Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1845 - Ida Pfeiffer
Auf dem Götakanal von Göteborg nach Stockholm

 

Um fünf Uhr morgens wurde abgefahren, und bald befanden wir uns im Göta-Fluß, dessen Ufer anfangs sehr flach und öde sind. Das Tal selbst ist von kahlen, felsigen Hügelketten begrenzt. - Nach ungefähr zwei Meilen kamen wir zu dem Städtchen Kongelf, das 1.000 Einwohner haben soll. Es liegt an und hinter Felsen und bleibt dadurch dem Auge teilweise verborgen. Dem Städtchen gegenüber, auf einem Fels, steht die Ruine der einstmaligen Festung Bogus. Von hier fängt die Gegend an etwas mannigfaltiger zu werden. aldpartien wechseln mit den kahlen Felsen ab; an beiden Seiten öffnen sich kleine Täler, und der Fluß selbst, hier durch eine Insel geteilt, breitet sich später oft bedeutend aus. - Die Bauernhäuser sahen größer und netter aus, als jene in Norwegen; sie sind meist ziegelrot angestrichen und stehen oft auch in größeren Gruppen beisammen.
   Bei Lilla Edet kommt man an die ersten Schleusen, deren hier fünf sind. Während das Schiff sie passiert, hat man Zeit den gleich daneben liegenden, zwar niederen, aber wasserreichen und breiten Fall der Göta zu betrachten.
   Diese erste Strecke der Schleusen und des Kanals zieht sich noch ziemlich weit hinter dem Fall fort und ist teils in die Felsen gesprengt, teils mit Quadersteinen ausgemauert. - Bei Äkestron fährt man wie in einem schönen Naturpark; das Tal wird durch reizende Hügel eingeengt und gibt nur dem Strom und einigen niedlichen Pfaden Raum, die sich durch Nadelgehölz, das sich bis an die Ufer zieht, winden.
   Nachmittags kamen wir an die berühmten Schleusen bei Trollhättan. Sie bilden ein Riesenwerk, das man nur in den größten Staaten vermuten würde, nicht aber in einem Land, das weder an Macht noch an Größe zu den ersten gehört. Im ganzen sind 11 Schleusen, die bei einer Länge von 3500 Fuß die Höhe von 112 Fuß erreichen. Sie sind breit, tief und in die Felsen gesprengt und mit schönen Quadersteinen ausgelegt; sie gleichen den einzelnen Stufen einer Riesentreppe, unter welchem Namen man dieses Werk füglich den sieben Weltwundern beizählen könnte. Eine Schleuse erhebt sich über der andern, mächtige Tore schließen sie, und wunderbar schwebt das große Fahrzeug der Höhe zu. Die Umgebung ist wildromantisch.
   Kaum bei den Schleusen angelangt, wird man gleich von einer Menge Knaben umschwärmt, die sich den Fremden als Wegweiser zu den nahen Wasserfällen bei dem Örtchen Trollhättan anbieten. An Zeit zu diesem Ausfluge gebricht es nicht; das Schiff braucht um die Höhe zu erreichen 3-4 Stunden, und in der halben Zeit ist die Exkursion abgetan. Früher unterlasse man aber ja nicht, den Fels zu ersteigen, zu dem sich die Schleusen erheben. Ein Pavillon ziert seine Spitze, und von hier übersieht man die Schleusen in die Tiefe hinab.
   Nach Trollhättan führen artige, durch den Wald gehauene Wege. Dieses Örtchen hat eine überaus reizende Lage; es liegt in einem lieblichen Tale, das von Waldungen und Hügeln umgeben ist, an den Ufern des Stromes, dessen weiß schäumende Wogen grell von dem dunklen Waldsaum abstechen. - Man sieht von hier aus nur den Saum des Kanals, der einen weiten Bogen vom Hauptstrom beschreibt, die letzten Schleusen aber liegen hinter kleinen Felspartien ganz verborgen; wir konnten weder das Aufziehen der Tore noch das Steigen des Wassers in ihnen bemerken und waren daher sehr überrascht, als wir plötzlich erst die Masten, dann das Schiff selbst aus den Tiefen steigen sahen. Es schien, als ob es von unsichtbaren Händen zwischen Felsmassen emporgehoben wurde.
   Die Fälle des Stromes zeichnen sich weniger durch ihre Höhe, als durch ihre Mannigfaltigkeit und Wasserfülle aus. Der Hauptstrom wird an der äußersten Spitze seines Sturzes durch eine kleine Felsinsel in zwei beinahe gleich mächtige Fälle geteilt. Auf dies Inselchen führt ein langer, schmaler Kettensteg, der gerade über dem Falle schwebt und so zart und schwach gebaut ist, daß nur immer eine Person hinüberschreiten darf.  Der Eigentümer dieses gefährlichen Steges hält ihn stets versperrt und öffnet ihn nur gegen ein Entgeld von 10 kr. CM.
   Ein eigenes schauerliches Gefühl beengt die Brust während des Hinüberschreitens. Man sieht den Strom wütend dahertosen, man sieht ihn sich an den hoch emporragenden Felsen brechen und schäumend in die Tiefe stürzen, man sieht unter seinen Füßen die brandenden Wogen; - dabei erzittert das Brückchen bei jedem Tritt - ängstlich eilt man, das Inselchen zu erreichen. Hier erst auf festem Grund und Boden, wagt man es, sich mit Muße umzusehen. Ein fester Fels neigt sich etwas über die Fälle hinaus, und auf ihm kann man mit Sicherheit seinen Standpunkt wählen. Man steht da nicht nur zwischen zwei schönen Fällen, sondern übersieht auch noch 4-5 andere, welche der Strom ober- und unterhalb bildet. - Kaum glaubt man, sich von diesen zauberischen Bildern trennen zu können.
   Hinter Trollhättan breitet sich der Strom beinahe zu einem See aus, indem er von mehreren Inseln in viele Arme geteilt wird. Seine Ufer verlieren jedoch bedeutend an Schönheit, indem sie flach und unansehnlich werden.
   Den herrlichen Vennersee, 10-12 Meilen lang und mehrere Meilen breit, erreichten wir leider erst gegen Abend, als es schon zu sehr dunkelte, um von der Umgebung noch etwas unterscheiden zu können. - Wir hielten hier bei dem unbedeutenden Städtchen Vennersborg einige Stunden an.
   Diesen Tag über waren uns gewiß sechs oder sieben Dampfschiffe begegnet, die alle schwedischen oder norwegischen Kaufleuten gehörten. Es gewährte einen eigenen interessanten Anblick, diese Schiffe in den hohen Schleusen auf und ab steigen zu sehen.
   5. September. Als wir noch gestern spät in der Nacht Vennersborg verließen und uns auf dem See herumtrieben, erhob sich ein widriger Wind, oder vielmehr ein kleiner Sturm, der zwar für ein gutes Fahrzeug nichts zu bedeuten gehabt hätte, dem aber das unsrige doch nicht gewachsen war. Vergebens mühte sich der arme Kapitän die ganze Nacht hindurch ab, das Fahrzeug über den See zu bringen, - er mußte seinem Versuch entsagen, wieder zurückkehren, und an irgendeiner Stelle Anker werfen. - Wir verloren bei dieser Gelegenheit unser Hilfsboot; eine mächtige Welle schlug über das Schiff und riß es mit sich fort; wahrscheinlich war es so gut befestigt gewesen, als unsere Kisten und Koffer.
   Obwohl es erst neun Uhr morgens war, erklärte der Kapitän dennoch, während des Tages nicht weiterfahren zu können; nur wenn es gut ginge, wäre er imstande, die Reise gegen Mitternacht fortzusetzen. - Glücklicherweise wagte sich ein Fischerboot heran, und einige von uns ließen sich ans Land setzen. Auch ich tat dies und benützte diesen Zufall, einige Bauernhütten zu besuchen, die unfern des Sees am Saum eines Waldes lagen. Ich fand sie zwar auch ärmlich, aber doch aus zwei Gemächern bestehend, die einige Betten und andere Gerätschaften enthielten; auch die Leute waren etwas besser gekleidet als jene in Norwegen. Selbst die Kost der Leute war nicht so übel; sie kochten aus grobem schwarzen Mehl ein dickes Mus, das dann mit süßer Milch verspeist wurde.
   6. September. Erst des Morgens ein Uhr lichteten wir die Anker. - Nach ungefähr fünf Stunden kamen wir an die kleine Insel Eken, die aus lauter Felsen besteht und von einer Menge kleinerer Inseln und Klippen umgeben ist. Es ist hier einer der bedeutenderen Landungsplätze des Sees. - Ein ziemlich großes hölzernes Magazin steht nahe am Ufer, und in dieses werden die verschiedenen Artikel von der Umgebung geschafft und an Bord gebracht, und so umgekehrt.  Man sieht hier immer einige Schiffe vor Anker liegen.
   Nun mußten wir uns durch ein Heer von Inseln durchwinden, bis wir wieder den großen See erreichten, der außer seiner Größe nicht viel Sehenswertes bietet. - Seine Ufer sind größtenteils kahl und einförmig und nur hie und da mit Waldungen oder niedrigen Hügeln umgeben; selbst der Hintergrund zeichnet sich durch nichts aus. - Zu den schönsten Ansichten gehört noch das ziemlich bedeutende Schloß Leko, das auf einem Fels liegt und von dichten Waldungen umgeben ist. - Weiterhin erhebt sich der Berg, oder besser gesagt Hügel, Kinnekulle, auf welchen jeder Reisende aufmerksam gemacht wird. Er soll nämlich eine ausgedehnte Aussicht sowohl auf den See, als auch tief hinein ins Land gewähren, da sich dem Auge nirgends ein hoher Punkt störend dazwischenstellt. - In dem Innern dieses Berges soll sich eine sehr merkwürdige Grotte befinden. - Leider kann man, seit man auf Dampfschiffen fährt, all diese Merkwürdigkeiten nicht mehr besehen. Man fliegt überall schnell vorüber und wird bald die größte Reise mit einigen Worten beschreiben können.
   Zu Bromö befindet sich eine bedeutende Glasfabrik, die ausschließlich Fensterscheiben verfertigt. Wir hielten kurze Zeit an und nahmen eine tüchtige Ladung dieses Artikels ein.
   Die Fabriksgebäude liegen, nebst einigen anderen Häuschen, recht artig auf kleinen Höhen zwischen reizenden Waldpartien.
   Bei Sjotorp tritt man wieder durch mehrere Schleusen aus dem See in den Fluß. - Die Fahrt über den Vennersee rechnet man gewöhnlich auf zehn bis elf Stunden.
   Der Fluß schlängelt sich anfänglich häufig durch Waldungen, und man kann, während sich das Schiff mühsam in den Schleusen fortarbeitet, einen Teil des Weges recht angenehm im Schatten zu Fuß machen. Später öffnen sich weite Täler, die jedoch durchaus keine schönen Bilder gewähren.
   7. September. Zeitlich des Morgens durchschifften wir den niedlichen Vikensö, der sich, wie überhaupt alle schwedischen Seen, durch seinen Reichtum an Inselchen, Felsen und Klippen auszeichnet. Häufig sind diese Inselchen mit Bäumen überwachsen, was sich dann umso herrlicher macht. Dieser See liegt 306 Fuß höher als die Nordsee; hier hat man den höchsten Punkt erreicht, und nun beginnen die Schleusen in die Tiefe zu führen. - Die Zahl aller Schleusen, durch welche man sowohl hinauf- als hinabgetragen wird, beträgt 72.
   Ein kurzer Kanal fährt in den Bottensee, welcher anfänglich einen weniger durch Inseln unterbrochenen Wasserspiegel zeigt. Die Fahrt durch diesen kleinen See ist überaus lieblich; die Ufer bieten schöne Hügelreihen, wechselnd mit Wäldern, Wiesen und Feldern. - Ihm folgt der bedeutend größere Vettersee, dessen Eingang durch die schöne Festung Karlsborg leicht verteidigt werden kann. - Dieser See hat zwei ganz besondere Eigenheiten: die eine besteht in der außerordentlichen Reinheit und Klarheit des Wassers, die andere darin, daß sehr viele Stürme auf demselben herrschen. Man sagt, daß es da manchmal woge und brause, selbst, wenn es in der Umgegend heiter und windstill sei. Oft soll der Sturm den Schiffer mit solcher Eile und Heftigkeit überfallen, daß ihm das Entrinnen unmöglich wird. Gar viele Sagen und Märchen erzählt man sich von den tückischen Untaten dieses Sees.
   Wir blieben, Gottlob, verschont und durchschnitten seine Flächen unter Scherz und Freude. - An den Ufern dieses Sees liegt das schöne Fräuleinstift Vadstena und der berühmte Berg Omberg, an dessen Fuße eine Schlacht statthafte.
   Der nun folgende Kanal ist sehr kurz und leitet durch liebliche Waldungen in den kleinen See Norrbyson. Man legt diese Strecke gewöhnlich zu Fuß zurück, um das einfache Grabmal des Grafen Platen zu besuchen, der die Pläne zu den Schleusen und Kanälen, zu diesem ewig dauernden Riesenwerke geliefert hat. - Das Grabmal ist mit einem Eisengitter umfaßt; die Gruft deckt eine schöne Marmorplatte, auf welcher eine einfache Inschrift in schwedischer Sprache angebracht ist, die seinen Namen, Todestag usw. anzeigt. Dem Monumente beinahe gegenüber auf der anderen Seite des Kanals liegt das Städtchen Motala, mit großen Eisenwaren-Fabriken, in deren schönen Gebäuden sich besonders die ungeheurer großen Arbeitssäle auszeichnen.
   Von dem Norrbysee in den Roxersee führen 15 Schdeusen, durch welche das Schiff 116 Fuß hinabgelassen wird. - Dieser Kanal schlängelt sich recht angenehm durch Waldungen, Wiesen und Felder, die von hübschen Landstraßen durchzogen, mit niedlichen Häuschen und größeren Gebäuden besetzt sind. - Einige Kirchtürme verraten die Nähe des Örtchens Norrby, das, halb versteckt hinter kleinen Waldpartien, den Blicken des Vorübereilenden bald erscheint, bald wieder entschwindet. Wenn die Sonne auf das Wasser in diesem Kanale schimmert, hat es eine so schöne, durchsichtige, erbsengrüne Farbe, wie der reinste Chrysolith.
   Einen überraschenden Anblick genießt man von der Höhe, welche sich beinahe unmittelbar vor dem See Roxen erhebt. Plötzlich erschließt sich da ein mächtig großes Tal, das von den herrlichsten Wald- und Felspartien und anmutigen Hügeln durchwirkt ist und - zu den Füßen der See, der sich sehr ausdehnt, und dessen Arme weit in die Waldungen hineingreifen. - Die Abendsonne warf ihre letzten Strahlen auf ein Städtchen, das am See liegt und glänzend leuchteten die neuüberfirnißten Ziegeldachungen zu uns herauf.
   Während sich das Schiff durch die vielen Schleusen da hinabsenkte, besuchten wir die nahe Kirche des Örtchens Bretakloster, die in äußerst schön gearbeiteten, metallenen Särgen die Gerippe mehrerer Könige enthält.
   Wir fuhren dann noch über den See, der gewiß eine Meile breit ist und blieben die Nacht über am Eingang des Kanals, der uns am nächsten Morgen in einen Busen der Nordsee leiten sollte.
   8. September. Dieser Kanal ist einer der längsten; seine Umgebungen sind ziemlich hübsch, und das Tal, welches er durchschneidet, gehört zu den größeren. Das Städtchen Söderköping lehnt an hohen malerischen Felsgruppen, die sich weit verzweigen.
   Auch in Schweden sah ich jedes Tal, jedes Fleckchen Erde sorgfältig angebaut und kultiviert. Das Volk war im ganzen ziemlich wohl gekleidet und besaß zwar kleine, aber äußerst niedliche Häuschen, deren Fenster an den oberen Teilen sogar häufig mit netten, weißen Vorhängen drapiert waren. Ich besuchte mehrere solcher Häuschen, denn, während das Schiff durch die Schleusen ging, hatte man zu Spaziergängen und kleinen Ausflügen Zeit genug. - Ich glaube, daß man die ganze Reise von Gotenburg bis Stockholm zu Fuß in derselben Zeit zurücklegen könnte, wie mit dem Dampfschiffe. Täglich verliert man viele Stunden mit diesen Schleusen und muß sogar ihretwegen die Fahrt bei Nacht einstellen. Man rechnet die Entfernung auf 40-45 deutsche Meilen und bringt gewöhnlich 5 Tage auf der Reise zu.
   Erst des Nachmittags kamen wir in die Schären der Ostsee, welche ganz den Charakter jener der Nordsee an sich tragen. Man befindet sich in einem Meer von Inseln und Inselchen, von Felsen und Klippen; man begreift hier so wenig wie dort, wie es dem guten Steuermanne möglich ist, alle diese hervorragenden Klippen zu vermeiden, und das Schiff so sicher mitten durchzuführen. Überall teilt sich das Meer in Ströme und Buchten, in kleine und große Seen, die sich zwischen den Inseln und Waldungen bilden und von schönen Hügeln eingesäumt sind. - Nichts gleicht aber dem überraschenden Anblick des Schlosses Storry Husby, das in einer Bucht auf einem hohen Berge liegt. Vor dem Fels breitet sich ein schöner Wiesenteppich bis an die Ufer des Meeres aus, während er im Hintergrunde von herrlichem Tannengehölz umgeben ist. Und unweit von diesem niedlichen Bild taucht aus einem bewaldeten Inselchen ein Turm auf, als Rest der großen Ruine Stegeborg. Es ist nicht leicht möglich, etwas Romantischeres zu sehen, als die Zusammenstellung dieser Gegend, und überhaupt die ganze Fahrt in diesem Fjord, der in ewig wechselnden Gestaltungen dem Blicke erscheint.
   Doch nach und nach werden die Hügel niedriger, die Inseln seltener; das Meer drängt alles zurück, es scheint eifersüchtig zu sein, die Aufmerksamkeit des Reisenden mit so vielen anderen Gegenständen teilen zu müssen, es will sie allein besitzen und nimmt das Schiff in seine weiten Räume auf. Und nun ist man bald in der offenen See und sieht nur Himmel und Wasser, und bald ist man wieder von Felsen und Klippen derart eingeengt, daß man ohne Lotsen den Ausweg gar nicht finden könnte.
   9. September. Heute verließen wir das Meer und schifften durch einen sehr kurzen Kanal abermals in einen See, und zwar in den durch die Zahl seiner Inseln berühmten Mälar-See. - An seinem Eingang liegt das Städtchen Sotulje reizend in einem engen Tal am Fuße eines ziemlich steilen Hügels. - Dieser See gleicht anfangs eigentlich mehr einem breiten Strom, er erweitert sich jedoch bei jedem Ruderschlag und erscheint bald in ausgedehnter Größe. - Die Fahrt auf dem Mälarsee dauert 4 Stunden und ist eine der reizendsten, die man sich nur denken kann. - Dieser See soll bei 1.000 Inseln und Inselchen enthalten, man kann sich nun leicht vorstellen, wie in ewig wechselnden Gestaltungen und Formen dieser schöne Wasserspiegel erscheint, und wie er, gleich seinem Vorgänger, dem herrlichen Fjord der Ostsee, bald kleinere und größere Seen, bald Ströme und Buchten usw. bildet.
   Auch die Ufer sind sehr abwechselnd und schön. Bald ziehen Hügel und Berge bis knapp an den See, und steil abfallende Felsen bilden gefährliche Wände, bald erscheinen wieder dunkle, finstere Tannenwaldungen, oder es öffnen sich freundliche Täler mit Wiesen und Feldern, mit Dörfchen und Höfen. - Manche der Reisenden behaupten zwar, daß dieser See doch eigentlich nur ein ewiges Einerlei biete; ich konnte jedoch ihre Meinung nicht teilen, ich fand ihn so reizend, daß ich wohl unzählige Male darauf fahren könnte, ohne dieses lieblichen Einerleis überdrüssig zu werden. - Es hat zwar nicht die majestätischen Urngebungen der Schweizerseen, aber gerade seine Unzahl von Inselchen bildet eine Eigentümlichkeit, die man gewiß auf keinem andern See findet.
   Auf der Spitze eines steilen Abhanges, wie deren mehrere den See umgeben, ist eine hohe Stange errichtet, auf welcher der Hut des unglücklichen Eriks befestigt ist. Die Geschichte erzählt von diesem König, daß er in einer Schlacht vor dem Feind geflohen und hier von einem Soldaten ereilt worden sei, der ihm darüber Vorwürfe gemacht haben soll. Aus Scham und Verzweiflung gab er seinem Pferde die Sporen und stürzte sich mit ihm in die fürchterliche Tiefe. Bei diesem Sturz soll ihm der Hut vom Kopf geflogen und an dieser Stelle zurückgeblieben sein.
   Unweit dieses Punktes erblickt man nun endlich auch einen Teil der Vorstädte Stockholms, die sich um einen breiten Arm des Sees lagern. - Mit steigender Begierde aber sieht man nach der Stadt, von der sich immer mehr und mehr entfaltet. - Man sieht schon viele der artigen Landhäuser, die in kleinen Tälern oder auf Abhängen und Hügeln als Vorläufer der Stadt liegen, und die Vorstädte, die sich amphitheatralisch an den steilen Felsufern fortziehen. Die Stadt selbst macht den Schluß, sie nimmt das ganze obere Ende des Sees ein und reiht sich zu beiden Seiten an die Vorstädte. Schon von weitem sieht und bewundert man die Ritterholmer Kirche, mit ihren gußeisernen, durchbrochenen Türmen, und das wahrhaft grandiose königliche Schloß, das ganz im italienischen Stil erbaut ist.
   Kaum hatten wir im Hafen Stockholms Anker geworfen, so erschienen mehrere herkulische Weiber und boten uns, gleich Trägern, ihre Dienste an. Es waren Darlekarlerinnen; sie kommen häufig nach Stockholm, um daselbst als Last- und Wasserträgerinnen, als Kahnführerinnen usw. ihren Lebensunterhalt zu gewinnen. Man nimmt sie gerne in Dienst, weil sie zwei treffliche Eigenschaften besitzen; sie sollen nämlich höchst redlich und arbeitsam sein und dabei Kraft und Ausdauer gleich Männern besitzen.
   Ihre Tracht besteht in schwarzen Röcken, die bis an die halbe Wade reichen, roten Leibchen, weißen Hemden mit langen Ärmeln, kurzen schmalen Schürzen von zwei Farben, roten Strümpfen und Schuhen mit zollhohen hölzernen Sohlen. Um den Kopf schlagen sie entweder ein Tuch, oder sie setzen ein ganz kleines, anliegendes, schwarzes Häubchen auf, das nur auf dem Hinterkopfe sitzt.
   Man findet in Stockholm häufig sowohl ganze eingerichtete Wohnungen, als auch einzelne Zimmer, die, so wie im Gasthause, tagweise vermietet werden. Sie kommen bedeutend billiger und haben daher sehr vielen Zuspruch. Auch ich mietete mir gleich ein solches Zimmerchen, das recht nett und freundlich war, und für welches ich, den Morgenkaffee mit eingeschlossen, täglich nur 1 Reichstaler, das ist nach unserem Geld 32 kr., bezahlte.

 

Pfeiffer, Ida
Nordlandfahrt - Eine Reise nach Skandinavien und Island im Jahre 1845
Hrg. von Gabriele Habinger
Wien (Promedia) 1991
Originalausgabe: Reise nach dem skandinavischen Norden und Island im Jahre 1845
Pest 1846, 2 Bände

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