Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1853 - Heinrich Brugsch
Assuan, Elephantine und Philä

Die Sonne hatte kaum am folgenden Morgen ihren goldenen Schein über die ägyptische Welt ausgebreitet, als ich voller Ungeduld die Barke verließ, um von der Höhe des Ufers aus einen Gesamtüberblick zu gewinnen.Vor mir lag nach Westen hin langgestreckt die Insel Elephantine, an ihrem Nordende mit üppigem Grün bekleidet, und darin hatte inmitten einer reichen Palmenwaldung der nubische Fellache seine ärmliche Hütte aus losem Nilschlamm aufgebaut. Der Anblick auf dem Südende ist ganz eigentümlich und verhält sich wie Tod und Leben zu dem eben beschriebenen nördlichen Teile der Insel. Hier erhebt sich der mit rötlich schimmernden Scherbenstücken und Trümmern alter Monumente bedeckte Boden, auf dem das Auge vergeblich eine Spur von Vegetation sucht, zu einer Höhe von 40 bis allmählich 60 und mehr Fuß. Große Felsblöcke rötlichen Granits - Syenit nannten ihn bekanntlich die Alten -, welche ein doppelter Wall aus regelmäßigen Quadern verbindet, bilden die westliche Mauer des Flußbettes bei Assuan, während nicht minder mächtige vorspringende Felsblöcke auf dem Ostufer den natürlichen Gegenwall bilden. Hier drängt sich der prächtige Fluß mit heftiger Strömung wie durch ein Felsentor hindurch, als wollte das eilende Wasser vom Kataraktenweg erzählen, den es soeben mit stürmischer, brausender Woge durchwandelt hat.
   Hinter der Insel, auf dem westlichen Ufer des Flusses, breitet sich ein hügeliges Land aus. Der gelbe Sand, welcher die Spitzen der Berge strichweise bedeckt, je nachdem der sausende Wind diesen losen Bergbewohner vor sich hergetrieben hat, ließ mich die Wüste erkennen, das unerschöpfliche Sandmeer der Sahara.
   Die oben beschriebenen Felsen, welche zu beiden Seiten des Flusses ein natürliches Wassertor bilden, sind vielfach mit hieroglyphischen Inschriften und Darstellungen bedeckt, welche die Gottheiten des Ortes erwähnen, denen meist alte Könige ihre Huldigung ausdrücken. Der Hauptgott des Landes, welches in den ältern Inschriften als zu Nubien gehörig bezeichnet wird, war Num (Chnumis, Chnubis, Chnuphis, auch Chneph von den Griechen getauft). Er heißt Herr von Nubien, Herr der Katarakte, auch Herr von Elephantine. Mit ihm werden als Ortsnumina genannt die beiden Göttinnen Anuke und Sati. Auch die erstere, in welcher ich die ägyptische Form der phönizischen Göttin Onka wiedererkenne, wie ich beweisen zu können glaube, wird die Herrin von Nubien genannt, während Sati, "die pfeilschnellende Göttin der Nilschwelle", meist "Herrin von Elephantine" heißt. Es ist wohl zu bemerken, daß diese Gottheit vollständig identisch mit der gleichnamigen Göttin des Sirius-Sternes ist, der bekanntlich Sothis von den Griechen genannt ward. Das periodische Steigen des Nil, welches unmittelbar nach der Sonnenwende eintritt, fällt im astronomischen Jahre mit dem Frühaufgang des strahlendsten aller Fixsterne zusammen, weshalb man auch das astronomische Jahr mit diesem Zeitpunkt begann, welcher dem 20. Juli des Julianischen Kalenders entspricht. Dieser Zusammenhang zwischen Sati, der Göttin der Nilschwelle, und Sati, der Göttin des Sirius, wird deutlich durch eine Inschrift in Philä bewiesen.
   Die Insel Elephantine, hieroglyphisch "Insel Ab" (Elefanteninsel, man vergleiche den alten Stamm ab mit dem lateinischen eb-ur, Elfenbein) genannt, enthält heutzutage wenig Monumente. Die Tempel, welche hier standen und bis in die Zeiten Amenhoteps III. zurück. gingen, sind von den Türken zerstört und zum Bau einer Kaserne und von Magazinen verwendet worden. Die einzigen Überreste der ehemaligen Monumente bestehen aus Blöcken von Syenit mit Inschriften und Schildern …
   Noch heutzutage besteht der größere Teil der Bevölkerung auf Elephantine aus Berbern oder Nubiern, deren fast nackte oder nur mit wenigen Lumpen bedeckte Kinder den landenden Europäer massenweise um ein Bakschisch anbetteln.
   Die Stadt Assuan, eine arabische Umschreibung des hieroglyphisch-koptischen Namens Suan (der zweite heilige Name dieses Ortes lautete pa-chech, "die Stadt des Richtmaßes"), liegt gänzlich auf dem Ostufer des Nils zwischen Gruppen von Palmen, unter deren Schatten handelnde Araber und Berber, Ababdehs und Bischarineger ihre Geschäfte betreiben. Hier ist zugleich die Hauptstation für die Gellab oder Sklavenhändler, welche "von oben her" auf ihren beladenen Schiffen Neger, Elfenbein, Gummi und andere Produkte der südlichen Länder gegen Masr (Kairo) führen. Dem Reisenden wird hierdurch zugleich die Gelegenheit geboten, Kuriosa als Andenken an Ägypten zu sammeln.
   Die Stadt selbst muß früher eine besondere Bedeutung gehabt haben; die Ruinen der älteren Stadt liegen im Süden des heutigen Assuan, auf der Höhe der beschriebenen Felsen, welche das Flußtor mit dem gegenüberliegenden Kai von Elephantine bilden, wodurch es als eine natürliche Grenze zwischen Ägypten und Nubien da steht. Von hier aus spaltet sich nach Süden hin der Nil in viele durch Inseln und Felsgruppen gebildete Arme, die sich von Klippe zu Klippe schäumend winden und mit dem Namen der ersten Katarakte (der von Assuan; schelal heißt er bei den Arabern) bezeichnet werden.
   Bald nach meiner Ankunft in Assuan war ich neugierig genug, die Katarakte ganz in der Nähe zu sehen und die Fahrt in einem kleinen Boote zu unternehmen. Doppelt gern folgte ich daher der Einladung eines jungen französischen Reisenden, Herrn Bardoin, dessen Bekanntschaft ich in Luxor gemacht hatte und der, einen gleichen Wunsch wie ich hegend, die Kataraktenfahrt zu unternehmen beabsichtigte. Wir mieteten eine Barke, welche für sechs oder acht Personen hinlänglich Raum darbot, und verabredeten uns, von der Insel Philä aus die Fahrt stromabwärts zu wagen.
   Vier Berber mit dem Kapitän der Katarakte verließen mit uns zugleich etwa 8 Uhr Assuan, sie zu Wasser, wir zu Lande auf Eseln. Der letztere Weg nach Philä, welchen der alte Geograph Strabo in einem Wagen zurücklegte und genau beschreibt, führt zunächst über einen Moslemkirchhof, der mit Moscheen, Grabkapellen und Steinen mit kufischen Schriftzügen aus den ersten Zeiten der Hegira reichlich bedeckt ist. Von hier beginnt eine ziemlich breite Straße, zu deren Linken die alten Steinbrüche von Suan liegen, mit einem noch nicht vollendeten mächtigen Obelisken, durch verbrannte, zackige Felsengruppen, welche man mit dem Namen der Sandkatarakte taufen könnte, da in der Tat, wie das Wasser durch die Felsen von Syene, so hier der goldgelbe Sand sich durch die schwarzbraunen Klippen hindurchdrängt und einen höchst malerischen Anblick gewährt.  Diese Straße, welche von der arabischen Seite her durch eine mächtige, zum Teil noch erhaltene Mauer gegen Einfälle geschützt war, stellte schon im höchsten Altertume die Landverbindung zwischen Assuan und dem Insellande von und um Philä her.
   Eine große Zahl von Weihinschriften an Felswänden und Klippen beweisen, daß Wanderer und Fürsten am Hofe der Pharaonen hier den Kataraktengöttern Num-Ra, den eine lateinische Inschrift Jupiter Hammon Cenubis nennt, der Sati (Juno) und der Anke ihre Verehrung bezeugt haben.  Die Inschriften datieren aus den Zeiten der XII. Dynastie (oder 2000 vor Chr.), was ich aus der häufigen Wiederkehr der Königsnamen dieser Dynastie Amenembet und Sesurtesen schließe. Die Statthalter, welche in diesen Teilen der Pharaonenherrschaft weilten, führen meist den Titel: Statthalter Nubiens.
   Nachdem wir etwa eine halbe Stunde lang in dieser grenzenlosen Einöde geritten waren, vernahmen wir deutlich das ferne Geräusch eines Wassersturzes, und als wir einen engen Hohlweg hinter uns gelassen hatten, trat uns plötzlich ein nubisches Dorf, das erste, welches ich sehen sollte, mit prächtigen Sykomoren, Dum- und Dattelpalmen entgegen und gewährte durch das herrliche Grün der Vegetation in der Nähe des rauschenden Wassers, durch die steilen schwarzen Felswände im Hintergrunde und endlich durch die Versammlung der bronzefarbenen Bewohner vor ihren niedrigen Hütten ein ebenso heiteres wie überraschendes Bild.
   Wir ritten nach kurzem Aufenthalte weiter und gelangten nach einem großen Platze hin, der ein wenig oberhalb des größten Wasserfalles liegt und den Stationsort der Schiffe im Kataraktenlande bildet, welche diese Wasserfälle teils schon passiert hatten, teils zu passieren im Begriff waren. In einer Umzäunung sahen wir einen wahren Berg von Datteln aufgehäuft, die als Hauptprodukt des Kataraktenlandes von hier aus nach dem Unterlande geführt werden.  Inzwischen pickte eine Schar hungriger Vögel wacker hinein, ohne sich in ihrer angenehmen Arbeit weder durch Menschenruf noch durch Scheuchen stören zu lassen.
   Wir ritten von nun an um eine Art von Felsenecke herum und - das schönste Bild auf der weiten Welt Gottes lag plötzlich ausgebreitet vor unsern entzückten Blicken da. Nur in einem bewundernden und staunenden Ah! drückten wir gegenseitig unsere Überraschung aus. Da lag in einem wildromantischen Gebirgskessel, dessen steile dunkle Felsmassen in den reinen blauen Himmel die kahlen Häupter emporstreckten, das reizende Eiland der Göttin Isis, umspült von den dunklen Wogen des heiligen Stroms, der hier von Nubien Abschied nimmt, um am Felsentore von Assuan Ägypten zu begrüßen. Mächtige Pylone, lange Säulenreihen und die Dächer der Tempel, überragt von dem Wipfel der nickenden Dattelpalme oder den dunkelgrünen Strahlenfächern der Dumpalme, legten in blendender Weiße und in langer Reihenfolge, wie ein verzauberter Palast im Märchen, aus Gebüschen von Sontbäumen, Hennasträuchern und üppig sprossenden Grasdecken hervor. Wahrlich, einen würdigeren Platz konnte nirgends im ganzen nubischen und ägyptischen Lande das ägyptische Priestertum der Göttin weihen als diese Insel, welche selbst die arabische Sage als das anas el Wogud, d. i. "die Wonne des (Königs) Wogud", bezeichnet.
   Nachdem wir lange Zeit den herrlichen Anblick der Insel genossen hatten, mußten wir zu Fuß über glatte Felsmassen den Weg fortsetzen, während die uns folgenden Tiere bald behutsam die steilen Steinflächen hinabrutschten, bald im Sprunge über klaffende Öffnungen hinwegsetzten. Der Insel gegenüber befindet sich ein Dorf der Berber, deren Bewohner bei unserer Ankunft neugierig die Hütten verließen, während Kinder mit alten Weibern sich uns näherten und ihre Hände bittend nach einem Bakschisch ausstreckten.
   Die Hautfarbe der Berber, die ein schöner Menschenschlag sind, ist ein ziemlich helles Braun, der Bronzefarbe nicht unähnlich. Ihr kräftiger Körperbau und die angenehme Physiognomie dieser Leute ruft mir stets den altägyptischen Typus ins Gedächtnis zurück, wie wir ihn durchgängig auf den Monumenten charakteristisch ausgeprägt sehen. Die Kinder gehen fast nackt; ich sah Mädchen von zehn bis zwölf Jahren, deren ganze Bekleidung aus einem aus Lederriemen geflochtenen Schurze bestand. Die Weiber, nur mit einem blauen Gewande bekleidet, tragen Ringe in Ohr und Nase, ferner Fingerreife, Arm- und meistens auch Fußspangen und eine bunte schwere Halskette. Eigentümlich ist die Art ihrer Haartracht. Sie flechten nämlich das Haar in sehr viele kleine Zöpfe, welche sie reichlich mit Butter oder sonstigem Fette einsalben, so daß es wie kleine schwarze und glänzende Schnüre rings um den Kopf herumhängt. Die Stirn ist bis etwa zur Hälfte mit diesen Locken bedeckt. Auch diese Art, das Haar zu tragen, erinnert an den Kopfputz der altägyptischen Weiber, wie wir ihn mehr als einmal auf den Monumenten zu sehen Gelegenheit haben.
   Wir setzten von diesem Ufer aus in einer Barke nach Philä über und durchliefen die wohlerhaltenen Tempelräume, welche indes aus den letzten Zeiten der altägyptischen Reichsgeschichte herrühren. Neben- und hintereinander wohnten hier Ägypter, Äthiopier, Griechen, Römer, Kopten und Araber, und jede dieser Nationen hat ihre Denkmäler aufzuweisen.
   Heutzutage bewohnt kein menschliches Wesen die Insel, nur eine Schar im Pronaos des großen Isis-Tempels nistender Turteltauben hat hier ihren beständigen Wohnort aufgeschlagen, freilich zum großen Nachteile des Tempels, dessen Säulen- und Randinschriften sie mit ekelhaftem Kote bedeckt haben.
   Inzwischen war unsere Barke glücklich durch die Katarakte nach mehr als fünfstündiger Auffahrt angelangt, und befriedigt durch den ersten Besuch der reizenden Insel setzten wir uns in den schwankenden Nachen, um die Kataraktenfahrt anzutreten. Anfangs ward die Barke durch den gleichmäßigen Ruderschlag unserer Matrosen getrieben, bald aber kamen wir in wirbelnde Wasser hinein, durch welche das Schiff sich fast ohne Ruder schnell bewegte. Mit großer Vorsicht steuerte der Kapitän mitten durch die Felsen im Wasser hindurch, welche mit einer wie Blei hell glitzernden Masse bedeckt sind, die sich gleichfalls, wie Alexander von Humboldt zuerst nachgewiesen, in den Katarakten des Orinoko sowie am afrikanischen Rio Kongo vorfindet. Bald hörten wir ein tosendes Geräusch, das von dem Hauptwasserfalle herrührte, der kaum fünf Minuten vor uns mit mächtigem Wellenschlag und hoch aufspritzendem Wasserschlamm dahinstürzte.
   Unsere Herzen schlugen ängstlich, ich klammerte mich fest an den Sitz der Barke an und - "Ya Allah, ya schelal!" - "0 Gott, o Katarakte!", dies war der Ruf, mit welchem die Berber das Schiff durch diese tosende Wassermenge hindurchführten. Die Bewegung war in der Tat mehr als schwindelnd zu nennen; ich hatte die Augen zugedrückt, pfeilschnell fuhren wir in die Wasserhölle hinab, und pfeilschnell wurden wir wieder im wilden Spiel der Welle emporgehoben. Ich dankte Gott, daß ich die Katarakte hinter mir hatte; vier kleinere Wirbel brachte ich kaum mehr in Rechnung. Den Weg von Philä nach Assuan, zu welchem der Nachen fünf Stunden Zeit aufwärts gebraucht hatte, legten wir in etwa vierzig Minuten abwärts zurück, wodurch man eine Vorstellung von der schnellen Strömung gewinnen mag.
   An den folgenden beiden Tagen wurde mein Dahabijeh von 300 Berbern durch die Hauptkatarakte gezogen und langte bei einem günstigen Winde vor und nach diesem Katarakte glücklich bei Philä an. Das Geschrei und Zurufen so vieler Menschen, welche jeden Augenblick guten Windes benutzen müssen, um die Barke die richtige Wasserfährte halten zu lassen, soll sie anders nicht an den Felsen zerschellen, bietet in diesen sonst einsamen Gegenden ein eigentümliches Schauspiel dar, das durch die Umgebung einen romantischen Charakter gewinnt.
   Seit dem 5. Dezember hatte ich meine Wohnung bei Philä auf der Barke aufgeschlagen, die an der Ostseite der Insel zwischen dem sogenannten Kiosk und dem römischen Triumphbogen aus den Zeiten Diokletians haltgemacht hatte. Mein liebster Aufenthalt nach des Tages Arbeit war die Terrasse vor dem römischen Monumente, wo ich allabendlich Muße hatte, bei klarstem Mondscheine die Denkmäler der Insel oder die malerische Gebirgsformation der Umgegend zu bewundern Oder, in stilles Nachdenken versunken, an die nordische Heimat zu denken, wo jetzt Sturm und Schneegestöber über das Land dahinfährt. Meine Matrosen vergnügten sich durch Gesang beim Schalle der dumpf tönenden Darabuka, wobei mir die nubischen Melodien, bei weitem lebhafter im Takte als die arabischen, neu waren.
   In steter Erinnerung wird mir indes vor allem ein Abend bleiben, den ich mit den schauerlichsten Empfindungen verlebt habe. Wie gewöhnlich hatten sie sich versammelt, um den Abend durch Gesang und Spiel zu feiern. Ich sah ihrem Treiben anfangs gleichgültig zu, indes kam mir ihr Geächz und Gebrüll, das sie mit leisen dumpfen Trommeltönen begleiteten, sonderbar und ungewöhnlich vor. Stehend hatten sie einen Kreis gebildet, hatten einen Vorsänger und sangen: "La illah il' allah" oder auch bloß "allah" ("Es gibt keinen Gott außer Gott" oder nur "Gott"), wobei sie sich bald nach rechts, bald nach links hin verneigten, wie die Derwische bei ihrem Zikr (ihrer Andachtsübung) zu tun pflegen. Sie heulten hierbei so abscheulich und stießen so lungenlähmende Laute aus, daß ich dies anfangs für eine Farce auf die Derwische hielt und herzlich lachte.
   Plötzlich fiel ein Matrose zur Erde nieder, von Krämpfen befallen; dennoch wurde er von den übrigen aufgerissen, mechanisch setzte er mit matten Gliedern die oben beschriebene Bewegung fort. "Uached, uached allah" (d. i. "mache Gott zu einem, sage, es ist nur ein Gott"). riefen sie ihm zu, und mit schäumendem Munde stammelte er sein "La illah il' allah", die Hände zum mondklaren Himmel emporstreckend. "Mohammed rassul allah!" - "Mohammed ist der Gesandte Gottes!" brüllten ihm die andern jetzt zu, und so setzten sie diesen Tanz lange fort.
   Wie ich später erfahren habe, war diese religiöse Zeremonie eine besondere Form des Gebets, wodurch sich der gläubige Moslem bei Gott im voraus eine gute Stelle im Paradies zu versprechen einbildet. Grauenvoller Gottesdienst! Ich glaube kaum, daß in den heidnischsten Zeiten die ägyptischen Bewohner auf Philä in so entsetzenerregender Weise der Gottheit ihre Verehrung ausgedrückt haben, als es hier vor meinen Augen die Epigonen des ägyptischen Volkes taten.
   Monumentale Überreste auf der Insel Philä: Die Insel Philä, eine griechische Verdrehung des ägyptischen Namens Ilak oder, mit dem Artikel, P-ilak, umgürtet von einem wohlgebauten Kai, der in Winkeln an verschiedenen Seiten vorspringt, um der zerstörenden Gewalt des Nil desto bessern Widerstand entgegenzusetzen, ist mit einer Masse von Monumenten bedeckt, die sich auf einem verhältnismäßig geringen Flächenraum ausbreiten. Das Alter der Monumente beträgt im allgemeinen wenig mehr als 2000 Jahre vor unsern Tagen, sie sind also im Vergleich zu andern ziemlich modern. Das älteste Denkmal befindet sich auf dem Südende der Insel. Es ist dies ein verfallenes hypäthrales [dachloses] Gebäude, welches bis zur Hälfte der Säulen verschlossen war und aus der Regierung des Königs Nechtnebef oder Neetanebus 1. (377-357 vor Chr.) herrührt ...
   Die Hauptmasse der Denkmäler bildet vor allem der große Tempel der Isis, der von Ptolemäus II. Philadelphus (285-247 [v. u. Z.]) angelegt und seinen Nachfolgern, besonders aber von Ptolemäus III. Euergetes 1. (247-222 [v. u. Z.]) erweitert ward. Der Tempel besteht seiner Anlage nach aus dem Allerheiligsten, dem Pronaos (einer Anzahl miteinanderstehender Zimmer und Kammern), dem offenen Portikus, dem ersten Pylonen und dem zweiten Pylonen. Die beiden Pylonen schließen einen Hof ein, dessen östlichen Teil eine Kolonnade begrenzt, dessen westlicher Teil dagegen von einem besonderen Heiligtume gebildet wird. Jedes der genannten Stücke des Tempels hatte seine eigentümliche, im ägyptischen Zeremoniendienst vorgeschriebene Bestimmung, nach der sich wiederum die Dekoration der Wände richtete. So enthielten der Portikus astronomische Darstellungen, die Pylone kriegerische Szenen, die Türen dazwischen die Reihe der Nomengötter, die äußeren Wände des Naos [inneren Raumes] kriegerische Darstellungen und wiederum Nomengötter usw. Nichts war zwecklos angelegt, nichts zufällig, jede Darstellung, jede Inschrift war vorgeschrieben.
   Aus den Inschriften, welche die Wände des Tempels in bunter Mischung schmücken, geht soviel hervor, daß die Tempelanlage sowie überhaupt die Insel Philä der Göttin Isis geheiligt war. Ihr Ehegemahl, der König Osiris, erscheint ihr untergeordnet, nicht minder wie ihr Kind Horus. Für mythologische Studien bieten die Inskriptionen [Inschriften] ein unendlich reiches Material dar, und in diesem Sinne arbeitete ich während eines vierzehntägigen Aufenthalts in Philä. Hierbei wiederhole ich die Bemerkung, die sich mir jedesmal im Angesicht jüngerer Monumente des ägyptischen Altertums von neuem wieder aufdrängt, daß in diesen jungen Inschriften das Mysterium der Gottheit weit offener und durchsichtiger heraustritt aus dem Dunkel, welches sich in den älteren Epochen der ägyptischen Geschichte unter einer kleinen Zahl hieroglyphischer Zeichen birgt, und daß die Redeweise einen Schwung annimmt, der, so scheint es, nicht ohne alle Einwirkung des griechischen, in Ägypten bald heimisch gewordenen Genius dasteht ...
   Die Geschichte der Insel Philä, welche etwa um den Anfang des 4. Jahrhunderts vor Christi Geburt in die ägyptische Historie eintritt, läßt sich in den noch vorhandenen Monumenten und in den Inschriften in höchst interessanter Weise verfolgen.
   Unter dem ersten Könige der XXX. Dynastie, Nectanebus I., am Anfang des 4. Jahrhunderts, wurde auf dem von Blemmyern bewohnten Eilande ein Heiligtum der Isis angelegt, in welchem der Hauptkult dieser von den Nubiern bald allgemein verehrten Göttin stattfand.
   Unter den folgenden Ptolemäern wurde von dem zweiten derselben, Philadelphus, der große Tempel der Isis errichtet und von seinen Nachfolgern teils erweitert, teils ausgeschmückt. Unter den römischen Kaisern war es vorzüglich Tiberius, welcher sich die Ausschmückung der Heiligtümer der Isisinsel angelegen sein ließ. Selbst bis in die Zeiten des Christentums hinein bestand hier ein Kult der Isis. Eine griechische Inschrift an dem Osiriszimmer auf dem Dache des großen Tempels gibt einredendes Zeugnis, daß noch im Jahre 453 die Göttin Isis ihr Priesterkollegium hatte, also ungefähr 60 Jahre später als das Edikt des Kaisers Theodosius gegen die Götter.
   Nachdem die heidnischen Blemmyer zuletzt auch von den nubischen Christen, besonders ihrem tapfern Könige Silco überwunden waren und somit aufhörten, den Kaisern und ihren Statthaltern in Ägypten gefürchtete Nachbarn zu sein, zieht in Philä sowie überhaupt in Nubien bis zum zweiten Katarakt hin das Christentum ein. Die Tempel werden in Kirchen verwandelt und die ältern heidnischen Bilder und Schriften mit Nilschlamm verdeckt. Um 577 wurde von dem Bischof Theodor der Isis-Tempel, besonders der Pronaos, zu einer Kirche des St. Stephan eingeweiht, und christliche Gebete und Lieder hallten in den Räumen des Isisheiligtums wider. Später hat man auf dem Nordostende der Insel, nicht weit von dem römischen Tore, aus den Trümmern eines Isis-Tempels mit Schilden römischer Autokratoren [Alleinherrscher] und inmitten der Stadt Philä, deren Trümmer noch den alten Plan angeben lassen, eine koptische Kirche erbaut.
   Der koptische Gottesdienst wurde hier in ungestörter Ruhe ausgeübt, bis endlich der überhandnehmende Islam die wenigen Christen von der Insel forttrieb, die gegenwärtig eine öde, menschenleere Stätte geworden ist.

Brugsch, Heinrich
Reiseberichte aus Ägypten
Leipzig 1855; Nachdruck 1977

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