Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1803 - George Annesley Mountnorris, Viscount Valentia, englischer Reisender
In Varanasi/Benares

 

Die Straßen der Stadt sind so außerordentlich enge, daß ich mein Pferd nur mit Mühe abhielt, sich an den Seiten zu stoßen. Die Häuser sind von Stein gebaut, einige 6 Stock hoch, dicht aneinander, oben mit Terrassen. Sie sind phantastische bemalt, und die Bauart ist außerordentlich. Reihen von Schnitzwerk laufen gewöhnlich rund um jedes Stockwerk, das gar nicht schlecht ausgeführt ist, und die großen Massen der Steine, die zu den Mauern gebraucht sind, nebst der netten Art, wie sie zusammengefügt sind, beweisen, daß die Maurer ihr Handwerk verstehen. Die Fenster sind außerordentlich klein, wahrscheinlich um zwei Zwecken zugleich zu entsprechen; einmal, daß die Nachbarn nicht die Zimmer übersehen sollen und zweitens, um die Häuser wegen der heißen Winde kühler zu erhalten.
   Unsere Bauart ist dem Klima durchaus nicht angemessen, die großen Fenster würden unerträglich sein, wenn nicht Tatty’s, d.h. Schirme aus den Wurzeln wohlriechender Gräser, worauf beständig Wasser gegossen wird, die Luft abkühlten. Sie können aber nur bei Häusern von einem Stockwerk angebracht werden. Selten ist die allgemeine Gewohnheit eines Landes ohne Grund; daher haben sie in ihren Landhäusern große Fenster, die durch künstliche Mittel abgekühlt werden, dagegen vermindern sie die Öffnungen so viel als möglich an Stellen, wo dies unthunlich ist.
   Die gegenüberstehenden Seiten der Straße nähern sich an einigen Stellen so sehr einander, daß sie durch Galerien verbunden sind. Einige neue Häuser wurden nach sehr schönen Verhältnissen gebaut und die Stadt hatte überhaupt ein Ansehen von Wohlhabenheit, das auch nicht täuscht. Die Stadt Benares ist so heilig, daß verschiedenen Hindu-Rajahs ihre Wohnungen daselbst haben, worin ihre Wakils (Abgeordneten) sind aufhalten und die erforderlichen Opfer und Waschungen für sie verrichten.
   Das Land ist außerordentlich einträglich und Prozesse darüber sehr häufig. Die Zahl der steinernen Ziegelhäuser von einem bis sechs Stockwerken hoch beträgt gegen 6.000. Die Lehmhäuser gegen 16.000. Die beständigen Bewohner machen ungefähr 58.000 aus; außer den Begleitern der drei Prinzen und einigen andern Fremden, die beinahe bis auf 3.000 Seelen steigen mögen; der Zusammenfluß aber während verschiedener Feste läßt sich gar nicht berechnen. Die Muhammedaner machen nicht einen gegen zehn aus.
   Die Moschee mit ihren Thürmen ward durch Aureng Zeb gebaut, um die Hindus zu kränken; sie liegt nicht allein auf der höchsten Spitze des Landes, wo sie wegen der Nähe des Ufers  am meisten gesehen wird, sondern der Grund ist auch auf einem heiligen Orte gelegt, wo vorher ein Tempel stand, der zerstört ward, um ihr Platz zu machen. Dies Gebäude entweihte die heilige Stadt und ragte stolz über alle die Tempel hervor, und, was noch peinlicher war, über alle die Terrassen der Häuser, wo die Weiber gewohnt waren, der Kühle des Morgens und Abends zu genießen.
Die Moschee hat selbst nichts Interessantes.
[…]
Von einer Wanderung durch die Straßen oder einer Aussicht von dem Thurme läßt sich kein Begriff von der Schönheit der Stadt machen; unzählige Pagoden von verschiedener Gestalt und Größe nehmen das Ufer ein und springen sogar bis in den Strom hervor Gleichförmig von Stein gebaut und von der festesten Arbeit sind sie im Stande, den Strömen zu widerstehen, die in der regnigen Jahreszeit gegen sie schlagen. Einige sind gemalt, andere vergoldet, noch andere behalten die Farbe des Steins. Gemeiniglich haben sie Kuppeln, die oft in den Dreizack des Mahadewa auslaufen. Brücken sind sehr häufig zur Bequemlichkeit der Reinigung und wo die Häuser dem Flusse nahen, sind sie durchgängig dreißig Fuß hoch gebaut von großen Steinen, ehe sie oben mit der Straße gleich kommen.
   Der Abstich zwischen diesen hohen Massen von festem Mauerwerke und den leichten Kuppeln der Pagoden ist sonderbar und angenehm. Bäume hangen bisweilen über die Mauern herüber, und die unzähligen Menschen, die beständig in dem Wasser entweder baden oder Leinwnd waschen, vermehren nicht wenig das Außerordenliche dieser Scene. Keine Zeichnung, die ich gesehen habe, giebt davon die geringste Vorstellung. Das Land hat hier einen ungeheuern Werth, da es desto heiliger ist, je näher es dem Flusse liegt. Fromme Hindus halten es für ein verdienstliches Werk Brücken oder Tempel an dem Ufer anzulegen. Oft hatte ich Gelegenheit zu bedauern, daß diese Gebäude unvollendet bleiben, weil der Erbauer zu früh gestorben war. Nicht nur der Aberglaube wirkt hier, sondern auch der Umstand, daß, wenn der Erbe es vollendete, das ganze Verdienst und alles Ansehen auf den ursprünglichen Gründer übergehen würde. Ich fühlte mich, bei dem Abblick de hohen Minarets, Hindu genug, um zu wünschen, daß die Regierung in Zukunft den Ort seinen ersten Eigenthümern zurückgeben und diesen schrecklichen Gräuel aus der heiligen Stadt entfernen möge.
   
Valentia, George, Viscount
Georg Viscount Valentia’s und Heinrich Salt’s Reisen nach Indien, Ceylon, dem rothen Meere, Abyssinien und Aegypten, in den Jahren 1802, 1803, 1804, 1805, und 1806
Weimar 1811

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