Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1842 - Ida Pfeiffer
Bei den tanzenden Derwischen in Pera
Konstantinopel

 

Es war gerade an einem Dienstag, als ich Konstantinopel betrat. Ich erkundigte mich sogleich, was es Sehenswertes gäbe, und man riet mir, die tanzenden Derwische zu besuchen, die an diesem Tag in Pera ihre Andachtsübungen hatten.
   Bei der Moschee um eine Stunde zu früh angekommen, verfügte ich mich indessen in den anstoßenden Garten, der als Sammelplatz für die türkische Frauenwelt bestimmt ist. Mehrere hundert Damen waren hier in den verschiedenartigsten Gruppen auf dem Rasen gelagert, umgeben von ihren Kindern und deren Wärterinnen, die sämtlich Negersklavinnen sind. Mehrere dieser türkischen Frauen rauchten mit wahrer Götterlust eine Pfeife Tabak und schlürften ein Schälchen schwarzen Kaffee dazu. An ein und derselben Pfeife rauchen oft zwei, drei Freundinnen, sie geht von Mund zu Munde. Sie scheinen auch gerne zu naschen, denn die meisten waren mit Rosinen, Feigen, gebrannten Haselnüssen, Bäckereien und dergleichen reichlich versehen und aßen trotz der Kleinen. Ihre Sklavinnen scheinen sie sehr gut zu halten, sie sind gut gekleidet, sitzen mitten unter ihnen und essen ebenfalls tapfer mit. Nur die Farbe des Gesichtes unterschied Frau und Dienerin.
   Auch in der Folge meiner Reise bemerkte ich mit Vergnügen, daß das Los des Sklaven im Hause eines Muselmannes bei weitem nicht so drückend ist, wie wir glauben. Von lebhaften Gesprächen sind die türkischen Frauen keine großen Freundinnen, aber dennoch ging es immer noch lauter zu als bei Versammlungen der Männer, die wortkarg im Kaffeehaus sitzen und halb verschlafen, die Pfeife im Munde, einem Märchenerzähler gedankenlos zuhören.
   Dieser Garten gleicht einem Friedhof. Überall blicken Grabmonumente unter Zypressen hervor, an und um welche die Frauen gelagert waren, und mit fröhlicher Miene plauderten und scherzten. Und ebenso plötzlich stand manche unter ihnen auf und breitete neben ihren Gefährtinnen einen Shawl oder Teppich aus, um ihre Andacht zu verrichten.
   Alle waren entschleiert, weil kein Mann anwesend sein durfte. Ich fand viele hübsche Gesichter unter ihnen, allein von großer, seltener Schönheit sah ich nichts. Lebhafte, große Augen, blasse Wangen, breite Gesichter, viel Korpulenz, und die Dame ist gezeichnet. Die Blattern müssen in diesen Gegenden noch ziemlich heimisch sein, denn viele trugen die Narben derselben an sich. Ihr Anzug war auch nicht sehr malerisch. Wenn sie ausgehen, sind sie ganz eingehüllt in ein Oberkleid, meistens von dunklem Merino. Im Harem oder auch an einem solchen Ort, der den Männern verschlossen bleibt, legen sie dies Oberkleid und das weiße Tuch, in welches Kopf und Gesicht gehüllt sind, ab. Ihr eigentlicher Anzug besteht aus sehr weiten Beinkleidern, die unter dem Knöchel zusammengezogen sind, einem Hemd mit langen weiten Ärmeln und einer breiten Binde um die Mitte, über welche einige einen Kaftan, andere nur eine Art Spenser, meist alles von Seide, anhatten. Feine Stiefeletten, darüber Pantoffel von gelbem Saffian, haben sie an den Füßen, und den Kopf bedeckt ein kleiner Fes, unter welchem die Haare in lauter dünnen Flechten über die Schultern fallen. Jene Türken oder Türkinnen, die von Mohammed abstammen, tragen entweder ein grünes Oberkleid oder einen grünen Turban. Diese Farbe ist ihnen so heilig, daß sie fast von niemandem getragen werden darf. Selbst den Franken ist es zu raten, diese Farbe an Kleidern zu meiden, wenn sie sich nicht Unannehmlichkeiten aussetzen wollen.
   Nachdem ich über eine Stunde Zeit hatte, alles zu betrachten und zu beobachten, entstand plötzlich ein Lärm im Vorhof und eine Bewegung unter den Frauen. Ich schloß daraus, daß es Zeit sei, in den Tempel zu gehen, und begab mich zu meiner Gesellschaft. Ich fand im Vorhof ein großes Gedränge, denn der Sultan ( Abd Ül Medjid I, 1839-1861) wurde erwartet. Nun sollte mir gleich am ersten Tag meiner Ankunft dieses Glück zuteil werden. Ohne große Bemühung ließ man mich als Fremde in die ersten Reihen - eine Gutmütigkeit und Artigkeit der Türken, die manchen Franken zu empfehlen wäre. Und doppelt ist diese Eigenschaft an diesem Volke zu rühmen, da es für mein Geschlecht keine Achtung hat und uns armen Wesen seiner Meinung nach sogar die Seele abspricht.
   Kaum stand ich einige Augenblicke, als der Sultan zu Pferde, von seinem Hofstaat umgeben, erschien. Nur er ritt in den Vorhof, die übrigen stiegen außerhalb demselben ab und betraten ihn zu Fuß. Das Pferd, worauf er saß, war von einer ausgezeichneten Schönheit, wie man mir sagte, ein echter Araber. Es war mit einer reich in Gold bestickten Decke geziert; die Steigbügel hatten die Form von Schuhen, waren von Gold und von feinster getriebener Arbeit.
   Der Sultan ist ein schmächtiges, aufgeschossenes Herrchen von neunzehn Jahren, blaß, matt und abgelebt. Seine Züge sind hübsch, seine Augen schön. Wenn er sich nicht zu frühzeitig allen Genüssen der Sinne hingegeben hätte, so wäre ohne Zweifel ein stattlicher Mann aus ihm geworden. Ein langer, dunkelblauer Tuchkragen, vorn mit einer Brillantschließe zusammengehalten, umgab seinen Körper. Ein hoher Fes mit einem Reiher und einer Brillantagraffe schmeckten das Haupt. Die Begrüßung des Volkes und der Dank des Sultans ist gerade wie bei uns, nur erhebt das Volk manchmal ein leises Freudengeschrei.
   Nachdem der Sultan den Tempel betreten hatte, stürmte alles hinein. Die Frauen sitzen auf Galerien, die aber so dicht vergittert sind, daß man sie gar nicht sieht. Die Männer und die Franken, letztere ohne Unterschied des Geschlechtes, sitzen und stehen unten im Tempel. Der Tempel oder besser gesagt Saal ist nicht groß, und die Zuseher sind von den Priestern durch ein niederes Geländer getrennt.
   Um zwei Uhr erschienen die Derwische in langen, bis an die Ferse reichenden Weiberröcken mit unzähligen Falten. Auf dem Kopfe tragen sie hohe zugespitzte Hüte von weißem Filz. Sie breiteten Teppiche und Tierfelle aus und begannen ihre Zeremonien mit einer Unzahl von Verbeugungen und Küssen des Bodens. Endlich erscholl Musik, die aber so unter aller Kritik war, daß ich noch in meinem Leben nichts Erbärmlicheres gehört habe. Eine Kindertrommel, eine Hirtenpfeife und eine jämmerliche Geige waren die Instrumente. Dazu fingen mehrere Stimmen an zu krächzen und zu schnurren, alles ohne Takt und Melodie.
   Zwölf Derwische begannen nun ihren Tanz, wenn man ein Drehen im Kreise mit ausgestreckten Armen, wobei ihr faltenreiches Kleid ein schönes Rad bildet, so nennen darf. Sehr geschickt wissen sie einander auszuweichen, ohne sich zu berühren, da doch der Raum sehr beschränkt ist. Von Verzückungen oder anderen Zuständen, wie ich in mehreren Beschreibungen las, habe ich nichts bemerkt.
   Die Zeremonie endete um drei Uhr. Der Sultan stieg nun wieder zu Pferd und begab sich mit seinem Gefolge und den Verschnittenen hinweg. Im Laufe dieses Tages sah ich ihn nochmals, als er von dem Besuch der medizinischen Fakultät zurückkehrte. Es ist überhaupt sehr leicht, den Sultan zu sehen, nämlich oft an Dienstagen, aber gewiß an jedem Freitag, dem Feiertag der Türken.

 

Pfeiffer, Ida
Reise in das Heilige Land
Hrg von Gabriele Habinger
Wien (Promedia) 1995
Originalausgabe Wien 1844

Reiseliteratur weltweit - Geschichten rund um den Globus. Erlebtes und Überliefertes aus allen Teilen der Welt. Entdecker – Forscher – Abenteurer. Augenzeugenberichte aus drei Jahrtausenden. Die Sammlung wird laufend erweitert – Lesen Sie mal wieder rein!