1827 - Hermann von Pückler-Muskau
Der Themse-Tunnel
London
19. Juli 1827
Ein freundlicher Sonnenblick lockte mich ins Freie, das ich jedoch bald wieder mit dem Unterirdischen vertauschte. Ich besah nämlich den berüchtigten Tunnel, die wunderbare, 1200 Fuß lange Kommunikation unter der Themse. Du hast wohl in den Zeitungen gelesen, daß vor einigen Wochen das Wasser des Flusses einbrach und sowohl den über hundert Fuß tiefen und dreißig Fuß breiten Turm am Eingang als auch den schon fünfhundertvierzig Fuß langen, fertigen doppelten Weg gänzlich anfüllte. Auf glückliche und unglückliche Begebenheiten ist hier immer ein paar Tage darauf die Karikatur fertig. So sieht man bei der Katastrophe des Tunnels, als das Wasser einbricht, einen dicken Mann, der wie eine Kröte auf allen vieren sich zu retten sucht, in der Angst mit weit aufgerissenem Munde »Feuer« schreien. Durch Hülfe der Taucherglocke hat man das Loch im Grunde des Flusses, wo die Erde nachgegeben, durch Säcke voll Lehm nicht nur wieder zugefüllt, sondern jetzt, soweit der Tunnel noch fortzusetzen ist, den Erdboden unter dem Wasser überall fünfzehn Fuß hoch durch Vermischung mit Lehm so befestigt, daß, wie man sagt, keine ähnliche Gefahr mehr zu befürchten ist. Eine Dampfmaschine der stärksten Art, die in der Höhe der Turms placiert ist, hat gleichzeitig das eingedrungene Wasser fast ganz wieder ausgepumpt, so daß man schon wieder das Ganze bequem besehen kann. Es ist ein gigantisches Werk, nur hier ausführbar, wo die Leute nicht wissen, was sie mit ihrem Gelde anfangen sollen.
20. August
Die Neugierde führte mich heute nochmals zu den Arbeiten am Tunnel, wo ich in der Taucherglocke mit auf den Grund des Wassers hinabfuhr und wohl eine halbe Stunde dem Stopfen der Lehmsäcke, um den Bruch wieder mit festem Boden zu füllen, zusah. Einen ziemlich starken Schmerz in den Ohren abgerechnet, aus denen sogar bei manchen Menschen Blut fließt, ohne jedoch nachher der Gesundheit zu schaden, fand ich es, je tiefer wir sanken, desto behaglicher in dem metallenen Kasten, der oben dicke Glasfenster hat, neben welchen zwei Schläuche ausgehen, die frische Luft ein- und die verdorbene auslassen. Dieses Behältnis hat keinen Boden, sondern nur ein schmales Brett, um die Beine daraufzustellen, nebst zwei festen Bänken an den Seiten. Einige Grubenlichter geben die nötige Helle. Die Arbeiter hatten herrliche Wasserstiefel, welche vierundzwanzig Stunden lang der Nässe widerstehen, und es belustigte mich, die Adresse des Verfertigers derselben hier bei den Fischen, »auf des Stromes tiefunterstem Grunde«, in mein Portefeuille zu schreiben.
[Der erste Unterwassertunnel der Welt wurde erst 1843 nach jahrelanger Unterbrechung der Bauarbeiten wegen fehlender Mittel fertiggestellt und ist heute Teil des U-Bahn-Netzes.]
Pückler-Muskau, Hermann von
Briefe eines Verstorbenen
Band 2; Erstausgabe 1831; Nachdruck Berlin 1987