Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1845 – E. Ch. Döbel, Reiseschriftsteller
Die Veilchensteine der Schneekoppe


Wir fuhren mit der Chaise der Schneekoppe zu, soweit man eben fahren kann, und setzten dann die Wanderung zu Fuße fort. Ehe wir jedoch abfuhren, hatte Herr Klein [Gutsbesitzer in Schmiedeberg] einen Korb voll Flaschen, mit derselben edlen Flüssigkeit [Wein] gefüllt, an der wir uns bereits geletzt hatten, eingepackt und einen Knecht damit vorausgeschickt. Dieser Knecht mit seinem Flaschenkorb diente uns als Wegweiser; nur, daß nach und nach der Arme des Wegweisers immer weniger wurden. Hatten wir nämlich ein Stück Weges zurückgelegt, so fand es Herr Klein für nöthig, nachzusehen, ob auch die Korke auf den Weinbouteillen in Ordnung wären. Diese Revision wiederholte er häufiger, als für uns nöthig und gut war.
   Als wir in der s.g. Hampelbude angekommen waren, wurde Halt gemacht. Herr Klein ließ hier Fische sieden, die wir nicht verzehrten, ohne dabei das Sprichwort zu üben: „Der Fisch muß schwimmen!“
   Nach einem Aufenthalt von ein paar Stunden brachen wir wieder auf, als bereits der Abend dämmerte; doch beleuchtete der Mond unsere nächtliche Wanderung. Da wir nun etwa eine Stunde lang marschiert waren, wollte Herr Klein den Weg besser wissen, als der mitgenommene Führer; allein der „Wegweiser“ mochte seine topographischen Kenntnisse etwas in Verwirrung gebracht haben, denn anstatt bergauf, führte er uns um den Berg herum und zwar so in die Irre, daß nach einiger Zeit jede Spur von einem Wege verschwunden war. Ich sah ein, daß wir auf diese Weise unser Ziel nicht erreichen würden, und stellte Herrn Klein vor, daß wir nothwendig gerade den Berg hinaufsteigen müßten, wenn wir den Gipfel erreichen wollten, möge es auch, da wir nun einmal den Weg verloren, gehen, wie es wolle. Herr Klein mußte mir Recht geben, und nun steuerten wir in gerader Richtung dem höchsten Punkte zu. Es war jedoch eine sehr beschwerliche Tour. Der Berg war mit Knieholz bewachsen, auf dem man bald saß, bald stand, bald die Beine nicht wieder herauszubringen wußte. (Das Knieholz ist ein Nadelholz und mag seinen Namen daher haben, daß es Einem gewöhnlich nur bis an die Kniee reicht. Der Stamm wird etwa so dick, wie der Kopf eines Menschen, und die Zweige nehmen sie fast aus, wie ein unter der Scheere gehaltener Fichtenzaun. Aus diesem Holze werden die schönsten Sachen gedrechselt.) Hier zerriß Einer den Rock, dort ein Anderer die Unausprechlichen an den fatalen Nadeln. Zuweilen hatte sich der und Jener so darin verwickelt, daß er nicht fortkonnte und ausrufen mußte: „Langsam, ich will auch mit!“ Selbst mein Pudel, der von der Partie war, hatte seine Noth, das Dickicht zu durchdringen. Nach und nach wurde jedoch das unbequeme Knieholz immer niedriger, und hörte zuletzt ganz auf. Wir machten Halt und freuten uns, die größten Beschwerden des steilen Weges überwunden zu haben. Herr Klein hatte jetzt nicht übel Lust, eine abermalige Revision des Flaschenkorbes vorzunehmen, wogegen ich jedoch protestirte, damit des Guten nicht allzuviel werde.
   Obgleich wir auf keinem gebahnten Weg waren, so war doch selbst mir, dem mit aller Oertlichkeit ganz Unbekannten, nicht bange, daß wir unser Ziel bald erreichen würden, denn wir standen schon höher, als die Berge der Umgebung. Ich hatte Recht, nach einer halben Stunde kamen wir auf dem Gipfel des Berges an.
   Auf der äußersten Spitze der Schneekoppe steht ein 24 bis 30 Fuß hoher Thurm, an welchen eine Kapelle stößt. Dieser Thurm wird im Sommer von einem Wirthe bewohnt. Nachdem wir durch Schellen ein Zeichen gegen, erschien der Wirth und frug, wer da sei. Herr Klein nannte sich; und sofort öffnete der Wirth, welcher den späten Gast an seiner Stimme erkannt hatte, den Eingang zu seiner Warthe, zu welcher wir vermittelst einer starken Leiter hinaufsteigen mußten. Diese Einrichtung erinnerte mich an das Kloster am Berge Sinai, in welches man durch einen Flaschenzug gezogen wird. Nur der arme Pudel konnte die Leiter nicht erklimmen, und ich fürchtete, daß er herabspringen würde, wenn ich ihn auf den Armen hinauftragen wollte. Was war also zu thun, um das Thier aufzuhissen? Ich ließ mir von dem Wirthe einen Sack geben, steckte den Pudel hinein und transportirte ihn so die Leiter hinauf, und später wieder herunter.
   Es war Nachts1 Uhr, als wir in dem Thurme ankamen. Wir ließen uns gleich einen guten Kaffee kochen, und als wir den getrunken hatten, war die Stunde herangerückt, wo die Sonne aufgehen mußte. Allein es war ein so starker Nebel eingetreten, daß kein Gedanke daran war, etwas vom Sonnenaufgang sehen zu können. Herr Klein, der dieses Schauspiel hier schon öfters genossen hatte, bedauerte es um meinetwillen, daß der Nebel meine Hoffnung vereitelte. Er legte sich dann nebst seinen mitgebrachten dienstbaren Geistern nieder; ich aber blieb auf dem Stuhle sitzen, den ich in eine Ecke gestellt hatte, du schlief bald ein Weilchen, bald schaute ich mich nach dem Wetter um. Wenn ich aber den Kopf zum Fenster hinausstreckte, so war es mir, als befände ich mich in einer Wolke. Endlich um 7 Uhr entschädigte mich ein anderes großartiges Naturschauspiel für den eingebüßten Sonnenaufgang. Die Sonne rückte nämlich um diese Zeit den Nebel herunter, und nun tauchte aus dem Dunstmeer ein Berg nach dem anderen, ein Thurm nach dem anderen, eine Stadt, ein Dorf nach dem andern hervor, so daß sich nach und nach eine herrliche Fernsicht entwickelte. Ich dachte an Döblers Nebelbilder, dich ich in Berlin in Theater gesehen hatte. Wie kleinlich erschienen mir jene künstlichen im Vergleich mit diesen natürlichen Nebelbildern! Ehe es 9 Uhr wurde, hatten wir den schönsten Tag.
Hier, auf dem Gipfel der Schneekoppe, steht man auf dem höchsten Punkte der Grenze zwischen den beiden Großmächten des deutschen Vaterlandes. Hier müßte die Fahne der deutschen Einigkeit für immer aufgestellt werden. Nach Süden hin sieht man weit in das Oesterreichische und nach Norden ebensoweit in das Preußische hinein.
Das reizende Hirschberger Thal mit seinen Städten, Schlössern und Bädern (Warmbrunn) lag vor mir, und ich genoß eine Aussicht, wie sie kaum irgendwo sich schöner mir geboten hatte.
Nachdem wir uns lange an diesem Naturgenusse geweidet hatten, machten sich doch auch die Ansprüche des Magens geltend. Diesen zu entsprechen, nahmen wir ein gutes Frühstück ein, von dem auch der „Sackreisende“ seinen Antheil bekam, und schieden dann von dem freundlichen Wirthe.
Auf dem Rückweg schlugen wir eine andere Richtung ein, mehr links, nach Hirschberg zu, und Herr Klein machte mich unterwegs auf den eigenthümlichen Geruch der Steine aufmerksam. Ich hob einen auf und hielt ihn an die Nase, er roch genau wie Veilchen; nach mehreren Schritten wiederholte ich die Probe, und fand denselben Geruch. Diesen Veilchengeruch behalten die Steine der Schneekoppe lange Zeit, wenn man sie in einem verschlossenen Behältniß aufbewahrt. Durch ein paar Tropfen Wasser, die man darauf gießt, wird der Geruch sofort erneuert und aufgefrischt.
Döbel, E. Ch.
Des Wanderers im Morgenlande Erlebnisse und Abenteuer in der Heimat
Berterode 1862

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