Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1816 - Otto von Kotzebue
Die Missionare von San Francisco

 

Den 4ten [Oktober]. Um acht Uhr Morgens fuhren wir sämmtlich ans Land, und gingen in das Präsidio, um unserer Verabredung gemäß, in Gesellschaft des Commandanten, in die Mission zu reiten. Die Pferde standen bereits gesattelt, und wir traten unsere Reise an, begleitet von zehn Kavalleristen, lauter schöne, gewandte Leute, die ihre Karabiner und Lanzen mit der Geschicklichkeit unserer Kosacken führten. Sie verdanken ihre Gewandtheit der beständigen Uebung, denn bekanntlich dient das Militair in Californien nur zum Schutz der Mission gegen die Ueberfälle der wilden Völker, und nebenbei ist es der Geistlichkeit behülflich unter diesen Völkern Christen zu werben, und die schon bekehrten Seelen im neuen Glauben zu erhalten. Wir legten bei außerordentlich schönem Wetter den Weg in einer Stunde zurück, obgleich er über die Hälfte aus Sand und Bergen bestand. Selten schmückten kleine Gesträuche die unfruchtbaren Hügel, und nur erst in der Nähe der Mission kamen wir in reizende Gegenden, und erkannten die üppige Natur Californiens. Nachdem wir durch eine von Indianern bewohnte Straße geritten, hielten wir vor einem großen, neben der Kirche liegenden Gebäude, das von den Missionairs bewohnt wird, und hier kamen uns fünf Geistliche entgegen, von denen drei zur hiesigen Mission gehörig, und zwei aus St. Clara zur Feier des Festes hergekommen waren; diese führten uns in ein großes, einfach möblirtes, schmutziges Zimmer, wo wir mit Achtung empfangen wurden. Mit dem Schlage zehn traten wir in die geräumige, von Stein erbaute und im Innern hübsch verzierte Kirche, wo wir schon einige hundert halb nackte Indianer auf den Knieen liegend fanden, die, ob sie gleich weder spanisch noch lateinisch verstehen, seit sie bekehrt sind, keine Messe versäumen dürfen. Da auch die Herren Missionairs sich nicht bemühen, die Sprache der Indianer zu erlernen, so ist es mir unbegreiflich, auf welche Weise man ihnen die christliche Religion beigebracht hat; und dunkel genug mag es in den Köpfen und Herzen dieser Armen aussehen, welche nur die durch das Auge erfaßten, äußern Ceremonien mitzumachen wissen. Die Sucht, wilde Völker zu bekehren, verbreitet sich jetzt in der ganzen Südsee, und stiftet viel Unheil, da die Missionairs nie darauf bedacht sind, sie zu Menschen zu bilden, ehe sie Christen aus ihnen machen, und so wird das, was ihnen Glück und Ruhe bringen sollte, der Grund zu blutigen Kriegen; indem auf den Freundschaftsinseln z. B. Christen und Heiden einander unaufhörlich auszurotten suchen. Es war mir auffallend, daß die Ungetauften während der ganzen Ceremonie nicht die Erlaubniß hatten, sich von ihren Knien zu erheben; für diese Anstrengung aber wurden sie etwas entschädigt durch die Kirchenmusik, welche ihnen viel Vergnügen zu machen schien, und die ihnen ohne Zweifel vom ganzen Gottesdienst nur allein begreiflich war. Das Orchester bestand aus einem Violoncelle, einer Violin und zwei Flöten; diese Instrumente wurden von kleinen halb nackten Indianern gespielt, und es gab viel Disharmonie. Aus der Kirche gingen wir zu Tische, wo es an Speisen und Wein, welchen letztern die Missionairs selbst verfertigen, nicht fehlte. Nachdem Essen zeigte man uns die Wohnungen der Wilden, welche aus langen und niedrigen, aus Lehmstein gebauten Häusern bestehen, und mehrere Straßen bilden. Die Unreinlichkeit in diesen Kasernen war unbeschreiblich, und diese mag der Grund der großen Sterblichkeit seyn; denn von 1000 Indianern, welche sich in St. Francisco befinden, sterben jährlich 300. Die indianischen Mädchen, deren sich in der Mission 400 befinden, wohnen abgesondert von den Männern, ebenfalls in solchen Kasernen; beide Theile müssen schwer arbeiten. Die Männer bauen das Feld; die Ernte wird von den Missionairs in Empfang genommen, in Magazinen aufbewahrt, und den Indianern nur soviel davon gegeben, als sie zu ihrer Erhaltung nothwendig brauchen. Auch die Soldaten des Präsidio werden davon unterhalten, indeß nicht unentgeltlich, sondern sie müssen das Mehl mit schwerem Gelde bezahlen. Die Weiber spinnen Wolle und weben ein grobes Zeug, das theils zu ihrer allgemeinen Kleidung gebraucht, und theils nach Mexiko verschickt wird, um andere nothwendige Waaren dagegen einzutauschen. Das Kostüm der hiesigen Indianer findet man unter Herrn Choris Abbildungen deutlich dargestellt. Da es heute ein Festtag war, so arbeiteten auch die Indianer nicht, sondern trieben in verschiedenen Gruppen allerlei Spiele, unter denen eins besondere Geschicklichkeit erfordert. Es sitzen nämlich zwei einander gegenüber auf der Erde, jeder von ihnen hält eine Menge seiner Stäbe in der Hand, und indem diese zu gleicher Zeit mit großer Schnelligkeit in die Höhe geworfen werden, errathen sie gleich, ob es Paare oder Unpaare seyen; neben jedem Spieler sitzt ein Schreiber, der den Gewinn und Verlust notirt. Da sie immer um etwas spielen, und doch außer ihrer Kleidung, die sie nicht daran setzen dürfen, nichts besitzen, so bearbeiten sie mit Mühe und Kunst kleine weiße Muscheln, die ihnen statt des Geldes dienen.
  Die Küste Californiens ist so reich an verschiedenen Völkerstämmen, daß sich in der Mission oft mehr als zehn verschiedene Stämme befinden, von denen jeder seine eigene Sprache spricht. Als wir die Mission verließen, wurden wir von zwei Gruppen Indianer überrascht, welche ebenfalls aus verschiedenen Nationen bestanden. Sie kamen im Kriegesaufzuge, d. h. ganz nackt und mit bunten Farben bemalt; die Köpfe der meisten waren mit Federn und andern Zierrathen geschmückt, einige aber hatten ihr langes, verwildertes Haar mit Federdaunen bedeckt, und die Gesichter dabei aufs fürchterlichste angestrichen. Ihr kriegerischer Tanz hat nichts Merkwürdiges, und ich bedauerte nur, die Worte ihres Gesanges nicht zu verstehen. Die Phisionomie dieser Indianer ist häßlich, dumm und wild, übrigens sind sie gut gewachsen, ziemlich lang und von schwarzbrauner Farbe; die Weiber sind klein und sehr häßlich; sie haben viel Negerhaftes in ihren Gesichtern, nur ist ein Negerkopf gegen diese noch schön zu nennen; was sie hauptsächlich von den Negern unterscheidet ist ihr sehr langes, glattes, pechschwarzes Haar. Die Missionairs versicherten, sie seyen wegen ihrer Dummheit schwer zu unterrichten; ich glaube aber, daß die Herren sich nicht besonders darin bemühen; ferner erzählten sie uns, daß die Indianer tief aus dem Lande kämen, und sich ihnen freiwillig unterwürfen; (was wir ebenfalls bezweifelten) – der Unterricht in der Religion ginge dann gleich an, und sie würden nach ihren Fähigkeiten früher oder später getauft. Californien kostet der spanischen Regierung sehr viel, und sie hat keinen andern Vortheil davon, als daß jährlich ein Paar hundert Heiden zu Christen gemacht werden, die aber bald in ihrem neuen Glauben sterben, weil sie sich an die veränderte Lebensart nicht gewöhnen können. Zwei Mal im Jahr erhalten sie die Erlaubniß in ihre Heimath zu gehen; diese kurze Zeit ist ihre glücklichste, und ich selbst habe sie Schaarenweise unter lautem Jubel nach Hause ziehen sehen. Die Kranken, welche die Reise nicht mitmachen können, begleiten wenigstens ihre glücklichen Landsleute bis ans Ufer, wo sich diese einschiffen, und sitzen dann Tagelang an demselben, um die entfernten Gipfel der Berge mit Wehmuth anzustarren, welche ihre Wohnungen umgeben; mehrere Tage verharren sie oft ohne Nahrung auf diesem Platz, so sehr fesselt der Anblick ihrer verlorenen Heimath diese neue Christen. Jedesmal entfliehen einige von den Beurlaubten, und sie thäten es wahrscheinlich alle, wenn die Furcht vor den Soldaten, die sie greifen und als Missethäter in die Mission zurückführen, sie nicht abhielte; diese Furcht aber ist so groß, daß 7-8 Dragoner hinreichen, um mehrere hundert Indianer zu überwältigen.
  Es ergießen sich in die Bay von St. Francisco zwei große Ströme, von denen der nördliche der beträchtlichere ist, und von den Spaniern Rio-grande genannt wird. Dieser soll, nach der Beschreibung der Missionairs, in der Welt seines Gleichen nicht haben, und für die größten Fahrzeuge schiffbar seyn; dabei sind seine Ufer fruchtbar, das Clima mild, und die Bevölkerung stark. Oft machen die Missionairs auf großen, gut bewaffneten Böten Reisen auf diesem Flusse, um dort für ihren Glauben zu werben, was ihnen aber selten gelingt, da die dortigen Indianer tapfere und gut bewaffnete Krieger sind. – Nachdem wir noch eine Tasse Chocolade eingenommen, und den Missionairs für ihre freundschaftliche Aufnahme gedankt, ritten wir davon, und erreichten Abends den Rurick, als eben ein Courir vom Gouverneur von Alt-Californien, Don Paolo Bicente de Sola aus Monterey angekommen war. Er überreichte mir einen Brief vom Gouverneur, der viel Artiges enthielt, worin er mir über die glückliche Ankunft seine Theilnahme bezeugte und mir versprach, sobald es seine Geschäfte erlauben würden, selbst nach St. Francisco zu kommen, um sich zu überzeugen, daß man allen meinen Wünschen zuvor komme. Zugleich hatte der Commandant auf meine Bitten die Erlaubniß bekommen, einen Boten an Herrn Kuskof abzufertigen, dem ich gleich wegen Anschaffung einiger mir fehlender Artikel schrieb, die er leicht besorgen konnte, da er mit amerikanischen Schiffen in Handel stand.
  Den 5ten October. Der Rurick mußte kalfatert, die Segel mußten ausgebessert, manches morsch gewordene Tau gewechselt werden, und das schöne Wetter begünstigte die notwendigen Arbeiten. Während Schischmareff diese besorgte, beschäftigten mich die Instrumente, die ich in ein am Ufer aufgeschlagenes Zelt bringen ließ, wo ich täglich den Gang der Chronometer prüfte. Auch unsere Herren Naturforscher waren thätig, da sich in diesem selten von Gelehrten besuchten Lande, manches Neue entdecken ließ. Herr Choris malte fleißig, und wenn uns so die Tage unter allerlei Beschäftigungen schnell verstrichen waren, so versammelten wir uns Abends um in Ruhe des schönen Climas zu genießen, wobei uns die Offiziere des Präsidio Gesellschaft leisteten. Das Militair scheint sowohl mit der Regierung, als mit der Mission unzufrieden, und das ist nicht zu verwundern, da es jetzt schon seit sieben Jahren keinen Sold bekommen, und es ihm fast an allen Kleidungsstücken fehlte; dabei sind die Einwohner ganz entblößt von europäischen Waaren, da kein Handelsschiff in irgend einem Hafen Californiens einlaufen darf, und es ist ein Jammer, daß dieses schöne, fruchtbare Land so ganz unbenutzt da liegen muß.
  Den 16ten um fünf Uhr Abends, kündigten sieben Schüße von der Festung die Nähe des Gouverneurs, und bald darauf acht Schüße aus dem Präsidio, seine Ankunft daselbst an.
  Den 17ten. Heute langte zu unserer Freude eine große Baydare hier an, von Herrn Kuskof beladen mit all den verlangten Sachen. Mittags hatten wir das Vergnügen den Herrn Gouverneur, nebst seinem Gefolge in unserm Zelte zu bewirthen; sein feines heiteres Benehmen gefiel uns sehr, und machte uns seinen Umgang wünschenswerth, und da auch er an unserer Gesellschaft Vergnügen zu finden schien, so waren wir täglich, entweder auf dem Präsidio oder bei mir, zusammen. Jedem unserer Wünsche kam er freundlich zuvor, und wir haben ihm viele froh verlebte Tage zu danken.
  Den 18ten. Durch die Baydare, welche heute zurückging, meldete ich Herrn Kuskof den Wunsch des Gouverneurs, ihn hier zu sehen, um wegen seiner Niederlassung in Bodega mit ihm zu sprechen. Ich erstaunte als ich vom Gouverneur erfuhr, daß sich in Californien eine Menge russischer Gefangenen befänden; es hatte sich nämlich ein der Compagnie gehöriges Schiff, an die Küste gewagt, um zu handeln, und da dieses den spanischen Gesetzen zuwider ist, so wurde ein Theil der Mannschaft, der sich, nichts Böses ahnend, am Lande befand, von den Soldaten ergriffen, und ins Gefängniß geworfen. Dem ausdrücklichen Befehl des Vice-Königs von Mexiko zufolge, durfte der Gouverneur sie Herrn Kuskof nicht abgeben, mir aber wollte er sie abliefern, wenn ich sie wegbringen könnte. Leider war mir das wegen des zu kleinen Schiffs unmöglich; ich konnte nur drei Mann mitnehmen, und wählte also unter diesen fremde Schuld Büßenden drei Russen aus, die lange der amerikanischen Compagnie gedient hatten. Noch nahm ich außer diesen, Herrn Elliot an Bord, um ihn seinen Wünschen gemäß, auf den Sandwich-Inseln abzusetzen, von wo er leicht durch ein nordamerikanisches Schiff, das nach Sitka segelte, zu Herrn Baranof gelangen konnte. John Elliot de Castro, von Geburt ein Portugiese, war mit einem amerikanischen Schiffe nach Sitka gekommen, dort von Herrn Baranof engagirt worden, das, nach Californien bestimmte Handelsschiff als Supercargo zu begleiten, und hier mit der übrigen Mannschaft in Gefangenschaft gerathen.
  Den 23sten Oktober. Der Gouverneur hat uns heute ein interessantes Schauspiel bereitet, durch das Gefecht eines Stiers mit einem Bären; letztere sind hier im Lande so häufig, daß man nur eine Meile von den Wohnungen in den Wald gehen darf, um sie in großer Menge zu treffen. Die Gattung unterscheidet sich von den Unsrigen durch einen spitzigen Kopf und eine aschgraue Farbe, auch sind sie lebhafter und unternehmender als bei uns. Demungeachtet sind die hiesigen Dragoner so gewandt und muthig, daß man sie zu Pferde in den Wald nach einem Bären schickt, wie man bei uns dem Koch befehlen würde, eine Gans aus dem Stalle zu holen. Drei Dragoner zu Pferde, nur mit Schlingen versehen, sind hinlänglich, einen Bären zu überwältigen, den sie beim Fange immer in ihrer Mitte zu halten, und zu reizen suchen. Sobald das wüthende Thier sich auf einen Reiter stürzen will, wirft ihm der andere die Schlinge, welche mit starken Riemen am Sattel befestigt ist, um den Vorderfuß, gibt seinem Pferde die Sporen, und wirft dadurch den Bären nieder; diesen Augenblick benutzt der andere, wirft ihm die Schlinge ums Hinterbein, und wenn er jetzt regungslos daliegt, werden ihm von dem dritten alle vier Füße in Schlingen gelegt, und so wird er ohne alle Gefahr nach Hause transportirt. Auf diese Weise hatten die Dragoner heute einen Bären gebracht, während einige andere auf dieselbe Art einen wilden Stier herbeischleppten. Auch das Vieh ist das ganze Jahr sich selbst überlassen auf der Weide, ist dadurch in verwildertem Zustande, und wird ebenfalls, wenn eins geschlachtet werden soll, von ein Paar Reitern mit Schlingen gefangen. Der Kampf dieser beiden Thiere war merkwürdig, und obgleich der Stier, seinen wüthenden Gegner oft mit den Hörnern in die Luft warf, so mußte er doch am Ende unterliegen.
  Den 29sten. Nachdem der Gouverneur mit Herrn Kuskof, welcher gekommen war, eine Unterredung gehabt, alle unsere Wünsche gütig befriedigt hatte und den Rurick segelfertig sah, reiste er, begleitet von unserm innigen Dank wieder nach Monterey zurück. Einer von den Russen, Namens: Iwan Strogonof, welchen ich hier an Bord genommen, ist auf der Jagd durch sein Pulverhorn, welches Feuer faßte, so beschädigt worden, daß er trotz der geschickten und sorgfältigen Behandlung unseres Arztes, sterben mußte.
  Den 1ten November. Der Rurick war jetzt wieder vollkommen im Stande, der Gang der Chronometer aufs Genaueste bestimmt, und alle Instrumente an Bord. Mit Lebensmitteln waren wir von den Einwohnern überflüssig versorgt, meine Matrosen alle gesund, und so verließen wir mit Hülfe eines NO Windes und der Ebbe, um neun Uhr unsern Ankerplatz, salutirten der Festung und befanden uns um zehn Uhr außerhalb der Bay. Noch bis zwei Meilen in die See hinein, hörten wir das durchdringende Geheul der Seelöwen, die am Ufer auf den Steinen lagen. Seeottern findet man an den Ufern von Californien häufig, und da man diese hier in frühern Zeiten gar nicht sah, so ist zu vermuthen, daß sie sich von den Aleutischen Inseln und von dem nördlichen Theil Amerikas hierher gezogen, um den Verfolgungen dort zu entgehn.
  Nachdem wir uns vom Lande entfernt hatten, erhielten wir einen starken NW Wind, der gewöhnliche an diesen Küsten, und segelten rasch vorwärts.

 

Kotzebue, Otto von
Entdeckungsreise in die Südsee und nach der Bering-Straße zur Erforschung einer nordöstlichen Durchfahrt
Band 2, Weimar 1821

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