1901 - Oskar Heinroth
Das Ende einer Handelsexpedition: Tod auf St. Matthias
Mussau, Bismarck-Archipel, Papua-Neuguinea
Die erste grössere Expedition sollte die Erforschung von St. Matthias zum Ziel haben. Von den etwa 40 angeworbenen Eingeborenen, Salomon-Insulanern, Neu-Hannoveranern, Neu-Mecklenburgern waren 20 kurze Zeit bei der Polizeitruppe in Herbertshöhe ausgebildet worden; zwei schwarze Polizei-Unteroffiziere hatten die Führung.
St. Matthias liegt etwa auf 1 ½° s. Br. und 149° ö. L. und ist eine ziemlich kompakte, nach Westen, Norden und Osten steil in grössere Meerestiefen abfallende Insel, welcher im Süden eine Anzahl kleine Inselchen und Riffe vorgelagert sind. Sie ist von drei, im allgemeinen von Nordwest nach Südost verlaufenden Gebirgskämmen durchzogen, deren mittelster die höchste Erhebung mit etwa 600 m trägt. Der Flächeninhalt dürfte der Summe von 450 qkm nahekommen. Die dichte Bewaldung ist an einigen Stellen durch Flächen unterbrochen, welche vom Schiff aus gesehen den Eindruck von Graslandschaft machen, aber auch aus niederem Busch bestehen können. Die Nordspitze der Insel trägt zahlreiche Kokospalmen, die Südwestseite ist stellenweise bewohnt bzw. bepflanzt.
Eine der kleinen Vorinseln war seit kurzem von zwei deutschen Händlern der Firma Hernsheim besiedelt, und dicht vor dieser Handelsstation befindet sich ein guter Ankerplatz; hier wurde auch die „Eberhard“ stationiert, welche bald von zahlreichen Kanus umschwärmt war. Die vollkommen nackten Eingeborenen, von denen sich jedoch nur Männer sehen liessen, gehörten anscheinend einer der anderen Vorinseln an und standen auch mit der Handelsstation in freundschaftlichen Beziehungen. Sie nahmen als Tauschware nur leere Flaschen an, deren Scherben sie anscheinend als Messer verwendeten, während sie dafür Speere, Körbe, Armbänder u. s. w. brachten. Auffallend war ein recht anmutender mehrstimmiger Gesang, welchen die Leute öfter von ihren Kanus aus anstimmten, und der nichts mit den rhythmischen „Singsings" anderer Eingeborenen gemein hatte. Alle waren verhältnismässig grosse, nach Art der meisten Papuas fast magere Gestalten.
Mitte März 1901 wurde beschlossen, auf der Hauptinsel ein Lager anzulegen, um von dort aus Streifzüge in das Innere der Insel zu machen. Es wurde eine Stelle in der Nähe der Südostecke ausgewählt, wo sich unmittelbar am Strand etwas Süsswasser fand und das bewachsene, aus Korallenfels bestehende Ufer recht steil etwa 15-20 m anstieg, um dann ziemlich eben weiter ins Land hineinzugehen. Auf diesem Plateau wurde der Lagerplatz erwählt und der Aufbau der Zelte und Hütten von den Herren Mencke und Caro angeordnet. Für die Europäer dienten Tuchzelte, die farbigen Arbeiter bauten ihre Hütten sowie die Provianträume u. s. w. aus abgeschlagenen Palmwedeln und verschmähten natürlich auch die Früchte der dort zahlreich wachsenden, aber offenbar den Eingeborenen gehörenden Kokospalmen nicht. Einige Tage darauf musste das Lager, welches bei den häufigen Regenfällen versumpfte, etwas höher nach dem Rande des Plateaus zu gelegt werden. Ab und zu kamen Eingeborene, auch hier immer nur Männer, welche dem Flaschen-Tauschverkehr oblagen, aber sich recht zurückhaltend verhielten. Nachdem das Lager einige Tage nur von schwarzer Mannschaft bewohnt war, welche in dieser Zeit eine „Meinungsdifferenz" mit den besuchenden Eingeborenen gehabt hatten, bei welcher einige Schüsse gefallen waren, (weshalb konnte nicht in Erfahrung gebracht werden), bezogen die Herren Mencke, Caro, Dr. Heinroth [der Verfasser dieses Vortrags] und ein Leichtmatrose Krebs am 29. März die Europäerzelte, nachdem sich die „Eberhard" auf 8 Tage zurück nach Herbertshöhe zum Abholen der Post u.s.w. begeben hatte. Die Anordnung des Lagers konnte nicht als zweckmässig bezeichnet werden; zwar war das Unterholz in einem Umkreis von etwa 70 m im Durchmesser beseitigt, aber die etwa 16 verschiedenen Hütten und Zelte standen so auf diesen Raum verteilt, dass sich die äussersten Gebäude am Waldrande befanden und somit einem aus dem dichten Unterholz Hervortretenden vorzügliche Deckung boten. Man muss dabei immer in Betracht ziehen, dass der Pflanzenwuchs ein so dichter ist, dass ein auf Schrittweite entfernt stehender Mensch oft nicht wahrgenommen werden kann, es daher für den Gegner nicht schwer ist, bis unmittelbar an die abgeholzte Stelle heranzukommen.
Die beiden Europäerzelte befanden sich in der Mitte; in dem einen standen drei Feldbetten dicht nebeneinander, in dem andern eins für den Leichtmatrosen. Der Vortragende hatte am 30. März einen Fiebertag, der ihn ans Bett gefesselt hielt. Als er am nächsten Morgen nach 7 Uhr nach einigen fusskranken Leuten sehen wollte, vernahm er plötzlich den Ruf „Kanaka, Kanaka!" Er eilte in das Zelt zurück, um aus dessen Grunde seinen Revolver zu holen, und weckte Herrn Mencke und Caro, welche sich noch einmal auf ihre Feldbetten gelegt hatten. Merkwürdigerweise hatte der Letzere an die Mannschaften den Befehl erteilt, ihre Gewehre zu dem vormittags stattfindenden Appell (es war Palmsonntag) zu reinigen, und so waren denn ausser ein Paar Wachleuten alle mit dem Auseinandernehmen ihrer Waffen und dem Putzen beschäftigt. Noch hatte Dr. Heinroth seinen Revolver nicht in der Hand, als bereits die Speere ins Zelt flogen, und zwar sowohl durch den Türeingang als namentlich durch die Tuchwände selbst hindurch. Herr Caro erhielt als erster einen Speer mitten in die Brust und verstarb, nachdem Herr Mencke denselben herausgezogen hatte, sofort. Zahlreiche weitere Wurfgeschosse durchbohrten den Toten. Herr Mencke lag bald darauf, von zwei Speeren auf ein Feldbett genagelt, ebenfalls. Inzwischen hatte das Gewehrfeuer der Polizeitruppe begonnen und bald die Angreifer in die Flucht gejagt, welche etwa 15-20 Tote zurückliessen.
Das Ergebnis des Überfalles war folgendes: Herr Caro, der beste Polizei-Unteroffizier, Towule, und ein kranker Buka-Arbeiter waren getötet, Herr Mencke durch sechs Speere verwundet, von denen zwei feststeckten. Der Leichtmatrose hatte eine schwerere Kopfverletzung derart erhalten, dass eine Speerspitze sich zwischen Schädel und Kopfhaut einen Weg gebahnt hatte, während Dr. Heinroth mit einer leichten Wunde im Unterschenkel davongekommen war; ausserdem waren sieben Farbige verletzt.
Da Herr Mencke dringend eines geeigneten Unterkommens und möglichster Pflege benötigte, musste Dr. Heinroth, der nunmehr den Oberbefehl übernahm, das Lager im Stich lassen und alle Personen nach der Handelsstation hinüberführen. Es waren nur zwei Boote vorhanden; mit einem war ein Teil der auf. höchste verängstigten Arbeiter bereits davongegangen, und so wurde denn die Gig mit 30 Mann, darunter 9 verwundeten, und einigen Habseligkeiten so voll beladen, dass nur 3 Mann in dem sonst fünfriemigen Boot rudern konnten. Die Entfernung betrug etwa 18 km; unbarmherzig glühte die Sonne, und Wind und See arbeiteten dem Fahrzeug entgegen, was den Verwundeten wegen der plötzlichen Erschütterungen sehr schmerzhaft wurde. Endlich nach sechseinhalb Stunden wurde die Station erreicht.
Die im Lager vorläufig nur oberhalb der Wunde abgesägten beiden Speere wurden Herrn Mencke herausgezogen, und er und die übrigen Leute verbunden. Die Körper der Getöteten mussten im Lager zurückgelassen werden und sind den Eingeborenen vielleicht zum Verspeisen anheimgefallen. Falls die Speere nicht lebenswichtige Organe treffen, sind die durch sie erzeugten Verletzungen im allgemeinen recht gutartig. Die Speerspitze zertrümmert das Gewebe nicht wie ein Gewehrgeschoss, sondern schiebt sich gewissermassen zwischen die Fasern der Organe hinein. Allerdings wird es dann recht kompliziert, wenn das Wurfgeschoss bis über die Widerhaken eingedrungen ist; dann darf dasselbe natürlich nicht nach rückwärts herausgezogen werden. Bekanntlich sind die Speere sämtlicher Südsee-Insulaner nie von Metall und nicht vergiftet. Leider zeigte es sich bald, dass eine Verwundung des Herrn Mencke, dessen Neigung zu Erregungs-Zuständen durch etwas Morphium und im Anfang durch Chloroform bekämpft wurde, die harnleitenden Organe betroffen hatte. Es trat allmählich ein Erguss in die Bauchhöhle ein, und am 2. April morgens erlöste ihn der Tod von seinen Leiden. Ein einfaches Grab wurde in dem Korallensand der Stationsinsel hergestellt, und in ihm der seinem Forschungsdrange zum Opfer Gefallene bestattet. Ein granitenes Denkmal wird die Stelle dauernd bezeichnen, die kleine Insel aber den Namen „Mencke-Insel“ führen.
Nach sechs Tagen langen Wartens erschien die „Eberhard“ wieder und brachte den Redner mit seinen Leuten nach Herbertshöhe-Matupi zurück.
Heinroth, Oskar
Die erste deutsche Südsee-Expedition von Br. Mencke
Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin
1902