1882 und 1886 - Hermann von Wissmann
In der Stadt der Baqua-Peschi
Kongo
Am 22. [März 1882] marschirten wir durch einen Theil der größten Stadt der Bene-Ki. 17 km zieht sich von Nordwest nach Südost dieselbe als Wohnort der Baqua-Peschi auf der Scheitellinie von Höhenzügen entlang, von Weitem einem langgezogenen schmalen Palmenhain gleichend. Zu beiden Seiten der von der Stadt getrennten Rücken sind viele Quellstellen, die nach dem Mussongai ablaufen. Nur drei kleine Seen im Osten der Stadt scheinen unterirdischen Abfluß zu haben. Die Hänge der Höhenzüge sind mit Feldern bedeckt, die sich in langen Streifen zum Grunde hinabziehen, und zwischen ihnen führen wie Zähne eines Kammes Fußsteige zum Wasserholen in das Thal. Die Stadt muß sehr alt sein, denn hier und da ragt ein mächtiger Schattenbaum über die Kronen der Palmen empor. Die Hauptstraße ist 20 bis 40 m breit und zeichnet in ihren Windungen den Grat des langen Rückens der Terrainwelle, der auf einer Breite von 300 m ziemlich eben ist und sich dann zu beiden Seiten hinabsenkt. Hinter den Gehöften, die dicht an die Straße stoßen, liegen zunächst die Gärten, auch noch von Palmen beschattet, dann kommt ein breiter Streifen von Bananen, und hinter diesen schließen sich die Felder an. Die Gärten bringen Ananas, deren Saft man hier nur trinkt, und von deren Blättern man behauptet das wirksamste Pfeilgift zu gewinnen, Tomaten, Pfeffer, ein Gemüse »Schimboa«, Ricinus, aus dessen Bohnen gestampftes Oel ebenso wie bei uns verwandt wird, Tabak, Zuckerrohr und wilden Hanf. Auf den Feldern cultivirt man Erdnüsse, Maniok, süße Kartoffeln, Mais und Hirse. Die Raphia vinifera, meist an der Außenseite der dichten Palmenbestände angepflanzt, hier und da auch im Grunde in der Nähe des Wassers, liefert Palmwein und Bast zum Anfertigen der Kleiderstoffe, die Elaëis Nüsse und Oel. Es beginnt sonach der Bereich einer Familie an der Straße mit den Häusern, an die sich Gärten, Palmenbestände, Bananenpflanzungen und Felder der Reihe nach anschließen bis hinab in die Nähe des Wassers. Das Grundstück je einer Familie ist von den zum Wasserholen bestimmten Wegen eingeschlossen und begrenzt. Die Ziegen sind schön, tief in der Brust und kurzbeinig, Schafe und Schweine sind seltener, Hühner in großer Anzahl vorhanden. Wild ist natürlich in dieser so außerordentlich bevölkerten Prairie nicht denkbar. Wir haben seit dem Sankurru kaum die Spur eines Stückes gesehen, und man kann dreist behaupten, daß solche Theile Centralafrika's wildarmer sind als Deutschland. Einzig und allein die Herbeischaffung des Brennholzes aus den bewaldeten Schluchten bedingt eine einigermaßen weite Entfernung der Bewohner von der Stadt, da alle übrigen Bedürfnisse des Lebens in Fülle dicht um sie herum vorhanden sind. Eine solche Stadt kann natürlich eine derartige Streitmacht aufstellen, daß sich die Baqua-Peschi bis dahin noch völlig selbständig erhalten hatten.
Was fehlt diesen Centralafrikanern im Schatten der prächtigen Palmen, im Ueberfluß eines reichen Fleckchens Erde, in Unkenntniß anderer Bedürfnisse, als derjenigen, die sie leicht befriedigen können, zum Glücklichsein?
Bei derartigen Betrachtungen beschleichen den Forscher eigenthümliche Gedanken. Er zieht einen Vergleich zwischen den fast paradiesischen Verhältnissen von hier und jenen mehr der Küste zu, wo leider immer die schlimmen Gaben der Civilisation tief störend in das Glück vorher zufriedener Menschen eingreifen. Der Forscher selbst ist es, der die erste Verbindung mit dieser schlimmen Zukunft anknüpft, die damit beginnt, durch blinkende Glasperlen und bunte Stoffe die Habgier der Wilden anzureizen, das Gefallen an den Producten seiner eigenen Industrie und damit die Freude an der eigenen Arbeit zu verdrängen. Wenn dann der Eingeborene den letzten Elefantenzahn verschachert hat und ihm sonst Nichts von Werth für den Handel nach der Küste zu Gebote steht, um Pulver und Gewehr, Zeuge und Perlen einzutauschen, dann greift er zum Sklavenhandel. Will er nicht seine eigene Familie verhandeln, so muß er rauben, zum Sklavenraub muß Krieg gemacht werden, der rings die Schwächeren, bisher noch glücklich Lebenden in's Unglück stürzt. Der Eingeborene, der dann kaum noch einen Tag seiner Person, der Seinen und seines Besitzes sicher ist, gibt sich nicht mehr die Mühe, seine Felder zu bebauen, denn morgen muß er vielleicht schon flüchten und hat umsonst gearbeitet. Hungersnoth ist daher stets die erste nothwendige Folge, und in ihren Spuren folgen Epidemien, unter denen die furchtbarste die Pocken sind. Dies sollte auch die Zukunft der schönen Riesenstadt der Baqua-Peschi sein! Jetzt ein kleines Paradies, waren 4 Jahre später dieselben Palmenhaine verödet. Welche Veränderung war vorgegangen! Rechts und links vom Wege überwucherte das Gras die Stellen, wo früher glückliche Menschen lebten. Nur ein halb verkohlter Pfahl oder ein in der Sonne bleichender Schädel zeigte, was hier geschehen war. Grauenhaft war die Todtenstille, als ich im Jahre 1886 unter dem Schatten derselben Palmen wandelte, unter denen nur so wenig früher noch lautes Jubeln und freundliches Grüßen von Tausenden mir entgegenschallte, und heiß überlief mich das Gefühl des Zornes über die, welche hier solch' entsetzliche Aenderung hervorgerufen hatten, die Araber.
Wissmann, Hermann von
Unter deutscher Flagge quer durch Afrika von West nach Ost
Berlin 1889