Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

331 v. Chr. - Arrian
Alexander in Ägypten

Alexander setzte sich nun nach Ägypten in Bewegung, wohin sein Zug ursprünglich gerichtet war, und traf sieben Tage nach seinem Aufbruch von Gaza bei Pelusium [südöstlich von Port Said] ein. Die Flotte, die zu gleicher Zeit von Phönizien aus nach Ägypten in See gegangen war, fand er bereits im Hafen von Pelusium. Der Perser Mazakes, der von Darius bestellte Statthalter Ägyptens, der nicht nur den Ausgang der Schlacht von Issos und die schimpfliche Flucht seines Königs erfahren hatte, sondern auch Phönizien und Syrien und einen großen Teil Arabiens von Alexander besetzt, sich selbst aber von persischer Heermacht gänzlich entblößt sah, öffnete dem Sieger zuvorkommend die Städte und das Land; die Schiffe ließ Alexander den Fluß hinauf nach der Stadt Memphis steuern; er selbst schlug den Weg nach Heliopolis ein und kam, den Nilstrom zur Rechten lassend, durch die Wüste daselbst an, nachdem er sich aller auf seinem Weg liegenden Plätze durch freiwillige Übergabe ihrer Bewohner bemächtigt hatte.
   Von da aus ging er über den Strom und kam nach Memphis. Hier brachte er nebst den übrigen Göttern auch dem Apis ein Opfer und veranstaltete Wettkämpfe in Leibesübungen und schönen Künsten, wozu sich die namhaftesten Meister aus Griechenland bei ihm eingefunden hatten. Von Memphis aus schiffte er sich mit den Rundschildnern, den Bogenschützen, den Agrianern und der berittenen Leibschar ein, und fuhr stromabwärts dem Meere zu. Bei Kanopus steuerte er gegen den See Maria [Mareotis oder Mariut] herum und stieg da, wo heutzutage die nach ihm benannte Stadt Alexandria steht, wieder an Land. Die Stelle schien ihm ganz vorzüglich geeignet für den Bau einer Stadt, deren künftiger Wohlstand sich voraussehen ließ. Er bekam daher Lust, den Gedanken ins Werk zu setzen; mit eigener Hand steckte er die Stadt aus und bezeichnete nicht nur die Stelle, wo der Marktplatz angelegt, sondern auch die Zahl der Tempel und die Götter (neben den griechischen auch die ägyptische Isis), denen sie erbaut, so wie endlich den Umfang, in welchem die Ringmauern aufgeführt werden sollten. Die Opfer, die er deshalb darbrachte, waren von offenbar günstiger Vorbedeutung.
   Übrigens hat man auch noch folgenden, für mich wenigstens nicht unglaubhaften Bericht von der Sache: Alexander habe nämlich den Bauleuten den Umriß der aufzuführenden Mauer von seiner eigenen Hand zurücklassen wollen; und da nichts vorhanden gewesen, um die Merkzeichen auf dem Boden anzubringen, so sei einer der Werkmeister auf den Einfall geraten, alles Mehl, das die Soldaten in Gefäßen bei sich trugen, auf den Platz zu schaffen, damit nach Anweisung des Königs den Boden zu bestreuen und so den Umkreis der Ringmauer zu beschreiben, die er der Stadt geben wollte; die Zeichendeuter aber, die daran ihren Scharfsinn übten, und namentlich Aristander von Telmissios, dessen Wahrsagungen auch sonst öfters eingetroffen sein sollten, haben Alexander versichert, wohlhabend werde die Stadt werden, wie überhaupt so auch durch die Erzeugnisse des Bodens.
   Nun kam ihn auch noch die Lust an, den Ammon in Libyen zu besuchen. Einerseits wollte er bei dem Gott sich Rat holen, weil sein Orakel im Ruf der Untrüglichkeit stand und auch von Perseus und Herakles in Anspruch genommen worden sein sollte – von jenem, als er auf seines Stiefvaters Polydektes Befehl wider die Gorgo (Medusa), vor diesem, als er wider Antäus (den sechzig Ellen langen Beherrscher Libyens) nach Libyen und wider Busiris (den ägyptischen König) zog. Von Perseus und Herakles aber war Alexander um so mehr ein leidenschaftlicher Bewunderer, da er sie auch beide unter seine Ahnherren zählte. Andererseits führte er selbst mitunter auch seine Abkunft auf Ammon zurück, so wie die Sagengeschichte den Herakles sowohl wie den Perseus von Zeus abstammen läßt. Und somit hatte er mit seinem Besuch bei Ammon die Absicht, auch über seine eigenen Angelegenheiten sichere Auskunft zu erhalten, oder doch sagen zu können, daß er sie erhalten habe.
   Bis Paraetonium [Marsa Matruh] ging der Zug an der Meeresküste durch eine jedoch nicht wasserlose Wüste in einer Strecke von 1.600 Stadien (vierzig Stunden), wie Aristobul berichtet. Von da wandte er sich landeinwärts der Gegend zu, wo das Orakel Ammons war, auf einem öden Wege, der größtenteils nichts als Sand und ohne Wasser war. Doch erhielt Alexander reichlich Wasser vom Himmel, was natürlich auf Rechnung des Gottes geschrieben wurde, so wie nicht weniger die folgende Erscheinung. Wenn nämlich der Südwind in dieser Gegend bläst, so wirft er den Sand in Massen auf den Weg; die Spuren der Bahn verschwinden; wie in einem Meer von Sand weiß man nicht, wohin die Füße richten; denn Wahrzeichen gibt es keine am Weg, und nirgends finden sich ein Berg oder ein Baum oder ein bleibend aufgetürmter Hügel, an denen sich etwa der Wanderer zurechtzufinden wüßte wie der Seefahrer an den Sternen; und so verirrte sich denn auch Alexander mit seinem Gefolge, und die Wegweiser waren ihrer Sache nicht mehr gewiß. Da liefen nach des Lagiden Ptolemäus Bericht zwei Drachen, Laut gebend, dem Zuge voran; Alexander befahl den Führern, ihnen im Vertrauen auf die Gottheit zu folgen; und sie wiesen den Weg zum Orakel und wieder zurück. Doch läßt Aristobul – und er hat die übliche Erzählung auf seiner Seite – zwei Raben, dem Zug voranfliegend, Alexanders Führer werden. Und daß ihm irgendein göttlicher Beistand zuteil wurde, darf ich wohl behaupten, weil auch die Wahrscheinlichkeit dafür spricht; allein mit Sicherheit in der Sache zu entscheiden ist durch die geteilten Berichte darüber unmöglich gemacht.
   Der Ort, wo der Ammonstempel steht (die Oase Siwa), hat rings umher lauter Wüste, und überall nichts als Sand, der ebenfalls wasserlos ist. Mitten im beschränkten Raum – seine größte Breite beträgt höchstens etwa 40 Stadien [etwa 7 km] – ist er voll zahmer Bäume, wie Öl- oder Dattelbäume, im ganzen Bezirk die einzige bewässerte Stelle. Auch entspringt in ihm eine Quelle, die mit allen übrigen, die aus dem Erdboden springen, nicht die geringste Ähnlichkeit hat. Um Mittag ist nämlich ihr Wasser kalt, sowohl dem Munde nach als noch mehr dem Gefühl nach, so kalt es nur immer sein kann; wie die Sonne sich zum Abend neigt, wird es wärmer, und vom Abend an immer wärmer bis um Mitternacht, wo es den höchsten Grad seiner Wärme erreicht, und dann allmählich sich wieder abkühlt, so daß es gegen Morgen bereits kalt und zur Mittagszeit wieder am kältesten ist, nach einem an jedem Tag wiederkehrenden Wechsel. Es findet sich auch an diesem Ort gediegenes Salz, das gegraben wird. Durch Priester des Ammon kommt es nach Ägypten, indem diese es bei Reisen nach Ägypten in Körbchen, die aus Palmblättern geflochten sind, mit sich nehmen, um den König oder wohl auch andere Personen damit zu beschenken. Sein Korn ist lang, zum Teil sogar über drei Finger lang, und dabei rein wie Kristall: Ägypter sowohl wie alle anderen, die den Gottesdienst nicht gleichgültig behandeln, bedienen sich desselben bei ihren Opfern, weil es reiner als das Meersalz ist.
   Alexander war überrascht von der Gegend; er befragte den Gott, und tat, nachdem die Antwort, wie er sagte, ganz nach seinem Wunsch ausgefallen war, die Rückreise nach Ägypten wieder an, und zwar nach Aristobul auf demselben Wege, nach Ptolemäus Lagi aber auf einem anderen, geraden Weg nach Memphis.
   In Memphis kamen viele Gesandtschaften aus Griechenland bei ihm an, deren keine entlassen wurde, ohne geneigtes Gehör gefunden zu haben. Auch erhielt er Ergänzungsmannschaft, und zwar von Antipatros (aus Makedonien) gegen 400 griechische Söldner unter Führung des Menidas, eines Sohnes von Hegesander, und aus Thrakien gegen 500 Reiter unter den Befehlen des Asklepiodor, eines Sohnes von Eunikos. Er brachte daselbst dem Zeus Basileus ein Opfer, ließ das Heer zu einem feierlichen Aufzug unter die Waffen treten, und stellte Wettkämpfe in Leibesübungen und schönen Künsten an. Ferner ordnete er ebendaselbst die innere Verwaltung Ägyptens. Zwei Nomarchen (Gaufürsten), die er bestellte, waren Ägypter, Doloaspis und Petisis; unter diese teilte er das ägyptische Gebiet; und als Petisis seine Würde niederlegte, erhielt Doloaspis das ganze. Die Befehlshaber der Besatzungen dagegen wählte er aus seinen Edelscharen und ließ zu Memphis Pantaleon aus Pydna, zu Pelusium Polemon, Megakes Sohn, aus Pella. Als Anführer der fremden Völker stellte er den Ätolier Lykidas auf; als Schreiber (Verpflegungsbeamten) bei ebendenselben Eugnostos, den Sohn des Xenophantos, aus den Edelscharen; und als Oberaufseher über sie alle den Äschylos und Ephippos, den Sohn des Chalkideus. Die Statthalterschaft über das angrenzende Lybien erhielt Apollonios, des Charinos Sohn, und über Arabien in der Gegend von Heropolis Kleomenes aus Naukratis, der zugleich angewiesen war, die Gaufürsten in ihren Gauen ganz nach ihrem alten Herkommen walten zu lassen, und selbst nur die Abgaben zu erheben, die sie an ihn zu entrichten den Befehl hatten. Zu Oberanführern des Heeres, das er in Ägypten zurückließ, bestellte er den Peukestos, des Makartatos Sohn, und den Balakros, des Amyntas Sohn; endlich zum Oberbefehlshaber der Flotte den Polemon, den Sohn des Theramenes. Unter seine Leibwächter nahm er an die Stelle des an einer Krankheit verstorbenen Arrhykas den Leonatos, des Anteos Sohn, auf. Auch starb Antiochos, der Anführer der Bogenschützen; und an dessen Stelle erhielt der Kreter Ombrion den Befehl über diese Waffe. Das Fußvolk der Verbündeten, das unter Balakros' Befehlen gestanden, bekam, da Balakros in Ägypten zurückblieb, einen neuen Befehlshaber in der Person des Kalanos. Daß übrigens Alexander die Verwaltung Ägyptens unter mehrere teilte, soll seinen Grund darin gehabt haben, daß er bei den hohen Begriffen, die er teils von der natürlichen Beschaffenheit, teils von der Sicherheit des Landes hatte, es nicht für sicher hielt, die Herrschaft über ganz Ägypten einem einzelnen anzuvertrauen; und diese Lehre benützend, schienen mir auch die Römer ein wachsames Auge auf Ägypten zu haben, und deshalb nie einen vom Senat als Statthalter (Proconsul) dorthin abzusenden, sondern immer nur einen aus ihrem Ritterstande.
   Mit dem Erscheinen des Frühjahrs (331 v. Chr.) brach Alexander von Memphis nach Phönizien auf.

Arrian’s von Nicomedien Werke
Übersetzt von Christian Heinrich Dörner
Stuttgart 1834

Abgedruckt in:
Keller, Ulrike (Hg.)
Reisende in Ägypten 2200 v. Chr. – 2000 n. Chr.
Wien 2001

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