Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1816 - Otto Kotzebue
Die „Entdeckung“ der Rumanzoff-Insel
Tikei, Tuamotus
 
[Tikei war schon 1722 von Roggeveen besucht worden, der das Atoll Bedriegelijke genannt hatte.]

 

Dieses Mal war ich meiner Sache gewiß, ich durfte sie mit vollem Recht eine neue Entdeckung nennen. Wir alle waren von dem Wunsche beseelt, hier zu landen, und beschlossen einmüthig, jeder Gefahr trotzend, diesen zu befriedigen. Das Schiff wurde sogleich unter den Wind gebracht, und der Lieutenant Zacharin abgeschickt, um zu untersuchen, welcher Maaßregeln wir uns zu bedienen hätten, um unsern Willen durchzusetzen; denn daß mit einem Boot die Brandung nicht zu passiren war, bemerkten wir bald.
  Zacharin bestätigte bei seiner Zurückkunft diese Vermuthung, und zwei Matrosen entschlossen sich nun, um die neue Entdeckung nicht unbegrüßt zu lassen, schwimmend die Brandung zu durchschneiden, ein Muth, den ich um so mehr bewunderte, da ihnen die Kunst der Südsee-Insulaner, immer im Wasser zu leben, abging. Sie landeten glücklich, durften sich aber nicht tief hinein wagen, da viele Kennzeichen darauf hinwiesen, daß die Insel bewohnt wäre, und brachten uns, zum Beweis, daß sie wirklich am Lande gewesen, mehrere Cocos-Schalen, nebst einer, an eine Stange gebundenen, geflochtenen Schnur mit. Jetzt ergriff mich die Begierde zu landen lebhafter als je, und ich beschloß, da es heute zu spät war, sie morgen unter jeder Bedingung zu befriedigen. Ein Pram schien mir am geschicktesten dazu; sogleich wurden alle Bretter und Stangen auf dem Rurick zusammengesucht, die ganze Nacht fleißig daran gearbeitet, und am 21sten mit Tagesanbruch war zu meiner Freude, unser Pram, groß genug, um einen Menschen bequem zu tragen, vollendet. Während der Nacht, lavirten wir unter N Wind mit Regen, sobald es aber zu tagen anfing, näherten wir uns dem Ufer bis auf eine halbe Meile, setzten gleich zwei Schaluppen aufs Wasser, und ich, der Lieutenant Schischmareff, nebst allen unsern Herren Gelehrten verließen um sieben Uhr Morgens mit unserm neu verfertigten Pram den Rurick. Ohngefähr vierzig Faden vom Ufer ließ ich die Schaluppen auf zehn Faden Tiefe in hartem Korallen-Grund ankern, und meine beiden Matrosen wiederholten das gestrige Wagestück, indem sie das Ende eines Taues, dessen anderes Ende an den Böten befestigt war, mit sich nahmen, und so eine Communication mit dem Lande bewerkstelligten. Jetzt stellte sich einer auf den Pram, zog sich längst dem Tau der Brandung zu, und überließ es einer brausenden Welle, ihn ans Ufer zu werfen; der Pram wurde zurückgezogen sobald der Hinüberfahrende festen Fuß am Ufer gefaßt, und ein anderer begann die schwankende Fahrt; wir waren endlich, bis auf zwei Matrosen, welche in den Böten zurückblieben, alle am Lande, jeder von uns mehr oder weniger beschädigt, da wir nicht anders das Ufer erreichen konnten, als wenn die Brandung uns über eine scharfe Corallen-Bank wegspülte. Daß wir natürlich alle bis auf die Haut durchnäßt waren, hat zwischen den Tropen nichts zu bedeuten. Wohlbewaffnet hielten wir jetzt unsern Einzug ins Innere der Insel, trafen mit jedem Schritt den wir vorwärts thaten, auf Spuren von Menschen, und zuletzt auf einen stark ausgetretenen Fußsteig, der uns vollends überzeugte, daß die Insel bewohnt sey. Wir verfolgten, einen Ueberfall fürchtend, und nach allen Seiten uns umschauend, unsern Weg, welcher uns durch ein Gebüsch führte, dessen romantische Gerüche uns erquickten, und gelangten endlich auf eine, von Palmen beschattete Fläche, auf der wir ein kleines Boot fanden, das denen der Südsee gleich, mit einem Balancier auf der Seite versehen war. Jetzt befanden wir uns in einer reizenden Gegend, ungefähr auf der Mitte der Insel, wo wir uns, erschöpft von der Hitze unter Cocos-Bäumen niederließen, und uns, zum ersten Mal auf unserer Reise, an der Milch ihrer Früchte erquickten. Ich fühlte mich unbeschreiblich glücklich auf diesem kleinen Fleck; so unbedeutend die Entdeckung auch seyn mogte, so hätte ich die reine, innige Freude darüber, doch nicht um die Schätze einer Welt hingegeben. Nachdem wir uns etwas gestärkt hatten, begannen wir unsere Wanderschaft von Neuem, fanden bald mehrere unbewohnte Hütten, und in diesen verschiedene Arbeiten der Wilden, die wir uns gegen europäischen Waaren zueigneten. Nirgends trafen wir auf eine frische Menschenspur, und einige Stangen, auf welchen Fischnetze hingen, bestärkten mich in der Vermuthung, daß die benachbarten Insulaner nur zu einer gewissen Jahreszeit, der Fischerei wegen herkommen. Wir hatten in vier Stunden die Insel von N nach S durchstrichen, und trafen auf dem Rückwege verschiedene, mit Sorgfalt gearbeitete Wasserbehälter, welche wohlschmeckendes Wasser enthielten. Bekanntlich gibt es auf den Corallen-Inseln keine Quellen, und die Einwohner müssen sich mit Regenwasser begnügen, welches sich in den von ihnen gegrabenen Cisternen sammelt. Als wir unsern Landungsplatz wieder erreicht, ließ ich eine Flasche Wein geben; wir tranken unter lautem Hurrah! auf die Gesundheit des Grafen Rumanzoff, und ich nannte die Insel nach seinem Namen. Unsere Schaluppen schmückten sich mit Flaggen und feuerten einige Flinten ab, und der Rurick, dieses Signal erwartend, ließ jetzt die kaiserliche Flagge wehen, und seine Kanonen lösen, während wir auf das Wohl unseres geliebten Kaisers tranken. Mit den nämlichen Beschwerden, wie beim Landen, erreichten wir unsere Böte, und befanden uns um zwei Uhr Nachmittags glücklich wieder auf dem Rurick, wo ich die Cocosnüsse, welche wir von der Rumanzoff -Insel mitgebracht, unter die Zurückgebliebenen vertheilen ließ. Die ganze Mannschaft erhielt heute ihre doppelte Portion, und der Matrose, welcher zuerst die Insel entdeckt hatte, sechs Piaster zur Belohnung.

 

Kotzebue, Otto von
Entdeckungsreise in die Südsee und nach der Bering-Straße zur Erforschung einer nordöstlichen Durchfahrt
Band 1, Weimar 1821

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