Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1805 - Joseph von Eichendorff
Den Brocken hinunter

14. September. Wir standen, vom Wirte geweckt, zeitig auf, frühstückten schnell und begaben uns mit einer Pfeif Tabak alsobald ins Freie, wo ein kalter Schneewind wehte. Den Sonnenaufgang hatte uns der Nebel verhüllt; aber endlich teilten sich die Wolken und - eine kleine Welt von 800 Quadrat-Meilen lag vor unseren staunenden Blicken. Dort lag Braunschweig und Wolfenbüttel, hier zu unseren Füßen: Ilsenburg und Wernigerode mit seinen schimmernden Schlössern und roten Ziegeldächern, dort: Magdeburg, Halberstadt und Quedlinburg, untermischt mit glänzenden Seen, Flüssen und grünem Gebüsche, dorthin streckte sich die waldige Kette des schauerlichen Harzgebirges. (Einzelne weiße Wolken unter uns in der Heitre schwebend.) O Gott! wie schön ist deine Welt! riefen wir alle einmütig aus im seligen Genusse, und konnten nur mit Mühe unsere Blicke von der unermeßlichen Weite abwenden. Darauf bestiegen wir den Turm des Brockenhauses, besuchten den Hexenaltar, wo die Hexen den Walpurgisabend feiern, und wo auch wir auf dem Gipfel herumtanzten, und begaben uns dann endlich wieder mit 3 halberstädtischen Kaufleuten, die auch die Nacht auf dem Brocken zugebracht hatten, auf den Hinabweg, jeder einen Brockenstrauß auf dem Hute, welchen die Aufwärterin jedem Reisenden präsentiert, und der aus dreierlei Waldblumen, den einzigen Blocksberg-Produkten, besteht. Die Unterhaltung mit den 3 Kaufleuten erheiterte uns sehr; doch bald trennten wir uns von ihnen, indem diese über den Ilsenstein gingen, wir aber die Ilse in allen ihren Krümmungen verfolgten, und das Schauspiel der herrlichen Wasserfälle der Ilse genossen. Bald darauf wandelten wir am Fuße des Ilsensteins vorüber, dessen kahler Scheitel mit ernster Majestät sich über die dunklen Forsten erhebt, und kamen endlich zu Mittag in dem kleinen romantisch gelegenen Städtchen Ilsenburg an, wo wir die Kaufleute wieder trafen. Hier mittagmahlten wir, verabschiedeten unseren Führer, und setzten mit unseren Tornistern allein mit Schöpp unsere Wanderung fort. Noch immer erinnerten uns einzelne schöne Aussichten an den lieben Harz, der uns jetzt im Rücken lag. Oft kehrten wir uns um, und schauten zurück auf das dunkle Gebürge und den alten Vater Brocken, den wir vielleicht zum letztenmale sahen und dachten mit Rührung der seligen Stunden, die wir dort verlebt hatten.

Eichendorff, Joseph von
Tagebuch der Harzreise 1805
Entnommen aus: Romantische Harzreisen, herausgegeben von Rolf Denneke, Hildesheim 1987

Reiseliteratur weltweit - Geschichten rund um den Globus. Erlebtes und Überliefertes aus allen Teilen der Welt. Entdecker – Forscher – Abenteurer. Augenzeugenberichte aus drei Jahrtausenden. Die Sammlung wird laufend erweitert – Lesen Sie mal wieder rein!