Um 1803 - Stephan Schütze, Reiseschriftsteller
Das Kurleben von Doberan
Wir fuhren auf Dobberan zu; ein bejahrter Flecken, dem Natur und Kunst eine der leiblichsten, ich möchte sagen, jugendlichsten Physiognomien angebildet, nein angezaubert haben. Es lohnt der Mühe, die einzelnen Parthien dieses lächelnden Gemäldes nach dem ersten Eindrucke, gewöhnlich der sicherste, von fremdartigen Vergleichungen und Eingebungen anderer Beobachter ungemischtere, da er sich auf individuelles Gefühl und Beobachtung stützt und gründet, nachzuzeichnen. Die fast eirunde Form des Ortes wird von der breiten, ebenen, doch ungepflasterten Landstraße in zwei fast gleiche Theile zerschnitten Rechter Hand, wenn man, wie wir, vom Heiligendamm hereinfährt, zeigt sich ein wieter, flacher, mit Bäumen und Blumen bepflanzter und mit leichtem Stacketwerk ungürteter Platz zur Promenade für Brunnen- und andere Gäste bstimmt. Links, diesem sich um eine Grasebene ziehenden Spaziergange gegenüber, liegt das Logir- und Absteigeqaurtier, das der herzogliche Haushofmeister bewohnt und darin bewirthet. Zimmer, Betten, Küche und Keller sind, wie die Bedienung, vortrefflich. Ein hoher Grad Reinlichkeit und Akkuratesse bezeichnet alles, war zur Bequemlichkeit und zum Wohlbehagen der Gäste dient, und die Preise der Bedürfnisse sind, im Verhältniß mit deren Güte, äußerst billig und nach einer festen Norm bestimmt. Da bei der Menge von Gästen, Gesunden und Kranken, die des Badens oder des Spiels, oder überhaupt der Gesellschaft wegen, in den Sommermonaten hier zusammenströmen, die Ball- Spiel- und Speisesäle im Logirhause, so groß und geräumig sie sind, zu eng wurden, so ließ der Herzog vor ein paar Jahren in der Nähe des Logirhauses ein eigenes großes und sehr geschmackvolles Prachtgebäude entstehen, dessen vordere in Arkaden ausgeschnittene Façade zu Gewölben für Krämer bestimmt sind, die sich vordem in Buden etablirten und behelfen mußten. Den hintern Raum des Gbäudes füllt ein schön dekorirter Saal, der zum Tanz, zum Speisen und zur Goldbank (die Silberbank tailliert im Logirhause) bestimmt ist. Ein paar Seitenzimmer sind in einem simpleren, aber zu dem Ganzen stimmenden Geschmack dekorirt. Dies gilt ganz vorzüglich vom Ameublement, wie von der Wandbekleidung. Keine Überladung von Farben, grotesken Figuren und Fratzen, wie oft der mißverstandne oder geleitete Geschmack der modischen Arabesken und des Grotesken in modernen Prunksälen zur Schau und Scheu giebt. Ein simpler Altar mit leuchtender Flamme z. B. an der Wand des einen Seitenzimmers giebt durch die offene Thür vom Saal aus durch schöne Malerei und Anspruchslosigkeit dem Beschauer eine überraschende Perspektive; im Saale selbst, dessen Plafond, Wappengemälde und allegorische Wandverzirungen schon einen höhern Styl und mehr Kühnheit der Compositionen verrathen, verweilt das Auge minder an den eizelnen Parthien; die Harmonie des Ganzen, der Totaleindruck, der nicht nach dem ersten An- und Überblick erlischt, ist es, was hier den Freund der Künste vor allem fesselt. Es dürfte leicht und ohne Übertreibung gesagt, einer der geschmackvollsten Gesellschaftssäle neuerer Schöpfung seyn. Am 11. Juli 1802 ist dieser Saal feyerlich mit Freuden der Tafel, Musik und Tanz eingeweiht.
Außer der bereits erwähnten Esplanade, dem Logirhause gegenüber, hat Dobberan noch drei verschiedenartige Promenaden. Um die ehrwürdige altgothische Kirche, deren Schiff für ein Meisterwerk der Baukunst gilt, und an welche noch die feste dunkelfarbige Mauer des ehemaligen Klosters stößt, zieht sich dicht herum ein im englischen Geschmack angelegter Park. In die Kirche selbst sind wir nicht gekommen, und haben folglich weder etwas von den Staturen und Gemälden, noch von den Reliquien gesehen, weder der Jungfer Marias noch des Christkindleins Schlafmütze, noch das bischen Flachs von der Erstern Spinnrocken, noch das Fragment von Petrus‘ zerrissenem Netze u.dgl.m., die man in andern Büchern über Dobberan nachgewiesen findet. Wir erwarteten, was Röper, und vor ihm Klüver darin setzen, und nicht, wie ein neuerer Hr. Holm, der diese Lächerlichkeiten ehrwürdig nennt.
Dieser Lustpark wird von den Badegästen gewöhnlich am Morgen besucht; Abends ist es Ton, den Spaziergang der Esplanade zu gehen. In der Mitte derselben, auf der Rasenfläche, wird in der Brunnenzeit das Scheibenschießen exercirt; auch läßt der Herzog dort an Sonntag Abenden kleine Feuerwerke abbrennen und Illuminationen oder Vauxhalls flammen.
Zwei andere Spaziergänge ziehen sich an zwei nahe bei Dobberan liegende Berge hinan. Der Büchenberg, linkerseits auf der Straße nach Rostock zu, ist ein mit Gehölz, meist Buchenstämme, und Kornfeldern geschmückter Berg; eine Kegelbahn, Schaukel u. dgl. bieten sich zu Bewegungsspielen den Besuchenden dar. Rechterseits erhebt sich ein steiler Hügel, der Jungfernberg genannt; zu ihm hinauf führen in Schlangenlinien ausgeschnittene Pfade; reichlich belohnt wird der Wanderer, hat er die Höhe erreicht. Die Natur hat diesen Hügel seitwärts herum mit lieblich duftenden, malerisch gruppirten Gebüschen und Baumgruppen garnirt; auf der kahlen Spitze macht ein kleiner niedlicher Pavillon Miene. Von hier aus ist die Aussicht auf das tief unten liegende Dobberan und die Umsicht der fernern Gegenden, Rostock zur einen, der Blick in die See auf der andern Seite bezaubernd schön. Dobberans viele große und kleine, fast alle weiß angestrichene Häuser in moderner Form, machen einen treflichen Abstich mit dem antiken Kirchgebäu und Kloster-Ruin, die als fast einzige Überreste und Fingerzeige hohen Alterthums dieses Fleckens dunkelfarbig und mit dem vielfarbig grünen Schleier des Parks umwunden da stehn. Das ganze Durcheinander von Häusern, Fruchtbäumen, Saatfeldern und Wiesen in einer für das Auge äußerst gefälligen Farbenmischung. So überraschte mich einst die, obwol bei weitem nicht so romantische, Lage von Naumburg, deren Nähe und Schöne der Reisende auf dem Wege von Leipzig ab nicht ahnete, wenn er sie von der Berghöhe herab plötzlich zu seinen Füßen in der reizendsten Umgebung liegend findet.
Was den Aufenthalt in Dobberan noch angenehmer macht, ist der freye ungebundene Ton der Gesellschaft, die Entfernung aller Art von Absonderungen der Stände, die in anderen Badeorten den Gast zwängen und engen, dem der freye Umgangton mehr behagt und anzieht. Der regierende Herzog ist der Tonangeber, oder vielmehr Schöpfer dieser zwanglosen Umgangsweise und Annäherung aller zum gemeinsamen Zweck der Erholung, Genesung, Belustigung versammelten Gäste. Das Hutabnehmen z.B. ist durch eine Affiche abgestellt. An der Table d’Hote, wo der Herzog und ein großer Theil des mecklenburgischen und fremden Adels mit speiset, sitzt alles durcheinander, so wie bei den Bällen kein Standesunterschied gilt, noch geduldet wird. Mancher Excellenz und Hochadelichkeit beides Geschlechtes ist dies freilich nicht zu Sinne; aber il faut se soumettre! Der ächte Kosmopolit und Freiheitsfreund freute sich der Bemerkung: Principis ad exemplum totus componitur orbis: die ganze hier lebende Welt folgt dem Beispiele des humanen Fürsten, und wer nicht mit Freude folgt - muß sich fügen.
Schütze, Stephan
Humoristische Reisen durch Mecklenburg, Holstein …
Hamburg 1812