt ist so niedrig, dass man glauben sollte, der größte Teil davon wäre in den älteren Zeiten mit Wasser bedeckt gewesen. Gleichwohl geben die Moscheen, deren Türme und einige große Gebäude mit dem Überrest der alten Stadtmauer, der Säule des Pompeius, dem Obelisk der Kleopatra, den Dattelbäumen, der Stadt in der Ferne, wenn man von der europäischen Seite kommt, ein schönes Ansehen. Von dem alten Hafen ist schon bemerkt worden, dass er groß, tief und sicher ist. Der neue hingegen, in dem alle europäischen Schiffe ankern müssen, ist schon sehr unbrauchbar und wird es täglich mehr. Sein Grund ist so voll von Steinen, dass Balken und Tonnen an die Ankertaue gebunden werden müssen, um sie in der Höhe zu halten, und um zu verhindern, dass sie gleich an den Steinen zerrissen werden. Ruinen eines großen Gebäudes, das gleichsam in diesen Hafen hinein gebaut gewesen zu sein scheint, sind vielleicht die Überreste des Antonii Timonium. Überdies sind in dieser Gegend noch verschiedene Ruinen alter Mauern, auch zerbrochene Säulen und große Steine. Aber diese und viele andere denkwürdige Plätze, die die alten Schriftsteller erwähnen, sind so verändert worden, dass ich davon nur sehr weniges nach den Beschreibungen der Alten erkennen konnte. Ich bin deswegen genötigt, die, die hierüber weitere Nachrichten erwarten, an andere Schriftsteller, und besonders Pocock, der dies alles mit viel Fleiß und großer Gelehrsamkeit untersucht hat, zu verweisen.
   Vor dem neuen Alexandrien und seinen beiden Häfen ist eine große Halbinsel. Deren westlichen Teil, der vor dem alten Hafen liegt, nennt man jetzt Ras-et-tin. Ich habe dort außer einem kleinen zerfallenen Kastell, einer Salzquelle und vielen Feigenbäumen, nach denen dieses Stück der Halbinsel benannt ist, nichts Denkwürdiges gefunden. Auf der östlichen Seite und vor dem so genannten neuen Hafen ist ein Kastell mit einer Besetzung von 500 Janitscharen auf einer kleinen Klippe, und vermutlich an der Stelle, an der ehemals der berühmte Leuchtturm gestanden hat. Von diesem Kastell geht ein gemauerter Damm, einige hundert Schritte lang, zum neuen Alexandrien. Weil die See bei Nordwind sehr heftig auf diese Mauer stößt, hat man in diese Mauer einige Bögen gemacht, damit sich das Wasser in den Hafen ergießen kann. Gegenüber dem erwähnten Kastell beim Eingang in den Hafen liegt noch ein kleines, ebenfalls auf einem Felsen. Von hier aus geht man über eine Mauer 1.500 bis 1.600 Schritt weit zum festen Land, und auch unter dieser Mauer sind einige Bögen, damit das Wasser ausweichen kann und die Mauer nicht niederreißt.
   Von der eigentlichen Größe der Stadt Alexandria, wie sie von ihrem Gründer angelegt worden ist, sucht man jetzt vergebens Merkmale. Denn die jetzige Mauer ist von den Sarazenen oder Arabern aufgeführt worden, wie man noch aus verschiedenen arabischen Inschriften und auch an der Bauart der Mauern und Türme sieht. In die Mauern sind schöne marmorne Säulen horizontal eingemauert. Der Umfang der jetzigen alten Stadtmauer ist viel kleiner als die Geschichtsschreiber das große Alexandrien beschrieben haben. Aber auch diese von den Arabern aufgeführte Mauer ist ansehnlich, weitläufig und hoch. Nicht weit von dem Tor, das nach Raschid führt, sieht man noch ihre ganze Höhe, ich fand sie 43 Fuß und mit der Brustwehr 50 Fuß hoch. Sie ist aber an den meisten Stellen ruiniert, und man findet nur auf einigen Türmen noch Wachen, wie Norden und  Pocock schon bemerkt haben.
   Alexandrien ist nicht auf einmal verlassen worden, sondern nach und nach in Verfall geraten, so wie ihre Einwohner weniger und ärmer geworden sind. Was also von den alten prächtigen Palästen weggebracht und zu neuen Gebäuden verbaut werden konnte, das ist nicht mehr vorhanden. Selbst die Steine von den Grundmauern hat man ausgegraben. Deswegen sieht man hier fast nichts als Hügel von Ruinen. Das beste, was von diesen Palästen noch übrig geblieben ist, sind einige prächtige Wasserbehälter. Da die Stadt außer dem Regen gar kein frisches Wasser als aus den Nil hat, müssen die Einwohner des neuen Alexandrien davon so viele unterhalten wie nötig sind, um ihren jährlichen Vorrat an Wasser aufzubewahren. Eben deswegen dürfen die Alexandriner die Kanäle, durch die das Wasser aus dem Nil in diese Behälter geleitet wird, auch nicht gänzlich zuwachsen lassen. Der Kanal, der aus dem Nil kommt und nicht weit von den Mauern dieser Stadt vorbeifließt, ist zwar schon seit vielen Jahren für Schiffe unbrauchbar, doch wird er noch jährlich etwas gereinigt und, wenn der Nil zu einer gewissen Höhe gestiegen ist, geöffnet. Von hier wird das Wasser in einem kleinen Kanal unter der Erde von der Ostseite in die Stadt und in die Wasserbehälter geführt, und wenn die angefüllt sind, wird das überflüssige Wasser vermittelst eines kleinen Kanals durch die alte Stadtmauer in den so genannten alten Hafen abgeleitet.
   Das beste Stück des Altertums innerhalb der alten Stadtmauer, das die Mohammedaner nicht haben wegbringen können, ist der so genannte Obelisk der Kleopatra. Dieser ist so wie alle anderen Obelisken, die man bei den Palästen und Tempeln der alten Ägypter gefunden hat, von hartem rotem Granit und ganz aus einem Stück. Jetzt ist ein Teil davon in der Erde. Er ist aber dennoch 61 Fuß 12 Zoll hoch und an der Erde 7 Fuß 3 Zoll breit. Einige Buchstaben der pharaonischen Schrift sind noch 1 Zoll tief. Hieraus sieht man, welche Vorsicht die alten Ägypter angewandt haben, ihre Nachrichten gleichsam für die Ewigkeit aufzubewahren; es ist nicht ihre Schuld, dass ihre Nachkommen sie nicht mehr lesen können. Norden hat von diesem Obelisk eine gute Zeichnung geliefert. Nahe dabei sieht man noch einen anderen Obelisk, an dem jede Seite 6 Fuß 3 Zoll breit ist. Er steht aber nicht mehr aufrecht, sondern liegt zerbrochen an der Erde, und ist zum Teil mit Erde bedeckt.
   Von den vielen prächtigen Tempeln der alten Stadt Alexandria ist nichts mehr übrig, was gesehen zu werden verdiente, als die Kirche des Heiligen Athanasius. Sie ist jetzt noch sehr weitläufig. Man soll dort noch eine Menge schöne Säulen und einen großen Vorrat an griechischen Büchern finden. Aber diese schöne Kirche ist schon vor vielen Jahren in eine Moschee verwandelt worden, und Christen ist der Zutritt verboten. Nahe dabei stehen einige Säulen vor rotem Granit, und daran stoßen die Ruinen eines großen Palastes.
   Die Kirche der Heiligen Katharina, die den Griechen gehört, ist nicht wegen ihrer Größe und prächtigen Baukunst, sondern wegen eines weißen marmornen Steins mit roten Flecken merkwürdig. Dieser Stein soll nach Angabe der griechischen Mönche die Ehre gehabt haben, dass darauf der Heiligen Katharina der Kopf abgeschlagen worden ist. Die roten Flecken sollen dafür ein Beweis sein. Nicht weit hiervon ist die Kirche des Evangelisten Markus, den Kopten gehörig. Hier zeigt man noch die Grabstätte dieses Evangelisten. Die Kopten öffnen das Grab nicht mehr, weil ihnen der Sage nach der Kopf des Evangelisten von den Venezianern entwendet worden ist. Die Römisch-Katholischen dagegen wollen behaupten, dass sie die Geschicklichkeit gehabt haben, den ganzen Körper aus der Gefangenschaft der Ketzer zu erretten, und das die Kopten ihnen unrecht tun, wenn sie sagen, dass die Geistlichen von der römischen Partei nur bloß den Kopf des Heiligen haben stehlen können. Ihnen sind noch die klugen Maßregeln, nach denen die Brüder diese große Unternehmung durchgeführt haben, bekannt. Sie sollen den Körper in Stücke zerschnitten, wohl eingepackt, und als Schweinefleisch ausgegeben haben, um zu verhüten, dass dieser große Schatz von den Mohammedanern und Juden auf dem Zollhaus entdeckt und ihnen wieder genommen würde. Es ist wirklich sehr schwer, tote Körper aus Alexandrien zur Christenheit zu schicken. Die Türken haben sogar verboten, Mumien auszuführen, weil sie es für eine unnütze Neugier der Europäer halten, wenn sie diese alten Leichen von der Stelle, wo sie ihre Ruhe haben sollten, wegbringen wollen. Doch ist es jetzt, wo die Zöllner zu Alexandrien Juden sind, nicht so schwer, tote Körper aus Ägypten zu bringen, als sie mit italienischen Schiffen nach Europa zu versenden. Einige Kästen mit Mumien, die wir nach Europa schickten, waren schon sicher an Bord gekommen; die Matrosen aber wollten alle das Schiff verlassen, wenn der Schiffer die toten Körper der Heiden nicht wieder zurückschickte. Herr Marion, der es übernommen hatte, unsere Mumien nach Europa zu schaffen, musste sie deswegen wieder zurücknehmen, und ein anderer italienischer Schiffer, der sie später an Bord nahm, musste den Inhalt der Kästen sorgfältig vor seinen Matrosen verschweigen. Das Merkwürdigste, was man jetzt  einem Fremden in der Kirche Sankt Markus zeigt, ist ein Stuhl, der genau so gemacht worden sein soll wie der, auf dem der Evangelist saß, wenn er predigte. Auch sind in dieser Kirche einige Protestanten begraben. Außer der erwähnten großen Moschee und den beiden Kirchen sieht man jetzt innerhalb der Mauer des sarazenischen Alexandrien noch ein bewohntes Franziskanerkloster und einige schlechte Häuser der Araber. Das Übrige ist alles Wüste.  
   Die sogenannte Säule des Pompeius stand wahrscheinlich zur Zeit der Griechen innerhalb der Stadt, jetzt ist sie aber beinahe eine Viertelstunde außerhalb der Stadtmauern des von den Arabern erbauten Alexandrien. Norden hat von dieser Säule eine gute Zeichnung geliefert. Weil man wegen ihrer Höhe noch nicht völlig einig zu sein scheint, unternahm ich noch eine Messung und fand die ganze Säule (die Grundmauer nicht mit gerechnet) nicht höher als 88 Fuß 10 Zoll. Sie ist also nach meiner Messung bei weitem nicht so hoch wie andere Reisende angegeben haben. Doch bleibt sie immer ein bewunderungswürdiges Stück des Altertums; denn sie ist ganz aus einem roten Granit, und das erstaunlich große Gewicht besteht nur aus drei Stücken, die also notwendigerweise sehr groß sein müssen. Von der griechischen Seite auf der südwestlichen Seite habe ich nur wenige Buchstaben deutlich unterscheiden können. Herr von Haven gab sich deswegen sehr viel Mühe; er konnte aber auch bei weitem nicht so viele Buchstaben erkennen wie andere vor uns gesehen haben wollen. Es scheint, dass der griechische Bauherr nicht versucht habe, seinen Namen durch diese Inschrift zu verewigen oder dass er die Natur des Steins nicht so gut gekannt hat wie die alten Ägypter. Denn hätten die Griechen diese Inschrift auch so tief eingehauen wie die Ägypter die Hieroglyphen auf den Obelisken, so wären sie auch ebenso wenig unkennbar geworden. Zudem hatten die Alten die Vorsicht, alle vier Seiten ihrer Obelisken zu beschreiben. Die griechische Inschrift auf dieser Säule aber steht gerade auf der Seite, die am meisten vom Wetter gelitten hat. Zu Nordens Zeit war die Grundmauer unter der Säule sehr ruiniert. Sie ist nachher von einem Mohammed Tschurbatschi ausgebessert worden, und wir konnten deswegen nicht sehen, dass die große Säule auf einer kleineren ruht, wie von anderen Reisenden versichert worden ist. Dies ist ein Beweis, dass nicht alle Mohammedaner die Altertümer in ihren Ländern  zu zerstören suchen. Aber viele sehen auch ebenso auf ihren Vorteil wie die Europäer. Wenn ein armer Mann die schönste alte Säule in seinem Garten finden sollte, so würde er lieber Mühlsteine daraus machen als sie ungenutzt liegen zu lassen. Bei dem Obelisk der Kleopatra stehen die Ecken ungefähr in Richtung der vier Weltgegenden. Die Ecken des Piedestals der Pompeius-Säule aber scheinen ungefähr 12 Grad davon abzuweichen. Man hat sie also wahrscheinlich bloß nah der Lage der umher liegenden Gebäude und nicht nach der Mittagslinie aufgesetzt wie die Pyramiden.
   Die Araber schwärmten während unseres Aufenthaltes in Alexandrien beständig um die Stadt  und unter den Ruinen herum, und ich wollte mich, um einen Grundriss von Alexandrien zu machen, nicht in Gefahr setzen, geplündert zu werden, vornehmlich, da Norden ihn sehr gut geliefert hat. Da ich aber auf der Anhöhe, auf der die Pompeius-Säule steht, einen großen Teil der Stadtmauer übersehen konnte, so nahm ich von hier einige Winkel und hoffte, auch an anderen Stellen noch welche nehmen zu können. Einer von den türkischen Kaufleuten, die zugegen waren und bemerkten, dass ich das Astrolabium auf die Stadt gerichtet hatte, war so neugierig, auch durch das Fernglas zu sehen, und wurde nicht wenig unruhig, als er einen Turm umgekehrt erblickte. Dies gab Gelegenheit zu dem Gerücht, dass ich nach Alexandrien gekommen wäre, um die ganze Stadt über den Haufen zu werfen. Man redete davon im Haus des Gouverneurs. Mein Janitschar wollte nicht mehr mit mir gehen, wenn ich mein Instrument mitnehmen wollte, und da ich noch glaubte, ein Europäer dürfe in diesen morgenländischen Städten nicht ohne einen Janitscharen auf der Straße erscheinen, so erhielt ich hier keine weiteren geometrischen Messungen. Als später ein Araber in Raschid ein Schiff umgekehrt in meinem Fernglas sah, fehlte wenig, dass er das Instrument zu Boden warf …
   im Westen von Alexandrien waren ehemals die Gräber, und man findet immer noch viele in dieser Gegend.  Der Grund ist hier durchgehend (wie auf Malta) ein weicher Kalkstein, nur wenig mit Erde und Sand bedeckt, und man spürt daher selbst auf dem Weg, wenn man reitet, dass es hin und wieder hohl ist. Nicht weit von der Pompeius-Säule und nahe bei einem kleinen Gebetshaus wurde ich in eine Katakombe geführt, die eben von Art, nur nicht so groß war, wie Pocock eine andere in dieser Gegend beschrieben hat. In der, die ich sah, waren zwei Kammern hintereinander, ganz aus dem Fels gehauen. In der vordersten waren an jeder Seite 12 Fächer in zwei Reihen übereinander. Jedes Fach war 2 ¼ Fuß hoch, 2 Fuß breit und etwa 6 Fuß tief. Alle diese Fächer waren zweifelsohne für Särge bestimmt und diese Kammer also für 48 Tote ausreichend. In der hintersten waren an jeder Seite nur 6 Fächer, und in der innersten Wand, dem Eingang gerade gegenüber, eine kleine Vertiefung in der Mauer, 4 Fuß hoch und 2 ½ Fuß breit. Weiter westlich, etwa 1 Stunde von Alexandrien, führte man uns in viel weitläufigere und schönere Katakomben. Der Eingang dazu ist fast verschüttet, und innen muss man sich auch noch bisweilen kriechend fortbewegen. Im ersten Gang sieht man oben im Felsen einige Höhlungen, die entweder Luftlöcher oder Plätze für Lampen gewesen sein können. Von hier kommt man in eine viereckige Vorkammer, in der sich an jeder Seite eine Tür mit einigen schlechten architektonischen Zierraten befindet. Die an der linken Seite ist darin unterschiedlich, dass sie noch zwei kleine Türen neben sich gehabt hat. Da aber die Pfeiler zwischen diesen und der großen Tür inzwischen verfallen sind, sind alle drei zu einem Eingang geworden. Die Kammer an dieser Seite ist rund, oben gewölbt, und hat etwa 20 Fuß im Durchmesser. Sie hat an drei Seiten wieder drei Nebenkammern, die den alten Grabstätten in Syrien und in einigen Stücken den so genannten Gräbern der Könige bei Jerusalem ähnlich sind; denn auch hier sind an den Seiten Erhöhungen, welche wahrscheinlich Behältnisse für Tote gewesen sind. Von der erwähnten Vorkammer kommt man durch eine andere Tür und durch verschiedene, nunmehr beschwerliche Gänge auf einen sehr großen, jetzt aber niedrigen Platz, der von Staub und Sand, vielleicht durch unbekannte Öffnungen, so angefüllt worden sein mag. Da dieser Ort zu groß ist, als dass er ohne Unterstützung die Last über sich hätte tragen können, so hat man reihenweise viereckige Pfeiler von 3 Fuß im Quadrat von dem Felsen ohne allen Zierrat stehen lassen. Man findet hier überdies noch verschiedene unterirdische Gänge und Kammern, alle aus dem Felsen gehauen, allein ich hielt es nicht für ratsam, mich darin weiter umzusehen, da sie gegenwärtig den wilden Tieren zur Wohnung dienen. Wer sie besuchen will, muss sich mit einem Licht versehen, und beim Hineingehen schießt man gemeiniglich eine Pistole ab, um die wilden Tiere, die etwa darin sein möchten, zurückzutreiben.
   Weiter westlich von diesen Katakomben ist ein kleiner Hafen oder Meerbusen an der See. An dessen einer Seite scheint ein Palast gewesen zu sein; denn man findet dort noch viele kleine Stücke Marmor, die zur Verkleidung von Fußböden oder Wänden gedient haben mögen. Man sieht hier auch zwei in Felsen gehauene Kammern, die Wasserbehälter gewesen zu sein scheinen, denn man kann zu ihnen nur durch eine kleine Öffnung auf Treppen, die an beiden Seiten in den Felsen hinuntergehen, senkrecht hinuntersteigen. In dieser Gegend sind ferner einige bequeme Sitze ausgehauen, wo man bei Tage vor der starken Sonnenhitze geschützt ist und eine schöne Aussicht auf die See hat. Auch sieht man noch einige große Treppen im Felsen selbst. Das Merkwürdigste aber ist das so genannte Bad des Pompeius. Es besteht noch jetzt aus drei Kammern, nebeneinander in den Felsen gehauen. In jeder Kammer ist nach der Seite des Hafens eine Tür, in die das Seewasser hineinlaufen kann, und die äußerste Kammer hat auch eine kleine Öffnung auf der anderen Seite durch den Felsen, damit das Wasser hindurchfließen kann. An den Wänden hat man eine Bank aus dem Felsen selbst stehen lassen. Ich habe in dieser Gegend nicht auf die Ab- und Zuname des Wassers geachtet; ich glaube aber, dass es in diesen Kammern bis auf weniges die Höhe der Bänke erreichte. Hieraus sollte man also vermuten, dass das Seewasser in der Gegend von Alexandrien sich nicht sehr vermindere.
   Die Handlung der Fremden mit den Einwohnern von Alexandrien ist nicht groß. Aber hier ist der Hafen, wo alle Schiffe, die Waren aus Europa und der Barbarei bringen oder von hier abholen, zu ankern pflegen. Dies macht die Zolleinkünfte sehr ansehnlich. Es halten sich hier verschiedene europäische Kaufleute auf und ein französischer, ein venezianischer, ein holländischer und ein ragusaischer Konsul. Der holländische ist zugleich englischer und Herr Marion dänischer, schwedischer, toscanischer und neapolitanischer Vizekonsul. Die allgemeine Sprache zu Alexandrien ist wie in ganz Ägypten die arabische, so wie die Europäer, die das Arabische nicht verstehen, die italienische brauchen. Ich habe hier und sonst nirgends auch geborene Mohammedaner getroffen, die das Provencalische, das Dänische oder Schwedische fast so gut redeten wie wenn sie in Frankreich, Dänemark oder Schweden geboren wären. Man könnte daher vermuten, dass die Alexandriner vor anderen Mohammedanern besonders geschickt sind, fremde Sprachen zu lernen. Vermutlich ist es aber nur die Hoffnung auf Gewinn und ein geringer Grad von Anhänglichkeit an ihre Religion, die sie aufmuntert, sich auf fremde Sprachen zu verlegen. Ein Mohammedaner wird Zeremonien seiner Religion sehr wenig unter den europäischen Matrosen befolgen können; gleichwohl dienen die Alexandriner bisweilen einige Jahre auf europäischen Schiffen. Wenn sie die Sprache gelernt haben, so dienen sie den europäischen Schiffern, die nach Alexandria kommen, als Dolmetscher und Einkäufer und gewinnen ihr Brot dadurch gemeiniglich reichlicher und bequemer, als es ihnen sonst möglich wäre.

Niebuhr, Carsten
Reisebeschreibung nach Arabien und umliegenden Ländern
Band 1, Kopenhagen 1774

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