Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1817 - Otto von Kotzebue
Spanische Gastfreundschaft
Guam

 

Um fünf Uhr waren wir mitten in dem Hafen la Caldera de Apra. Hier fanden wir schon einen Abgesandten des Gouverneurs von Agadna vor, der in einem sehr artigen Schreiben mich nebst allen meinen Herren in die Stadt einlud, und uns schon Maulthiere entgegen geschickt hatte, die uns am gegenüber liegenden Ufer der Insel Appapa bei dem Flecken Piti erwarteten. Ich nahm die Einladung mit Vergnügen an, überließ es dem Lieutenant Schischmareff, neben der Festung St. Cruz, die auf einer kleinen Insel im Hafen liegt, vor Anker zu gehen, und fuhr in Gesellschaft unserer Gelehrten und Herrn Wilsons ans Land. Wir hatten bis zum Flecken Piti 1¾ Meile zu rudern, weil man wegen der Untiefen viele Krümmungen machen muß, sahen einen kleinen Zweimaster vor Anker liegen, der dem Gouverneur gehörte, und außerdem kein anderes Schiff im Hafen. Wilson, der Steuermann des erwähnten Zweimasters, versicherte, daß oft Jahre vergingen, in denen hier kein Schiff einliefe. Die Sonne war im Untergehen, als wir bei Piti landeten, und von hier gingen wir nach dem daneben liegenden Dorfe Massu, wo uns die Maulesel erwarteten; mir hatte der Gouverneur sein Pferd, das einzige auf der ganzen Insel, geschickt. Da wir noch 3½ Meile bis nach Agadna vor uns hatten, so war keine Zeit zu verlieren; ich schwang mich auf mein Roß, die andern Herren bestiegen ihre Maulesel, und wir ritten in der heitersten Laune davon. Die Gegend war sehr reizend, und erschien uns nach der langen Seereise wie ein Paradies; und zugleich wirkte die Luft mit ihren Wohlgerüchen so wohlthätig auf uns, daß wir uns alle durch sie gestärkt fühlten. Anson schildert die Insel Tinian, die er nach einer langen, beschwerlichen Fahrt in einem kränklichen Zustande erreichte, als eine der herrlichsten auf der Welt. Wäre er hier gelandet, so hätte man ihm diese Behauptung nicht abstreiten können, wie es bei Tinian von andern Seefahrern geschah.
  Das Dorf Massu besteht aus ungefähr fünfzehn Häusern, die in gerader Linie hingebaut sind, deren Zwischenräume Gärten einnehmen. Die Bauart derselben ist von allen, die wir während unserer Reise sahen, verschieden. Das Häuschen, welches 3 bis 10 Quadrat-Fuß Flächeninhalt hat, ruht auf vier Säulen, fünf Fuß über der Erde erhöht; die Dielen und Wände des Hauses sind aus Bambusstäben zusammengesetzt, die so undicht neben einander stehen, daß man überall die Hand durchstecken kann, wodurch die ganze Wohnung das Ansehen eines Käfigs erhält, in den man nicht hineinzutreten braucht, um zu sehen, was darin vorgeht. Diese Bauart ist dem hiesigen Klima sehr angemessen; der Wind zieht durch das Haus, und kühlt und reinigt die Luft; das Schilfdach schützt gegen den Regen, und die Säulen gegen das Ungeziefer, aber der Anblick ist höchst komisch, besonders wenn sich die Familie darin befindet. Die halbnackten Bewohner Massus begrüßten uns freundlich in spanischer Sprache; ein großes steinernes Kreuz vor ihrem Dorfe, und ein kleines, das sie am Halse hängen hatten, bewiesen den christlichen Glauben. Die Bewohner Guahams werden von den Spaniern los Indios genannt; alle sind Christen, die theils von den Eingebornen, mehr aber von Mexico und den Philippinen herstammen, und von den Spaniern hierher verpflanzt wurden, als der wahre Stamm ausgerottet war.
  Der Weg, den wir ritten, war schmal, aber sehr schön; das Gebirge lag uns rechts, und wechselte in malerischen Ansichten; wir ritten durch Palmengebüsche, zuweilen auch durch eine wilde, aber reizende Natur, in der wir die Mannigfaltigkeit und Ueppigkeit der hiesigen Pflanzenwelt bewunderten. Als die Sonne unterging, erleuchtete der Mond unsern Weg; in diesem Lichte machten die unbekannten Bäume und Gesträuche einen seltsamen Eindruck, und oft wähnten wir in der Ferne ein Ungeheuer zu erblicken, das sich, wenn wir uns ihm näherten, in eine Sagopalme verwandelte. Die Luft war kühler geworden, ich gab meinem Pferde die Sporen, die Herren folgten auf ihren Mauleseln, und um acht Uhr Abends, nachdem wir noch zwei Dörfer passirt, langten wir in Agadna vor Wilsons Hause an, wo wir Toilette machten, um dem Gouverneur, Don Joseph Medinilla y Pineda, Capitain-General der Marianen oder Ladronen, unsere Aufwartung zu machen, der uns in voller Uniform und mit der größten Höflichkeit empfing. Nachdem ich ihm den Zweck meiner Reise mitgetheilt und ihm gesagt, daß ich hier gelandet, in der Hoffnung, frische Lebensmittel zu erhalten, so versprach er mit der größten Bereitwilligkeit, uns mit allem zu versorgen, was die Jahreszeit hervorbrächte, und bedauerte nur, daß es jetzt nicht die Zeit der Früchte sey, welche dann im Ueberfluß vorhanden sind. Er gab sogleich einen Beweis seines Diensteifers, indem er dem Adjutanten befahl, morgen bei Anbruch des Tages frisches Fleisch, Obst und Gemüse auf den Rurick zu schicken, und die Mannschaft täglich damit zu versorgen. Der Gouverneur ist hier der einzige wirkliche Spanier; die übrigen Offiziere, und selbst die Geistlichen sind entweder aus Manila oder Mexiko gebürtig, und Abkömmlinge von Spaniern. Er ist ein Mann von vierzig Jahren, und seiner Kränklichkeit ungeachtet ein angenehmer Gesellschafter und besonders artiger Wirth. Auch dem Staate muß er sich hier nützlich zu machen wissen, denn man hat ihm die Verwaltung der Marianen noch auf drei Jahre überlassen, obzwar nach den Gesetzen der Gouverneur einer spanischen Besitzung nur drei Jahre seinen Posten bekleiden darf. Die Unterhaltung mit ihm wurde mir durch Wilsons Hülfe nicht schwer, vergebens aber bemühte ich mich, das Gespräch auf die Marianen zu leiten, von denen ich mancherlei zu erfahren wünschte; er wußte, geheimnißvoll, wie alle spanische Gouverneurs in diesem Welttheil es sind, mich immer wieder davon abzulenken. Um so mehr ward für den Gaumen gesorgt; nachdem verschiedene Male Thee und Chocolade geboten war, führte man uns an einen mit Früchten, Confectüren und herrlichen Weinen reich besetzten Tisch; wir thaten uns gütlich daran, weil wir das Abendessen einzunehmen glaubten; kaum aber war eine Stunde verflossen, als wir in den Speisesaal geführt wurden, wo die Tafel, mit den kräftigsten Speisen beladen, uns erwartete. Wir wußten Anfangs nicht, ob es hier zu Lande Sitte sey, unaufhörlich zu essen, oder ob man nur dem russischen Magen diese vortreffliche Verdauung zutraute, bemerkten aber bald, daß Alle recht starken Appetit hatten. Bei der Tafel lernte ich den Vice- oder zweiten Gouverneur, wie man ihn hier nennt, Don Louis de Torres, kennen, und dieser liebenswürdige Mann interessirte uns ganz besonders, weil er selbst die Carolinen, und namentlich die Gruppe Ulle, besucht hatte; er erzählte uns viel davon, und versprach uns seine Bemerkungen, die er dort gesammelt, schriftlich mitzutheilen.
  Als die Caroliner 1788 mit einer Menge kleiner Böte die Insel Guaham besuchten, befand sich de Torres gerade hier. Die Wilden gefielen ihm ihrer Gutmüthigkeit wegen, sehr; er empfing sie freundlich, bewog auch den damaligen Gouverneur dazu, der sie, mit Geschenken überhäuft, wieder entließ, und seit dieser Zeit haben sie den Muth, jährlich wiederzukommen. Sie hatten dem Torres erzählt, daß sie früher mit den Bewohnern dieser Insel immer in Handelsverbindungen gestanden, und diese nur aufgegeben hätten, als sie von der Niederlassung der weißen Menschen gehört, und selbst Augenzeugen ihrer Grausamkeiten gewesen wären. Im Jahre 1788 machten sie nach langer Zeit wieder diese Expedition, um Lulu (Eisen) einzuhandeln. Torres fragte, wie sie den Weg hieher gefunden, da die Entfernung von Ulle nach Guaham über 300 Meilen beträgt; sie antworteten: die Beschreibung des Weges werde bei ihnen in Liedern aufbewahrt, und nach diesen hätten ihre Piloten ihn gefunden. Es ist wirklich bewundernswürdig, daß sie eine unbedeutende Insel, wie Guaham, wo nur die Sterne und diese Lieder ihre Wegweiser sind, auf einer Reise von 300 Meilen nicht verfehlen. Als die Caroliner 1788 Guaham besuchten, versprachen sie im nächsten Jahre wiederzukommen, und hielten Wort; sie wurden aber auf der Rückreise von einem wüthenden Sturm überfallen, der sie in den Wellen begrub, so daß kein einziger der muthigen Seeleute das Leben rettete, und nach dieser Begebenheit erwartete de Torres 15 Jahre vergebens seine Freunde, die er wegen ihres kindlichen Gemüths sehr lieb gewonnen hatte. Im Jahre 1804 nahm hier ein Amerikanisches Schiff, Maria aus Boston, Lebensmittel ein; der Capitain desselben, Samuel William Boll, unternahm mit dem Supercargo, Thomas Borman, von hier aus eine Reise nach den Carolinen, wo er den Versuch machen wollte, Biches de mer [Fußnote] zu sammeln, und de Torres benutzte diese Gelegenheit, seine Freunde zu besuchen, da der Capitain ihm versprach, ihn nach Guaham zurückzubringen. Im Juli segelte die Maria ab, und die erste Inselgruppe, welche sie berührte, war Ulle. Torres fand hier einige seiner alten Freunde wieder, welche das Schiff in die Gruppe lootsten, und dieses war es also, wovon uns Kadu erzählte; den Namen Borman, woraus er Marmol gemacht, und Louis, wie sie den Torres dort nannten, kamen in einem seiner Lieder vor, das die Caroliner gedichtet, um diese Männer im Gedächtnisse zu behalten. Das Aufbewahren merkwürdiger Begebenheiten in Liedern haben also die Radacker mit den Carolinern gemein; nur weiß ich nicht, ob erstere auch ihre eigenen Helden besingen, wie es bei den Carolinern der Fall seyn soll. Torres erkundigte sich, warum seine alten Freunde ihn nicht mehr in Guaham besuchten? und man erzählte ihm von der Flotte, die vor 15 Jahren hingegangen und nicht wieder heimgekehrt wäre; woraus sie schlossen, daß man Alle umgebracht hätte. Natürlich betheuerte Torres, daß ihren Brüdern in Guaham kein Leid widerfahren sey, sondern daß ein wüthender Sturm, der sie den Tag nach ihrer Abreise überfallen, die ganze Flotte wahrscheinlich vernichtet hätte; die Caroliner bedauerten den unglücklichen Vorfall, freuten sich aber sehr, daß keine Mordthat geschehen, wie sie vermuthet; versprachen Guaham im nächsten Jahre zu besuchen, und hielten Wort. Seit dieser Epoche versammeln sich jährlich 18 Canots bei der Inselgruppe Lamureck, nehmen von dort ihren Weg nach Fojo (eine wüste Insel, die der Beschreibung nach im N von Lamureck liegt), die sie in zwei Tagen erreichen, daselbst ausruhen, und von dort segelt die Flotte in drei Tagen nach Guaham. Die ganze Ueberfahrt geschieht also in fünf Tagen; sie besuchen Guaham im April, und treten den Rückweg im Mai oder spätestens im Juni an, weil später der SW Monsoon ihnen furchtbar ist. Ihre Böte sind von der Art, daß sie bei der geringsten Unvorsichtigkeit umschlagen, was auf einer solchen Reise auch täglich ein Paar Mal geschieht; da sie aber sehr geübte Schwimmer und Taucher sind, so hat das weiter keine Folgen, als daß sie herzlich darüber lachen; sie springen bei einer solchen Gelegenheit alle ins Wasser, kehren ihr Canot wieder um, und schwimmen nebenher, bis sie das Wasser mit den Händen herausgeschöpft haben. Schlimmer ist es, wenn das Balancier bricht, denn dann können sie, der schmalen Bauart wegen, ihr Canot durchaus nicht mehr im Gleichgewicht erhalten; es vergeht indeß keine Reise, wo ihnen dieser Unfall nicht begegnete, und sie unternehmen dann schwimmend die Reparatur, welche mehrere Stunden erfordert. Schwerlich würde ein Europäer eine Reise von fünf Tagen, unaufhörlich von den Wellen bespült, aushalten; die Caroliner befinden sich oft sogar 14 Tage in dieser Lage, ohne andere Kost, als einige Cocosnüsse, da ihre Canots keine Ladung gestatten, und Seewasser zum Getränk, so viel ihnen beliebt. Sie haben, wenn sich eine ganze Flotte aufmacht, gewöhnlich zwei Piloten dabei, die nur von geringem Stande, aber an Klugheit den Vornehmen weit überlegen sind, und oft für ihre Verdienste in den Adelstand erhoben werden.
  Vor einigen Jahren war eine Flotte, die sich nur noch eine Tagereise von Guaham befand, von einem heftigen Sturm überfallen und weit verschlagen worden. Als dieser sich endlich legte, geriethen die beiden Piloten in Streit; der eine behauptete, Guaham müsse ihnen noch immer in W liegen, der andere meinte das Gegentheil, da der südöstliche Sturm sie so weit getrieben habe, daß die Insel ihnen in O liegen müsse. Beide hatten bisher das gleiche Zutrauen der Reisenden besessen; nun wußte man nicht mehr, welchen Rath man zu befolgen hätte, und endlich trennte sich die Flotte in zwei Parthieen. Der nach W segelnde Theil hat wahrscheinlich sein Grab in den Wellen gefunden, da man nie etwas von ihm erfuhr; die andere erreichte, nachdem sie mehrere Tage gearbeitet, um den Wind nach O zu gewinnen, glücklich die Insel, und der Pilot ward, zum Lohn seiner Verdienste, zum Tamon erhoben.
  Als die Spanier Besitz von den Marianen nahmen, flüchteten die meisten Einwohner nach den Carolinen. Louis de Torres hat auf seiner Reise viele zu den Carolinen gehörige Inseln gesehen, und eine Karte der ganzen Kette entworfen, die Herr v. Chamisso ebenfalls copirt hat und beifügen wird. Der jetzige Gouverneur gibt sich viel Mühe, das Vertrauen der Caroliner zu gewinnen, und hat ihnen den Vorschlag gemacht, sich auf Guaham anzusiedeln.
  Da der Gouverneur in seinem Hause nicht Platz genug für uns alle hatte, so behielt er nur mich und Chamisso bei sich; die übrigen Herren wurden bei den Beamten der Stadt freundlich aufgenommen. Das Haus des Gouverneurs hat zwei Etagen, und ist ganz für das heiße Clima eingerichtet; das Innere ist hoch und geräumig, die Wand nach N mit Schieberahmen versehen, die aber nur zugezogen werden, wenn die Sonne hinein scheint; die Stelle des Glases in den Rahmen vertreten die Schalen der Perlmuschel, die zwar Licht, nicht aber die heißen Sonnenstrahlen hindurch lassen; die Wand nach S hat gar keine Fenster. Für die Bequemlichkeit unsers Nachtlagers war gesorgt, dennoch hätte der ewige Streit zwischen Hunden und Katzen unsern Schlaf gestört, da letztere sich oft in unsere Betten rettirirten, wenn wir nicht durch den ungewohnten Ritt sehr ermüdet gewesen waren. Eine Gattung kleiner grüner Eidechsen, die Nachts an den Wänden pfeifend herumlaufen, und sich auch zuweilen die Freiheit nehmen, ins Bett zu kriechen und unter der Decke herum zu krabbeln, findet man hier in allen Häusern. Hunde und Katzen sind sowohl in der Stadt als auf dem Lande in großer Anzahl vorhanden, und man sorgt für die Vermehrung dieser Thiere, da die Ratten überall Schaden anrichten. Die Hunde gebraucht man zum Jagen der Hirsche, deren es hier in Menge gibt; es ist eine kleine Gattung, welche die Spanier von den Philippinen hergebracht haben.
  Den 25sten Nov. Kaum waren wir erwacht, als der Gouverneur uns zur Chocolade einladen ließ; nachdem ich diese zu mir genommen, äußerte ich den Wunsch, die Stadt in Augenschein zu nehmen; dieses wurde mir aber erst gestattet, nachdem wir noch ein Frühstück eingenommen, das vollkommen einem Mittagsmahle glich.
  Die Stadt Agadna, welche man eigentlich nur ein Dörfchen nennen kann, liegt in einer reizenden Ebene, einige hundert Schritt vom Seeufer; rechts und links sieht man freundliche Palmenwäldchen, im Süden bildet ein hoher Felsen den Hintergrund; von der Spitze desselben beugen sich starke Bäume herab, beschatten einen Theil der Stadt, und geben ihr ein malerisches Ansehen; ein unbedeutender Strom, der hindurch fließt, versorgt die Einwohner mit Wasser; die Häuser, welche eben so, wie die in den Dörfern gebaut sind, bilden einige regelmäßige Straßen. Nur 7-8 Häuser sind aus Korallenstein gebaut, und gehören entweder der Regierung, wie das des Gouverneurs, oder den Beamten. Am östlichen Theil der Stadt befinden sich eine ansehnlich große Kirche und ein Kloster; die ganze Geistlichkeit aber besteht aus zwei Pfaffen, die aus Manila gebürtig, und Abkömmlinge der Malayen sind. Immer nach einer gewissen Zeit, ungefähr alle zwanzig Jahr, soll sich hier aus SW ein heftiger Sturm erheben, der die See so hoch treibt, daß die Stadt überschwemmt wird, und die Einwohner gezwungen sind, ins Gebirge zu flüchten. Nur die Häuser von Stein widerstehen der Wuth des Wassers, die Bambuskäfige werden alle vernichtet. Zwei aus Korallenstein erbaute Festungen vertheidigen die Stadt; die eine liegt vor derselben am Ufer des Meeres, hat aber bis jetzt noch keine Kanonen; die andere befindet sich westlich hinter der Stadt auf einer Anhöhe, besitzt auch einige Kanonen, und scheint hauptsächlich erbaut zu seyn, um im Fall eines Aufruhrs die Ruhe wieder herzustellen; da aber gar kein Pulver vorhanden ist, wie mir der Gouverneur sagte, so sehe ich den Nutzen der beiden Festungen nicht ein. Die Stadt hat 200 Häuser, und enthält 1500 Einwohner, die, wie schon gesagt, aus Mexico und den Philippinen herstammen. Es existirt nur noch ein einziges Ehepaar auf der ganzen Insel, vom hiesigen Urstamm, mit dem Tode dieser beiden Menschen ist der Stamm der alten Ladronen ganz erloschen. Der Gouverneur hatte die Güte, uns dieses Paar zu zeigen, und unser Maler zeichnete sie. Das Militair besteht aus Landmilitz, und ist, wie es scheint, in gutem Stande; die Offiziere sind Eingeborne. Die Soldaten, welche selbst für ihre Kleidung sorgen müssen, sahen ordentlich aus, obzwar von ihrer geringen Besoldung noch ein Theil den Pfaffen zufällt. Will ein Eingeborner heirathen, so muß er vorher den Pfaffen einen spanischen Thaler reichen, und dieser nimmt dabei keine Rücksicht auf den hier herrschenden Geldmangel. Auf meinem Spaziergange zeigte mir der Gouverneur mehrere Canots, die er von den Carolinern eingehandelt, und erzählte bei dieser Gelegenheit von der großen Geschicklichkeit dieser Leute im Schwimmen und Tauchen. Als die Gallione, deren ich vorhin erwähnt, hier verunglückte, holten einige Caroliner, die eben hier waren, die mit Piastern gefüllten Tönnchen aus der Kajüte des Schiffs, das mehrere Faden unter dem Wasser lag; man behauptet, daß sie sich dort eine halbe Stunde aufgehalten hätten.
  Die ganze Inselkette der Marianen, Guaham ausgenommen, ist unbewohnt; die Nordamerikaner, welche den Pelzhandel zwischen der NW Küste Amerikas, und Canton führen, hatten auf dieser Reise die Inseln Agrian und Sappan zu ihren Ruhepunkten erwählt; um nun künftig dort auch frische Lebensmittel zu finden, brachten sie von den Sandwich-Inseln einige Familien dahin, die Landbau- und Viehzucht treiben mußten und es war ihnen gelungen, bei ihren ferneren Reisen, auf diesen beiden Inseln unentgeltlich mit frischen Lebensmitteln versorgt zu werden. Kaum aber erhielten die Spanier davon Kunde, so wurden Soldaten hingeschickt, welche die armen Sandwichaner zu Gefangenen machten, und ihre Pflanzungen zerstörten. Ich habe diese Sandwichaner bei dem Gouverneur gesehen; sie schienen mit ihrem Schicksal ganz zufrieden, und waren sehr erfreut, durch uns etwas von ihrem Vaterlande zu hören. Der Gouverneur hatte die Nachricht erhalten, daß die Amerikaner eine neue Colonie auf Agrian angelegt; es ist die Frage, wie lange diese bestehen wird.
  Als ich Nachmittags von dem Gouverneur schied, mußte ich ihm auf seine freundschaftliche Bitte versprechen, ihn am folgenden Tage wieder zu besuchen. Herr von Chamisso blieb am Lande, und ich trat, in Gesellschaft des Doctor Eschscholz, den Rückweg nach dem Rurick an. Wir ergötzten uns an den herrlichen Gegenden, und waren von den schattigen Bäumen gegen die brennenden Strahlen der Sonne geschützt. In den Dörfern machten wir Halt, und die Bewohner waren immer bereit, uns mit einem aus Cocosblüthen gezogenen Saft, der sehr wohlschmeckend ist, zu erfrischen. Den frohen leichten Sinn der Südsee-Insulaner findet man bei diesem Volke nicht mehr; sie sind schon zu lange unterdrückt, und aus allen ihren Handlungen leuchtet nur Unterwürfigkeit hervor. Sie stehen ganz unter der Bothmäßigkeit des Gouverneurs, und obzwar die Regierung keine Abgaben von ihnen fordert, so ist ihr Wohlstand doch nur gering. Der jetzige Gouverneur ist ein guter Mann, der die armen halbwilden Christen wie seine Kinder behandelt; der vorige hingegen war ein Tyrann, dem sie nie ohne Zittern naheten, und daher mögen sie wohl noch immer dem Frieden nicht trauen.
  Der Taback ist hier allgemein geschätzt; Männer, Weiber und Kinder rauchen beständig Cigarros; zugleich haben sie auch Betel im Munde, der ihnen Lippen und Zähne widerlich roth färbt; auf allen spanischen Besitzungen hat nur die Regierung das Recht, Taback zu pflanzen, auf Guaham aber hat jeder die Erlaubniß dazu.
  Nach einem Ritt von zwei Stunden langten wir in Massu an, wo die Schaluppe uns erwartete: die Eingebornen hatten bemerkt, daß nicht alle unsere Matrosen ein Kreuz um den Hals trugen; und meinten: das müßten wohl schlechte Christen seyn. Um fünf Uhr langten wir am Schiff an, das jetzt im inneren Hafen, neben der Festung St. Cruz lag. Lieutenant Schischmareff hatte schon angefangen, den Wasservorrath zu machen, an einer bequemen Stelle, die ich auf meiner Karte angezeigt habe. Es ist aber folgendes dabei zu beobachten: die Schaluppe muß bei hohem Wasser abgefertigt werden, damit sie ohne Schwierigkeit die Mündung des Flusses erreichen könne; hier werden die Fässer sogleich abgeladen, in den Fluß hinein geschwemmt, aber ja nicht eher gefüllt, als bis die Ebbe das Salzwasser aus dem Flusse herausgebracht; bei zurückkehrender Fluth muß dann das Boot geladen werden, damit man bei dem höchsten Stande des Wassers den Rückweg antreten könne. Die Küste, in der Gegend wo man das Wasser einnimmt, gewährt einen seltsamen Anblick; das Gebüsch taucht seine Spitzen ins Meer, aus welchem dadurch neue Wurzeln hervorschießen, die sich mit dem oberen Gesträuch verschlingen; und hieraus entsteht eine dichte grüne Wand, die das ganze Ufer bedeckt. Der Baum faßt eben so leicht im Wasser Wurzel als in der Erde, und es sieht hier aus, als ob die Vegetation aus dem Meere emporstiege.
  Den 26sten. Während ich am Lande war, hatte der Commandant der Festung Orota, [Fußnote] Capitain Taitano, das Schiff besucht, und den Lieutenant Schischmareff gebeten, zu ihm zu kommen. Er hatte seine Wohnung hinter der Landzunge Orota, in einem Dorfe, welches Agat heißt; und wir machten uns in Wilsons Gesellschaft auf den Weg, um ihn zu besuchen, und zugleich auch das Land umher in Augenschein zu nehmen. Das ganze Commando wünschte heute ans Land zu gehen, und es erhielt die Erlaubniß, bei dieser Gelegenheit im Walde so viele Apfelsinen zu pflücken, als es fortschleppen könnte. Wir landeten am südlichen Theil des Hafens; man muß, um dahin zu gelangen, das Fahrwasser genau kennen, weil viele Untiefen den Weg unsicher machen; da aber Wilson unser Steuermann war, so lief die Fahrt glücklich ab. Jetzt führte uns ein schmaler Fußsteg durch das dichte Gebüsch quer über die Landzunge, und bald hatten wir das Meer vor Augen, und befanden uns an einer großen offenen Bucht, [Fußnote] in welcher die auf meiner Karte angezeigten drei kleinen Inseln liegen. Von hier aus kamen wir durch eine Palmen-Allee, ins naheliegende Dorf Agat, und zwei Meilen hinter diesem, fällt ein runder Berg in die Augen, welcher der höchste auf der ganzen Insel ist. Taitano empfing uns freundlich, und die malerische Wildniß, welche seine Wohnung umgab, hinterließ einen so angenehmen Eindruck, daß wir recht heiter ans Schiff zurückkehrten, wo wir auch die Mannschaft schon vorfanden, die ebenfalls mit ihrer Promenade sowohl, als mit ihrer Apfelsinenernte sehr zufrieden war. Die Matrosen hatten im Walde einen Hirsch und mehrere Eidechsen von fünf Fuß Länge gesehen. Außer Hunden und Katzen sind Hirsche hier die einzigen vierfüßigen Thiere; giftige Insekten und Schlangen gibt es hier gar nicht.
  Den 7ten Nov. Nachmittags verließ ich mit Schischmareff das Schiff, um den versprochenen Besuch bei dem Gouverneur abzustatten; bei Massu fanden wir das Pferd nebst einem Maulesel, und bei unserer Ankunft wurden wir eben so zuvorkommend empfangen, als das erste Mal. Es waren eine Menge Eingeborner da, die einen Tanz ausführen sollten; da es aber hier keine Nationaltänze mehr gibt, die wir eigentlich zu sehen wünschten, so führte man die Scene auf, wie der König Montezuma von Mexico, den Cortez empfing, und ihn durch den Tanz seiner Unterthanen belustigte.
  Den 28sten gingen wir schon früh ans Schiff zurück, weil ich gesonnen war, den andern Tag Guaham zu verlassen. Louis de Torres begleitete uns mit allen Offizieren, und der Gouverneur, der mir einige Depeschen nach Manila mitgeben wollte, versprach nachzukommen, und die Nacht auf dem Schiffe zu bleiben. Wir verlebten einen fröhlichen Abend in Gesellschaft der spanischen Offiziere, welche sämmtlich die Nacht bei uns blieben; der Gouverneur hatte sich verspätet, und traf erst am Morgen des 29sten bei uns ein. Das Schiff war reichlich mit frischen Lebensmitteln versehen, worunter sich sogar ein lebendiger Ochse befand. Wir verabschiedeten uns jetzt mit dankbarem Herzen; es wurden, als der Gouverneur seine Schaluppe bestieg, fünf Kanonen gelöst, und das Commando rief drei Mal Hurrah! Um acht Uhr waren wir schon aus dem Hafen heraus.

 

Kotzebue, Otto von
Entdeckungsreise in die Südsee und nach der Bering-Straße zur Erforschung einer nordöstlichen Durchfahrt
Band 2, Weimar 1821

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