1817- Otto von Kotzebue
Freundlicher Empfang
Airick, Marshall-Inseln
Den 19ten Febr. waren wir um sechs Uhr Morgens unter Segel und verfolgten die Kette, welche aus lauter kleinen Inseln bestand, nach S; nachdem wir zehn Meilen zurückgelegt, bog sie plötzlich nach SO; wir entdeckten in dieser Richtung eine ziemlich große Insel und sahen jetzt, daß wir uns an der südöstlichen Spitze der Gruppe Kawen befanden, die hier ihre Richtung erst nach W, dann nach NW nimmt, und dadurch eine Bucht bildet. Ich richtete den Cours auf die größte Insel, die, wie wir später erfuhren, Airick heißt, und indem wir uns derselben näherten, wurden vom Mast aus, über den Riff weg, nach S wieder Inseln entdeckt, die wir bald für die Gruppe Aur erkannten. Um neun Uhr warfen wir die Anker sechzig Faden von der Insel Airick auf acht Faden Tiefe, und erkannten diesen Ankerplatz in jeder Rücksicht, als den vorzüglichsten. Airick hat ungefähr die Größe von Torua, gewährte aber einen lieblichern Anblick, als alle bis jetzt von uns besuchten Inseln. Das ganze Ufer war mit Palmen dicht besetzt, unter deren Schatten viele Wohnungen lagen; einige Böte segelten, andere lagen vor Anker und uns war, als befänden wir uns in einem stark besuchten Hafen. Da wir so nah am Lande lagen, so konnten wir jede Bewegung der Wilden bemerken, die sich haufenweise versammelten, um das wunderbar große Oa anzustaunen. Während wir das Schiff noch in Ordnung brachten, fuhren einige unserer Herren ans Land, und wir sahen, wie sie mit Palmenzweigen und Cocosnüssen empfangen wurden. Bald kehrte Chamisso entzückt von der guten Aufnahme zurück, und mit ihm kam ein Jüngling von achtzehn Jahren, den man ihm als Tamon vorgestellt, und dem das Volk auf mehreren Böten folgte, als es seinen jungen Chef abfahren sah. Wir hatten jetzt zahlreiche Gesellschaft und bekamen Cocosnüsse im Ueberfluß, wogegen das alte Eisen mit Entzücken empfangen ward. Der Tamon, welcher sich mir gleich vorstellen ließ, interessirte sich besonders lebhaft für alles was ihn umgab; ein alter Mann, der sein Mentor zu seyn schien, verließ ihn keinen Augenblick, und beide kamen endlich auf die Idee, die Länge und Breite des Schiffs nebst der Höhe des Mastes mit einer Schnur zu messen, die hierauf sorgfältig verwahrt ward. Als er zwei Herren auf der Schanze fechten sah, mußte man ihm auch ein Rappir geben, und er zeigte bei der Lection viel Gewandheit. Nachmittags setzte sich der Tamon zu mir ins Boot, und wir fuhren, begleitet von allen Canots ans Land, wo das Volk sich versammelte, um den Tamon des Schiffs anzusehen; mein junger Freund aber, der nicht von meiner Seite wich, führte mich gleich zu einer ältlichen Frau, die er mir als Königin der Insel und seine Mutter präsentirte; sie saß, umgeben von drei alten häßlichen Staatsdamen auf einer Matte vor einem hübschen Hause; ich mußte mich zu ihr setzen und das Volk schloß einen dichten Kreis um uns. Den Ehrenplatz gehörig schätzend, bot ich meine ganze Beredsamkeit auf, doch es war vergebens, ich erhielt keine Antwort, und so beweglich ihre Blicke auch an mir herumirrten, der königliche Mund blieb stumm. Ich gab endlich den Versuch, sie zum reden zu bewegen, auf, in der Ueberzeugung, daß ihr hoher Stand, ihr die Pflicht des Stillschweigens auferlegte, besonders da die Staatsdamen in grellem Gegensatz zu ihrer Gebieterin, unaufhörlich schnatterten. Ein Geschenk, das ich der Königin machte, ward zwar mit gütigem Kopfnicken angenommen, doch nicht von ihr berührt; die Staatsdamen nahmen es in Empfang, und nachdem mir die Gegengeschenke, welche aus Cocosnüssen und ein Paar Rollen Mogan bestanden, unter tiefem Schweigen zu Füßen gelegt waren, zog sich die Königin in ihr Haus zurück, und die Audienz hatte ein Ende. Jetzt führte mich der junge Tamon in ein auf vier Pfählen ruhendes, ziemlich großes Haus, wo ich eine Versammlung junger, geputzter Damen fand; eine derselben, die Schwester meines Begleiters, saß abgesondert; ich mußte mich zu ihr setzen, und wieder schloß das Volk einen Kreis um uns. Bei der Prinzessin ging es nicht so steif her, wie bei ihrer hohen Mutter; sie behauptete ihr Recht zu sprechen, und freuete sich sehr, wenn ich ihr etwas in ihrer Sprache sagte; auch das Volk durfte hier fröhlich seyn und Spaß treiben. Die Prinzessin veranstaltete, um mir die Zeit zu vertreiben, ein Pantomimenspiel mit Gesang, das von den Eingebornen Eb genannt wird. Zwei ihrer Gespielinnen setzten sich zu ihr, die eine schlug die Trommel und die andere fiel nur selten in den Solo-Gesang der Prinzessin ein, der aber einem wilden Geschrei glich. Der Name Totabu ward oft wiederholt, und ich bedauerte sehr, den Text nicht zu verstehen. Die Pantomime wäre vielleicht nicht übel gewesen, wenn sie nicht im Eifer Hals und Augen verdreht, und sich dermaßen wüthig geberdet hätten, daß ihnen der Schaum vor dem Munde stand. Ich schenkte der Prinzessin beim Abschiede ein seidenes Tuch und andere Kleinigkeiten, worüber sie so erfreuet war, daß sie mir ihren eigenen Muschelkranz verehrte. Das hohe Geschwisterpaar war noch nicht tatuirt; wahrscheinlich wird hier diese Operation nicht so früh vorgenommen, weil sie auf dieser Insel mit einem Mal, und nicht wie auf den Marquesas nur bei Wenigen vollbracht wird. Langedju sagte mir, daß man nach dem Tatuiren stark schwelle und viel Schmerzen leide, und wirklich muß dieser Schmerz empfindlich seyn; der Steuermann des Capt. Krusenstern, ein großer starker Mann, ward ohnmächtig, als er sich ein wenig den Arm tatuiren ließ. Ich glaube, daß das Tatuiren auf diesen Inselgruppen ein religiöser Gebrauch ist, wenigstens schlug man es mehreren unserer Herren in Otdia ab, mit der Versicherung, daß es nur in Eregup geschehen könne. Auf einem Spaziergange bin ich in meiner Meinung bestärkt worden, daß diese Insel eine der schönsten ist; man sieht hier nichts als Fruchtbäume und Taropflanzungen. Man sagte uns, daß die Insel, die wir in S gesehen, zu der Gruppe Aur gehöre; Kawen und Aur sind also nur zehn Meilen von einander entfernt.
Den 20sten Februar. Vom Morgen bis zum Abend war der Rurick mit Canots umringt, und mit neugierigen Wilden überfüllt; Nachmittags erschien auch die Prinzessin, der ich einige Geschenke auf ihr Boot schickte, weil sie sich nicht an Bord wagte. In W zeigte sich ein großes Boot, worauf sich 22 Menschen, Männer und Weiber, befanden; Geräthschaften aller Art ließen vermuthen, daß es sich auf einer langen Reise befand. Als es heran kam, trat der Chef der Insel Kawen, Labeleoa, ein Mann von sieben Fuß Länge an Bord, und überreichte mir eine Rolle Mogan; er sprach viel, und gab uns unter andern den Rath, nach Aur zu segeln, wo sich der Tamon Ellip (großer Chef) von Kawen befände. Es hatten sich viele Menschen auf dem Schiffe versammelt, die, ihre Uebermacht fühlend, sich ziemlich verwegen betrugen. Oft mußten wir der Zudringlichkeit unserer Gäste Einhalt thun, die nur durch die Vorstellung, daß wir überirdische Wesen wären, abgehalten wurden, sich alles was ihnen gefiel, mit Gewalt zuzueignen. Schon war es dunkel, und das Boot, das wir nach Wasser abgeschickt hatten, noch nicht zurück, als der Unteroffizier uns vom Lande zurief, er vermisse einen Matrosen. Da die Wilden sich nie bewaffnet zeigten, so hatte auch ich, kein Mißtrauen zu erregen, meine Leute immer unbewaffnet ans Land geschickt, worüber ich mir jetzt die bittersten Vorwürfe machte. Es ward sogleich ein bewaffnetes Boot ans Land geschickt, ich ließ zugleich eine Kanone lösen und eine Rakete steigen, und diese, den Wilden so schreckliche Erscheinung, that die erwünschte Wirkung. Kaum war der Schuß gefallen, so entstand auf der ganzen Insel ein furchtbares Geheul, das über eine viertel Stunde dauerte, und unterdeß kamen unsere Böte schon ganz im Finstern an. Der vermißte Matrose gestand offenherzig, daß Amor ihn auf Irrwege verlockt, das Mädchen ihn erst nach Sonnenuntergang habe beglücken wollen, und ihn bis dahin ins Innere der Insel in eine Hütte führte; hier versammelten sich mehrere Insulaner, die ihn nicht mehr fortließen; sie machten Feuer an und entkleideten ihn; wie vom Blitz getroffen aber fielen alle hin, als der Schuß geschah, und mein Matrose entkam glücklich.
Den 21sten Febr. Der gestrige Schreck wirkte heute noch nach, so daß sich niemand ans Schiff wagte, bis einige unserer Herren ans Land gefahren waren. Man hatte viel gefragt, was der Knall und der helle Schein bedeutet habe, und als ihnen gesagt wurde, daß ich bei der Gelegenheit einen Besuch im Himmel abgestattet hätte, so ward dadurch mein Ansehn auf der Erde noch einmal so groß, und sie betrugen sich sehr bescheiden. Da ich Airick morgen verlassen wollte, so machte ich heute noch einige Visiten, und wurde mit ausgezeichneter Achtung behandelt. Zu der alten Königin konnte ich nicht kommen, denn zwei mit Lanzen bewaffnete Schildwachen verweigerten mir den Eintritt. Der Prinzessin aber, und einigen Vornehmen durfte ich Geschenke machen, so viel es mir beliebte. Labeleoa veranstaltete einen Abschieds-Eb; drei Männer und drei Weiber; ließen sich in einen Halbkreis nieder, zwei Trommelschläger saßen vor ihnen; mit fürchterlichen Stimmen sangen sie die Worte: Totabu, Aidara, Möll! und jede Bewegung deutete auf mich. – Den Reiher sah ich bei den Hütten zahm, und am Ufer wild herum laufen, außerdem gibt es hier nur Strandläufer und eine Gattung Tauben. Die Ratten sind so dreist, daß sie, während die Wilden essen, sich das ihrige davon abnehmen.
Kotzebue, Otto von
Entdeckungsreise in die Südsee und nach der Bering-Straße zur Erforschung einer nordöstlichen Durchfahrt
Band 2, Weimar 1821