1803 – John Jewitt, britischer Seemann und Gefangener
Bei den Indianern von Nutka, Kanada
Das Dorf liegt auf einem Platze, den einstmals die Spanier mit einer Garnison belegt hatten; noch konnte man die Grundmauern der Kirche und der Kommandantur erkennen; auch hatten sich mehrere europäische Gemüse durch wilde Aussaat erhalten, z. B: Zwiebeln, Erbsen und Steckrüben, doch blieben die beiden letzteren sehr klein, und von den Rüben waren nur die Spitzen für uns nutzbar. An derselben Stelle befand sich das Dorf schon vorher, aber den Spaniern schien sie sehr schön; daher verbrannten sie die Häuser und zwangen die Bewohnern, sich mehrere Meilen weit tiefer in den Sund hinein zu begeben. Wie [Häuptling] Makwinna mir erzählte, war es den Leuten sehr schmerzlich, ihren alten Wohnplatz verlassen zu müssen, um so größer die Freude, ihn wiederzugewinnen, nachdem die Spanier von den Engländern vertrieben worden waren.
Die Häuser liegen alle nebeneinander, sind aber von verschiedener Größe, je nach dem Ansehen und dem Range des vornehmsten Bewohners oder tai-ih, der auch als der Hausherr gilt. Die Breite ist meistens dieselbe, etwa 12-13 Meter, aber ihre Länge schwankt beträchtlich; so war das des Oberhäuptlings mit etwa 50 Meter das größte, während das kleinste mit nur zwei Familien kaum mehr als 13 Meter maß. Auch zeichnete sich jenes durch größere Höhe aus. Die Bauweise ist folgende: In den Boden werden zwei gleich hohe, sehr starke Pfosten eingegraben, in einem Abstande, der der Länge des Hauses entspricht. Auf diese ausgehöhlten Enden legt man einen mächtigen Stamm als Firstbalken oder, je nach der Länge des Hauses, mehrere, die auf gleiche Weise gestützt werden. Diese Balken sind bisweilen von unglaublicher Dicke; so maß ich einen in Makwinnas Haus von 33 Meter Länge und über 2,5 Meter Umfang! In gleichem Abstande von jenen zwei Stützpfeilern werden an jeder Seite zwei weitere angebracht, die die Breite des Hauses bezeichnen und etwas niedriger als der mittelste sind; sie tragen ebenfalls Längsbalken, aber von geringerer Dicke, und diese sind oben abgeflacht bis auf eine schmale äußere Kante, um die Enden der Dachplanken zu halten.
Das Dach wird von breiten kiefernen Planken gebildet, die tiefe Nutkanten haben, um gut übereinanderzugreifen; man legt sie der Breite nach vom Firstbalken beiderseits nach außen, und darüber kommt wieder eine 3 Meter breite Lage, die als eine Art von Traufe weit genug über die Enden der unteren Planken ragt, daß der Schlagregen völlig abgehalten wird. Damit sie nicht vom Winde aus ihrer Lage gebracht werden, belegt man sie mit schweren Steinen. Die Enden der Dachplanken sind jedoch ohne jede Verbindung mit den Längsbalken, auf denen sie ruhen, so daß ich bei starken Stürmen oft erlebte, daß alle männlichen Bewohner auf das Dach stiegen, um es davon u schützen, weggeweht zu werden, auch beschwerten sie es dann noch besonders mit großen Steinen. Dabei entkleideten sie sich vollständig, wie schlecht auch das Wetter war, um ihre Kleider vor Durchnässung zu schützen, denn solche Stürme sind immer von schweren Regengüssen begleitet. Die Wände schließen viel schlechter ab als das Dach; sie bestehen aus Brettern von etwa 3 Metern Länge und 1 1/4 bis 1 ½ Meter Breite, die zwischen dünneren Pfosten von Dachhöhe eingelassen sind. Von diesen gehören immer vier zu einem Felde oder Gefach, ein Paar an jedem Ende sind so dicht übereinander eingerammt, daß sich eine Planke dazwischenschieben läßt. Alle Bretter für den Hausbau und andern Bedarf gewinnen die Leute durch Spalten von Kiefernstämmen der erforderlichen Länge; sie benutzen dazu Keile aus hartem Holz und arbeiten sie dann mit Meißeln so dünn wie erforderlich und vollkommen glatt, worauf sie viel Geduld verwenden.
Eingänge gibt es nur einen, gewöhnlich in einer Giebelwand, seltener an der Seite wie bei Makwinna. Der Länge nach durch das Haus läuft in der Mitte ein Gang von etwa 3 Meter Breite, zu dessen Seiten die Hausbewohner familienweise ihre Feuerstellen haben, aber ohne alle Trennungswände; nur die Abteilung des Vorstands liegt an der Querwand und die der Nächstvornehmen an der gegenüberliegenden. Den Fußboden bildet die bloße Erde; jeder Feuerplatz oder Herd besteht aus einer Anzahl lose zusammengesetzter Steine; weder gibt es Schornsteine noch ist ein Rauchloch im Dache, doch werden beim Anzünden eines Feuers die Dachbretter darüber mittels einer Stange etwas auseinandergeschoben, um dem Rauch Abzug zu verschaffen.
Die Höhe der Häuser überschreitet in der Mitte wenig 3 Meter, nur dasjenige des Häuptlings war über 4 Meter hoch. Hier war der Firstbalken abwechselnd mit schwarzen und roten Ringen bemalt, und die oberen Enden der Säulen trugen Bildhauerarbeit in Form grotesker Menschenköpfe, ebenfalls bunt bemalt. Doch bedeuten sie keine Götzenbilder, sondern bloßes Zierwerk.
Der Hausrat ist bei diesen Leuten sehr einfach und besteht nur aus Kisten zur Aufbewahrung ihrer Kleider, des Pelzwerks und sonstiger Wertsachen, ferner aus Trögen zum Aufheben von Rogen und Speck, Speiseschalen, Körben für Dörrfisch oder ähnliches und Säcken, aus Bast geflochten. Bastmatten bilden auch die Lagerstätte auf dem bloßen Erdboden, während zum Zudecken nur ihre Kleider dienen. Die Kisten sind aus Kiefernholz gefertigt, mit übergreifendem Deckeln und, statt mit Nägeln oder Pflöcken, mit zähen Wurzeln zusammengefügt, außen sehr sauber geglättet und öfters mit Reihen von kleinen weißen Muschelschalen verziert. Die Tröge sind rechteckig, auf dieselbe Weise zusammengesetzt und oft sehr groß; so sah ich welche von1,8 Meter Länge, 1,2 Meter Breite und 1,5 Meter Tiefe. Die Schüsseln höhlt man mit Meißeln aus ganzen Holzblöcken aus.
Jewitt, John
Makinnas Gefangener; Meine Abenteuer und Leiden bei den Indianern am Nutkasund
Leipzig 1928