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Geschichten rund um den Globus

30 v. Chr. - Plutarch
Der Tod von Antonius und Kleopatra
Alexandria

Antonius brachte Canidius in eigener Person die Botschaft vom Verlust des Heeres in Aktium. Zugleich hörte er, daß der König der Juden, Herodes, mit einer Anzahl Legionen und Kohorten zu Cäsar [Titel für Octavian] übergegangen sei, und daß ebenso die übrigen Fürsten von ihm abfielen und draußen alles für ihn verloren sei. Keine von diesen Nachrichten setzte ihn in Unruhe, sondern, als ob er mit Freuden der Hoffnung entsagt habe, um zugleich auch der Sorge ledig zu sein, verließ er wieder jene Wohnung am Meer, welche er sein Timoneion zu nennen pflegte, und rief, als er von Kleopatra wieder im königlichen Palast aufgenommen war, die Stadt wieder zu Schmausereien, Trinkgelagen und Getreidespenden, indem er den Sohn der Kleopatra und des Cäsar unter die Epheben [jungen Männer] aufnehmen ließ, seinem Sohn von der Fulvia aber, dem Antyllus, anstatt der Praetexta [Purpurtoga] die Toga virilis [Männertoga] verlieh. Viele Tage lang war deshalb ganz Alexandria von Festmählern, Aufzügen und Ergötzlichkeiten erfüllt.
   Sie selbst aber [Antonius und Kleopatra] lösten jetzt jenen Verein der Unnachahmlichen auf und stifteten statt seiner einen anderen, der an Genußsucht, Schwelgereien und Ausschweifungen durchaus nicht hinter jenem zurückstand und denn sie den Verein der Todesgenossen nannten. Denn die Freunde, die sich in ihn aufnehmen ließen, weihten sich einem gemeinsamen Tode und wollten bis dahin in einem Kreis von Festen noch ihr Leben genießen. Kleopatra aber verschaffte sich die verschiedenartigsten Kräfte tödlicher Gifte und prüfte die Schmerzlosigkeit jedes Giftes, indem sie es den zum Tode Verurteilten, die im Gefängnis saßen, reichen ließ. Da sie aber sah, daß bei den schnelltötenden die Schnelligkeit ihrer Wirkung mit Schmerzen verbunden war, den gelinderen Mitteln dagegen die Schnelligkeit fehlte, so ließ sie eine Probe mit giftigen Tieren anstellen und sah selbst mit zu, wie hier dies, dort jenes angewandt wurde. Damit war sie tagtäglich beschäftigt. Da fand sie denn, daß fast allein von allen der Biß einer Schlange namens Aspis ohne Zuckungen und Schmerzenslaute zu schlafähnlichem Erstarren und Absterben führte, indem man unter einem sanften Schweiß über dem Antlitz und allmählichem Schwinden des Bewußtseins auf leichte Weise hinsinke und gleich einem tief Schlafenden Unwillen zeige, wenn man ihn aufzuwecken und wachzurufen versuchte.
   Zugleich schickten sie aber auch an Cäsar Gesandte nach Asien; Kleopatra, indem sie für ihre Kinder um die Herrschaft in Ägypten bat, Antonius aber, indem er bat, in Athen sein Leben beschließen zu dürfen, wenn man ihn nicht in Ägypten lassen wolle. Aus Mangel an Freunden und aus Mißtrauen, weil ihrer so viele zum Feind übergegangen waren, wurde der Lehrer ihrer Kinder, Euphronios, als Gesandter geschickt.
   Cäsar aber wollte in Hinsicht auf Antonius von keinen Verhandlungen hören; hinsichtlich der Kleopatra dagegen erwiderte er, es solle ihr alles, was angemessen sei, gewährt werden, wenn sie Antonius töten lasse oder aus dem Lande triebe. Zugleich sandte er seinerseits einen seiner Freigelassenen, den Thyrsos, mit, einen nicht unverständigen Menschen, der im Namen des jungen Imperators zu der stolzen und auf ihre Schönheit äußerst eingebildeten Frau auf eine ganz gewinnende Weise zu sprechen wußte. Da dieser länger als die übrigen bei ihr verweilte und vorzüglich geehrt wurde, so erweckte er Verdacht bei Antonius. Dieser ließ ihn daher festnehmen und geißeln und schickte ihn dann an Cäsar zurück mit einem Schreiben des Inhalts, er habe ihn, der durch sein Unglück sehr leicht zu reizen sei, durch die gegen ihn bewiesene Verhöhnung und Mißachtung aufgebracht. »Wenn Du aber«, sagte er, „damit nicht zufrieden bist, so hast Du ja meinen Freigelassenen Hipparchos. Hänge den auf und geißle ihn, damit die Sache ausgeglichen werde.“ Darauf zeigte sich Kleopatra, um jeden Verdacht auszulöschen, über die Maßen zärtlich gegen ihn. Während sie zum Beispiel ihren eigenen Geburtstag niedergeschlagen hinbrachte, wie es sich für ihre Lage gehörte, feierte sie den des Antonius mit einem Übermaß an Glanz und Verschwendung, so daß viele der Gäste, die arm zum Mahl gekommen waren, reich von dannen gingen.
   Den Cäsar rief indes zu wiederholten Malen Agrippa von Rom aus heim, wo die Verhältnisse seine Anwesenheit nötig machten. Daher erfuhr der Krieg fürs erste einen Aufschub. Nachdem jedoch der Winter vorüber war, rückte er aufs Neue von Syrien und seine Generale durch Libyen an. Kleopatra ließ in ein ihr gehörendes Grabgewölbe, das sie an den Tempel der Isis hatte anbauen lassen und das von ihr an Schönheit und Größe auf das Prachtvollste ausgeführt war, das Wertvollste aus den königlichen Schätzen zusammenbringen, Gold, Silber, Smaragde, Perlen, Ebenholz, Elfenbein, Spezereien, außerdem aber eine Menge von Fackeln und Werg; daher ließ Cäsar, in Besorgnis um diese Kostbarkeiten, Kleopatra könne, zur Verzweiflung getrieben, all den Reichtum vernichten und verbrennen, ihr immer günstige Hoffnungen zugehen, während er mit seinem Heer zur Stadt marschierte. Als er sein Lager beim Hipprodrom aufgeschlagen hatte, machte Antonius einen Ausfall und kämpfte mit deutlichem Erfolg, so daß er die Reiterei Cäsars in die Flucht schlug und bis zum Lager verfolgte. Stolz auf diesen Sieg, begab er sich in den Palast, umarmte Kleopatra noch in der Rüstung, und stellte ihr denjenigen unter den Soldaten vor, der am bravsten gekämpft hatte. Kleopatra schenkte ihm einen Brustharnisch und einen Helm aus Gold. Kaum aber hatte er dies bekommen, so lief er bei Nacht zu Cäsar über.
   [Die Truppen laufen scharenweise zu Octavian über; Antonius glaubt, Kleopatra habe ihn verraten.]
   Aus Furcht vor Antonius' Wut und Verzweiflung floh Kleopatra in das Grabgewölbe und ließ das Fallgitter herab, welches mit Schlössern und Querbalken stark befestigt war; zu Antonius aber schickte sie Leute mit der Botschaft, daß sie sich getötet habe. Antonius glaubte es, und mit den Worten »Was zögerst Du noch, Antonius? Den einzigen und letzten Grund, am Leben zu hangen, hat mir das Schicksal genommen« ging in sein Zimmer, schnallte seinen Panzer los, nahm ihn ab und sagte: »O Kleopatra, es schmerzt mich nicht, daß ich Dich verloren habe; denn ich werde bald an denselben Ort gelangen; wohl aber, daß ich, ein solcher Feldherr, an Mut hinter einem Weibe zurückstehe.« Er hatte nun einen treuen Sklaven, Eros mit Namen. Diesen hatte er schon vor langer Zeit gebeten, ihm den Tod zu geben, wenn es nötig sei. Jetzt forderte er die Erfüllung des Versprechens. Dieser zog das Schwert und erhob es auch, um ihn zu durchbohren; dann aber wandte er sein Gesicht ab und tötete sich selber. Als er so zu seinen Füßen lag, sagte Antonius: »Schön, mein Eros, daß Du, da Du es selbst nicht vermochtest, mich lehrst, zu tun, was nötig ist.« Darauf stieß er sich durch den Unterleib und ließ sich auf einen Sessel niedersinken. Die Wunde war jedoch nicht tödlich. Sobald er sich daher niedergelegt hatte, hörte der Blutstrom auf, er erholte sich wieder und bat nun die Anwesenden, ihn vollends zu töten. Sie aber flohen aus dem Zimmer, während er schrie und sich hin und her warf, bis von Seiten der Kleopatra der Schreiber Diomedes mit dem Auftrag kam, ihn in das Gewölbe zu holen.
   Als er so erfahren hatte, daß Kleopatra noch lebte, befahl er seinen Dienern voll Eifer, seinen Körper aufzunehmen, und wurde auf ihren Armen an die Tür jenes Gebäudes gebracht. Kleopatra aber ließ die Tür nicht öffnen, sondern erschien an einem Fenster und ließ von da Stricke und Taue herab. Nachdem man den Antonius an diesen befestigt hatte, zog sie ihn selbst mit zwei Frauen hinauf, die allein sie mit sich in das Grab genommen hatte. Das sei nun, sagen die, die dabei waren, der jammervollste Anblick gewesen, den man je gehabt habe. Denn mit Blut besudelt und mit dem Tode ringend wurde er hinaufgezogen, während er die Hände nach ihr ausstreckte und in der Luft schwebte. Denn es war für Frauen keine leichte Arbeit, und nur mit Mühe konnte Kleopatra, indem sie selbst Hand anlegte und sich tief herabbeugte, den Strick erfassen, während die unten Stehenden sie anspornten und ihre Angst teilten. Nachdem sie ihn so in Empfang genommen und niedergelegt hatte, zerriß sie vor Schmerz über ihn ihre Kleider, schlug sich ihre Brust und zerfleischte sie mit den Händen, besudelte sich das Gesicht mit Blut und nannte ihn fortwährend Gebieter, Gatte und Imperator. Beinahe hätte sie in ihrem Jammer um ihn das eigene Unglück vergessen. Endlich gebot Antonius ihren Klagen Einhalt und forderte, Wein zu trinken, sei es, daß er dürstete, sei es, daß er so rascher zu sterben erwartete. Nachdem er getrunken hatte, empfahl er ihr, wenn es nicht mit Schande verbunden sei, auf ihre eigene Rettung bedacht zu sein, und unter Cäsars Freunden besonders Proculeius zu trauen, ihn selbst aber um des letzten Wechsels des Glücks nicht zu beklagen, sondern ihn vielmehr des Guten wegen, das ihm zuteil geworden sei, glücklich zu preisen, daß er, nachdem er höchsten Ruhm und größte Macht erlangt, jetzt nicht unehrenhaft, ein Römer von Römern, besiegt sei.
   Eben als er verschieden war, kam Proculeius von Cäsar. Sobald nämlich Antonius sich selbst verwundet hatte und zu Kleopatra gebracht worden war, hatte ein gewisser Derketaos von der Leibwache sein Schwert genommen, hatte sich damit heimlich hinausgeschlichen und war zu Cäsar gelaufen, dem er als erstem den Tod des Antonius meldete und das blutige Schwert zeigte. Als Cäsar dies hörte, zog er sich in das Innere des Zeltes zurück und beweinte hier einen Mann, der sein Schwager, sein Kollege und sein Genosse bei vielen Unternehmungen gewesen war. Dann nahm er Briefe und las sie in Gegenwart seiner herbeigerufenen Freunde vor, wie er selbst stets mit Freundlichkeit und Billigkeit an ihn geschrieben und Antonius in seinen Antworten sich stolz und übermütig bewiesen habe. Darauf schickte er den Proculeius mit dem Auftrag, sich wenn möglich der Kleopatra, am liebsten lebend, zu bemächtigen; denn er war wegen der Schätze in Besorgnis und hielt es für den schönsten Schmuck seines Triumphes, sie damit mitzuführen. Eine persönliche Zusammenkunft mit Proculeius lehnte sie aber ab; die Unterredung fand statt, indem er von außen an das Gebäude herankam, an eine Tür zu ebener Erde, die fest verschlossen war, aber eine Öffnung zum Sprechen hatte. Bei diesem Zwiegespräch verlangte sie für ihre Kinder das Königreich, er dagegen bat sie, guten Mutes zu sein und in allem Cäsar zu vertrauen.
   Als Proculeius die Örtlichkeit in Augenschein genommen und Cäsar darüber Bericht erstattet hatte, wurde Gallus abgesandt, um wieder mit ihr zu sprechen. Dieser kam an die Tür und zog hier die Unterredung mit Absicht in die Länge; inzwischen stieg Proculeius auf einer angelegten Leiter durch das Fenster hinein, durch das die Frauen den Antonius hineingeholt hatten. Er ging dann sogleich mit zwei Dienern geradewegs zu der Tür hinab, an der Kleopatra in eifrigem Gespräch mit Gallus stand. Von den mit Kleopatra eingeschlossenen Frauen schrie die eine auf: »Unglückliche Kleopatra, Du wirst gefangen genommen!« Sie wandte sich um, sah Proculeius und ergriff einen kleinen Piratendolch, den sie gerade in ihrem Gürtel bei sich trug, um sich zu durchbohren. Da eilte Proculeius hinzu, umschlang sie und sagte: „Du tust Dir und dem Cäsar unrecht, wenn Du ihm eine schöne Gelegenheit raubst, seinen Edelmut zu zeigen, und den mildesten aller Feldherren in den Ruf der Unzuverlässigkeit und Unversöhnlichkeit bringen willst.“ Dabei nahm er ihr das Schwert ab und untersuchte ihre Kleidung, ob sie nicht Gift darunter verborgen habe. Hierauf wurde auch von Cäsar einer seiner Freigelassenen, Epaphroditos, mit dem Auftrage geschickt, die strengste Wachsamkeit anzuwenden, um sie am Leben zu erhalten, aber im übrigen ihr jede Bequemlichkeit und jeden Genuß zu gestatten. Ihn ließ er später nach dem Tod der Kleopatra töten.
   Den Antonius baten viele Könige und Feldherren bestatten zu dürfen. Aber Cäsar ließ der Kleopatra den Leichnam, und so wurde er denn von ihren Händen prächtig und königlich bestattet, indem sie alles, wie sie es wünschte, dazu empfing.
   Als Folge der so großen Trauer und der körperlichen Schmerzen – ihre Brust war nämlich durch das Schlagen geschwollen und mit Geschwüren bedeckt – wurde sie von Fieberanfällen ergriffen. Sie benutzte diesen Vorwand, um sich der Nahrung zu enthalten und sich so ungehindert des Lebens zu entledigen. Sie hatte hierbei einen Arzt, Olympos, zum Vertrauten, dem sie die Wahrheit mitteilte und dessen Rat und Mitwirkung eine Geschichte meldet, die er über diese Ereignisse herausgegeben hat. Cäsar vermutete etwas dieser Art und schreckte sie durch Drohungen gegen ihre Kinder. Hierdurch wurden alle ihre Pläne erschüttert und sie überließ ihren Körper denen, die es wünschten, zur ärztlichen Behandlung und Pflege.
   Es kam aber auch Cäsar selbst nach Verlauf einiger Tage, um mit ihr zu sprechen und um sie zu beruhigen. Sie lag voll Niedergeschlagenheit auf ein Strohlager hingestreckt; als er eintrat, sprang sie, nur mit einem einzigen Chiton [Untergewand] bekleidet, auf und stürzte ihm zu Füßen, Kopf und Gesicht furchtbar verwildert, mit bebender Stimme und erloschenem Auge. Auch waren noch viele Spuren sichtbar, wie sie ihre Brust zerfleischt hatte, und überhaupt schien es mit ihrem Körper um nichts besser als mit der Seele zu stehen. Jedoch war jene alte Anmut und Keckheit der Jugend nicht ganz und gar erloschen, sondern blitzte trotz ihres Zustands hier und da von innen hervor und zeigte sich zugleich in den Bewegungen ihres Antlitzes. Cäsar bat sie, sich niederzulegen und setzte sich zu ihr, worauf sie eine Rechtfertigung begann, in der sie das Geschehene auf äußeren Zwang und Furcht vor Antonius schob; Cäsar wußte ihr bei jedem Punkt zu entgegnen und sie zu widerlegen, so daß sie bald zur Erregung von Mitleid und flehentlichen Bitten überging, ganz, als wäre sie eine Person, die sich vom Leben nicht losreißen könne. Endlich gab sie ihm ein Verzeichnis mit der Menge ihrer Schätze. Einer von den Aufsehern, Seleukos, beschuldigte sie, mehreres zu verschweigen und zu verhehlen. Da sprang sie auf, ergriff ihn an den Haaren und versetzte ihm mehrere Schläge ins Gesicht. Als Cäsar dazu lächelte und sie zu beschwichtigen suchte, sagte sie:“Ist es nicht entsetzlich, o Cäsar, wenn Du mir die Ehre erwiesen hast, zu mir zu kommen, und in meinem Elend mit mir zu sprechen, und meine Sklaven mich anklagen, etwas von Frauenschmuck auf die Seite gebracht zu haben? Wahrlich, es ist so, doch nicht zum Schmuck für mich Unglückselige, sondern um der Octavia [Schwester Octavians und Ehefrau des Antonius] und Deiner Livia [zweiter Ehefrau Octavians] eine Kleinigkeit schenken zu können, und durch sie bei Dir Gnade und Schonung zu finden.“ Cäsar freute sich hierüber, denn er glaubte, daß sie mit ganzer Seele am Leben hinge. Er sagte daher, er überlasse ihr jene Sachen gern, und sie werde auch sonst über ihr Erwarten eine ausgezeichnete Behandlung erhalten. Dann ging er fort, in dem Glauben, sie getäuscht zu haben, in der Tat aber selbst vielmehr der Getäuschte.
   Nun aber befand sich unter den nächsten Freunden des Cäsar Cornelius Dolabella, ein vornehmer junger Mann. Dieser war nicht ohne Anteilnahme für Kleopatra und sandte ihr jetzt aus Gefälligkeit auf ihren eigenen Wunsch heimlich die Mitteilung, Cäsar selbst wolle zu Lande seinen Rückweg durch Syrien nehmen und sei entschlossen, sie nebst den Kindern am dritten Tage zu Schiff fortzusenden. Sobald sie dies erfahren hatte, bat sie zunächst Cäsar, er möge ihr gestatten, auf dem Grab des Antonius ein Totenopfer darzubringen. Als sie hierzu die Erlaubnis erhalten hatte, begab sie sich zu seinem Grabe, warf sich nebst den ihr befreundeten Frauen auf den Sarg und rief: »O teurer Antonius, bestattet habe ich Dich vor kurzem mit noch freien Händen, dieses Opfer aber bringe ich dir jetzt als eine Gefangene, bewacht, damit ich weder mit Wehklagen noch mit Tränen diesen Leib entstelle, der, der Freiheit beraubt, zum Triumphzug über Dich aufbewahrt wird. Erwarte weiter keine Ehren und Totenopfer; es sind die letzten, die dir Kleopatra darbringen kann, ehe sie hinweg geführt wird. Im Leben hat uns nichts voneinander trennen können; im Tode, scheint es, sollen wir unsere Plätze vertauschen: Du, ein Römer, hier ruhend, ich Unglückliche aber in Italien, [das Grab] der einzige Anteil, der mir an Deinem Vaterland vergönnt wird. Die Götter hier oben haben uns im Stich gelassen; wenn aber die dort unten einige Stärke und Kraft besitzen, so verlaß Dein Weib nicht, so lange sie noch am Leben ist, und gib nicht zu, daß Du in meiner Person im Triumph mitgeführt wirst, sondern nimm mich hier zu Dir in Grab und Tod auf. Denn von all dem unzähligen Unglück, das mich betroffen hat, ist keines so groß und schwer wie diese kurze Zeit, die ich ohne Dich gelebt habe.«
   Nachdem sie unter solchen Wehklagen das Grab geschmückt und geküßt hatte, ließ sie sich ein Bad bereiten. Nach dem Bade legte sie sich nieder und nahm ein ausgesuchtes Mahl ein. Dann kam jemand vom Lande mit einer Kiste. Die Wächter fragten, was er bringe. Er öffnete sie, nahm die Blätter ab und zeigte das Gefäß, mit Feigen angefüllt. Da sie über die Schönheit und Größe derselben erstaunt waren, lächelte er und bat sie, davon zu nehmen. Sie trauten ihm und befahlen ihm, die Feigen hineinzutragen. Nach dem Mahl schickte Kleopatra eine ihr gehörende Schreibtafel beschrieben und versiegelt zu Cäsar, ließ alle übrigen Personen außer jenen beiden Frauen abtreten und die Tür schließen. Als Cäsar die Tafel öffnete und darin flehentliche und klägliche Bitten fand, sie neben Antonius zu bestatten, erkannte er schnell, was geschehen war. Zuerst wollte er ihr selbst zu Hilfe eilen, dann schickte er in aller Eile Leute, die Sache zu untersuchen. Der Tod war jedoch schnell erfolgt. Denn als sie eiligsten Laufes ankamen, hatten die Wächter noch nichts gemerkt; sie öffneten dann die Tür und fanden sie königlich geschmückt auf einem goldenen Bett tot liegen. Von den Frauen verschied die eine, Iras mit Namen, eben zu ihren Füßen; die andere, Charmion, legte ihr noch, bereits schwankend und taumelnd, das Diadem um die Stirn. „Das ist schön, Charmion!“ rief jemand wütend. „Jawohl“, erwiderte sie, „sehr schön und wie es sich für die Enkelin so vieler Könige ziemt.“ Weiter sagte sie nichts, sondern sank an Ort und Stelle an der Seite des Lagers nieder.
   Wie man erzählt, so war die Schlange mit jenen Feigen und unter den Blättern verborgen hineingebracht worden; denn so habe es Kleopatra befohlen gehabt, das Tier solle sie stechen, ohne daß sie es ahne. Als sie nun von den Feigen nahm und es sah, habe sie gesagt: „Das wäre es also“, habe dann ihren Arm entblößt und zum Bisse hingehalten. Andere behaupten, die Schlange sei in einer Urne eingeschlossen gewesen und so aufbewahrt worden; Kleopatra habe sie dann mit einer goldenen Spindel herausgezerrt und so gereizt; sie sei darauf hinausgefahren und habe sie in den Arm gebissen. Die Wahrheit weiß jedoch keiner. Denn es wurde auch erzählt, sie habe Gift in einer goldenen Nadel bei sich geführt und diese Nadel im Haar verborgen gehabt. Allein es kam weder ein Flecken am Körper noch sonst eine Spur von Gift zum Vorschein. Ebensowenig freilich wurde das Tier im Zimmer gesehen; man wollte nur gewisse Windungen von ihm am Meer, wohin das Zimmer ging und wo sich Fenster befanden, gesehen haben. Einige behaupteten auch, es seien an dem Arm der Kleopatra zwei zarte und feine Stiche bemerkt worden. Diesen scheint auch Cäsar Glauben geschenkt zu haben. Denn bei dem Triumph wurde ein Bild mitgeführt, auf dem man Kleopatra selbst und die Schlange an ihrem Arm sitzen sah. Dies nun soll der Verlauf der Sache gewesen sein.
   Cäsar war allerdings über den Tod der Kleopatra ärgerlich; er bewunderte jedoch den edlen Sinn und ließ ihre Leiche neben der des Antonius glänzend und königlich beisetzen. Ebenso erhielten auf seinen Befehl auch die Dienerinnen ein ehrenvolles Begräbnis.

Plutarch’s Werke
Übersetzt von J.F. C. Campe
Stuttgart 1859

Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende n Ägypten 2200 v. Chr. – 2000 n. Chr.
Wien 2001

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