1847 - Alfred Brehm
Im Steinmeer von Assuan
Der Wind [auf der Fahrt von Kairo] war uns unausgesetzt günstig. Schon am 13. Oktober erreichten wir das Städtchen Esneh, am 16. Oktober den »Berg der Kette«, Dschebel el Selseli, einen engen Strompaß, den letzten Damm, den der Nil durchbrechen mußte, ehe er in dem durch ihn hervorgerufenen Schlammlande Ägypten seine Fluten still und ruhig dahinströmen lassen konnte. Die Stelle ist merkwürdig, weil man am rechten Ufer großartige Steinbrüche, am gegenüberliegenden Ufer Katakomben und kleine Tempelportale der Alten bemerken kann.
Oberhalb des Dschebel el Selseli treten die Gebirge wieder in weitem Bogen zurück, und das Ackerland Ägyptens zeigt noch einmal seinen Reichtum. Am rechten Ufer liegt auf einem steilen, jetzt mit Sand überschütteten Felskegel Kom Ombo, ein Doppeltempel der Pharaonen.
Wir fuhren mit der Schnelligkeit eines kleinen Dampfbootes den Strom hinauf. Auf mehreren Sandinseln bemerkten wir die ersten lebenden Krokodile, die aber unsere Barke nicht einmal auf Büchsenschußweite an sich herankommen ließen und langsam ins Wasser krochen. Vor einigen Tagen sahen wir bereits einen dieser Riesensaurier im Flusse schwimmen, aber, wie ich sogleich wahrnahm, leblos. Dennoch sandten die geistlichen Herren ein halbes Dutzend Kugeln in die Panzerhaut des Tieres. Man wunderte sich allgemein über die Ruhe des »schlafenden Ungeheuers«, und ich wunderte mich im stillen über Sonntagsjäger und Sonntagsjägerei.
Gegen Abend legten wir in Assuan, der Grenzstadt Ägyptens gegen Nubien hin, neben einer Sklavenbarke an. Schon von weitem, lange bevor man die hinter Palmen versteckte Stadt gewahrt, sieht man das hoch auf den Bergen des linken Ufers gelegene Grabmal des heiligen Musa, des Schutzpatrons des ersten Katarakts. Im Strom türmen sich schwarzglänzende Granit- und Syenitmassen zusammen und hemmen im Sommer die Schiffahrt. Dann erscheint die Insel Elephantine wie ein lieblicher Garten und mit ihr Assuan, das alte Syene der Griechen.
Früher war Assuan wegen seiner berühmten Steinbrüche von größerer Ausdehnung und Bedeutung als heute, wie man aus den Trümmern, die den vierfachen Raum der heutigen erbärmlichen Stadt bedecken, leicht schließen kann. Die Steinbrüche, aus denen jene Kolosse, Obelisken und Säulen stammen, deren Massenhaftigkeit, Festigkeit und Schönheit man bei allen Tempelruinen Ägyptens bewundern kann, liegen ganz in der Nähe der Stadt in der Wüste. Man sieht noch überall die Spuren der Sprengarbeiten der Alten: kleine aber tiefe, in gerader Reihe in das Urgestein eingemeißelte Löcher, in denen man eingetriebene Holzkeile durch übergießen mit Wasser so ausdehnte, daß sie Blöcke von mehreren tausend Zentnern Gewicht vom Felsen ablösten. Einige Blöcke liegen jetzt noch, bereits vom Felsen getrennt, im Sande der Wüste, andere sind sogar schon teilweise bearbeitet. Die Werkstücke wurden auf geebneten Wegen, deren Spuren ebenfalls noch sichtbar sind, mit Walzen zu den im Fluß liegenden Schiffen gebracht und auf diesen ihrem Bestimmungsort zugeführt.
Das heutige Assuan hat nur wenige und schlechte Basare, in denen man oft weder Käufer noch Verkäufer sieht, und ist der Sitz eines ägyptischen Zollamts, weil alle nach dem Sudan gehenden und von dort kommenden Waren hier versteuert werden müssen. Für Sklaven, die ja im Orient überall als Ware betrachtet werden, ist der Zoll sehr hoch. Wahrscheinlich lagen wegen der Verzollung ihrer Neger und Negerinnen mehrere Sklavenhändler hier einige Tage fest, Man bot uns ein sehr niedliches Gallamädchen für achtzehnhundert Piaster an. Negerknaben und Negermädchen waren viel billiger.
Alle von Ägypten nach Nubien gehenden Nilschiffe passieren den Katarakt von Assuan, obgleich er nicht gefährlich ist, nur, wenn es dem Reis des Schiffes vorher kontraktlich zur Pflicht gemacht worden ist. Unsere große Dahabie wäre dazu unter keinen Umständen geeignet gewesen. Wir mußten deshalb unsere Effekten von Assuan aus mit Kamelen über die Stromschnelle bringen lassen. Don Ignatio hatte in der Nähe der Insel Philae einen Lagerplatz ausgewählt, an dem wir bis zur Ankunft anderer Barken verweilen wollten. Am 18. Oktober kamen gemietete Kameltreiber, beluden ihre stöhnenden Tiere mit dem Gepäck der Mission und zogen gegen Mittag dem Lagerplatze zu. Wir ritten nach dem Assr auf Eseln nach und erreichten mit Sonnenuntergang das oberhalb der Stromschnelle gelegene Dörfchen Siale. Die Umgebung ist wildromantisch. Syenit und Porphyr, teils zu ungeheuren Felsen vereinigt, teils wie von der Hand eines Riesen durcheinandergeworfen und zusammengeschichtet, teilen den Strom in Hunderte von kleinen, rauschenden Bächen, stauen ihn in den durch ihr Zurücktreten gebildeten Kesseln auf und zwingen ihn, seine Fluten mit donnerndem Schwall über sie hinwegzustürzen. Nur schmale Kulturstreifen ziehen sich dicht an seinen Ufern dahin. Die Gegend ist öde, aber dennoch schön.
Brehms Weltreisen zwischen Nordkap und Äquator
Von ihm selbst erzählt
Hg. H. Bode
Mannheim 1956