Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1847 - Carl B. Heller
Uxmal

Mexiko

 

Fünf Stunden waren wir in der Stille der Nacht fortgeritten, als der Morgen graute, wir einen rascheren Trab einschlagen konnten und endlich um 6 Uhr früh die Hacienda Uxmal, das Ziel unserer Reise, 28 Leguas von Campeche, erreichten.
   Höchst ermüdet von den schlaflosen Nachten und der anstrengenden Reise wollten wir nur einige Stunden der Erholung widmen, entfernt aber von abkühlenden Seewinden, umgeben von in Brand stehenden Feldern war die Hitze so ausserordentlich drückend, dass wir trotz alle dem kaum 1 Stunde in den Hängematten aushalten konnten. Das Thermometer sank den ganzen Tag über, selbst im tiefsten Schatten nicht unter 29° R. [37° C], und wir glaubten bei dem Mangel an erquickenden Getränken verschmachten zu müssen.
   Die Hacienda Uxmal (vielleicht aus Ox und Mal, was in Maya drei Durchgänge bedeutet, entstanden) ist, obgleich keine grosse, doch eine äusserst niedliche Besitzung, welche von dem Eigentümer Don Simon Peon, einem sehr unterrichteten und gefälligem Manne, beständig verschönert und verbessert wird. Im Bau gleicht sie allen andern Haciendas Yucatans. An das mit Corridores und flachen Dächern versehene Haus stossen mehrere mit Mauern eingefangene Höfe an, die dazu dienen, das Hornvieh daselbst einzuschliessen und zu tränken. Ein oder zwei grosse Ficus beschatten diese Höfe, nach welchen das Wasser in Rinnen aus der Noria geleitet wird, und von wo auch die Indianerinnen des Abends ihren Wasservorrat für den Haushalt in spitzen Krügen holen.(Noria nennt man hier einen Brunnen, aus welchem das Wasser mittelst eines Rades und daran befestigter Taschen aus Holz oder Baumrinde geschöpft wird. Gewöhnlich wird dieses Rad von Maulthieren getrieben , zuweilen werden aber auch Indianer zu dieser Arbeit verwendet.)
   Eine kleine Kapelle im Hauptgebäude zeigt, dass auch für den Gottesdienst gesorgt sei, wie überhaupt alles Herrn Peon‘s Streben beweist, unter den 90 Indianer-Familien der Besitzung Zucht und Ordnung zu erhalten, was in diesem Augenblicke der geheimen Gährung um so notwendiger erschien, da selbst diese Indianer von dem Verdachte, mit den östlichen Bevölkerungen im Einvernehmen zu stehen, nicht frei waren und schon einmal einen weissen Mayordomo niedergemacht hatten. Doch schien hier alles ruhig zu sein und wir konnten daher kaum das frugale Mal erwarten, um uns sogleich nach den berühmten Ruinen begeben zu können.
   Der Mayordomo, dem wir von Herrn Peon ganz besonders empfohlen waren und der schon Herrn Stephens auf seinen Reisen begleitet hatte, begleitete auch uns als Führer in den Ruinen des amerikanischen Palmyras. Schon von der Ferne erblickten wir die Pyramide über den jetzt fast blätterlosen Wald hervorragen, eine Anzahl grosser Gebäude tauchte aus dem Dickicht empor und spannte unsere Neugierde auf das höchste, bis wir an Ort und Stelle selbst angekommen waren und in stummer Bewunderung die Werke indianischen Fleisses anstaunten. Wir bauten uns durch dichtes Gestrippe von Mimosen und Sida einen Weg und standen nach einer halben Stunde am Fusse der sogenannten Casa del Adivino (Haus des Wahrsagers , der Pyramide von Uxmal. Es ist dieses ein massiver Bau aus Steinen von 105' Fuß Höhe, dessen Basis ungefähr 225' lang und 135' breit ist, aber durchaus kein Viereck bildet, wie dieses bei den Pyramiden der alten Welt und jenen Mexikos der Fall ist, sondern zu beiden Seiten abgerundet sich der ovalen Form nähert.
   An der Ostseite führen 90 wohlerhaltene Stufen, jede von 1' Höhe und ½ ' Tiefe zur Spitze hinauf, da aber der Winkel der Steigung an dieser Seite 70° an der anderen 80° beträgt, so ist das Hinanklettern schwindelerregend und nicht ganz gefahrlos, um so mehr als einzelne Stellen durch den Zeitraum von 300 zerstörenden Jahren stark gelitten haben; demungeachtet ist das ganze ein noch ziemlich wohlerhaltenes Gebäude, obgleich auch nebstbei die darauf wuchernden Bäume und Sträucher zur Zerstörung kräftig beitragen und vielleicht schon in 50 Jahren nur wenig mehr davon zu sehen sein dürfte. Die Plattform hat 70' Länge und 20' Breite. Auf selber erhebt sich ein Gebäude, welches 20' hoch, 60' lang und 12' breit ist und aus drei gewölbten Räumen besteht, die prachtvoll aus zugehauenen Steinen aufgeführt sind. Die äussere Verzierung hat sehr gelitten, doch erkennt man noch immer an einzelnen Stellen den ausserordentlichen Fleiss, mit welchem sie ausgearbeitet wurden (Man sehe die getreuen Abbildungen in Stephens Werk, Incidents of travel in Yucatan, New- York 1847, gezeichnet von der Meisterhand des berümten Catherwood.) Nach der Ostseite fuhren zwei Thüren, nach West eine auf die Plattform, welche nach letzterer Richtung unter einem kleinen Vorsprung noch zwei Räume enthält, deren Eingang so prachtvoll mit Sculpturen verziert ist, dass ich mich bei deren Anblick unwillkürlich an die indischen Bauten gemahnt fühlte ohne einen bestimmten Vergleich mit selben machen zu können.
   Die Casa del Adivino dürfte ohne Zweifel zu demselben Zwecke wie die Teocallis in Mexiko, nämlich als Tempel und Opferplatz, und wohl zugleich als Wohnung eines hohen Priesters gedient haben, die, wie die Geschichte lehrt, meist die Rolle grosser Propheten spielten, daher auch von da der Name seinen Ursprung haben dürfte. (Cogolludo, Historia de Yucatan (nachdem 1654 geschriebenen Original in Campeche und Merida 1842-1845 nachgedruckt, II Bde.) I. Bd. 251, erwähnt seinen Besuch mit dem Bemerken, dass die Indianer daselbst noch Opfer bringen und Weihrauch brennen)
   Ungefähr 40 Klafter von der Pyramide nach Westen befinden sich die Ruinen des sogenannten Nonnenhauses (Casa de las monjas), eines der grossartigsten und prachtvollsten Gebäude.
   Es steht auf drei Terrassen, die zusammen 18' hoch sind, ein Rechteck bildend, das an der südlichen und nördlichen Seite nahe an 800', an den beiden anderen nahe an 200' misst. Das Hauptthor, der Casa del Gobernador gegenüber, besteht aus einem in einen spitzen Winkel zusammenlaufenden Steingewölbe, ähnlich der gothischen Bauart und eben so construirt wie alle die Gewölbe der noch wohlerhaltenen Zimmer, deren sich zu beiden Seiten des Thores 10 neben einander befinden, ohne im Inneren durch Thüren verbunden, oder sonst wie, die glatt gearbeiteten Steine ausgenommen, besonders verziert zu sein. Feste Gewölbe ohne Fenster gleichen sie vollkommen Zellen eines alten Klosters. In vielen bemerkte ich noch zwei steinerne Ringe, welche zum Befestigen der Hängematten gedient haben mögen, sonst aber keinen Gegenstand, der weiter auf den Zweck derselben hätte schliessen lassen. Die Pfosten der Thüren, welche in den Hof führen, sind aus Zapote-Holz (Cavanilla, Achras Sapota L.) und für ihr hohes Alter noch merkwürdig gut erhalten.
   Dieser Front gegenüber erhebt sich auf einer eigenen Terrasse von 20' ein noch weit prächtigeres Gebäude, die Nordfront bildend, von 260' Länge, 24' Breite und 25' Hohe, eine breite Stiege führte zu selben hinauf, an welche sich zu beiden Seiten zwei kleinere Gebäude anschlössen. 12 Thüren führten in je zwei hintereinander liegende Zimmer, die ganz dieselbe Bauart wie die früher erwähnten haben. Das Gebäude zur linken ist 170' lang, 3l' breit und 25' hoch, hat 7 Thüren, welche in 14 Zimmer führen, und zeichnet sich von aussen durch die Verzierung mit zwei ungeheuren Schlangen aus, welche sich zwischen den kleineren Ornamenten riesig durchwinden; obgleich schon sehr zerstört erkennt man noch deutlich den Kopf der einen und den Schwanz der anderen an einem wohlerhaltenen Stücke, welches ebenfalls Catherwoods vollendeter Stift getreu in dem früher erwähnten Werke wiedergegeben hat. Das wohlerhaltenste von allen Gebäuden ist endlich jenes zur rechten (östliche). Nur 150' lang hat es auch nur 5 Eingänge, welche zu 14 Zimmern führen, wovon einzelne die daran stossenden an Grösse viermal übertreffen, daher jene gleichförmige Eintheilung vermisst wird und mehr den Anschein einer Familienwohnung als von Zellen haben. Die Verzierungen an diesem Trakte gehören zu den bewunderungswürdigsten sowohl was Geschmack als auch was Symmetrie und Ausführung betrifft und man wird bei deren Anblick wirklich von einer Art stiller heiliger Achtung erfasst, die man stumm einem untergehenden Volke zollen muss, welches einst so grosses und herrliches leistete! Im ganzen hatte die Casa de las monjas 88 Zimmer in diesen vier Gebäuden, welche ohne Zweifel Dienern indianischer Gottheiten als Wohnort gedient haben mögen. Dem sogenannten Nonnenhause gegenüber gegen Süden liegt die grösste der Uxmal- Ruinen, die Casa del Gobernador oder das Haus des Regenten, auf einer Höhe von 42' über der Erdfläche, welche aus drei grossen Terrassen gebildet wird, wovon die erste 3' hoch, 15' breit und 575' lang, die zweite 20' hoch, 250' breit und 545' lang, die dritte 19' hoch, 13' breit und 360' lang ist. Die Hauptfront ist gegen Osten gewendet und misst 320' Länge, 40' Breite und 26' Höhe. Elf Thüren in der Frontseite und eine zu beiden Seiten führen zu 20 Zimmern von derselben Bauart wie im Nonnenhause. Das grösste davon in der Mitte des Gebäudes ist 55' lang, 11' breit und 22' hoch, die übrigen in symmetrischer Anordnung bedeutend kleiner als die zwei Mittelzimmer, sind nur 23' lang und 11' breit und stehen nur je zwei und zwei mit einander in Verbindung. Kein anderes Licht erleuchtet diese Räume als jenes, welches durch die Thüren hereinfällt, daher gegenwärtig in selben eine dumpfe und feuchte Luft einen längeren Aufenthalt verleidet.
   Dieses Gebäude hat keinen Hof und beherrscht wegen des hohen Unterbaues alle übrigen Ruinen, mit welchen es ohne Zweifel in Verbindung gestanden hat. An der nordwestlichen Ecke der zweiten Terrasse erhebt sich ein vereinzeltes Gebäude von 94' Länge und 34' Breite, die Casa de las Tortugas (Schildkrötenhaus), so benannt wegen des mit in Stein gehauenen Schildkröten verzierten Gesimses. Schon sehr zerfallen, zeigt es in den einzelnen noch erhaltenen Theilen eine Pracht und Einfachheit in den Ornamenten, die den kühnsten Erwartungen genügen und kaum von einem der anderen Gebäude übertroffen werden, leider wird es mit all seiner Pracht sehr bald nur mehr ein unansenlicher Schutthaufen sein.
   In einem nicht minder bedauernswerten Zustande befinden sich die Gebäude der Casa de las palomas (Haus der Tauben), so genannt wegen einer aus Stein erbauten, in 9 Pyramiden zerfallenden Mauer, die mit einer Menge von kleinen Oeffnungen versehen ist und der Länge nach auf der Mitte des flachen Daches fortläuft, so zwar, dass sie an spitze Taubenhäuser erinnert.
   Mr. Stephens giebt die Länge des Gebäudes auf 240' an; dessen Zimmer sind schon alle eingestürzt, nur der Hof und ein Teocalli ist noch deutlich zu erkennen, so dass ausser der erwähnten sonderbar gebildeten Mauer wenig sehenswertes erübrigt.
   Erwähne ich endlich noch die verfallenen Gebäude der sogenannten Casa de la vieja (Haus der alten Frau), die östlichste der Ruinen, welche ihren Namen von einer verstümmelten Frauenstatue hat, die man dort fand, und den Picote vor dem Hause des Regenten, so habe ich die kurze Schilderung der Ruinen von Uxmal geschlossen. Der Picote oder grosse Stein ist ein Steinblock 3' lang und 2' hoch, zwei in der Mitte verbundene Löwen darstellend; vielleicht ein Idol der alten Indianer, da es Mr. Stephens mit Erde zugedeckt fand und ausgraben musste, um eine Zeichnung davon nehmen zu können, und es den Schein hat, als ob die Indianer, bevor sie einen Ort verliessen, alle Götzenbilder, die sie nicht mitnehmen konnten, vergruben, um sie vor Entheiligung zu schützen. Merkwürdig ist es jedenfalls, dass man in den ganzen Ruinen von Uxmal auch nicht ein Figürchen mehr findet, und wenn auch wirklich vor mir Waldeck, Friederichsthal, Stephens und Normann dort waren und die wenigen mitgenommen haben, so hätten in so weiten Ruinen doch immerhin noch einzelne zu finden gewesen sein müssen, wenn sie nicht, weiss Gott wo, in Erde vergraben lägen und einer zufälligen Entdeckung vorbehalten wären.
   Ohne viel auf die Einzelheiten der Verzierungen, mit welchen diese Palläste beladen waren, eingegangen zu sein, da sie nicht beschrieben, sondern nur in getreuen Bildern dargestellt werden können, habe ich nun dem Leser eine Reihe von Monumenten vorgeführt, die ohne Zweifel zu den herrlichsten Amerikas gehören. Welch riesenhafte Bauten für eine Nation, die alles mit steinernen Instrumenten arbeitete! Wie viel tausende von Menschen mögen jene Gegend, den Centralpunkt solcher Herrlichkeit und Luxus, bevölkert haben, um solche Werke, die Jahrhunderten trozten, der Nachwelt zu hinterlassen und wo ist dieses Volk, das so kunstreich und prachtvoll baute, hingekommen? Die Antwort liegt nahe - Spaniens eiserne Hand hat es physisch und moralisch getödtet. Reste dieses Stammes sind wohl noch zu finden, aber wo ist dessen kühner, mutiger Geist, wo seine Macht und Cultur? Sie ist untergegangen, um nie wieder aufzuerstehen, ertränkt in dem Blute ihrer Kinder, mit dem der Eroberer seine Felder düngte, verschmachtet in den Ketten dreihundertjähriger Sclaverei! Stumm starren die reichverzierten Gemäuer zum Himmel empor, kein menschliches Wesen wandelt zwischen ihnen und selbst der Indianer flieht flüchtigen Schrittes die Werke seiner Väter, deren Andenken nicht einmal die Geschichte getreu zu bewahren im Stande ist!

 

Heller, Carl Bartholomäus
Reisen in Mexiko 1845-1848
Leipzig 1853

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