Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1825 - Simon Friedrich Pfeiffer, Schiffsarzt in holländischen Diensten
Holländer auf Menorca

 

Auf der Insel Minorka sind die Holländer ganz einheimisch, fast wie in Holland. Die Matrosen und Soldaten bekommen wöchentlich ein- oder mehrmals von ihren Schiffskapitänen die Erlaubnis, an‘s Land zu gehen. Auf manchen holländischen Schiffen ist es sogar Gebrauch, dass die Offiziere, Ärzte und die übrigen Schiffsbeamten sich, solange ihre Schiffe im Hafen liegen bleiben, in der Stadt Wohnungen miethen, so daß manche zwei Haushaltungen haben, nämlich die in Holland zurückgelassene und das in Mahon angelegte spanische Harem. Auf unserem Schiffe fiel dieser Gebrauch weg. Unser Kapitän erlaubte zwar jedem Offizier, Kommissär, Chirurgen und Kadet, täglich nach Belieben an das Land zu gehen, verbot aber daselbst eine Wohnung zu miethen. Ich selbst ging anfangs täglich an‘s Land, um mich mit der Stadt und der ganzen Insel bekannt zu machen. Zu diesem Zweck miethete ich mir gewöhnlich ein Pferd, Maulthier oder einen Esel, welcher letztre bei jenen schlechten Wegen, und um Felsen und Berge zu ersteigen, am zweckmäßigsten ist. Allein bei solchen Ausflügen muss man vorsichtig und bewaffnet seyn, denn ich weiß Beispiele, daß die rohen Spanier Gewalttätigkeiten an Einzelnen von uns verübten.
   Die Insel hat wenig Gegenstände, die das Leben daselbst angenehm machen können. Außerhalb der Stadt ist Alles so öde, daß man nicht mehr Lust hat, einen Ort zum zweiten Mal zu besuchen. In der Stadt ist ebenso wenig Genuß zu finden. Allenfalls können die Klöster oder die Fandango-Tänzerinnen während der ersten Tage als eine neue Erscheinung anziehen. Wer Bacchus und Venus huldigt, der freilich kann hier so gut, oder noch besser, als irgendwo befriedigt werden. Umso mehr mußte dem Fremden das Spazierengehen ans Land verleidet werden, da man nicht einmal seines Lebens und Eigenthums sicher war.
   So kehrte ich eines Abends etwas spät in Begleitung eines alten holländischen Arztes, des Oberfeuerwerkers von unserm Schiff und eines rüstigen Kadetten aus der Stadt zurück. Es regnete ein wenig, der Himmel war ganz trübe, in der bergabgehenden Straße, in der wir uns gerade befanden, war es stockfinster und wir hatten keine Leuchte bei uns. Plötzlich sahen wir uns, oder fühlten uns vielmehr von einigen Männern, vermuthlich Banditen, angegriffen. Der alte Mann wurde von zwei Männern angefallen, bekam auf die linke Hand eine kleine Wunde, wahrscheinlich durch einen Messerstich, und wurde seines Mantels und seiner Taschenuhr beraubt. Er konnte sich wegen seines Alters weniger wehren und schrie jämmerlich um Hülfe, aber leider konnten wir Übrigen ihm nicht helfen, denn Jeder hatte sich seiner Haut zu wehren. Der Kadet wurde ebenfalls von zwei Räubern angefallen und ehe er sich's versah, hatten sie ihm vorn die Uniform aufgerissen und aus der Westentasche die Börse genommen. Er zog den Degen, die Räuber wichen zurück, einen von ihnen verwundete er in den Rücken. Der Oberfeuerwerker, ein wackerer Deutscher, hatte es mit einem zu tun, mit dem er sehr bald fertig ward. Er schrie dem Spanier ein deutsches Mordsakrament entgegen, packte ihn am Hals, warf ihn zu Boden, riss ihm ein langes Schiffsmesser aus der Hand und stampfte ihm einige Mal mit den Füßen auf den Bauch, dass jener jämmerlich um Pardon flehte. Dann eilte er dem Arzt zu Hülfe. Er fand ihn neben sich im Schlamm liegen und zwei Banditen waren im Begriff, ihm Uniform und Hosen zu rauben. Den einen Banditen stieß er mit dem Kopfe so gegen die Mauer eines Hauses, daß ihm beinahe der Schädel zersprang und nahm ihm den Mantel des alten Arztes wieder ab. Auch ich hatte einen kleinen Kampf zu bestehen. Vor mich trat, so viel ich bemerken konnte, ein äußerst langer hagerer Bandit und versetzte mir einen Säbelhieb dermaßen auf den Kopf, dass sich mein lederner Hut ganz über das Gesicht herunterzog. Ich hatte beinahe meine Besinnung verloren, doch fasste ich mich bald wieder und riss schnell meinen Hut vom Gesicht weg, um frei sehn zu können. Darauf zog ich meinen kleinen Schiffsdegen und versetzte dem Räuber einen Stich in seinen linken Arm, mit dem er mich eben am Halskragen fest hielt. Er zog hierauf seinen verwundeten Arm zurück und suchte mir noch einige Säbelhiebe zu versetzen, die ich aber mit meinem kleinen Degen meist auffing, so daß mir nur eine kleine Verwundung am Ringfinger der linken Hand blieb.
   Diese Balgerei mochte ungefähr 6-7 Minuten gedauert haben. Die Bewohner der Häuser, vor denen wir uns schlugen, hatten gewiß den großen Tumult gehört, allein keine Thüre und kein Laden öffnete sich, um uns zu leuchten, kein Spaniol zeigte sich, um uns zu helfen. Endlich sahen wir in der Entfernung ein Licht, welches langsam auf uns zukam. Wir wollten nun die Banditen fest halten, allein sehr gewandt wußten sie uns zu entschlüpfen. Das Licht kam nun zu uns, es war eine spanische Patrouille. Der Sergeant, welcher sehr gut Französisch verstand, suchte uns zu beruhigen, bedauerte sehr, daß wir in dieser verrufenen Straße solches Unglück zu bestehen hatten und wünschte uns Glück, dass wir so gut davon gekommen wären. Wir betrachteten uns nun gegenseitig beim Schein der Handlaterne, und obgleich wir alle sehr verstimmt und voller Unmuth waren, so mußten wir einander doch herzlich belachen. Von Kopf bis zu Fuß mit Koth bedeckt, die Kleider zerrissen, Hände und Röcke mit Blut besudelt, der alte Doktor und ich ohne Hut, unsre Haare naß und gesträubt, kurz, die Banditen hatten uns zu ihresgleichen umgemodelt. Am possierlichsten präsentirte sich unser alter dicker Arzt, über welchen das Regenwasser und die Schlammgosse hinausgeflossen waren. Meinen Hut fand ich im Schlamm, man konnte mit der Hand in die ungeheure Öffnung hineingreifen; ebenso eine braune wollene Kappe von einem der Banditen, an welcher wir unsere blutigen Degen abputzten und sie dann als erobertes Gut mitnahmen. Ein Soldat fand eine Pisette [Münze], wir schenkten sie ihm, verließen die Patrouille, die darüber in großer Freude war, und begaben uns auf unser Schiff.
   An einem Sonntag, wo ein großer Teil unserer Leute Erlaubnis hatte, an Land zu gehen, hatte ich nun recht Gelegenheit, die Art der Vergnügungen dieser Leute in Mahon zu sehen. Die Matrosen von unserem Schiff sowie auch die Mannschaft von anderen holländischen, amerikanischen und französischen Fahrzeugen gesellten sich zusammen, mietheten sich Thiere zum Reiten und beluden einige derselben mit Fässern Wein und Rhum. Mehrere von ihnen nahmen auch ihre spanischen Liebhaberinnen mit und nun machten sie, mehrere 100 an der Zahl, einen Ausflug auf einen eine halbe Stunde von der Stadt entfernten Berg. Auf demselben wurde einige Stunden lang tüchtig gezecht und getanzt, und sofort ging es nun wieder nach der Stadt. Da die Wege schlecht sind und mehrere von der wackeren Gesellschaft schwer geladen hatten, so war es nicht zu verwundern, wenn mancher Matrose das Gleichgewicht verlor und von seinem oft auch tückischen Esel herabglitt, was denn zwischen den Steinen oft nicht unbedeutende Quetschungen zur Folge hatte.
   In der Stadt angekommen, wurden die Thiere an die Eigenhtümer zurückgegeben und nun nahm die Sache eine Wendung, die wohl auch nicht zu den Seltenheiten dieser Insel gehören mochte. Obgleich die Bürger von Mahon von den Mannschaften der dahin kommenden Flotte leben, und unberechenbare Verdienste und Gewinne dadurch haben, so suchen sie doch, wie überall in der Welt, wo möglich, die Seeleute zu prellen und obwohl die Lebensmittel einen billigen Preis haben, so müssen doch die Seeleute nicht allein doppelt, sondern oft drei- und vierfach bezahlen. Die Matrosen, die eben wieder geprellt werden sollten, machten den Bürgern derbe Vorstellungen, und schalten sie unter anderem jüdische Betrüger. Da aber die Spaniolen das Wort „Jude“ hörten, wurden sie äußerst erbost, und nun gab‘s heftigen Wortwechsel, hier und da Thätlichkeiten, am Ende förmliches Handgemenge. Die Anzahl der Bürger mehrte sich, es kamen ihnen sogar spanische Soldaten zu Hilfe, ebenso stieg die Anzahl der ausländischen Seeleute auf wenigstens 600 Köpfe. Sie schlugen sich beiderseits mit Säbeln, Messern und Steinen, der Kampf wurde immer heftiger, die Spanier verlangten den Generalmarsch und wollten eben Feuer geben, als der spanische Gouverneur mit der ganzen Ortsbehörde, und mehrere Schiffskommandeurs kräftig einschritten, beide Parteien zu beschwichtigen suchten und so dem Streit ein Ende machten. Von beiden Seiten blieben einige Todte, eine Menge war verwundet. Von den Matrosen unseres Schiffs hatte einer einen Finger, ein anderer ein Ohr verloren und mehrere waren leicht beschädigt. Das Ende vom Liede war, dass am folgenden Tag Mehrere mit körperlicher Züchtigung exemplarisch bestraft wurden. Ein Unteroffizier, welcher als Mitanstifter des Tumults beschuldigt war, wurde vor ein Kriegsgericht gestellt und später mit Degradation und dreimaligem Von-der-Rah-Fallen bestraft.
   
Pfeiffer, Simon Friedrich
Meine Reisen und meine fünfjährige Gefangenschaft zu Algier
Gießen 1834

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