Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1717 - Lady Mary Montagu, Diplomatengattin
Im Bad in Sofia

Mit den Einzelheiten unserer langweiligen Reise [von Wien nach Konstantinopel] will ich Sie nicht aufhalten, sondern nur die Sehenswürdigkeiten von Sofia erwähnen. Es ist eine der schönsten Städte des türkischen Reiches, berühmt durch ihre heißen Bäder, die sowohl dem Vergnügen als auch der Gesundheit dienen. Nur um sie zu sehen, hielt ich mich einen Tag dort auf. Ich wollte incognita gehen, deshalb mietete ich mir einen türkischen Wagen. Diese Vehikel gleichen den unsrigen ganz und gar nicht, sind aber den Bedürfnissen des Landes vortrefflich angepasst. So wären Glasscheiben bei der herrschenden Hitze geradezu ein Unding. Mit ihrem farbigen und vergoldeten Holzgitterwerk gleichen sie am ehesten noch den holländischen Postkutschen. Das Innere ist mit Blumenkörben und kleinen Bouquets bemalt, darunter gestreut finden sich auch poetische Sprüchlein. Ein scharlachrotes, seidengefüttertes, oft reich besticktes und fransenbesetztes Tuch bedeckt das Ganze. Dieser Überwurf versteckt die in dem Wagen befindlichen Personen völlig; man kann ihn auch zurückziehen, und die Damen können durch die Gitterstäbe gucken. Der Wagen fasst bequem vier Personen, die auf Polstern, aber nicht aufrecht sitzen können.
   In einer solchen gedeckten Kutsche fuhr ich nun gegen zehn Uhr in das Bad, das schon voller Frauen war. Es ist ein kuppelförmiger Steinbau. Fenster sind lediglich in das Dach eingelassen, sie geben aber genügend Licht. Fünf derartige Kuppelbauten gehören zusammen; der äußerste, kleinste dient nur als Vorraum. An der Schwelle empfängt einen die Türhüterin, die von den vornehmen Besucherinnen meist eine Krone oder zehn Shillings bekommt Ich vergaß diesen Obolus nicht. Von der Halle gelangt man in ein weiteres, marmorgepflastertes Gemach, um welches zwei übereinander liegende erhöhte Marmorsofas laufen. Vier Fontänen lassen ihr kaltes Wasser in Marmorbecken sprudeln. Von hier leiten es kleine Kanäle in den nächsten, etwas weniger großen Raum, der ebenfalls Marmorsofas besitzt. Die dem benachbarten Bad entströmenden Schwefeldämpfe erzeugen eine so unerträgliche Hitze, dass der Aufenthalt in Kleidern darin unmöglich wird. Das Bassin der einen Quelle ist mit Kaltwasserhähnen versehen, die es ermöglichen, jeden gewünschten Wärmegrad zu erzielen.
   Ich war in meiner Reisetoilette, einem Reitkleid, musste ihnen also überaus auffällig erscheinen. Dennoch zeigte keine der Anwesenden auch nur das geringste Erstaunen und niemand trug zudringliche Neugierde zur Schau. Im Gegenteil, sie empfingen mich mit aller möglichen Zuvorkommenheit. Ich kenne keinen Hof Europas, an welchem die Damen einer Fremden so freundlich entgegentreten würden. Ich glaube, es waren insgesamt zweihundert Frauen da, und dennoch gab es kein verächtliches Lächeln, kein höhnisches Gespräch im Flüsterton, wie sie bei uns üblich sind, wenn in Gesellschaft jemand nicht streng nach der Mode gekleidet erscheint. Immer und immer wiederholten sie nur, „guzel pek guzel", das heißt, reizend, sehr reizend.
   Die vordere Sofareihe, auf welcher die Damen saßen, war mit Polstern und köstlichen Teppichen bedeckt; hinter ihnen hatten ihre Sklavinnen Platz genommen. In der Kleidung gab es allerdings keinen Rangunterschied, denn alle waren im Naturzustand, das heißt, offen gesprochen, splitternackt. Keine Vollkommenheit, kein Fehler blieb verhüllt. Kein zügelloses Lächeln, keine lockere, unanständige Gebärde war zu bemerken. Gang und Bewegung der Frauen trugen den Stempel majestätischer Anmut, wie sie nach Miltons Beschreibung unserer Stamm-Mutter eigen war. Die Göttinnen, die der Stift eines Guido oder Tizian zauberte, sind nicht von vollendeterem Wuchse als manche unter ihnen. Ihre Haut ist meist schimmernd weiß. Sie gleichen Grazien in dem bloßen Schmuck ihres herrlichen Haares, das in Zöpfen auf die Schultern fällt und in das sie Bänder und Perlen flechten.
   Hier überzeugte ich mich von der Richtigkeit einer Erwägung, die sich mir oft schon aufdrängte: Wenn Mode wäre, nackt zu gehen, würde niemand auf das Antlitz achten. Den Löwenanteil meiner Bewunderung bekamen nämlich die Damen mit zartester Haut und von edelstem Ebenmaß des Körpers, deren Gesichtszüge häufig von denen ihrer Gefährtinnen übertroffen wurden. Ich hegte den lästerlichen Wunsch, dass Mr. Jervas (englischer Porträtmaler, von dem sich Mary Montagu nach ihrer Reise in türkischem Gewand malen ließ) hätte unsichtbar anwesend sein mögen. Ich glaube, der Anblick so vieler schöner Frauenleiber in verschiedenen Stellungen müsste auf seine Kunst günstigen Einfluss ausüben. Einige Damen plauderten, einige machten Handarbeiten, andere wieder tranken Kaffee und Sorbet und viele lagen lässig auf ihren Polstern und ließen sich von ihren Sklavinnen, meist hübschen jungen Mädchen von siebzehn bis achtzehn Jahren, das Haar in verschiedene zierliche Formen flechten. Kurz und gut, das ist das Kaffeehaus der Frauen, wo alle Stadtneuigkeiten besprochen, Skandalgeschichten erfunden werden usw. Einmal wöchentlich zerstreuen sich die Frauen meist auf diese Art und verbringen damit vier bis fünf Stunden. Ich wunderte mich sehr darüber, dass sie sich nicht verkühlen, obwohl sie aus dem heißen Bad unmittelbar in den kalten Raum gehen. Die Dame, die die bedeutendste zu sein schien, forderte mich auf, mich neben sie zu setzen, und wollte mich durchaus zum Bade entkleiden. Mit einiger Mühe lehnte ich ab.
   Da aber alle so eifrig auf mich einsprachen, musste ich schließlich doch das Hemd öffnen und ihnen mein Mieder zeigen. Dies befriedigte sie vollauf, denn sie glaubten zuerst, ich sei in die Maschine so eingeschlossen, dass es nicht in meiner Macht stünde, sie zu öffnen, und schoben die Vorrichtung der Eifersucht meines Gatten zu. Ihre Höflichkeit und Schönheit entzückten mich. Gerne wäre ich noch länger in ihrer Gesellschaft geblieben, doch da mein Mann entschlossen war, die Reise frühmorgens fortzusetzen, musste ich mich beeilen, um noch die Ruinen von Justinians Kirche zu sehen. Jedoch war ihr Anblick bei weitem nicht so angenehmen wie das vorhergehende Schauspiel, ist sie doch wenig mehr als ein bloßer Steinhaufen.
   Adieu, Madame, ich glaube, Sie mit der Schilderung eines Schauspiels, wie Sie es niemals gesehen und keine Reisebeschreibung es liefern könnte, vergnügt zu haben. An einem solchen Ort angetroffen zu werden, würde für einen Mann nicht mehr und nicht weniger als den Tod bedeuten.

Montagu, Mary Wortley
Briefe aus dem Orient
Hrg. von Irmela Körner
Wien 2006
© Promedia Wien

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