Reiseliteratur weltweit

Geschichten rund um den Globus

1853 - Ludwig Karl Schmarda
Moderne Bauten in Athen

 

Die Landschaft ringsum ist angebaut, Gärten und Olivenhain gehen bis an den Fuß der Berge. Athen liegt in einer kleinen Ebene innerhalb der Trümmer des alten; das moderne macht jedoch keinen großartigen Eindruck. Fast alle Häuser sind neu, aber weder groß noch besonderes hübsch, und aus dem antiken Schutt und dem modernen Mist erhebt sich ein Gemisch von europäisch-orientalischem Stil. Man hat sich mit dem Bau der neuen Stadt übereilt und ihn begonnen, ehe man noch den antiken, venezianischen und türkischen Schutt weggeräumt und einen vernünftigen Bauplan entworfen hatte. Besonders unglücklich war die Idee, Neubauten in unmittelbarer Nähe der Akropolis aufzuführen; man hätte dort durch Ausgrabungen manches retten können. Der königliche Palast imponiert mehr durch Einfachheit als durch Schönheit, trotz seiner Bekleidung von weißem Marmor und bei seinem gänzlichen Mangel an architektonischem Charakter mahnt er an die prosaische Nüchternheit unserer Zinshäuser. Auf einem Hügel außer der Stadt liegt die Sternwarte von Sina, dotiert, aber ohne Instrumente und Beobachter. Einen unangenehmen Eindruck macht die Universität; gut angelegt, obwohl nicht ausgedehnt, ist das Gebäude seit acht Jahren unvollendet, weil die Kammern kein Geld mehr dazu hergaben. Die naturwissenschaftlichen Sammlungen sind in dem Raum untergebracht, der ursprünglich zur Aula bestimmt war, aber ganz roh und unangeworfen dasteht; Wind und Regen treiben mit den Sammlungen ihr Spiel, und doch ist die Universität ein Institut, das vorzügliches Gedeihen verspricht, weniger vielleicht für die Förderung der Wissenschaft, um so mehr aber als Organ der politischen Propaganda des Hellenentums, indem nicht nur die Griechen des Königsreiches, sondern auch die in der Türkei wohnenden, die der ionischen Inseln und selbst die der Moldau und Walachei hierher kommen. Die Organisierung ist mehr nach französischem als nach deutschem Muster; Collegiengelder oder Prüfungstaxen werden nicht bezahlt, mit Ausnahme von fünf Drachmen für den Stempel des Diploms. Die Zahl der Professoren ist 32; ihre Besoldungen variieren von 200 bis 300 Drachmen monatlich, sind aber bei dem hohen Preise der Existenzmittel, besonders der hohen Miete der Wohnungen, viel zu klein, da der Preis einer nur einigermaßen anständigen Wohnung von vier bis fünf Zimmern 1.200 bis 1.500 Drachmen beträgt. Ursprünglich von deutschen Gelehrten besetzt, hat die Universität unter den Lehrern gegenwärtig nur noch einen Deutschen, H. L., der Professor der Chemie und zugleich Hofapotheker ist; aber auch dieser war 1844, wo das Volk und die Armee die Constitution erzwangen, entlassen und nur auf Antrag der Studenten wieder eingestellt worden.
    …
    Auffallend ist in Athen der Mangel an Gärten; die Reste von Gärten in der Nähe türkischer Häuser wurden als Bauplätze verwendet oder es wurden Straßen durchgeführt. Bei Anlegung der letzteren hat man jedoch die die Dattelpalmen berücksichtigt, von denen einige vereinzelt gegenwärtig in der Mitte der Straßen stehen.
    Unser nächster Besuch galt der Akropolis. Auf der sanft geneigten Dachfläche eines isolierten prismatischen Kalkfelsens stehen die glänzend weißen Marmortrümmer jener Bauten, die durch Größe, Geschmack der Anordnung und Ausführung, so wie durch die Schönheit und Solidität des Materials unerreicht sind; diese Bauten allein würden den Namen Perikles groß gemacht haben. Sie sind abwechselnd durch Türken und Venezianer so zusammengeschossen, durch Archäologen und Kunstliebhaber so geplündert worden, daß gegenwärtig nicht viel mehr als ein Trümmerhaufen übrig ist, den der Fremde gegen ein Eintrittsgeld besehen kann. Der Fremde darf so lange darin herumwandern, bis der Gendarm dem Führer mitteilt, daß er hungrig ist und nun essen gehen müsse, wodurch gewöhnlich ein Extratrinkgeld als außerordentlicher Gendarmeriebeitrag in Aussicht gestellt wird. Von den Propyläen sind nur wenige Säulen in einem erträglichen Zustande. Über die verfallenen Stufen der Propyläen tritt man in das Parthenon, den Haupttempel der Pallas Athene, der Haupt- und Stadtgottheit der Athener. Zertrümmert liegen Architrav und Capitäler neben den gebrochenen Säulenschäften rings umher, daneben findet man noch Kanonenkugeln und Bombentrümmer, die sie niedergehagelt haben. Die größte Zerstörung war durch das Bombardement der Venetianer unter Morosini hervorgebracht, die massiven Marmorschäfte sind so dick, daß sie gewöhnlichen Projektilen trotzen können; aber das Auffliegen eines Pulvermagazins, das unter der Moschee war, in welche die Türken den alten Minervatempel umgewandelt hatten, der schon früher die Metamorphose in eine christliche Kirche erlebt hatte, verursachte die größte Zerstörung. Das besterhaltene Denkmal der Akropolis ist der Tempel der flügellosen Victoria (Victoria aptera), er ist klein, aber von den schönsten Verhältnissen. Er war während der Kriege mit Mauerwerk überkleidet worden, sein Dach diente als eine Plattform und hat dadurch wenig gelitten. In neuerer Zeit hat man Ausgrabungen auf der Akropolis versucht.
    Auf einem Hügel steht der Theseustempel. Er war von Kimon nach der Schlacht von Salamis erbaut worden, dem Theseus und Herkules gewidmet, und wird gegenwärtig als eine Art archäologisches Museum benutzt, unter den größeren Bauwerken ist er weitaus das besterhaltene. Vom Jupitertempel Hadrians sind noch einige schöne Reste vorhanden, ebenso vom Turm der Winde. Man denkt unwillkürlich nach, wie oft die Kriegsfurien über Athen gezogen, wie viel Akte der Wut und Barbarei hier verübt werden mußten, um die Menge von Tempeln, öffentlichen Gebäuden, Säulen und dergleichen verschwinden zu machen.

 

Schmarda, Ludwig Karl
Reise um die Erde in den Jahren 1853 bis 1857
Band 1
Braunschweig 1861

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