1907 - A. Miethe
Sonnenuntergang in Assuan
Wenn sich dann die Sonne dem Westhorizont nähert und der blaue weitgedehnte Schatten, den unser Berg über das Tal von Schellal wirft, sich allmählich verlängert und mit den kleineren, fest umrissenen tiefen Schattenflecken der Felsblöcke und Anhöhen dort unten mehr und mehr zusammenwächst, wenn die Häuser der Stadt zu unseren Füßen sich warm antönen und ihre blendende Weiße mit einem feurigen glühenden Gelb vertauschen, wenn die Wände des Grabdenkmals von Schejch Fata vom letzten Sonnenstrahl beleuchtet sich golden vom tiefblauen wolkenlosen Himmel abheben, beginnen unsere Beobachtungen. Hellgelb strahlend berührt der Sonnenball die einförmige Höhe der libyschen Wüste, und der Strom wirft metallisch goldenes Licht zu uns herauf. Im Moment des Sonnenunterganges, wenn das Tal zu unseren Füßen schon ganz beschattet ist, streifen die letzten Strahlen die Höhen der arabischen Wüste bis schließlich nur auf den fernen Hochgipfeln, die zahnartig den Osthorizont überragen, die Glut des Abendrotes liegt. Aber auch dieser letzte Farbenschimmer verschwindet schnell und kalte Bläue dringt aus der Tiefe herauf. Am Westhimmel, der in hellblauen Tönen erstrahlt, zeichnet sich allmählich in über halbkreisrunder Scheibe derjenige Teil der oberen Atmosphäre ab, der noch von den Sonnenstrahlen beleuchtet ist, scharf umschrieben und bläulich silberhell von dem jetzt fast blauschwarzen Firmament sich sondernd. Nur dicht am Horizont verrät ein gelblicher Streifen und ein hell kupferrot leuchtender Fleck das verschwundene Tagesgestirn. Die Periode der sogenannten Leichenfarbe, die dem Sonnenuntergang unmittelbar folgt, hat eingesetzt. Der Osthimmel, an welchem sich die meist schwache Gegendämmerung zu entwickeln beginnt, ist von einem stumpf purpurnen, nicht hoch aufsteigenden Saum überragt, aus dem der blaue Erdschatten wie ein flaches Segment allmählich von unten herauszuwachsen beginnt. Schon scheint alle Farbenpracht der Dämmerung erloschen, kalte Töne beherrschen den Himmel, als sich plötzlich die erste Phase des Purpurlichts wenige Minuten nach Sonnenuntergang entwickelt. Der klare Fleck am Westhimmel, der wie ein Fenster in einem leuchtenden ferneren Firmament erscheint, säumt sich mit leichten grauvioletten Tönen, die nach den Seiten anwachsend ringförmig die helle kaltweißblaue Stelle umgeben. Schnell aber beginnt der Purpurschimmer sich zu vertiefen und der Sonne nachzueilen, immer mehr des klaren Fleckes nach unten hin verdeckend und nur noch einen schmalen bleich schimmernden Saum zwischen seiner Purpurflut oben und den grauroten Tönen am Horizont übrig lassend. Aber auch diese matt gefärbte Stelle schwindet bald, und mit wunderbar tiefer violetter Färbung ist jetzt der Westhimmel überdeckt. Die Einzelheiten im Tal nach Osten zu, die Höhen und Felswände, die fernen Steilabhänge des Kalksteinplateaus beginnen sich von neuem in durchsichtigen Purpurtönen zu färben. Es ist jene Periode, die im Hochgebirge das Alpenglühen mit sich bringt. Die hellsten Sterne erscheinen auf dem wunderbar dunklen Firmament, unter ihnen glänzt die Venus im Westen mit fast unerträglichem Licht blendend und funkelnd wie das Feuer eines Scheinwerfers. Rasch sinkt das Purpurlicht herab. Der Westhorizont beginnt in goldigem Licht zu erstrahlen, und es bildet sich der sogenannte leuchtende Dämmerungsbogen aus, der unter dem nunmehr mit seiner Farbenpracht flach linsenförmig zusammengesunkenen tiefvioletten Schein des letzten Purpurlichts aufglimmt. Das Firmament ist indessen noch weiter nachgedunkelt, auch die schwächeren Sterne erscheinen, die Einzelheiten ringsum verschwinden mehr und mehr, die Laternen werden angesteckt, bei deren Schein die weiteren Aufzeichnungen erfolgen. Der Physiker hat mittlerweile seine Apparate zusammengepackt und erscheint bei uns, um die Abendkühle, die sich allmählich fühlbar macht, mit zu genießen.
Miethe, Adolf
Unter der Sonne Oberägyptens
Berlin 1909