Januar 1854 - Ida Pfeiffer
Von Callao nach Lima
Callao ist der bedeutendste Hafen von Peru. Die Reede ist schön durch die Masse der sie umgebenden Gebirge; doch fehlt es auch hier an Wald und Vegetation.
Das Städtchen Callao, mit 7.000 Einwohnern, erinnerte mich beim ersten Anblick durch seine Bauart einigermaßen an den Orient. Die Häuser haben nur ein Erdgeschoß oder höchstens einen Stock mit unregelmäßig angebrachten Fenstern, oft nur mit hölzernen, dicht vergitterten Balkons, die wie Verschläge an den Wänden hängen, und mit platten Dächern (Terrassen). Sie sind teils aus ungebrannten Ziegeln erbaut, teils aus Rohrwänden und mit Lehm beworfen. Die Zimmer sind etwas düster, da sie ihr Licht gewöhnlich nur von einem Fenster erhalten, mitunter nur von einem Verschlag, der auf die Terrasse mündet. Diese Verschläge sind statt der Glasscheiben mit hölzernen Gittern und Läden versehen, welch letztere man mittels einer Schnur, die tief in das Zimmer hinabhängt, öffnen und schließen kann.
Die Festung, die seit der Unabhängigkeitserklärung von Peru den Namen Independencia führt, gehört zu den bedeutenderen. Sie bildet ein regelmäßiges Achteck, ist umfangreich, gut erhalten und von einem breiten, tiefen Graben umgeben, der mittels einer Verbindung mit der See unter Wasser gesetzt werden kann.
Ich verweilte nur einen Tag in Callao. Vor allem besuchte ich auch hier den Wochenmarkt, der mich durch die reiche und mannigfaltige Zusammenstellung von Lebensprodukten beider Hemisphären noch mehr in Erstaunen setzte als jener von Guayaquil. Die Abstufungen der Kordilleren (denen man hier sehr nahe ist) bieten sozusagen alle Klimate der Welt, und so kommt es, daß man hier neben der saftigen Traube die hochgelbe Granadilla, neben dem Pfirsich die Mango, neben der Aprikose oder dem Apfel die Platane oder Chirimoya usw. sieht. Letztere Frucht (von den Engländern Custard-apple genannt) wird von mehreren Reisenden für die Königin aller Früchte erklärt. Ich würde der Mangostan den Preis erteilen, die auf Java vorkommt; sie schmeckt ungleich feiner und ist dabei leicht und gesund. Die Granadilla ist die Frucht einer Passionsblume, an Geschmack unserer Stachelbeere ganz ähnlich. Pfirsiche, Äpfel, Aprikosen stehen den europäischen bei weitem nach: Man kann sie kaum anders als gekocht genießen. Die Ursache mag wohl an der vernachlässigten Kultur liegen, da der Eingeborene zur Arbeit zu träge ist und es wenige, beinahe keine europäischen Pflanzer gibt.
Von den Getreidegattungen werden Gerste und Mais am meisten gebaut; sie bilden auch den Hauptnahrungszweig des gemeinen Volkes. Auffallend waren mir Kolben ganz schwarzen Maises, die ich unter den Haufen der gelben, weißlichen, braunen und andern liegen sah. Dieser schwarze Mais kommt nur in ganz kleinen Kolben, und zwar selten vor; er wird nur zu Backwerken verwendet.
Nachmittags wanderte ich nach dem Platze (unweit der Festung), wo einst Alt-Callao stand, das im Jahre 1746 durch ein schreckliches Erdbeben zugrunde ging. Ein Teil sank in die See, der andere in Trümmer; 3.000 Menschen sollen dabei das Leben verloren haben. Von den Resten der Stadt ist nicht mehr zu sehen als hie und da kleine Bruchstücke einer Wand oder Schichten von Ziegeln. Manche Reisende wollen behaupten, daß man den in den See gesunkenen Teil der Stadt noch sähe - eine der gewöhnlichen romantischen Übertreibungen.
Freundlicher war ein Gang nach den Gärten und andern Pflanzungen, die in der Nähe von Callao am Saume eines Bächleins liegen. So sandig, wüst und öde die Gegend ringsumher ist, so schnell erscheint Leben und Vegetation an Orten, die nur einigermaßen bewässert werden können. Ein Dutzend deutscher Ansiedler hat sich da niedergelassen und erzielt sehr ergiebige Ernten. Sie bauen besonders viele Weinreben, die sich auf dem Gestein fortranken, es wie ein Netz überziehen und sich kaum einen Fuß hoch über die Erde erheben.
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Am 19. Januar fuhr ich nach Lima, wo der Hamburger Konsul, Herr Rodewald, so gütig war, mich in sein Haus einzuladen, eine Gefälligkeit, die für mich von um so größerem Wert war, als man in diesem Lande ausschließlich die spanische Sprache spricht, mit welcher ich mich noch nicht vertraut gemacht hatte.
Von Callao nach Lima (zwei Leguas, sechs englische Meilen) führt seit dem Jahre 1851 eine Eisenbahn, deren Steigung so bedeutend ist (450 Fuß), daß man auf der Fahrt von Lima nach Callao gar nicht des Dampfes bedarf. Was mir bei dieser Eisenbahn am meisten auffiel, ist, daß sie durch einen großen Teil der Vorstädte Limas geht, ohne durch Geländer abgesperrt zu sein. Die Dampfwagen fahren hier durch die Straßen wie in andern Städten die mit Pferden bespannten Kutschen. Kinder spielen an den Haustüren, Reiter lenken die Tiere eilig zur Seite, Leute laufen über die Schienen, und lärmend braust die Lokomotive mitten hindurch. Ungeachtet dieser augenscheinlichen Gefahr ereignete sich erst ein Unglück. Ein Esel wurde überfahren und die Maschine kam dadurch aus dem Geleise, bei welcher Gelegenheit mehrere Menschen verwundet wurden und einer das Leben verlor.
Die Stadt Lima, mit 96.300 Einwohnern, wurde am 6. Januar des Jahres 1534 von Pizarro gegründet, am 18. Januar desselben Jahres legte er den Grundstein zu der Kathedrale. Die Stadt ist in regelmäßige Quadrate eingeteilt; der Fluß Rimac, über welchen eine einzige, aber schöne, auf fünf Bogen ruhende Steinbrücke führt, teilt sie in zwei ungleiche Teile. Die Straßen sind lang, ziemlich breit und gerade.
Der Hauptplatz ist ein schönes Viereck. Auf zwei Seiten laufen an den Häusern Bogengänge hin, unter welchen es einige reiche, geschmackvolle Warenlager gibt; auf der dritten Seite steht die Kathedrale nebst dem bischöflichen Palast, auf der vierten Seite der Palast des Präsidenten und das Haus der Senatoren. Diese Paläste gleichen von außen so erbärmlichen Gebäuden, daß ich wirklich nicht weiß, wie man ihnen den hochtrabenden Titel "Palast" beilegen konnte. Im Hofraum sehen sie etwas besser aus. Der Palast des Präsidenten ist überdies noch durch viele kleine Verkaufsbuden verunziert, die wie Kleckse daran hängen. In der Mitte des Platzes prangt ein leidlicher Springbrunnen, der zu jeder Zeit des Tages von Eseln und deren Treibern umgeben ist, denn kein Haus in Lima hat einen eigenen Brunnen: Alles Wasser wird mittels Esel in die Häuser gebracht. Manche Familie gibt für den Wasserbedarf allein im Monat vier bis sechs Dollars aus.
An der Südseite dieses Platzes, wo jetzt Wohnhäuser stehen, stand der Palast Pizarros. In demselben wurde Pizarro am 26. Juni 1546 ermordet. Er saß mit einigen Freunden an der Tafel, als die Verschworenen den Palast umringten und der Ruf "Nieder mit dem Tyrannen!" erscholl. Er fiel mit dem Schwert in der Hand. Die Stelle, wo er fiel, ist nicht genau bezeichnet, ebensowenig der Ort, wo er begraben liegt. Einige behaupten, in der Kathedrale, andere, in der Franziskaner-Kirche. Ich suchte und fragte in beiden Kirchen vergebens nach seiner Grabesstätte.
Kirchen und Klöster hat Lima in großer Menge aufzuweisen. Die Geistlichkeit ist im Besitz unzähliger Gebäude und ausgedehnter Ländereien; ein Fünftel der Stadt soll ihr Eigentum sein. Manche Klöster schätzt man auf achtzig- bis hunderttausend Dollars Einkünfte.
Unter den Kirchen gefielen mir die Kathedrale, die Franziskaner- und die St. Petri-Kirche am besten. Die der Augustiner und die der Dominikaner gehören ebenfalls zu den vorzüglichen, so wie viele andere in allen Gegenden der Stadt sehenswert sind. Ihre Bauart ist imposant, ihre Kuppeln sind hohe, herrliche Wölbungen, und im Innern findet man vieles und schönes Schnitzwerk in Holz, alles Basrelief und sehr reich vergoldet. Der innere Reichtum an Silber, Gold und Edelsteinen ist nicht mehr so groß, wie er gewesen sein soll. Die silbernen Tabernakel sowie die silbernen Säulen an den Altären in der Kathedrale sind so schmutzig, daß man sie, wenn man auf ihre Kostbarkeit nicht aufmerksam gemacht wird, gewiß ganz übersehen würde. Bei großen Festen sollen die Kirchen prachtvoll mit Samt, Blumen usw. geschmückt, feenartig erleuchtet sein, die Heiligen in großem Pomp mit Gold und Edelsteinen prangen und die Priester in überreichen, goldgestickten Meßkleidern erscheinen. Leider gab es während meiner Anwesenheit kein Fest, ich mußte mich mit den schlecht geschnitzten hölzernen Heiligen in ihrem Alltagsputze begnügen. Dessenungeachtet machten die Kirchen einen imposanten Eindruck. Die majestätischen Wölbungen, die langgezogenen, hohen Schiffe, die Seitenaltäre und Nischen mit den sie stützenden Pfeilern und Säulen, die mit Gemälden und Statuen gezierten Wände (besonders wo dies nicht übertrieben ist und nicht Bilder in grotesken Anzügen mehr an das Heidentum als an das Christentum erinnern), das Halbdunkel, durch welches hie und da ein Lämpchen gleich einem Stern schimmert, die tiefe Stille oder der am Altar fungierende Priester im würdigen Ornat erheben das Gemüt unstreitig mehr als Tempel mit ganz einfachen, weißen Wänden in prosaischer Nacktheit.
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Außerordentlich ist der Verbrauch des Eises; man braucht per Tag für etwa 1.000 Dollars. Es wird von Nordamerika gebracht und kommt auf diesem Wege billiger als von den nahen Kordilleren, von wo es durch Maultiere getragen werden müßte. Man genießt es nicht bloß mit Wasser oder Wein, man bereitet auch Eis aus Milch und Früchten. Schon am frühesten Morgen sind die zahlreichen Eisbuden belebt. Die Milch-, Obst- und Fleischhändlerin, den Koch, den Mayordomo kann man da in gemütlicher Ruhe beisammen sitzend finden. Das Eis ist durchschnittlich schlecht bereitet, grob, wenig konsistent und fade.
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Die Weiber aus dem Volke sah ich nirgends so reich und verschwenderisch gekleidet wie hier. Milch- und Obstverkäuferinnen saßen in Barège- oder Seidenkleidern, chinesischen Tüchern, seidenen Strümpfen, gestickten Schuhen auf den Eseln, mit dem Verkaufskram an der Seite. Alles hing jedoch nachlässig, auch zerrissen am Körper, die Farben waren höchst grell oder verschossen, alles stand schlecht zu der dunklen oder gelben Gesichtsfarbe. Ich gedachte jedesmal der etwas derben, aber passenden Worte Sancho Pansas, welcher, als er Hoffnung hatte, zum König einer noch unentdeckten Insel gemacht zu werden, von seiner Frau sagte: "Sie wird sich als Königin ausnehmen, wie ein Schwein mit einem goldenen Halsbande."
Die Männer, Europäer wie Eingeborene, reich oder arm, tragen über ihrem Anzug auf Reisen oder auch nur bei gewöhnlichen Reitpartien den Poncho, wie in Chile. Selbst Frauen bedienen sich dieses Kleidungsstückes, wenn sie einen Ausflug zu Pferde machen.
Pfeiffer, Ida:
Reise in die Neue Welt
Amerika im Jahre 1853
Hrg. von Gabriele Habinger
Promedia Wien 1994