1845 - Ida Pfeiffer
Auf dem Hekla
Island
Endlich nach abermaligem zweistündigem Klettern war die Spitze des Berges erstiegen. - Ich stand nun auf dem Hekla und suchte vor allem den Krater auf der schneelosen Spitze und - fand ihn nicht. Ich war um so mehr erstaunt, auf dem Hekla keinen Krater zu finden, da ich in einigen Reisebeschreibungen ganz ausführliche Berichte davon gelesen hatte.
Ich umging die ganze Spitze des Berges, ich kletterte bis zu dem anstoßenden Jokul - nirgends bemerkte ich eine Öffnung, einen Riß, eine eingedrückte Wand oder sonst irgendein Anzeichen eines Kraters. Nur an den etwas tiefer gelegenen Seiten des Berges, aber durchaus nicht an dem eigentlichen Kogel, sah ich weite Risse und Schlünde, aus welchen sich wahrscheinlich die Lavaströme ergossen haben werden.
Die Höhe des Berges soll 4.300 Fuß betragen.
Schon während der letzten Stunde unseres Hinaufklimmens hatte sich die Sonne verdunkelt. Nebelwolken stürmten von den nahen Gletschern herüber, verbargen die Ferne und hüllten bald auch uns dermaßen ein, daß wir kaum zehn Schritte weit sehen konnten. Endlich lösten sie sich auf, - aber glücklicherweise nicht in Regen, sondern in Schnee, der in reichlicher Menge die schwarze krause Lava mit großen Flocken überstreute. - Der Schnee blieb liegen, und der Thermometer wies 1 Grad Kälte.
Nach und nach erschien der Himmel wieder in seinem unnachahmlichen, zarten Blau, und auch die Sonne säumte nicht länger, uns zu erfreuen. Ich blieb oben auf der Spitze des Berges, bis die Wolken auch in der Ferne sich teilten und mir eine willkommene Rundansicht gestatteten.
Solch ein Bild, wie ich es hier sah, meinen Lesern zu versinnlichen, ihnen die Zerstörung, Ausdehnung und Anhäufung dieser Lavamassen zu beschreiben, ist leider meine Feder viel zu schwach. - Ich meinte in einem Krater zu stehen, das Ganze schien mir ein ausgebrannter Feuerherd. - Hier waren Lavamassen übereinander getürmt zu steilen, unersteigbaren Bergen, dort füllten versteinerte Ströme, deren Breite und Länge ich gar nicht ersehen konnte, unermeßliche Täler. - Alles war über- und durcheinander geworfen, und doch unterschied man wieder deutlich die Bahn der letzteren Ausbrüche.
Man ist in der Mitte der gräßlichsten Schluchten, Höhlen, Ströme, Täler und Berge; man faßt es kaum, wie es möglich gewesen sei, bis hierher zu dringen, und wird von Angst und Entsetzen ergriffen bei dem unwillkürlich sich aufdrängenden Gedanken, vielleicht nimmer wieder aus diesem gräßlichen Labyrinthe hinausfinden zu können.
Hier, von der Spitze des Hekla, konnte ich weit hinein in das unbewohnte Land sehen - das Bild einer erstarrten Schöpfung, tot und regungslos, und doch dabei so einzig großartig - ein Bild, das, nur einmal gesehen, nie mehr dem Gedächtnis entschwindet und dessen Erinnerung allein schon für alle ausgestandenen Beschwerden und Gefahren reichlich entschädigt! Eine ganze Welt von Gletschern, Lavamassen, Schnee- und Eisfeldern, Flüssen und kleinen Seen liegt da aufgeschlossen, nie hat es ein menschlicher Fuß gewagt, ihr Inneres zu betreten. - Wie muß es da gewütet und gearbeitet haben, bis solche Gestaltungen geschaffen wurden? - Und wird es nun genug damit sein? - Hat das Element ausgetobt, oder ruht es nur, gleich der hundertköpfigen Hydra, um mit verdoppelter Kraft wieder hervorzubrechen und auch noch jene Gegenden zu verwüsten, die ohnehin schon, so weit dem Meer zugedrängt, sich nur als bescheidener Kranz um das Innere des Landes winden. - Ich danke Gott, daß er mich dies Chaos seiner Schöpfung schauen ließ; aber doppelt danke ich ihm, daß er mich in Gefilden leben läßt wo die Sonne mehr zu tun hat, als nur den Tag zu schaffen; wo sie wirkend und wärmend Pflanzen und Tiere belebt und das Herz des Menschen zur Freude und zum Dank gegen den Schöpfer stimmt.
Die Westmanns-Inseln, die man vom Hekla aus erblicken soll, konnte ich nicht finden, wahrscheinlich waren sie von Wolken verdeckt.
Schon während der Besteigung des Hekla hatte ich häufig die Lava berührt, teils unfreiwillig, wenn ich fiel, teils freiwillig, um eine heiße oder wenigstens warme Stelle zu finden. - Ich war so unglücklich auf lauter kalte zu treffen. Nichts konnte mir daher erwünschter kommen, als der soeben gefallene Schnee. Überall blickte ich begierig herum, ein Plätzchen zu entdecken, wo ihn die unterirdische Hitze nicht dulden würde. - Dahin wäre ich dann geeilt und das Gesuchte wäre gefunden gewesen. - Leider blieb der Schnee an allen Orten liegen. Auch Rauchwolken sah ich nirgends aufsteigen, obwohl ich stundenlang meine Augen nicht von dem Berge wendete, den ich hier auch von allen Seiten bis tief hinab ganz überschauen konnte.
Als wir hinabstiegen, fanden wir in einer Tiefe von 500-600 Fuß den Schnee im Schmelzen; noch tiefer rauchte der ganze Berg, eine Erscheinung, die ich für eine Folge der plötzlich eingetretenen Sonnenwärme hielt; mein Thermometer zeigte nämlich jetzt neun Grad Wärme. Ich beobachtete sie häufig auch an Bergen, die nicht zu den Feuerspeiern gehörten. - Die Stellen, wo der Rauch aufstieg, waren ebenfalls kalt.
Die eigentliche glatte, kohlschwarze, glänzende und durchaus nicht poröse Lava findet man nur auf dem Hekla selbst und in seinen näheren Umgebungen. Doch ist nicht alle Lava so; man sieht auch zackige, glasige und poröse; jede ist aber schwarz so wie ebenfalls der Sand, welcher eine Seite des Hekla überdeckt. Je weiter Lava und Sand von diesem Berge entfernt sind, desto mehr verlieren sie jene Schwärze, und ihre Farbe geht ins eisenfarbige, ja sogar ins lichtgraue über; manche Lava behält jedoch, selbst bei dieser lichten Farbe, den Glanz und die Glätte der schwarzen bei.
Nach dem mühevollen Herabsteigen, und nachdem wir zur ganzen Partie über zwölf Stunden verwendet hatten, erreichten wir glücklich wieder Selsun, und ich wollte mich eben, etwas niedergeschlagen, in meine frühere Wohnung begeben, schaudernd bei dem Gedanken, hier abermals eine Nacht zubringen zu müssen, - da überraschte mich mein Führer sehr angenehm durch die Frage, ob ich nicht vielleicht heute noch nach Struvellir wolle? Die Pferde seien hinlänglich ausgeruht, und dort könnte ich doch im Hause des Priesters ein gutes Zimmer bekommen. Rasch war alles zusammengepackt und binnen kurzem saß ich wieder zu Pferde. - Als ich jetzt zum zweitenmal in die tiefe Rangaa kam, durchritt ich sie schon furchtlos und bedurfte keines Schutzes mehr an der Seite. - So ist der Mensch; nur das erstemal erschrickt ihn die Gefahr; hat er sie glücklich überwunden, denkt er das künftige Mal kaum mehr daran und begreift gar nicht, wie er da so große Furcht haben konnte.
Ida Pfeiffer, Ida
Nordlandfahrt - Eine Reise nach Skandinavien und Island im Jahre 1845
Hrg. von Gabriele Habinger
Wien 1991
Originalausgabe: Reise nach dem skandinavischen Norden und Island im Jahre 1845; Pest 1846, 2 Bände