Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1787 - Jean-François de Lapérouse
Sachalin ist eine Insel!
De Kastries Bay, Sibirien

 

Den 28. [Juli] Abends, als sich der Nebel zerstreutet hatte, befanden wir uns an der tartarischen Küste, bey der Mündung einer Bay, die sehr tief zu seyn schien, und einen sicheren und bequemen Ankerplatz anbot; wir hatten gar kein Holz mehr und unser Wasservorrath hatte sehr abgenommen. Ich entschloß daselbst anzuhalten, und gab dem Astrolab das Signal voraus zu sondiren. Wir ankerten an der Nordspitze dieser Bay, um fünf Uhr des Abends. Als hierauf Herr de Langle sein Boot hatte aussetzen lassen, so sondirte er selbst diese Rhede, und berichtete mir, daß sie den bestmöglichen Standort hinter vier Inseln darböte. Es war an einem tartarischen Dorfe ausgestiegen, wo man ihn sehr gut aufgenommen hatte; er hatte einen Platz entdeckt, wo das klarste Wasser kascadenmäßig in unsere Schaluppen fallen konnte. Auf die Nachrichth des Herrn de Langle gab ich Befehl alles zum Einlaufen in die Bay mit Einbruch des Tages fertig zu machen; und wir ankerten darin des morgens um acht Uhr mit sechs Faden Schlammgrund. Diese Bay wurde die Bay Kastries genannt.
   Die Bay Kastries, in der wir soeben geankert hatten, liegt am Ende eines großen Meerbusens, zwey hundert Meilen weit von der Meerenge von Cangaar, das einzige Fahrwasser, durch welches wir aus den Japanischen Meeren gewiß heraus kommen konnten. Die Südwinde waren anhaltender, steter und hartnäckiger als in den andern Chinesischen Meeren. Sobald als wir vor zwey Ankern lagen, erhielten die Schaluppen der beiden Fregatten ihre besonderen Bestimmungen; sie waren unverändert dieselben während unseres ganzen Aufenthaltes. Die Schaluppe hohlte unser Wasser, das große Boot unser Holz; die kleinen Boote wurden den Herren Blondel, Bellegarde, Mouton, Bernizet und dem jüngeren Prevost gegeben, welche den Befehl hatten, die Bay aufzunehmen; unsere Jöllen, die nicht tief im Wasser giengen, wurden zum Lachsfang in einem kleinen Flusse bestimmt, unsere Biscayennen endlich dienten Herrn de Langle und mir, um auszulaufen und über diese verschiedenen Arbeiten die Aufsicht zu führen, und uns mit den Naturalisten nach allen Richtungen zu bringen, wo wir etwas beobachten konnten. Die erste Operation war die Berichtigung des Ganges unserer Seeuhren; und kaum waren unsere Segel eingereft, als schon die Herren Dagelet, Lauriston und Darbaud, ihre Instrumente auf einer Insel aufgestellt hatten, die in einer kleinen Entfernung von unseren Schiffen lag; ich gab ihr den Namen Observationsinsel. Diese mußte auch unseren Zimmerleuten das Holz liefern, daran wir sehr Mangel hatten. Eine mit Graden bezeichnete Stange wurde in des Wasser am Fuße des Observatoriums gesteckt, um die Höhe der Fluth zu wissen: der Quadrant und die Secunden-Pendul wurden an Ort und Stelle mit einer Thätigkeit gebracht, die eines bessern Erfolgs würdig war. Die astronomischen Arbeiten folgten ununterbrochen eine der andern; unser kurzer Aufenthalt erlaubte keinen Augenblick Ruhe. Der Morgen und Nachmittag wurden zu correspondierenden, die Nacht zu den Sternhöhen angewandt. Die Vergleichung des Ganges unserer Uhren war schon angefangen, unsere No.19 ließ uns wenig Ungewißheit […]
   Es ist kein Meer fruchtbarer an See-Tang (Fucus) verschiedenener Art als dieses, und der Pflanzenwuchs unserer schönsten Wiesen ist weder so grün noch so dicht bewachsen. Eine große Vertiefung, auf deren Ufer das tartarische Dorf lag, und die wir zuerst für tief genug hielten, unsere Schiffe aufzunehmen, weil die See hoch ging, als wir in der Bay ankerten, war zwey Stunden nichts mehr für uns als eine große Wiese von Seegras; man sah Lachse darauf springen, die aus einem Fluß kamen, dessen Gewässer sich in diesen Gräsern verloren, und von denen wir mehr als zwey tausend in einem Tage fingen.
   Die Einwohner, deren reichlichstes und sicherstes Nahrungsmittel dieser Fisch ist, sahen dem Erfolge unserer Fischerey ungerührt zu, ohne Zweifel, weil sie wußten, daß deren Menge unerschöpflich war.
   Wir stiegen am Fuße ihres Dorfes den andern Tag nach unserer Ankunft in der Bay aus; Herr de Langle war uns dahin vorausgegangen, und seine Geschenke verschafften uns bald Freunde.
   Man kann in keinem Welttheile eine Völkerschaft von bessern Menschen antreffen. Der Anführer oder der Älteste kam mit einigen andern Einwohnern auf den Strand uns zu empfangen. Er warf sich auf die Erde nieder, indem er uns auf chinesische Art grüßte, und führte uns hierauf in seine Hütte, wo seine Frau, seine Schwiegertöchter, seine Kinder und Enkel waren. Er ließ eine reine Matte ausbreiten, auf welcher er uns niederzusetzen nöthigte, dann wurde ein kleines Korn, daß wir nicht näher kennen lernten, in einen großen Kessel geworfen, der über dem Feuer mit einem Lachs stand, der uns vorgesetzt werden sollte. Dieses Korn ist ihr köstlichstes Gericht; sie gaben uns zu verstehen, daß es aus dem Lande Mantschu komme; sie gaben diesen Namen ausschließlich den Völkerschaften, die sieben oder acht Tagereisen weit an dem Fluße Sagalien [Sachalin] hinauf wohnen, und die geradewegs mit den Chinesen zu thun haben. Sie gaben durch Zeichen zu verstehen, daß sie von der Nation der Orotschys wären; und indem sie uns vier fremde Pirogen zeigten, die wir den nämlichen Tag in der Bay hatten ankommen sehen, und die bey ihrem Dorfe angehalten hatten, nannten sie solche die Equipage der Bitchy; sie bezeichneten uns, daß diese letztern südlicher wohnten, aber vielleicht weniger als sieben oder acht Meilen weit, denn diese Nationen, so wie die canadischen, ändern Namen und Sprache bey jedem Flecken.
   Diese Fremden, von denen ich in der Folge dieses Kapitels mehr reden werde, hatten Feuer auf dem Sande am Ufer des Meeres bey dem Dorfe der Orotchy gemacht; sie kochten daselbst ihr Korn und ihren Fisch in einem großen eisernen Kessel, der an einem Haken von demselben Metall auf einem Dreyfuß hing, welcher von drey zusammen gefügten Stäben gemacht war. Sie kamen vom Fluße Sagalin, und brachten nach ihrem Lande Nankin und Korn zurück, das sie wahrscheinlich gegen Thran, getrocknete Fische und vielleicht gegen einige Bären und Elenshäute eingetauscht hatten; die einzigen vierfüßigen Thiere nebst den Hunden und Eichhörnchen, deren abgestreifte Felle wir sahen.
   Dieses Dorf der Orochty bestand aus vier Hütten, die fest aus Fichtenstämmen nach ihrer ganzen Länge in den Ecken gut eingefügt waren; ein ziemlich gut gearbeitetes Spaarwerk trug das Dach, das aus Baumrinde bestand. Eine Bank, wie in den Hütten der Insel Sagalien, lief rings in dem Zimmer herum; und der Heerd war gleichfalls in der Mitte unter einer ziemlich geräumigen Öffnung angebracht, die dem Rauche den Ausgang verschaffte. Wir hatten Ursache zu glauben, daß diese vier Hütten vier verschiedenen Familien gehörten, die unter sich in dem engsten Verein und der vollkommensten Vertraulichkeit leben. Wir sahen eine dieser Familien eine etwas lange Reise antreten; denn in den fünf Tagen, die wir in der Bay verbrachten, wurde sie nicht wieder sichtbar. Die Eigenthümer setzten einige Bretter vor die Hausthür, um den Hunden den Eingang zu verwehren, und ließen die Hütte mit ihren Habseligkeiten stehen. Wir wurden bald dergestalt von der unverletzlichen Treue dieser Leute, und der fast religiösen Achtung, die sie für das Eigenthum haben, überzeugt, daß wir in ihren Hütten und unter dem Siegel ihre Rechtschaffenheit, unsere Zeuge, Korallen, Eisengeräthe, und überhaupt alles, was zu unserem Tausch gehörte, in angefüllten Säcken in ihren Hütten ließen, ohne daß sie je unser Vertrauen missbraucht hätten; und wir reiseten aus dieser Bay mit der Überzeugung ab, daß die Einwohner das Verbrechen des Diebstahls nicht kannten.
   Jede Hütte war von einer Lachsdarre umgeben, die auf Stangen der Sonnenhitze ausgesetzt wurden, nachdem sie drey oder vier Tage um den Heerd in der Mitte der Hütte geräuchert waren; die Weiber, denen diese Arbeit obliegt, besorgen, daß sie, wenn sie von Rauch durchdrungen sind, in die freye Luft gehängt werden, wo sie wie Holz eintrocknen.
   Sie fischten in dem Fluße, wo wir gefischt hatten, mit Netzen oder Harpunen; und wir sahen sie mit einer eckelhaften Gier die Schnauze, die Kiefern, die kleinen Knöchelchen und bisweilen die ganze Haut des Lachses, die sie mit viel Geschicklichkeit abzuziehen wissen, roh essen; sie saugen den zähen Schleim dieser Theile aus, so wie wir eine Auster verschlucken. Die mehrsten ihrer Fische kamen nur abgehäutet zu ihrer Wohnung, ausgenommen wenn der Fang sehr reichlich gewesen war: dann hohlten die Weiber mit der nämlichen Begierde die ganzen Fische, und verschlangen auf eine ebenso eckelhafte Art die schleimigten Theile derselben, die ihnen die auserlesensten Gerichte zu seyn schienen. In der Bay Kastries lernten wir den Gebrauch des bleyernen oder knöchernen Wulstes kennen, den diese Leute, so wie auf der Insel Sagalien, wie einen Ring am Daumen trugen; er dient ihnen zur Strebe oder zum Gegenhalt bey der Zerschneydung und Häutung des Lachses durch ein scharfes Messer, das sie alle an ihrem Gürtel hängend tragen.
   Ihr Dorf war auf einer niedrigen und sumpfigen dem Nordwinde ausgesetzten Landspitze gebauet, und schien uns im Winter unbewohnbar zu seyn; aber gegen über auf der anderen Seite des Busens, auf einer erhabeneren Stelle, gegen Mittag und am Eingang eines Gehölzes, war ein zweytes Dorf, das aus acht Hütten bestand, die größer und besser als die ersten gebauet waren. Nicht weit davon entfernt, besuchten wir drey Jurten, oder unterirdische Häuser, die durchaus denen der Kamtschadalen glichen, die in der letzten Cookschen Reise beschrieben sind. Sie waren geräumig genug, während der Strenge des Winters, die Einwohner von sieben Hütten zu fassen: Endlich fand man auf einem der Flügel dieses Dorfes mehrere Gräber, die besser gebauet und eben so groß wie die Häuser waren, jedes derselben schloß drey, vier oder fünf Särge in sich, die sauber gearbeitet, und mit Chinesischen Stoffen ausgeschmückt waren; unter diesen bemerkten wir einige Stücke Brocat, Bogen, Pfeile Netze, und überhaupt die schätzbarsten Meubeln dieser Leute, waren in dem Innernen dieser Denkmähler aufgehangen; die hölzerne Thür war mit einem Riegel verschlossen, den an beyden Enden zwei Krampen hielten.
   Ihre Häuser waren mit Geräthschaften wie ihre Grabmähler versehen, nichts von dem, was sie gebrauchen, war weggenommen: Kleidungsstücke, Pelze, Schneeschuhe, Bogen, Pfeile, Picken, alles war in diesem Dorfe geblieben, das sie nur in der schlimmsten Jahreszeit bewohnen. Den Sommer bringen sie auf der anderen Seite des Busens zu, woher sie uns in die Hütten gehen, selbst in die Grabmähler hinabsteigen sahen, ohne uns dahin zu begleiten; ohne die geringste Furcht zu zeigen, es möchten ihre Hausgeräthe entwendet werden.
   Es erhellet, daß wir die Orotchys nur in ihren Landhäusern besucht hatten, wo sie Lachse fingen, die wie das Getraide in Europa, die Grundlage ihres Unterhalts ausmacht. Ich sah bey ihnen so wenig Elensfelle, daß ich fast glaube, die Jagd kann dort nicht ergebig seyn. Auch rechne ich einige Wurzeln der gelben Lilie oder Saranne zu ihrer Nahrung, welche die Weiber an den Gränzen der Gehölze ausreißen, und bey ihrem Heerde trocknen. Man hätte denken sollen eine so große Menge Gräber, denn wir fanden derselben auf allen Inseln, und in allen Bayen, wären Zeichen einer neuerlichen Epidemie, die in diesen Gegenden gewüthet, und die gegenwärtige Nation auf eine sehr geringe Menschenzahl herabgebracht hätte; allein wahrscheinlicher Weise waren die verschiedenen Familien, aus denen diese Nation besteht, in den benachbarten Buchen zerstreuet, um daselbst Lachse zu fangen, und zu trocknen. Nur im Winter versammeln sie sich wieder, und bringen alsdann ihren Fischvorrath mit, um bis zur Rückkehr der Sonne leben zu können. Vielleicht vermag auch religiöse Achtung dieser Leute für die Grabmähler ihrer Vorfahren dieselbe zu unterhalten, auszubessern, und auf mehrere Jahrhunderte hindurch die unvermeidliche Wirkung der Zeit zu verspäten. Eine äußere Verschiedenheit unter den Einwohnern habe ich nicht wahrgenommen. Nicht so ist es mit den Todten, deren Asche auf eine mehr oder minder prächtige Art, je nach ihrem Vermögen ruht; wahrscheinlich reicht die Arbeit eines langen Lebens kaum zu den Kosten eines dieser theuren Mausoleen hin, die jedoch nur eine relative Pracht haben, und von denen man sich einen sehr falschen Begriff machen würde, wenn man sie mit den Monumenten civilisirter Völker vergleichen wolle. Die Leichname der ärmsten Einwohner werden in die freye Luft in einem Sarge gesetzt, der auf einem Gerüste steht, das von vier Fuß hohen Pfählen getragen wird; aber bey allen sieht man ihre Bogen, Pfeile, Netze und einige Stücken Zeug; und sie wegzunehmen würde wahrscheinlich ein Kirchenraub seyn.
   Diese Völkerschaften scheinen so wie die der Insel Sagalien, kein Oberhaupt zu erkennen und keiner Regierung unterworfen zu seyn. Die Sanftheit ihrer Sitten, ihre Achtung für die Alten, können diese Anarchie bey ihnen unschädlich machen. Wir sind nie Zeugen auch nur des kleinsten Zwistes gewesen. Ihre gegenseitige Zuneigung, ihre Zärtlichkeit gegen ihre Kinder, gaben unseren Augen ein rührendes Schauspiel; aber unsere Empfindungen empörten sich bey dem Gestank des Lachses, womit ihre Hunde, obgleich sonst sehr sanft und freundlich, leckten und verschlangen diese Überbleibsel. Dieses Volk ist bis zum Empören unreinlich und stinkend; vielleicht giebt es kein schwächeres Volk in Hinsicht auf die Leibesbeschaffenheit, noch von einer Gesichtsbildung, die weiter von den Formen entfernt ist, an die wir die Idee des Schönheit knüpfen: ihr mittlerer Wuchs ist unter vier Fuß zehn Zoll; ihr Körper schmächtig, ihre Stimme schwach und schreyend wie die der Kinder; die Augenknochen stehen hervor; die Augen sind klein und triefend, und diagonal geschnitten; der Mund ist groß, die Nase eingedrückt, das Kinn kurz, fast ohne Bart, und die Haut olivenfarbig mit Thran und Rauch überfirnißt. Sie lassen ihre Haare wachsen, und flechten sie beynahe wie wir. Bey den Weibern fallen sie getheilt auf die Schultern, und das Gemählde, das ich eben entworfen habe, paßt sowohl auf ihre als der Männer Bildung, von denen sie zu unterscheiden schwer seyn würden, wenn nicht ein leichter Unterschied in der Kleidung, und eine Brust, die durch keinen Gürtel eingezwängt ist, ihr Geschlecht anzeigen; indessen sind sie doch keiner erzwungenen Arbeit unterworfen, welche, wie bey den amerikanischen Indiern so sehr die Zierlichkeit ihrer Züge verändern müßte, wenn die Natur sie mit diesem Vorzuge ausgestattet hätte. Alle ihre Sorgen beschränken sich auf das Zuschneiden und Nähen ihrer Kleider, die Fischer zum Trocknen auszulegen, und ihre Kinder zu warten, denen sie die Brust bis zum dritten oder vierten Jahre geben; mein Erstaunen war groß, eines von diesem Alter zu sehen, das, nachdem es einen kleinen Bogen gespannt, einen Pfeil ziemlich gut abgeschossen, einen Hund mit dem Stock geschlagen hatte, sich an die Brust seiner Mutter warf, und daselbst die Stelle eines Kindes von fünf bis sechs Monaten einnahm, das auf ihrem Schooße eingeschlafen war.
   Dieses Geschlecht scheint unter ihnen eine ziemlich große Achtung zu genießen. Sie haben nie einen Handel mit uns ohne die Zustimmung ihrer Weiber geschlossen; die silbernen Ohrgehänge, und das kupferne Geschmeide, das ihre Kleider zu schmücken diente, sind bloß Eigenthum der Weiber und Schwiegertöchter. Die Männer und kleinen Knaben tragen ein Kamisol aus Nankin, Hunde- oder Fischfell, das den Schnitt der Fuhrmanns- oder Kärnerhemden hat. Geht dasselbe bis über das Knie hinunter, so haben sie keine Hosen an. Im entgegengesetzten Fall tragen sie chinesische Beinkleider, die bis auf die Wade fallen. Alle haben Stiefel aus Seewolfsfellen, aber diese heben sie für den Winter auf; und tragen zu jeder Zeit und in jedem Alter, selbst noch an der Brust, einen ledernen Gürtel, an welchem ein Messer in einer Scheide, ein Feuerzeug, ein kleiner Tobackbeutel und eine Pfeife hängen.
   Die Tracht der Weiber ist etwas verschieden; sie sind in einen weiten Rock von Nankin, oder Lachshaut gehüllet, welche sie vollkommen zu gerben und äußerst weich zu machen verstehen. Dieses Kleidungsstück geht ihnen bis auf die Fußknöchel herab, und ist bisweilen mit einer Frange von kleinen kupfernen Zierrathen besetzt, die wie ein Schellengeläute klingen. Die Lachse, deren deren Haut ihnen zur Kleidung dient, werden nicht im Sommer gefischt und wiegen dreyßig bis vierzig Pfund. Die, welche wir im Julius gefangen hatten, waren bloß drey bis vier Pfund schwer; aber ihre Zahl und Wohlgeschmack vergüteten diesen Nachtheil: wir alle glauben nie bessere verspeiset zu haben. Von der Religion dieses Volkes können wir nichts sagen, da wir weder Tempel noch Priester gesehen, vielleicht aber einige grob geschnitzte Götterbilder, die an der Decke ihrer Hütten aufgehangen waren: sie stellen Kinder, Arme, Hände, Beine dar, und glichen gar sehr den Weihgeschenken von unsern Dorfkirchen. Es wäre möglich, daß diese Bildnisse, die wir unrecht für Götzenbilder hielten, ihnen nur zum Andenken eines von Bären gefressenen Kindes, oder eines von diesen Thieren verwundeten Jägers dienten: indeß ist es nicht wahrscheinlich, daß ein so schwächliches Volk frey von Aberglauben seyn sollte. Wir vermutheten, daß sie uns bisweilen für Zauberer hielten; sie antworteten ängstlich, obwohl höflich, und wenn wir Charaktere auf das Papier hinzeichneten, so schienen sie die Bewegungen der schreibenden Hand für magische Zeichen anzusehen, und weigerten sich, auf das, was wir fragten, zu antworten, indem sie zu verstehen gaben, daß dieß was Böses sey. Nur mit der äußersten Schwierigkeit und Geduld gelang es Herrn Lavaux, Oberchirurgus des Astorolabs, das Wörterbuch der Orotchy und Bitchy zu Stande zu bringen. Unsere Geschenke konnten ihre Vorurtheile in diesem Punkte nicht besiegen; sie nahmen sie selbst mit Widerwillen an, und wiesen sie hartnäckig zurück. Ich glaubte zu bemerken, daß sie vielleicht mehr Delikatesse in der Art sie ihnen anzubiethen verlangten, und um zu erfahren, ob diese Vermuthung gegründet wäre, setzte ich mich in eine ihrer Hütten und gab, nachdem ich zwey kleine drey oder vierjährige an mich gezogene Kinder geliebkost hatte, denselben zwey Stück rosenrothen Nankin, den ich in meiner Tasche hatte. Ich las in den Augen der ganzen Familie eine lebhafte Zufriedenheit; und ich bin gewiß, daß sie dieses Geschenk würden ausgeschlagen haben, wenn ich es ihnen geradezu gemacht hätte. Der Mann ging zur Hütte hinaus und kam bald darauf mit seinem schönsten Hunde zurück, den er mich anzunehmen bat; ich schlug es aus und suchte ihm begreiflich zu machen, daß er ihm nützlicher als mir wäre, aber er bestand darauf; und da er sahe, daß dieß nichts half, ließ er die beyden Kinder herkommen, die den Nankin erhalten hatten, und gab indem er ihre beyden kleinen Händchen auf den Hund legte, mir zu verstehen, daß ich es seinen Kindern nicht abschlagen dürfe. Eine solche Delikatesse in den Manieren kann nur bey einen sehr kultivirten Volke statt finden. Ich glaube die Feinheit einer Nation, die weder Viehzucht noch Ackerbau hat, kann nicht weiter gehen. Ich muß anmerken, daß Hunde ihr schätzbarstes Gut sind: sie spannen sie an kleine sehr leichte und gut gearbeitete Schlitten, die vollkommen denen der Kamtschadalen gleichen. Diese Art Wolfshunde sind stark, obgleich nur von mittlerer Größe, äußerst gelehrig, sehr sanft, und scheinen den Charakter ihrer Herren zu haben; während die von Port des François [an der Südküste Alaskas] viel kleiner, wilder und grimmiger waren. Ein Hund aus diesem Hafen, den wir mitgenommen und mehrere Monathe an Bord gehabt hatten, wälzte sich in dem Blute, wenn ein Ochse oder Hammel geschlachtet wurde; schoß auf die Hühner wie ein Fuchs und hatte mehr die Eigenschaften eines Wolfes als eines Haushundes. Es fiel in der Nacht ins Meer bey einem starken Schwanken, und vielleicht von einem Matrosen hinabgestoßen, dessen Portion er aufgefressen hatte.
   Die Reisenden, welche in vier Pirogen vor dem Dorfe auf dem Strande lagen, hatten unsere Neugierde eben so wie ihr Land der Bitchy, im Süden der Bay Kastries rege gemacht. Wir wandten alle unsere Geschicklichkeit an, um sie über die Geographie des Landes auszufragen; wir zeichneten die tartarische Küste auf das Papier, den Fluß Sagalien, die Insel dieses Namens, welche sie auch Tchoka nennen, derselben Küste gegen über, und ließen eine Durchfahrt zwischen beyden. Sie nahmen uns den Bleistift aus den Händen, und verbanden durch einen Strich die Insel mit dem festen Lande; als sie hierauf ihr Pirogen auf den Sand stießen, so gaben sie zu uns zu verstehen, daß nachdem sie aus dem Fluße herausgekommen wären, sie ihre Fahrt nach der Sandbank gerichtet, die die Insel mit dem festen  Lande vereinigt, und die sie eben gezeichnet hatten; hierauf rissen sie das Gras vom Boden des Meeres aus, mit dem, wie ich schon gesagt habe, der Boden der Bay bedeckt war, pflanzten dasselbe in den Sand, um auszudrücken, daß auch Seegras auf der Bank wäre, vor der sie vorüber gefahren wären. Diese Nachricht von der Sandbank, welche vielleicht die Insel Sagalien dereinst mit der tartarischen Küste vereinigen kann, entsprach so sehr unsern Erfahrungen, weil wir dort nur eine Tiefe von sechs Faden gefunden hatten, daß wir ihrer Aussage beypflichten mußten. Um diese Erzählung mit den Nachrichten der Bewohner in Langle-Bay zu vereinigen, ist es genug, daß bei hoher See an einigen Stellen der Sandbank Öffnungen von drey oder vier Fuß Wasser bleiben, was mehr als hinreichend für ihre Pirogen ist. Das die indeß eine interessante Frage war, welche sie mir nicht detaillirt genug beantworteten, so gieng ich den andern Tag ans Land, und suchte durch Zeichen von ihnen nähere Auskunft zu erhalten, aber vergebens. Endlich trugen wir Herrn Lavaux, der einen besondern Scharfsinn sich auszudrücken und fremde Sprachen zu verstehen hatte auf, neue Untersuchungen anzustellen. Er fand die Bitchy ohne Abweichung in ihrer Erzählung: und nun gab ich den Entwurf auf, eine Schaluppe bis in das Innerste des Busens zu schicken, der von der Bay Kastries nicht weiter als zehn oder zwölf Meilen entfernt seyn mußte. Über das würde dieser Plan große Unbequemlichkeiten gehabt haben: der kleinste Südwind macht das Meer in dem Innern dieser Enge dergestalt hoch gehen, daß ein Schiff ohne Verdeck Gefahr läuft, von den Wogen bedeckt zu werden, die sich oft wie an einer Sandbank brechen; über das machten die beständigen Nebel und der beständige Wind die Zeit der Rückkehr der Schaluppe sehr ungewiß, und wir hatten keinen Augenblick zu verlieren; anstatt also die Schaluppe auszuschicken, um einen geographischen Punkt aufzuklären, über welchen mir kein Zweifel mehr übrig seyn konnte, nahm ich mir vor, die Thätigkeit zu verdoppeln, um endlich wieder aus dem Meerbusen zu kommen, in welchem wir seit drei Monaten schifften, den wir beynahe bis zu seinem Innersten erforscht, den wir mehrere Mahle in jedem Sinn befahren und beständig so wohl zu unserer Sicherheit als auch den Geographen keinen Wunsch übrig zu lassen sondiret hatten. Das Senkbley allein konnte uns mitten in den Nebeln, in die wir so lange verhüllt waren, leiten; wenigstens ermüdeten sie unsere Geduld nicht, und wir ließen keinen Punkt von beyden Küsten unaufgenommen. Nur ein interessanter Punkt blieb uns noch aufzuhellen übrig, nemlich die mittägliche Spitze der Insel Sagalien, die wir bloß bis zur Bay Langle 47 Gr. 49 Min. kannten. Ich gestehe, daß ich vielleicht diese Arbeit andern überlassen hätte, wenn es mir möglich gewesen wäre, aus dem Canale heraus zu gehen, da die Jahreszeit vorwärts rückte, und ich mir die äußerste Schwierigkeit vorstellte, zweyhundert Meilen gegen den Wind in einem so engen und nebelvollen Canale, wo die Südwinde so beständig herrschen, zu segeln. Zwar wußte ich aus der Erzählung des Schiffs Kastrikum, daß die Holländer Nordwinde im Monat August gehabt hatten: aber man muß bemerken, daß sie an der Ostküste ihres vorgeblichen Landes Jesso [Hokkaido] schifften; wir uns im Gegentheil zwischen zwei Ländern befanden, deren Eckpunkte in dem Meeren des Passatwindes waren, und dieser auf den chinesischen und koreischen Küsten bis zum Monat Oktober herrschet.
   Zur Abreise hatte ich den zweyten August bestimmt, und die Zeit, welche uns bis dahin übrig blieb, wurde angewandt, einige Krümmungen der Bay nebst den verschiedenen Inseln zu untersuchen, welche diesen Meerbusen bilden. Unsere Naturkundigen durchstrichen ihre Ufer nach den Seiten, die unsere Neugier zu befriedigen schienen. Herr de Lamannon selbst, der eine lange Krankheit ausgestanden hatte, und mit dessen Wiedergenesung es sehr langsam ging, wollte uns begleiten. Die Lava und andere vulcanischen Überbleibsel, aus denen diese Insel, wie er hörte, gebildet wären, ließen ihm nicht zu, an seine Schwäche zu denken. Er fand mit dem Abbé Mongés und dem Pater Receveur, daß der größte Theil dieser Substanzen, rothe, dichte Basalete oder poröse Lava graue Basalte in Tafeln oder Kugeln, und endlich Trapp wären, die vom Feuer unangegriffen schienen. Es fanden sich verschiedene Crystallisationen unter diesen vulcanischen Producten, deren Ausbruch für sehr alt beachtet wurde. Die Crater der Vulkane konnten sie nicht entdecken: dazu wäre ein Aufenthalt von mehreren Wochen nötig gewesen.
   Herr de la Martinière durchstrich, mit seiner gewöhnlichen Thätigkeit die Küsten, folgte dem Lauf der Flüße, um an ihren Ufern neue Pflanzen zu suchen, aber er fand blos dieselben in geringer Menge, die er in den Bayen Ternai und Suffren angetroffen hatte. Der Pflanzenwuchs war ohngefähr so beschaffen als man ihn bey Paris gegen den 15ten May sieht: die Erd- und Himbeeren waren noch in der Blüthe, die Johannisbeeren fiengen an sich zu röthen; und der Sellerie sowie die Kresse waren selten. Glücklicher waren unsere Muschelkenner; sie fanden äußerst schöne schwarze geblätterte Austern, die aber so fest an den Klippen hingen, daß es viel Geschicklichkeit bedurfte, sie davon zu lösen; ihre Blätter  waren so dünne, daß es uns sehr schwer wurde, einige ganz zu behalten; auch fingen wir bey einem Netzzuge einige schönfarbige Trompeten, Purpurschnecken und kleine Muscheln von der gemeinsten Art, so wie auch verschiedene andere.
   Unsere Jäger schossen mehrere Wasserhühner, wilde Enten, Seeraben, Ackermännchen, weiße und schwarze Bachstelzen, und einen kleinen azurblauen Fliegenschnäpper, den wir von keinem Ornithologen beschrieben fanden; aber alle diese Arten waren nicht häufig. Die Natur aller lebendigen Wesen ist in diesen Gegenden wie erstarrt, fast immer wie Eis, und die Familien sind nicht zahlreich. Der Meerrabe, die Möwe, und die andern Seevögel, die unter einem glücklichern Himmel in Gesellschaft zusammen leben, leben hier einsiedlerisch auf den Gipfeln der Felsen. Eine betrübte finstere Trauer scheint auf der Seeküste und in den Gehölzen zu herrschen, die nur von dem Gekrächze einiger Raben ertönen, und den weißköpfigen Adlern und anderen Raubvögeln zum Zufluchtsort dienen. Die Mauer- und Uferschwalben scheinen einzig in ihrem wahren Vaterlande zu seyn: man sah sie unter allen Felsen, die sich über das Meer hinwölben, fliegen und nisten. Ich glaube der über die Erde am allergemeinsten verbreitete Vogel ist die Rauch- oder Uferschwalbe, indem ich die eine oder andere in allen Ländern antraf, wo ich nur landete.
   Ob ich gleich nicht in der Erde habe graben lassen, so glaube ich doch, daß sie im Sommer bis auf eine gewisse Tiefe gefroren bleibt, weil das Wasser an dem Orte, wo wir unsere Fässer füllten, nur anderthalb Grad Wärme über den Gefrierpunkt hatte, und die Temperatur des laufenden Wassers, das man mit einem Thermometer beobachtete, nie über vier Grade stieg: doch blieb das Quecksilber beständig auf fünfzehn Grad, selbst in der freyen Luft. Diese Wärme von kurzer Dauer dringt gar nicht ein; sie beschleunigt bloß den Pflanzenwuchs, die in weniger als drey Monathen entstehen und absterben müssen, und vermehrt in kurzem die Fliegen, Mücken, und andere lästige Insekten ins Unendliche.
   Die Eingebohrnen bauen keine Pflanze an; und doch scheinen sie Vegetabilien zu lieben: das Korn der Mantschu, das vielleicht eine kleine gereinigte Hirse sein könnte, ist ein Leckerbissen für sie. Sie sammeln sorgfältig verschiedene wildwachsende Wurzeln, die sie zu ihrem Wintervorrat trocknen, unter andern die der gelben Lilie oder Saranne, die eine wahre Zwiebel ist. Weit unter den Einwohnern der Insel Sagalien, in Ansehen ihrer physischen Constitution und ihres Erwerbfleisses, machen sie keinen Gebrauch von dem Weberschiffchen, wie die letztern; und sind mit nichts als den gemeinsten chinesischen Stoffen und den Fellen einiger Landthiere oder Seewölfe bekleidet.
   Wir schlugen einen dieser letztern mit Stöcken todt; unser Gärtner, Herr Collginon, fand ihn am Seeufer schlafend; er war in nichts von denen auf der Küste Labrador und der Hudsonsbay verschieden. Dieser Fund war für ihn von einem unglücklichen Ereigniß begleitet: ein Platzregen hatte ihn in dem Gehölz ereilt, als er daselbst europäisches Getraide aussäte, er wollte Feuer anmachen, um sich zu wärmen, und nahm unvorsichtiger Weise Pulver, es anzuzünden; das Feuer ergriff sein Pulverhorn, das er in der Hand hielt, die Explosion zerbrach ihm den Daumknochen, und er wurde so gefährlich verwundet, daß er die Erhaltung seines Arms nur der Geschicklichkeit des Herr Rollin, unseres Ober-Chirurgus, verdankte. Ich ergreife hier die Gelegenheit zu bemerken, daß Herr Rollin, der seine Sorgfalt über jedes Glied unserer Gesellschaft erstreckte, sich besonders derer annahm, die der besten Gesundheit zu genießen schienen: Er hatte bey mehreren einen Ansatz von Scorbut bemerkt, der sich durch Geschwulst am Zahnfleische und an den Beinen ankündigte; dieses Symptom hatte sich am Lande entwickelt; er würde einen Aufenthalt von zwey Wochen  verlangt haben; aber bey der Bay Kastries konnten wir so lange nicht bleiben; wir schmeichelten uns also, daß die Würze von Malz, unser Vorrat von Sprucetannen, oder ein Aufguß von Chinarinden, mit Wasser vermischt, diese schwachen Symptome der Mannschaft zerstreuen und uns die Zeit gönnen würde, einen Ruheplatz abzuwarten, wo es uns möglich wäre länger zu verweilen.
   Den 2ten August, wie ich angekündigt hatte, giengen wir mit einem schwachen Westwinde unter Segel

 

La Pérouse, Jean- François de Galaup
Entdeckungsreise in den Jahren 1785, 1786, 1787 und 1788
Band 2, Leipzig 1799

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